Es soll keine Abrechnung oder ein übler Nachruf werden, aber durchaus ein Aufruf zu besseren Arbeits- und Lohnbedingungen und ein bewusst öffentliches Anprangern der grundsätzlichen Schieflage einer boomenden Branche – oft zu Lasten der Beschäftigten. Seit der Recherche von „Wallraff“ (https://www.stern.de/kultur/-team-wallraff–in-der-sicherheitsbranche–was-auf-die-fresse–3175714.html wissen wir alle Bescheid über die üblen „Tätigkeiten“ einiger Securities. Doch er durchleuchtete dies von einer anderen Seite, als ich es heute tue.
Schaut man sich den Gesuche-Markt der Stellenanzeigen im Sicherheitsdienst auf den einschlägigen Job-Portalen an, stockt einem der Atem. So unglaublich viele, offene Stellen und stets markiert mit „dringend gesucht“, „zum sofortigen Eintritt“, „mehrere Mitarbeiter“. Kein Wunder, wenn man sich dazu die Studie der „Ver.di/ DGB Index Gute Arbeit“ PDF →https://innovation-gute-arbeit.verdi.de/gute-arbeit/materialien-und-studien/++co++b85106cc-17ee-11e9-9652-525400423e78 anschaut. Selbst die von der Bundesagentur für Arbeit zugeschobenen Arbeitslosen geben nach kurzer Zeit auf und suchen das Weite. Die Beschäftigten stehen oft vor sehr verantwortungsvollen Aufgaben, werden nicht ausreichend und fortlaufend geschult, schleppen sich Tag und Nacht durch – zum Teil 12-Stunden-Schichten/ 6-Tage-Woche (denn das ist in dieser Branche zulässig!) , werden obendrein noch schlecht bezahlt und körperlich/ psychisch bis zum Limit verheizt. 240-270 Stunden monatlich und mehr sind keine Seltenheit (und auch notwendig, will man seinen Lebensunterhalt mit diesem Job bei der miserablen Bezahlung bestreiten).
Ich selbst habe diesen – für mich wahrhaftig vollkommen – artfremden Beruf vier Jahre lang ausgeübt, stets darauf bedacht, die zahlenden Kunden (die Sicherheitskräfte als externe Dienstleister einkaufen) mehr als zufriedenzustellen und oft wesentlich mehr zu leisten, als das, wofür man eigentlich bezahlt wird. Der Kunde kann nichts dafür, sein Sicherheitsbedürfnis ist groß und verständlich. Dafür darf er eine absolut korrekte Leistung erwarten, die – laut meiner Beobachtung – nicht immer gewährleistet ist. Ich sage nicht, dass es NUR schlecht ausgebildete Sicherheitsdienstmitarbeiter gibt, das stimmt so nicht – denken wir an Werttransporte, Flughafen-Sicherung, Reaktor- und Kernkraft-Überwachung, öffentliches Interesse und vieles mehr. Selbstverständlich sind das ausgebildete und geschulte Leute (hoffentlich), aber eben nicht die breite Struktur, die im Werkschutz/ Industrieschutz/ Objektschutz oder für Einlasskontrollen eingesetzt werden. Hier durfte ich von Klappstuhl-Rollator-Opa bis überhebliche Göre, Schussel oder aufgeplustertem Möchtegern alles erleben. Gescheiterte Existenzen, Ex-Alkoholiker, Ex-Junkies, Ex-Dealer, Hausfrau, Teenager, der sich verschuldet hat und nun die Zeche bezahlen muss… usw. Gerade die kleineren Sicherheitsdienstfirmen zahlen nur das absolute Minimum, stellen qualitativ minderwertige Arbeitskleidung oder nicht einmal die notwendige Ausrüstung, wie z.B. Warnwesten oder Taschenlampen zur Verfügung (was lt. DGUV vorgeschrieben ist).Selbst die erforderliche Grundausbildung der „Unterrichtung Sachkundeprüfung §34a“ muss von den Beschäftigten selbst bezahlt werden, ebenso erste Hilfe-Kurse oder gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten. Es gibt die Großen der Branche – da dürfte es vielleicht anders gelagert sein, aber dennoch sind die Arbeitsbedingungen auch dort extrem schlecht (deshalb auch aktuell wieder Streiks). Wenn Sie einen Blick auf die Bewertungen von Mitarbeitern auf den Bewertungsportalen lesen, werden Sie schnell erkennen, dass wir es hier mit einem gesundheitsschädlichen Ausbeuter-Segment zu tun haben. Solange es den MTV Manteltarifvertrag Sicherheitsdienst gibt und dieser gültig ist, ändert sich daran auch nur schleppend etwas. Zwar versuchen es die Vertreter der Ver.di und des BDSW kontinuierlich, aber recht zögerlich und da muss noch viel nachgearbeitet werden. Dringend! Aktuell liegt der Stundenlohn über dem Mindestlohn, aber die gültigen Abrechnungspraktiken ziehen das enorm runter. Beispiel: Arbeitet ein Security nur 8 Stunden bei einer 5-Tage-Woche kommt er im Monat auf etwa 1.800 Euro Brutto (je nach Bundesland). Wer kommt also damit aus? Das ist der Grund, warum viele über 240 Stunden monatlich arbeiten, alle Zuschläge für Nacht-/ Wochenend-/ Feiertags-Arbeit mitnehmen und sich gesundheitlich zugrunde richten. Ich selbst fing vor Jahren topfit und engagiert in diesem Beruf an, machte alle erforderlichen Ausbildungen, arbeitete für viele Einsatzorte/ Bereiche und beendete das vor Kurzem mit einem kaputten, schmerzenden Arm und Handgelenk, fünf verlorenen Zähnen und vollkommen überbelastet. Peinlich in jeder Hinsicht: Bei einem Diarrhö-Anfall habe ich mir vor dem Kunden in die Hosen gemacht, weil – trotz mehrfachem, eindringlichen Bitten – keine Ablösung und keine Toilette verfügbar war. Psychosomatische Begleiterscheinungen waren die Folge von 5 bis 6 Tage Einsatz à 12,5 Stunden (inkl. Fahrtzeiten). Während meiner Dienstzeit war es kaum möglich, einen Arzt aufzusuchen, mein Sozialleben zu pflegen, private Kontakte aufrechtzuerhalten oder mich meiner Literatur, dem Journalismus und dem Bücher-Schreiben zu widmen. Mir fehlte auch schlichtweg die Kraft für meine wichtigen ehrenamtlichen und sozialen Tätigkeiten. Ich konnte keine Workshops mehr organisieren und durchführen, keine Live-Konzerte besuchen, mich nicht um meine Angehörigen und Familie kümmern. Jetzt – nach dem Ausstieg – pflege ich meine Blessuren, kümmere mich um all das, was jahrelang nahezu unmöglich war und bin wieder aktiv journalistisch, textlich und ehrenamtlich tätig. Als besonders widrig empfinde ich die „selbstverständliche Bereitschaft“, die oftmals gefordert wird und selbst nachts bekommen Mitarbeiter Anrufe, dass sie am nächsten Morgen spontan um 6.00 Uhr (Samstags/ Sonntags) eine Vertretung zu übernehmen hätten (Dienstende abends vorher 19.30/ Anfahrtszeit ¾ Stunde. Der Abstand zwischen zwei Diensten muss jedoch mindestens 12 Stunden sein!). Um in seiner wohlverdienten Freizeit einigermaßen unbehelligt zu bleiben, bleibt nur die Option, alle Telefone auszuschalten und auf keinen Fall in die Emails zu schauen. Auch im Urlaub kommen Anrufe seitens der Arbeitgeber, dass man unverzüglich zurückkommen und einen Dienst übernehmen müsse, ebenso wurden kurzfristig Urlaubstage gestrichen und – teilweise sogar – der gesamte, bereits bis ins Detail geplante Umzugstag. Rette sich, wer kann! Dienstpläne werden willkürlich umgestellt, weil erneut das knappe Personal ausgefallen ist und das, obwohl ein Dienstplan Gültigkeit hat und nicht unter 4 Werktagen geändert werden darf (ohne Zustimmung des Arbeitnehmers). Es gibt noch viel mehr Schwachstellen: Wer keinen eigenen PKW hat, ist aufgeschmissen, denn wie sollte man zu den Kunden/ Objekten kommen? Das geschieht natürlich ohne anzurechnendes Kilometergeld und auf eigene Kosten, mit eigenem Materialverschleiß. Dabei sind Anfahrten zu den Kunden von mehr als 50 km keine Seltenheit. Steht die Inspektion, die Reifenabnutzung, der Benzinverbrauch und Sonstiges auf der Stundenabrechnung? Nein. Das müssen Sie vom jämmerlichen Grundlohn pro Monat abziehen (sicher 200 Euro pro Monat, je nach KFZ) oder im nächsten Jahr anteilig bei der Steuererklärung geltend machen (immerhin etwas).
Der nächste Punkt, mit dem auch ich öfters konfrontiert war, ist die Auseinandersetzung mit Resistenten und Unwilligen, sei es von Mitarbeitern innerhalb der Betriebe, die man schützen soll oder von außerhalb kommend. Man steht stets alleine da, hat in Notsituationen keinerlei Hilfe und erfährt durchaus Abwertung, Trotz oder gar direkte Aggression. Jedem, der in diesem Beruf arbeitet oder arbeiten will, dem muss klar sein, dass er stets zwischen den Fronten steht und ein wirklich dickes Fell braucht. Es hilft keiner, wenn es brenzlig wird und man gehört nirgends dazu. Stets die Sicherheitssituation im Blick, stets unter Anspannung für den Eventualfall, stets freundlich (wenn das immer so einfach wäre). Im Laufe der Jahre habe ich wahre Kotzbrocken kennengelernt und immer noch, scheinen sich Männer äußerst schwer damit zu tun, wenn Frauen ihnen etwas vorschreiben wollen. Gewöhnt euch dran, Machos! Ich war als Frau nie bestechlich, nie unaufmerksam, niemals unhöflich, bin aber sehr oft an meine persönlichen Grenzen gekommen – immer im Blick, dass ich Dienstleister bin (privat hätte ich dem einen oder anderen gerne mal einen Tritt in die … verpasst). Trotzdem bekam ich einen guten Blick hinter die Kulissen und an der einen oder anderen Stelle sah ich erfreut, wie sehr sich Mitarbeiter für die Sicherheit der Kunden eingesetzt haben, obwohl sie nie eine Wertschätzung seitens des eigenen Arbeitgebers erfahren haben. Auch das gibt es (Kunden sind eher bereit, der Motivator zu sein als der eigene Chef) und ich möchte diese „seltenen Kollegen“ auch einmal lobend erwähnen (den meisten aber war und ist es egal – sie sitzen nur ihre Stunden ab). Kein Lob gibt es für die unberechenbaren, aggressiven Kollegen, die jeden fertig machen und anscheinend im Türsteher-Rotlichtviertel-Milieu hängengeblieben sind.
Fazit: Lassen Sie die Finger von diesem Beruf. Auszubildende sind extrem knapp, weil auch sie mies bezahlt werden und unerträgliche Arbeitszeiten und -schichten haben. Der Nachwuchs wird auch nicht eher kommen bis die Konditionen verbessert werden. Für Hausfrauen, die nebenher vier oder fünf Stunden am Empfang arbeiten wollen, ist es in Ordnung, aber als Fulltime-Job, von dem man dauerhaft leben sollte, ein No-Go. Es sei denn, Sie wollen nach wenigen Jahren ein ausgemergeltes, physisches und psychisches Wrack sein. Nebenbei wurden und werden von nicht wenigen Firmen die besten Sicherheitsdienst-Mitarbeiter abgeworben und direkt eingestellt. Zumindest von denen, die den Wert eines Menschen erkannt haben und für diejenigen, denen ethische und menschliche Aspekte wichtiger sind als ein gedemütigter, unterbezahlter Externer, der beliebig hin und her geschoben werden kann und – wie ich sagte – nirgendwo hingehört. Nicht einmal mehr in sein eigenes, privates Leben, das er zugunsten eines Jobs als „Security“ aufgegeben hat.
© Petra M. Jansen