Kalter Krieg
Wir erinnern uns alle an John le Carrés Buch „Der Spion, der aus der Kälte kam“ und an US-Präsident John F. Kennedy, der 1963 vor dem Rathaus Schöneberg ausrief: „Ich bin ein Berliner!“. China brach mit der Sowjetunion und schlug einen Weg ein, der ins Grauen der Kulturrevolution führen sollte. Es war die Zeit, in der Kennedy sein Land in den verheerenden, falschen Krieg in Vietnam trieb. Dieser Feldzug sollte dem Kommunismus Einhalt gebieten – und erschütterte das Vertrauen des Westens in die eigene moralische Überlegenheit zutiefst. Wir reden vom „Kalten Krieg“.
Die Furcht ist heute groß, dass die Kälte zurückkehrt. Werden wir – analog zu den Weltkriegen – bald vom „2. Kalten Krieg“ sprechen?! Die New York Times spricht angesichts des mutmaßlich von Moskau verschuldeten Giftanschlags auf den Doppelagenten Skripal in Salisbury einen „cold war flashback“. Furcht war ein Wesensmerkmal der Blockkonfrontation; die Furcht, aus dem Kalten Krieg könne ein heißer, gar ein nuklearer werden.
Auch darum besitzt das Wort vom neuen Kalten Krieg einen solch suggestiven Sog: Es lädt die Konflikte der Gegenwart historisch auf. Und erinnert nicht wirklich vieles daran? Da ist die Kriegsrhetorik Putins, der kürzlich mit seinen Atomraketen prahlte, und jene Donald Trumps, der im Konflikt mit Nordkorea nichts anderes tat. Es gibt verbales „Säbelrasseln“ hüben wie drüben, Spionageaffären, gegenseitige Bezichtigungen der Einmischung in innere Angelegenheiten – und nun offenbar sogar Auftragsmorde.
Bei all diesen Parallelen gerät jedoch leicht in Vergessenheit, wie grundlegend sich der echte Kalte Krieg von den Spannungen der Gegenwart unterschied, so bedrückend diese auch sind. Er begann bald nach dem Sieg über Hitlerdeutschland 1945, als der Eiserne Vorhang, wie Winston Churchill beklagte, das verwüstete Europa teilte; als im Kreml noch Stalin herrschte und das eben erst durch die Rote Armee befreite Osteuropa brutal sowjetisierte. Mitten in Europa standen dann jahrzehntelang ungezählte Atomwaffen und gewaltige Armeen.
Das ist glücklicherweise Geschichte (allein die Bundeswehr war damals mit 4.500 Kampfpanzern gerüstet. Heute gilt die Aufstockung auf 300 Panzer als Zeichen wachsender Blockkonfrontation). West und Ost führten in der Dritten Welt zahllose mörderische Stellvertreterkriege und hofierten psychopathische Tyrannen wie unter anderem Pinochet – „Unser Schurke“, nicht der der Gegenseite.
Es konnte Entspannung geben, friedliche Koexistenz durch Gewaltverzicht, Wandel durch Annäherung wie unter Willy Brandt. Ein grundsätzlicher Ausgleich der Systeme und Ideologien aber war niemals möglich. Als Michail Gorbatschow dies von 1985 an versuchte, implodierte das rote Imperium; es war nicht überlebensfähig ohne Feindbild und den Anspruch, für die bessere Welt zu stehen.
Der Westen wurde seit 2014 immer wieder mit russischen Lügen konfrontiert. Wollen wir einmal in Erinnerung rufen: Auf der Krim gab es keine russischen Soldaten – danach wurden sie sogar ausgezeichnet für die Krim-Annexion. Russland hat die malaysische Boeing nicht abgeschossen. In der Ukraine gab es keine regulären russischen Streitkräfte. Es gab keine Einmischung in den US-Wahlkampf. Es gab kein Doping bei der Sotschi-Olympiade. Es gab auch keine Hacker-Angriffe auf den Deutschen Bundestag. Nichts von dem ist bewiesen, außer der russischen Präsenz bei der Krim-Annexion, der Militärtruppen – aber man hat politische Schlussfolgerungen gemacht. Gut, Doping ist bewiesen, obwohl die russische Seite auch da sagt, da ist nichts bewiesen.
Ja, es gibt eine Bedrohung für Freiheit und Demokratie; aber sie lässt sich nicht mehr einfach in einem gegnerischen Block oder System verorten. Diese Bedrohung ist der neu erwachte Nationalismus, geschürt von Populisten; destruktiv, hasserfüllt, aggressiv will er Eigeninteressen auf Kosten anderer durchsetzen. Nationalismus treibt Wladimir Putins Politik ebenso an wie jene Donald Trumps.
Der Egoismus, der Mangel an einer verbindenden Vision wie einst der weltlichen Heilslehre des Sozialismus, ist freilich auch die Schwäche des Nationalismus. Wer dem normativen Projekt der freien Welt – den Ideen der Menschenrechte, der Volkssouveränität, des Rechtsstaates – angebliche großrussische, neuasiatische oder uramerikanische Werte entgegensetzt: Er kann nie mehr sicher sein, dass sein Volk sich auf Dauer mit diesem Etikettenschwindel abfindet.