Dada wird hundert! Der Mensch ist ausschließlich auf positive Dinge fixiert. Warum nicht auch einmal vom Negativen ausgehen?! Sind wir ehrlich: 1916, was gab es da Positives? So gut wie nichts! Die Zeit des Ersten Weltkriegs. Vom 21. Februar bis 18. Dezember 1916 tobt die Schlacht um Verdun. 700.000 deutsche und französische Soldaten werden getötet oder verwundet. Am Ende der Schlacht stellt sich der Frontverlauf an der Westfront nahezu unverändert dar, im Reich beginnt der Steckrübenwinter. Mit vor dem Hintergrund der Sinnlosigkeit des maschinellen Abschlachtens entsteht Dada.
Dadaismus verweist auf eine kulturkritische Kunstrichtung, die 1916 im Züricher Cabaret Voltaire begann. Der Name „Dada“ leitet sich aus der französischen Kindersprache für „Steckenpferd“ ab; angeblich ist Hugo Ball beim zufälligen Blättern in einem Wörterbuch darauf gestoßen. Diese zwei Merkmale, Unsinn und Zufall, stellen bereits die wichtigsten Kennzeichen des Dadaismus dar. Künstler des Dadaismus sind: Hans Arp, Johannes Baader, Hugo Ball, Marcel Duchamp, Max Ernst, Hans Höch, Raoul Hausmann, Francis Picabia, Kurt Schwitters, Tristan Tzara.
Sehr bald nach dem Ersten Weltkrieg und unter dessen Einfluss auf die Künstler wurde die damals herrschende Stilrichtung des Expressionismus von neuen Richtungen teils überlagert, teils abgelöst, insbesondere durch den Dadaismus in Frage gestellt.
Die Dadaisten richten sich gegen die in ihren Augen veralteten gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen, vor allem aber protestieren sie gegen den Krieg, dessen Sinnlosigkeit sie manifestieren wollen. Expressionisten sind spießig, wird man zu spießig als Expressionist, werde man Dadaist, sagte man dazumal. Der Expressionist ist gefangen in gesellschaftlichen und künstlerischen Normen, die Kunst der Dadaisten hingegen ist eine Kunst des Nonsens, sozusagen eine Antikunst, deren Inhalte im Manifest von Tristan Tzara festgehalten werden: Es wird mit dem Kunstbegriff experimentiert und Alltagsgegenstände werden zu Kunstobjekten erklärt, zudem werden die Grenzen zwischen den Kunstgattungen fließend.
Bei den Bühnenauftritten werden bruitistische (von frz. bruit = Lärm) Konzerte, groteske Tänze und Gedichte aus inkohärent zusammengefügten und sinnlosen Wortfetzen, insgesamt von absurd kostümierten Menschen dargeboten. All diese Begebenheiten sollen den Zuschauer provozieren und diesem einen Spiegel vorhalten. Die Maschine ist ein Leitmotiv des Dada, allerdings wird diese – anders als bei den Futuristen – nicht verherrlicht, sondern als Symbol für die missratene gesellschaftliche Situation hinzugezogen.
Der Kern der Strömung strahlt von Zürich bald nach ganz Europa und sogar in die Vereinigten Staaten aus, unterscheidet sich aber in den jeweiligen Schwerpunkten: Während man sich in New York beispielsweise für die Stellung der modernen Kunst interessiert, geht es den deutschen Dadaisten eher um die gesellschaftliche Krise im Nachkriegsdeutschland. In Frankreich ist durch die Mechanisierung unterbewusster Vorgänge eine Affinität des späteren Surrealismus für die Dada-Kunst erklärbar.
Man kann streiten, ob ein „Konzert des Schweigens“, ein „Ausstellung von Nichts“ oder ein „Buchstabengedicht“ Kunst oder Kitsch bzw. Schwachsinn ist; eines ist dem Dadaismus gelungen: Er hat uns den Spiegel vorgehalten, man denkt über die dargestellten Dinge nach. Es ist nicht die schöne Statue, die der Maler auf Leinwand bannt. Nein! Es ist der schmutzige Putzlappen oder die achtlos weggeworfene Kinderpuppe. Aus menschlichen Gesichtern wachsen Maschinenteile. All das muss uns doch zu der Frage leiten: Warum? „Delectare et prodesse“ (Horaz – Ars Poetica), Kunst soll „erfreuen und nützen“. Ob Dada erfreut, liegt im Auge des Betrachters. Genützt hat die Stilrichtung. Es haben sich viele Zeitgenossen Gedanken über die Darstellungen der Künstler gemacht und – nach hundert Jahren – auch der Verfasser.
Der Dadaismus war in vielerlei Hinsicht ein sehr großer und radikaler Schritt in der Kunstgeschichte. Er brachte viele Neuerungen in der Technik der bildenden Kunst hervor, hatte dafür gesorgt, dass zahlreiche Tabus in der Kunstszene gebrochen wurden und die Kunst nicht mehr nur Abbild der Wirklichkeit ist, sondern mehr. Dada hat den Weg für den Surrealismus bereitet. Einige Dadaisten wurden Surrealisten, die sich weniger auf das „Anti“ konzentrierten, sondern sich eher mit der sinnlich wahrgenommenen Welt befassten und damit, wie man sie am besten verwirren konnte. Man ließ die reale Welt mit der des Traumes verschmelzen und begann den Betrachter vor schier unlösbare Rätsel zu stellen.
Der Dadaismus starb in den 1920er Jahren eines natürlichen Todes durch Desinteresse; oder schlichtweg, weil er, der gegen Normen aufbegehrte, eben solche gebildet hatte.