Liebe Petra,

auch ich bin voll im Corona-Wahnsinn. Ganz schön stressig!

Die Dimension der Fläche und der Zeit

Ich habe einen Artikel im „Nouvel Observateur“ gelesen, der mich an meine Situation erinnert. Eine junge Frau beschreibt darin, dass ihr durch die Krankheit jeder Gang wie eine Weltreise vorkommt und dass sie das Gefühl hat, niemals ihr Ziel erreichen zu können. Ein Gefühl, dass bei jedem angeschlagenen Mensch zu verspüren ist. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere hat es mit einer ganz anderen Dimension zu tun, die einen Mehrwert bedeuten kann. Das erlebe ich heute mit der Pandemie, die mir – trotz ihrer Grausamkeit – Türen öffnet, die sonst für immer geschlossen gewesen wären…die von neuen Dimensionen, sei es von Fläche oder Zeit. Klar, wenn man so etwas in sich entdeckt, ist es schwer möglich ist, dass man sich seltsam fühlt. Wäre es wohl vergleichbar mit dem Fall, als ob sich das Tor zum Himmel sehr leicht öffnen würde. Nur einen winzigen Spalt, der uns dazu bringt, wissen zu wollen, was dahinter steckt. Dieser hat mich, ich gebe es gerne zu, sehr neugierig gemacht. Hätte ich ihn nicht bemerkt, hätte mich das Ganze kalt gelassen. Gestern habe ich von der gelebten Erfahrung gesprochen. Wenn man nun über die Seuchen Kluges liest, ist es bei weitem nicht das gleiche Gefühl, als wenn man mit ihnen konfrontiert ist. Man kann sie buchstäblich greifen, sich mit ihnen vergiften, was die ganze Sache sehr bedrohlich macht. Das, um euch zu sagen, warum ich irgendwie vom Ganzen fasziniert bin, auch wenn mich das sehr mitnimmt. Medizinische Erklärungen sind ein Sache, aber sie reichen nicht. Andere Phänomene sind in den Gebieten Philosophie, Theologie und Psychologie zu berücksichtigen. Man kann nicht über den Corona-Virus referieren ohne sich darüber Gedanken machen, denn das, was wir erleben ist epochal.

Reise in die Welt meiner philosophischen Gedanken

Ich gebe zu, dass ich schon immer gegrübelt und den Versuch unternommen habe, das Wie und das Wieso besser zu erfassen. Hat das Leben in Deutschland dazu geführt? Ist der Umgang mit nachdenklicheren Menschen der wahre Grund oder bin ich eher von Leuten umgeben, die sich, mit dem was sie geistig besitzen, nicht genügen können? Die nach der Vollkommenheit zielen, ohne sie genau definieren zu können? Das Gefühl verdammt zu werden. Der Corona-Virus muss diese Wahrnehmung des Unerreichbaren noch steigern, die Zeichen eines vernichtenden Schicksals nicht abwenden zu können. Ich für meinen Teil, lasse es sich so entwickeln, wie es für uns alle vorgesehen ist und unternehme nicht den Versuch, mich darüber hinauszusetzen zu wollen. Weg von den ständigen Gedanken der ultimativen Katastrophe, die ich nicht als eine Garantie der Säuberung empfinden kann und auch nicht die Pandemie, die solche Zeichen in sich trägt. Ich sehe mehr denn je meine Aufgabe im Rahmen von persönlichen Gesprächen, den Menschen einen Funken Hoffnung zu verleihen, auch wenn die Mogelei im Spiel ist. Ganz schlicht nach guten Nachrichten zu suchen und sie dementsprechend zu verbreiten. Auch wenn ich eine Menge verbrannte Erde vor mir sehe und die Lust empfinde, einfach gegen den Strom der schlechten Gedanken zu schwimmen, egal was passiert, ist der Widerstand wichtig, denn er gehört einfach zu mir.

Und was wäre, wenn Gott entmachtet wäre?

Ich stehe am Fuß der Mauer, die mich vom Garten Eden trennt und würde sie gerne überwinden, aber sie ist aalglatt. Nicht der kleinste Spalt bei dem ich mich halten könnte. Ich höre Hilferufe – würde gerne helfen – aber schaffe es nicht. Ich haben den Eindruck, dass es sich um Gott handelt, der mit uns nichts mehr auf die Reihe bringt und verzweifelt ist. So geht es mir mit der Pandemie, die ich als ein fast nicht passierbares Hindernis sehe. Es kommt das Gefühl auf, dass Gott die Kontrolle verloren hat und nicht mehr weiß wohin er uns Menschen führen soll. Soll es uns in Furcht versetzen? Uns in Panik bringen? Oder haben wir die innerliche Kraft, Widerstand zu üben? Aber das möchte ich nicht, weil ich weiter das Gefühl haben will, dass ich vom Allgegenwärtigen geliebt werde. Ist das vernünftig sich so von der Hoffnung, verleiten zu lassen? Besteht nicht die Gefahr, dass wir uns letztendlich in em Loch befinden werden, in dem kein Gebet uns verhelfen kann? Das ist gerade das, was mich mit Angst versetzt. Aber um weiterleben zu können, nützt es auch nichts uns zu wiederholen, dass es so toll geht. Dass das Leben insgesamt gesehen eine Wonne ist. Wie könnte ich folgendes erklären: Gott ist mir zugleich so nahe wie nie, auf der andere Seite gottverlassen in der Finsternis. Kann er selbst sich ertragen? Ich habe meine größten Bedenken.

Mich permanent seelisch aufbauen

Jetzt sitze ich vor dem Laptop und löffle aus Frust ein Schokoladeneis. Wunderbar für meine Diabetes! Es wird behauptet, dass das Corona-Virus brandgefährlich ist. Ist mir das wurscht? Ich weiß nur eines, die verseuchte Stimmung macht mich mürbe und ich muss jetzt einfach Schokolade fressen, um mich fröhlich zu fühlen. Die Milka-Kuh kann sich glücklich schätzen, dass ich sie im Namen des Konsums, als Therapeutin wahrnehme – Spaß bei Seite. Ich merke, dass die negative Dynamik, die die Pandemie verbreitet, mir psychisch zusetzt und dass ich langsam in einen Zustand versetzt werde, in dem viele Wesen während des 30ziger Krieges bei den Pest-Epidemien erlebten. Das Gefühl zu haben, alleine durch Orgien den Kopf befreien zu können, auch wenn die Gefahr der Ansteckung dadurch vermehrt wurde. Das Unvermögen nach einer Wahrheit zu suchen, die es in Wirklichkeit so nicht gibt. Dass das zu einer Quälerei sondergleichen führt, ist vom Tatsachenkatalog nicht verwunderlich. Die Pandemie versetzt uns in einen inneren Stress, den wir davor nur selten erdulden mussten und doch sollten wir empor schauen, wie die Bibel es uns gelehrt hat. Was tun wir? Wir kriechen auf dem Boden, weil wir uns nicht die Stärke einräumen, die noch eine existenzielle Begründung hat. Kann der Mensch sie wirklich haben, wenn er weiß, dass er automatisch irgendwann das Handtuch werfen wird? Ich hoffe, dass der Spuck bald nachlässt, um mir den Blick nach vorne neu gestalten zu können. Soll man so viel nachdenken, frage ich mich? Muss das wirklich sein?

 

Trotz Corona, umarme ich dich!

 

Pierre

//pm

 

Lieber Pierre,

dein letzter Brief hat bei mir für Entsetzen, Sorge, Kopfschütteln und Lächeln gesorgt. Immerhin – wenn man die ersthaften Sorgen und den offenkundigen Verfall nahestehender Menschen miterlebt. So hart es klingen mag und wir es niemandem wünschen, so wahr ist es auch, dass wir alle eines Tages den Hut nehmen und uns verabschieden müssen. Der eine früher, der andere später. Der eine mit langjährigen Schmerzen und Entbehrungen, der andere plötzlich und unerwartet oder durch einen tragischen Unfall. Wie schnell es gehen kann, sehen wir derzeit an der unglaublichen Pandemie des Corvid-19-Virus, der weltweit um sich greift und bereits mehrere tausend Menschen das Leben gekostet hat. Dennoch: Lebewesen sind angreifbar und alles, was lebt, stirbt eines Tages. Ich komme zurück zu dir und bitte, Pierre gestatte mir die ehrliche Aussage, dass es mir unendlich leid tut, einen dermaßen hochintelligenten, intellektuellen Mann, der so vieles in seinen Fernseh-Dokumentationen und Bühnenstücken bewegt hat, in den Abgrund rudern zu sehen. Wie viele Jahre haben wir beide philosophiert und uns auf hoher geistiger Ebene ausgetauscht, Themen nachts am Telefon gewälzt und höchst kreative Outputs gehabt? Wenn mir einer in den letzten Jahren das Rüstzeug für gute Regiearbeit oder kulturelles Wissen oder auch in psychologischen Dingen mitgegeben hat, dass warst du im Wesentlichen auch daran beteiligt. Es war ein wahres Wunderwerk an gemeinsamer Arbeit, die wir in den Jahren, seitdem du auf mich aufmerksam wurdest, erschaffen haben. Doch es fehlt mir seit einiger Zeit sehr, denn diesen Pfad haben wir nun verlassen. Es geht seit über zwei Jahren ausschließlich um deine Gesundheit und ich verstehe das absolut. Das alles überschattet die Kreativität, den Impuls, der einst fiktive und reale Welten bewegte und aus dem überaus fruchtbare Projekte entstanden sind. Du erinnerst dich? Es fehlt mir, das sage ich aus vollem Herzen, denn mein Bekanntenkreis hat nicht viele solcher Menschen, die auf jedem Parkett aktiv und firm sind und mit denen man sich so hochqualitativ und inspirierend austauschen kann. Leider haben die Wenigsten ernsthaft was selbst zu sagen – sie saugen auf, was andere sagen.

Ach, Pierre – es tut mir so leid, zu sehen, wie dein brillanter Geist Federn lässt, du zu einer „Ich-Figur“ mutierst und der Mittelpunkt nur noch für dich selbst geworden bist. Austausch adé, Philosophie adé, Kreativität adé. Aber solche geistig verwöhnten Menschen wie ich müssen wohl akzeptieren, dass es nur wenige Mentoren gibt, die einen im Leben begleiten. DU bist einer davon und dafür nochmals meinen ehrlichen Dank. Übrigens: Ich sehe keinen Affen, der Viagra schluckt. Ich sehe einen verzweifelten Mann, der die Hoffnung nie aufgeben möchte, aber ich sehe auch eine letzte Etappe deines Weges, der unserer langjährigen Freundschaft noch einiges abverlangen wird. Sei sicher – ich bin dabei!

 

Eine herzliche Umarmung,

 

Petra

© Petra M. Jansen

 

http://literatourpoetictext.blogspot.com/

 

Lieber Pierre,

es sind die Gedanken an Freude, Glück und an ein gesundes Leben, die wir uns zum Jahreswechsel gegenseitig wünschen. Was soll Reichtum und Wohlstand bedeuten oder auch ein sicherer Job, wenn du krank bist und dich nicht bewegen kannst? Verschlissen durch deine Arbeit oder durch deine eigenen psychischen Belastungen? Nur ein gesunder Mensch steht morgens auf und freut sich auf einen spannenden Tag und nur ein gesunder Hund wedelt seinem Herrchen freudig mit dem Schwanz entgegen. Ansonsten sitzt er in der Ecke und frisst nichts. Bist du gesund, steht dir die Welt offen und die Gesellschaft umarmt dich, gibt dir einen sinnvollen Platz in der sozialen Welt. Streikt dein Körper, streikt dein Mut und du fühlst dich ausgemustert, wertlos, überflüssig. Doch dein Geist gibt nicht auf, arbeitet bis zum letzten Atemzug – vorausgesetzt du leidest nicht an Demenz. Ich stelle mir das sehr schwierig vor, alt zu werden und nicht umsonst gibt es den Satz „Zum Altwerden gehört Mut“, „Altwerden ist nichts für Feiglinge.“

Nehmen wir den klassischen Arbeiter, der in der Gehaltsstufe eher unten angesiedelt ist, dafür aber schleppen und schippen darf bis er im Rücken steif ist und unbrauchbar für die Welt, in der Geld mehr Glanz und Gloria innehat als ethische Werte. Alle schaffen für´ s liebe Geld, das – gestaffelt in Kompetenz und Hierarchien – von oben nach unten sortiert. Der Obere schafft für´ s Geld des Investors, den die ganz unten stehenden Ameisen einen Scheiß interessieren. Er gibt Druck an den Rangnächsten, der ihm untergeordnet ist und dieser wiederum an die Ameisen, die fleißig den Haupthaufen wegarbeiten. Und diese emsigen Kleinen reden sich auch noch ein, es sei der „Beruf, für den man alles gibt, den man lebt und glücklich sei, wenn der Rubel des Obergurus rollt. Der Oberguru sitzt derweil auf den Seychellen, schmaucht Pfeife, rührt in seinem Drink und vögelt eine schmucke Dame, die mindestens 25 Jahre jünger ist. Wenn du nun zu den Ameisen gehörst, bist du in deinen goldenen 50-ern kaputt geschafft, drehst dich nachts schlaflos um deine eigene Achse und knirschst bei jeder Bewegung. Doch der Kopf arbeitet stets weiter, du träumst immer noch von dem großen Coup, der Beförderung und der Entschleunigung deines täglichen Rotierens. Fehlanzeige! Der Körper streikt, du bist Alteisen und darfst die Hand aufhalten, wenn die monatliche Kohle vom Amt kommt. Dein Kuchen krümelt ein wenig, aber wen kümmert´ s? Sei immer schön bescheiden und habe stets Angst vor dem innerlichen Aufstand, die dich deinen Job kosten würde. Malochen, rackern, fleißig sein. Irgendwann bist du alt, der Rollator dein Begleiter und du hoffst, dass die Rente dich über Wasser hält. Klar, wenn du gesund wärst, könntest du einen 450-Euro-Job machen, aber… das Skelett macht nicht mehr mit.

Lieber Pierre, kleiner Trost: Es geht uns ausnahmslos allen so. Sei sicher, dass es auch diejenigen trifft, die ganz oben in der H(K)ackordnung stehen und sich auch mit Sicherheit ein besseres Leben ermöglichen konnten. Aber irgendwann werden auch sie krank und brauchen Hilfe. Sie haben alles erreicht und vielleicht ergattern sie einen der teuren, begehrten Plätze im betreuten Luxus-Appartement-Wohnen mit Pflegepersonal, das Deutsch spricht. Vielleicht aber auch nicht. Und was dann? Dann geht bekanntermaßen kein Cent mit in ihr Grab, kein Euro tröstet über die Tatsache, dass auch sie gebrechlich werden und das Zeitliche segnen. Ihre Kids profitieren garantiert und werden schon im Säuglingsalter angehalten, dem Konsum zu frönen, n u r nach dem Verdienst zu schauen (schließlich dreht es sich nur darum, damit du deine Kohle wieder für irgendeinen Schmodder re-investieren kannst) und schon beginnt ihr Kreislauf in einem System von Gedeih und Verderb.

Schmerzen hin, Schmerzen her…es ist Fakt, dass Menschen, die einer Extrembelastung ausgesetzt sind oder waren, krank werden, körperliche Leiden und – durch die Welt von Schnelllebigkeit und Stressfaktoren – zunehmend psychischen Schaden erleiden, weil niemand standhalten kann. Wir haben derart beschleunigt, die Produktivität stetig erhöht und alles soll sich kontinuierlich weiter in die Höhe schrauben. Das geht nicht, das kann nicht klappen und das wird es auch nicht. Wer immer nur hochschaut, kriegt´ s  im Genick und wer immer nur hochsteigt, kann runterfallen. Nimm also dein Leben und lass auch mal los, suche den Sinn in deiner Zeit und sei stolz auf deine Qualitäten. Ändere zur Not deine Gewohnheiten und wenn es sein muss, stell alles auf den Kopf und wage, was du dir sonst nie erlaubt hättest. Der Kopf redet sich oft gut, was dein Körper als Notbremse signalisiert. Tust du das alles nicht, wird der Schmerz dein weiterer Begleiter sein. Er begleitet etwas in dir und tut das so lange ohne Schonung bis du endlich tot bist. Erst dann schonst du gezwungenermaßen etwas, was schon lange deine Aufmerksamkeit, Verarbeitung und Schonung verdient hätte. Jetzt! hast du genug Zeit dafür und Geld ist hier so unwichtig wie der Furz einer Weinbergschnecke.

                

Meine allerbesten Wünsche,

Petra

© Petra M. Jansen

http://jansen-marketing.de

 

Liebe Petra,

wie du weißt, bin ich ein Schmerzpatient geworden. Um mein Leiden besser zu überstehen und zu verstehen, schreibe seit vorigem Sommer Einträge in mein Tagebuch, hier zwei Ausschnitte davon:

Die Schmerzen sind ehrlicher als die Menschen. Sie verstecken sich nicht unter einer falschen Identität oder suchen nicht das Weite in den Untergrund, sie sind einfach da. Sie haben mir gesagt, dass sie ungerecht behandelt werden. Warum soll man sie vernichten? Ich sagte ihnen, dass Lebenswesen sie ganz einfach nicht goutieren, weil sie sich ganze Zeit in den Weg stellen. „Wenn du meinst, dass es angenehm ist mit solchen Schmerzen zu gehen, verstehst du nichts von unserem Leben!“ „Vergiss nicht, dass wir dazu gehören. Wir sind nur da, um Alarm zu schlagen.“ Das war natürlich, was ich nicht hören wollte, aber das gehört zur Ehrlichkeit. Bei vielen Krebsfällen kommt er zu spät, oft ist dann der Tumor nicht mehr zu operieren und ich muss daran denken, wenn ich wieder kahlköpfige Kids in den Gängen des Krankenhauses sehe. Es gibt Krebsarten, die keinen Schmerz erzeugen. Wie kann man darauf kommen, dass diese schreckliche Krankheit uns heimsucht? Die Müdigkeit? Das schlapp sein? Aber das ist nicht unbedingt ein Zeichen dafür. Ich würde daher empfehlen, jedes Jahr einen Besuch beim Arzt als Kontrolle zu machen. Eine Freundin von uns hat nur einmal darauf verzichtet – dann wurde Brustkrebs festgestellt, mit den bösesten Perspektiven. Man gab ihr nur noch ein paar Monate zu leben, etliche Jahre sind seither Gott sei Dank vergangen, aber solche Fälle sind die Ausnahme. Durch die Schmerzen kann ich nicht anders kann, als mich pflegen zu lassen. Es wäre mir lieber, wenn ich darauf verzichten könnte, aber so habe ich mich besser kennengelernt. Dieses Missgeschick hat meinen Charakter gefestigt, dafür bin ich dankbar, auch wenn sich dies merkwürdig anhört. Ich habe auch gelernt jede Winzigkeit zu goutieren und sie als ein Geschenk zu betrachten. Die Aufnahme der schönen Dinge hat sich grundlegend verändert. Es muss nicht das Eldorado sein, schon ein wenig Fürsorge macht mich glücklich. Vielleicht ist das die beste Waffe, um meinen Freund – den Schmerz – ertragen zu können? Jetzt Schluss für heute, ich muss zu Bett, auch wenn ich mich manchmal davor fürchte, weil der Schmerz mich auch da nicht los lässt.

Seit einigen Tagen interpretiere ich bildlich meine Schmerzen für einen Film, den ich dieses Jahr noch mal drehen werde. Ich werde dort meine Gedanken auch durch Kollagen und Malerei ausdrücken. Zuerst dachte ich, dass alles düster werden würde, so penetrant wie meine Schmerzen sind und doch es kam etwas anderes raus. Ohne die Realität zu ignorieren, wirken die ersten Malereien fast heiter. Ich entdeckte dabei, dass ich es nicht schaffe, Traurigkeit zu verkünden, aber sehr viel mehr die Hoffnung und den Optimismus, die viel tiefer in mir verankert sind, als ich es dachte. Bedeutet das, dass zwischen den qualvollen Momenten, die Sonne immer wieder scheint und dass das Leben letztendlich siegen wird? Ich dachte, dass ich alles mit den Worten ausdrücken könnte und doch geht es mit der Malerei anders. Nicht, dass ich meinen Intellekt ausgeschaltet hätte, aber die Gedanken, die ich spontan zeichne und male, kommen direkt von der Seele, ohne filtriert zu werden. Man spricht vom spontanen Schreiben? Exakt. Ich habe schon öfter dieses Phänomen erlebt, aber am Ende fängt man doch an zu korrigieren, die Wiederholungen einfach zu vermeiden, das richtige Wort zu suchen. Aber es ist fast unmöglich ein Bild derart spontan zu ändern. Man würde die Wunden sehen und oft würde die Spontanität fehlen. Ich verwende  den Begriff „Art Brut“, um zu erklären was ich tue. Ein Stil, der mit genialen psychisch Kranken als therapeutische Methode entwickelt wurde. In Lausanne befindet sich eine herrliche Sammlung, die in ihrer Art einzigartig ist. Zuerst war ich verwundert, dass ich an meinen Stil von vor 36 Jahren anknüpfte, was ich sehr seltsam finde. Einmal als ich die Hemmungen loswerden konnte, fand ich wieder meine damalige Technik und fühlte mich wieder fit, mit dem Pinsel oder der Kollage zu werkeln und die Tatsache, dass ich mich wieder so ausdrücken kann, habe ich dem Schmerz zu verdanken, deshalb werde ich ihn nie verdammen, auch wenn ich manchmal Lust hätte es zu tun. Und jetzt möchte ich allein mit mir, diese Wonne genießen. Ich empfinde so viel Freude, mich dabei wieder neu gefunden zu haben, damit könnte ich noch lange leben. Ich habe keinen Champagner zu Hause, aber – da ich fast ganze Zeit im Virtuellen wandere – werde ich die Korken knallen lassen. Bis Morgen in ganzer Frische!

Petra, du bist noch jung. Passe auf, dass du nicht meinem Beispiel folgst. Bleibe frisch und fröhlich. Das ist mein innerster Wunsch!

Ich umarme dich und sende die alles Liebe aus München.

Pierre

//pm

Lieber Pierre,

soll ich nun empathisch oder rational reagieren? Es fällt mir in jeder Hinsicht schwer, bin ich doch geprägt von einer außenordentlich großen Sympathie und Freundschaft zu dir. Dennoch, wir verkehren hier publizistisch und dieser Funktion werde ich gerecht werden. Betrachte ich die Psyche als elementaren Halt unseres Daseins, komme ich nicht an den negativen Konsequenzen vorbei, die die Macht der nicht wahrgenommenen Gefühle haben können. Ohne Gefühlsresonanz erleben wir eine starre, stumme, nichtssagende Welt, in der Musik keine Melodie hat, Filme keine Farbe haben und unsere Wahrnehmung blass ist, von reiner Ratio gesteuert. Es fehlt die Brücke zum Leben. Gefühle sind wie Gespenster, man sieht sie nicht, man hört sie nicht, man riecht sie nicht, aber sie geben uns alles. Stimmt nun irgendwo die Balance nicht und liegt eine emotionale psychische Störung vor, sucht der Mensch einen Anker zum Festhalten und Kompensieren der nicht vorhandenen Dinge. Wir verdrängen, vertuschen, neigen zu Überarbeitung, Völlerei, Drogenkonsum und exzessivem Leben, was uns selbstzerstörerisch unabdingbar eines Tages tatsächlich zerstört. Da liegt also der Hund gegraben und zweifellos dienten der Aktivismus und die Kreativität der damaligen KZ-Häftlinge zum Kompensieren ihres Weges in den Tod.  Die Kreativität ist somit ein Puffer und tritt an die Stelle der verdrängten Gefühle. Ein Bespiel sind Menschen, die unter Schmerzen leiden und sich genau deswegen behandeln lassen. Sie gehen zum Arzt und lassen sich wegen Krankheit und Schmerzen behandeln, dabei ist es die Psyche, die sie überhaupt erst krank werden lässt oder vielmehr eventuell vorhandene Leiden verschlimmert bzw. ausweitet. Ich bin kein Psychologe, lieber Pierre, aber wann immer ich Menschen begegnete, die extrem gestresst wirkten, deren Gesundheitszustand permanent schlechter wurde, die in manisch-depressive Phasen verfallen, ist eines klar: sie haben ein offensichtliches psychisches Problem. Selbstmitleid wird nicht zugelassen (ich bin stark!), Ängste werden nicht ausgesprochen (ich bin stark!), Leistungsrückgang wird abgelehnt (ich war immer stark!) usw. Damit ist der erste Domino-Stein angeschubst, der eine ganze Kette weiterer Steinchen zu Fall bringen wird – unausweichlich, so wie der menschliche Körper eine Kombination aus Realität und Psyche ist. Beides in Harmonie wäre der Idealfall, aber um Gefühle zu akzeptieren, bedarf es Mut. Die Angst vor unseren inneren Gefühlen ist mächtig. So mächtig, dass wir sie oftmals nicht sehen und wahrnehmen wollen. Im Alltag geht es schnell, dass wir an unseren Gefühlen vorbei leben. Menschen leben, als ob sie neben sich selbst her lebten. Man folgt dem, was man gelernt hat, man tut das, was andere erwarten, man erfüllt seine Pflichten, wie man es immer getan hat usw. – dabei fühlen wir selten in uns hinein, wo wir wirklich stehen und was wir wirklich sind und wollen.

Lieber Pierre, wir wollen natürlich – speziell im künstlerischen Bereich – unangepasste und rebellische Menschen, die abseits der Norm denken und ihren eigenen Weg selbstbewusst vertreten. Ein Kind ist noch nicht in der Lage, seine Wut zu steuern und damit vernünftig umzugehen. Aber einen kleinen brüllenden Tyrannen kann man keinem Elternteil zumuten, bei aller Liebe zu Kindern. Selbstverständlich dürfen die Kleinen frei ihre Meinungen äußern, aber sie sollten auch den Respekt und die Rücksichtnahme ihren Eltern zuliebe erlernen. Ein tobendes Kind, das sich schreiend auf dem Boden wälzt ist kein schöner Anblick, wenn wir ehrlich sind. Wir bekommen mehr Freiheiten, wenn wir gelernt haben, damit umzugehen und das darf nicht auf Kosten anderer Personen sein. Das ist beileibe keine Zwangsmaßnahme, aber jedes Kind wird in der Gesellschaft ganz schnell auf die Schnauze fallen, wenn es keinerlei Umgangsregeln beherrscht. Und je besser diese sind, umso mehr Freiheit wird möglich sein. Der Vergleich zu einem Hund mag in diesem Fall vielleicht nicht so glücklich gewählt sein, aber ein Hund, der gelernt hat, beim Auslauf zu seinem Herrn zurückzukehren, wird mehr Freiheit im Freilauf haben als einer, der niemals gehorcht und dadurch gezwungen ist, stets an der Leine zu laufen. Das meinte ich, lieber Pierre 😉

Wo auch immer wir ansetzen, dürfen wir nie vergessen, dass es die Emotionen sind, die uns menschlich ausmachen und Gefühle dürfen niemals Nebensache sein. Dann quittiert uns unser Körper, dass da etwas gewaltig schief läuft. Eine Welt, in der nur FAKTEN als verlässlich gelten, haben nicht greifbare Gefühle wenig Platz. Obwohl wir das wissen, zeigen die steigenden Zahlen der psychosomatischen Erkrankungen und der psychischen Therapien, dass unsere heutige Welt als nicht natürliche Lebensgrundlage die Wurzel des Übels ist. Gefühle sind Bestandteil unseres Lebens und wenn wir Aktivismus benötigen, um uns zu spüren, lohnt es sich, ernsthaft an die Seele zu gehen und professionelle Hilfe zu suchen bevor das Umfeld darunter leiden muss oder infiziert wird.

Ich ehre Dich sehr und wünsche dir noch viele kreative und glückliche Momente, liebe Pierre.

 

Eine liebe Umarmung aus Frankfurt,

 

Petra

 

Petra M. Jansen

http://jansen-marketing.de

 

 

Lieber Pierre,

du sprichst ein Thema an, das uns vielleicht alle eines Tages beschäftigen wird. Sollte dein Brief heute weniger Resonanz haben als sonst, liegt es an der Ignoranz der Gesellschaft, die solche Fragen und „Zustände“ gerne weit nach hinten schiebt. Ich gebe dir ein Beispiel der gesellschaftlichen Ignoranz, die immer wieder auf eines hinaus läuft: „Was geht es mich an? Ich bin doch nicht betroffen.“ Unlängst wurde im Internet ein scheinbarer Betrüger entlarvt und – trotz der Warnung – wurde das größtenteils ignoriert mit den wenig verantwortungsvollen Worten „Na, mir hat er doch nichts getan. Ich habe anderes zu tun, als mich darum zu kümmern.“ So ist es auch mit Dingen, die einen Menschen derzeit nicht betreffen oder ihm Leiden zufügen. Die Gesellschaft krankt an einer schlimmen Krankheit, ich nenne sie Ignoranz. Um jeden Preis wird Altern ignoriert, das absolut notwendige Altern eines Menschen mitsamt Wehwehchen, Falten, Gewichtszunahme usw. Dafür haben wir keinen Platz und darauf haben wir auch keine Lust. Propagiert wird ewige Jugend, Elastizität und Schönheit. Die plastischen Chirurgen können nahezu alles, um die äußere Hülle des Menschen zu verjüngen und zu verschönern. Wie es innen drin aussieht, spielt keine Rolle. Wenn wir morgens höchst steif aus dem Bett steigen und erst einmal unser Skelett sortieren müssen, geht uns schon der Gedanke durch den Kopf, dass wir früher ein wenig elastischer waren. Aber das alles sind egoistische Eitelkeiten, ebenso wie ein über 40jähriger, der sich einen halben Teenie (mindestens 20 Jahre jünger) am Sack hält und stolz darauf ist, dass er´ s noch bringt und sie immer wieder springt. Das Hühnchen hat auch noch gar nicht begriffen, was altern bedeutet und mit welchen Konsequenzen das verbunden sein wird.

Früher war der alte Mensch ein Vorbild in der Gesellschaft und wurde mit großem Respekt angesehen – sie waren Mentoren und gaben ihr Wissen gerne weiter an jüngere Generationen, die das auch wollten und guthießen. Die Familie stand für die Alten gerade und pflegte sie im Kreise der Angehörigen. Heute schieben wir sie ab in betreutes Wohnen, ins Altersheim oder sind schlichtweg mit der Pflege unserer eigenen Eltern überfordert. Das Leben hat keinen Platz für Alte, die „nur Geld kosten“ und die Alters-Pyramide geht straff weiter auseinander. Die Menschen werden viel älter, viele sind kurz vor der Altersarmut und ihre Gebrechen werden schlichtweg ignoriert. In einer Gesellschaft, in der nur die Jugend und Spritzigkeit zählt und weder Demenz noch Schmerzen irgendwie gerne gesehen werden. Und Zeit hat für sie ohnehin niemand mehr, für diesen „Klotz am Bein.“

Wir alle haben das mehr oder weniger vor uns und werden das niemals durch keinerlei Schönheits-Elixiere oder -Operationen aufhalten können. Der Körper ist vergänglich und manchmal ist das Altern bedauerlicherweise auch beschwerlich und mit großen Schmerzen oder Handicaps verbunden. Wünschen tun wir das niemandem und wir dürfen danken, wenn wir bis ins hohe Alter schwungvoll bleiben und schmerzfrei.

Ich weiß, lieber Pierre, dass viele ältere Menschen voller Tatendrang sind und ich umgebe mich sehr gerne mit ihnen. Keiner kann mir diese Weisheit und Güte, diesen gelebten Verstand und diese Hilfe geben, wie jemand, der mir viele Jahre voraus ist. Kein Gesicht der Welt kann so schön sein wie eines, das Leben mitsamt Schmerz und Glück gelebt hat. Ich will Falten sehen, in denen das geschrieben steht, was ein Mensch ist und durchlebt hat. Das ist für mich schöner als glatte, straffe Haut, die oft sehr langweilig wirkt. Bei mir war das schon immer so, seitdem ich denken kann und gerade ich, scheine fatalerweise kaum zu altern, lieber Pierre. Ich weiß das Alter zu schätzen und es tut mir aufrichtig leid, wenn körperliche Grenzen einen brillanten Geist wie dich außer Gefecht setzen wollen. Du bist ein Kämpfer, so kenne ich dich und vor deiner Energie mag manch einer mit seinen 40 oder 50 Jahren zurückschrecken. Menschen, die viel erlebt haben und viel zu sagen haben, verlieren nie den Mut und werden auch niemals tatenlos aufgeben und sich ihrem Schicksal hingeben. Aber eines Tages macht die Gesundheit einen Strich durch die Rechnung. Deshalb finde ich diese gesellschaftliche aufgepumpte und ignorante Einstellung verachtenswert. Absolut daneben und leider Teil unseres heutigen Daseins. Dieses Pseudo-Verständnis ist ehrlich gesagt für´ n Arsch und es wird sich gesellschaftlich nichts ändern, so lange es nicht jeden einzelnen selbst trifft eines Tages. Dann bin ich gespannt, wie die Hirsche, die heute noch auf Brunft sind, aussehen, wenn sie schlapp mit schmerzenden Knochen erkennen, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Oder die Modepuppen, die lieber ihre neue Frisur propagieren und durch ihre dämliche Äußerlichkeit glänzen, statt dem Leben wirklich wichtigere Dinge abzugewinnen.

Sei ein stolzer Mann, wie ich dich kenne und ehre, lieber Pierre 😉

 

Meine besten Wünsche,

Petra

 

© Petra M. Jansen

 http://jansen-marketing.de

 

Liebe Petra,

gestern hast du mich verdonnert, einen positiven Brief zu schreiben. Kann man das überhaupt, wenn die Stimmung, wie es bei mir der Fall ist, von Schmerzen bedrückt wird? Ja, das kann man und ich möchte mir keinesfalls diktieren lassen, wie ich zu funktionieren habe. Ich lehne diesen bedrückenden Zustand ab und strecke meinem Leiden die Zunge raus wie ein trotziger Bub. Ich vertrete noch immer die Meinung, dass ich der Kapitän an Bord bin und habe keine Nachsicht zu den Rebellen, die an meinem Stuhl sägen. Eine Haltung, die – so willkürlich sie sein mag – ihr Gutes hat. Wenn ich, wie jetzt, am Laptop, einen Text verfasse, bin ich derart geistig beschäftigt, dass sich jede Art von physischer Folter weit weg verschanzt und ist der Beweis, dass der Kopf noch immer das Sagen haben kann, vorausgesetzt, man lässt sich nicht gehen. Es ist schon erstaunlich, was der Körper imstande ist, zu leisten. Auch wenn, wie es bei mir der Fall zu sein scheint, er nicht mehr so richtig mitmacht. Nein, ich möchte weiter meinen Spaß haben, das Leben genießen und lieben. Das bedeutet aber nicht, dass ich blind bin, denn das wäre auch keine adäquate Methode. Ich bin der Auffassung, dass der Kampf gegen die Widrigkeiten des Alters nur abgemildert werden können, wenn man nicht die Augen schließt. Ja, das ist eine unumkehrbare Tatsache, dass der Zahn der Zeit an uns nagt, ob wir es wollen oder nicht. Also sollte man das tun, was am meisten Spaß macht. In meinem Fall ist es das Schreiben, das Arbeiten mit jüngeren Kollegen, wie du liebe Petra, und natürlich auch das Zusammensein mit der Familie und mit den Freunden. Sich austauschen, nur nicht sich einigeln! Das war immer mein Ziel, denn Isolation führt zur Bitterkeit. Nein, ich bin keineswegs ein Misanthrop, auch wenn man heute Anlass hätte es zu sein. Die Öffnung gegenüber jungen Leuten empfinde ich als einen Generationsauftrag, den ich bis zu Ende durchführen will und eine ältere Schachtel wie ich ist durchaus in der Lage, noch etwas von sich zu geben und das nicht mit dem Zeigefinger, ganz im Gegenteil! Ich blicke nie nach hinten, da ich weiß, dass die Vergangenheit auch eine Last sein kann. Mich interessiert nur die Zukunft, wenn sie auch sehr begrenzt sein mag.

Was ich dir schon oft geschrieben habe, liebe Petra, ist es eine Tatsache, dass der Kopf oft nicht in Einklang mit dem Körper arbeitet. Einerseits fühle ich mich blutjung, auf der anderen Seite wie ein Greis und das macht mich verrückt. Ich würde mental gerne rennen, aber meine Beine schaffen es nicht, allso virtualisiere ich solche Vorgänge und siehe da, ich schaffe es doch. Vor allem, wenn mein Hund nach einem Weib schnüffelt. Gestern noch ist er wegen einer Lady abgehauen. Das Potential, das jeder Mensch in sich trägt, ist viel größer als vermutet. Ich habe mir deshalb vorgenommen, mentale Reisen zu machen, wo ich wie Casanova, noch etliche Damen befriedigen kann. Mit den 72 Jungfrauen im Paradies habe ich noch nichts am Hut, da meine Zeit hier unten noch längst nicht abgeschlossen ist. Du wirst mit Recht behaupten, dass ich vor einer Realität fliehe und dass ich meine restliche Zeit jetzt damit verbringen sollte, meine Seele für den großen Abgang in Ordnung zu bringen. Viel zu früh, damit kann ich mich später beschäftigen.

Kurzum, liebe Petra, ihr werdet mich noch eine Weile ertragen müssen. Ich möchte euch nicht den Gefallen tun, abzudanken, wenigstens nicht jetzt. Du, liebe Petra, wir haben noch zahlreiche Projekte auf der Werft, die wir zu Ende führen wollen, nicht wahr? Ich war schon immer ein Wesen, das nur sehr ungern aufgegeben habe, deshalb macht es mich sauer, wenn sich der Allmächtige sin meine Dinge einmischt. Ich bleibe hier, basta – auch wenn ich euch auf den Senkel gehe.

 

Liebe Petra, ich umarme dich – das kann ich durchaus.

Alles Liebe aus Berlin, wo ich zurzeit verweile,

 

Pierre

//pm

 

Lieber Pierre,
es tut mir leid, was ich heute lesen muss und es trifft einen umso härter, wenn das im engsten Familien- oder Bekanntenkreis geschieht. Wer kennt nicht jemanden im nahen Umfeld, der an Krebs erkrankt ist und entweder daran gestorben ist oder noch immer – mittels Chemotherapie oder anderen Behandlungsmethoden – auf einen Sieg über diese Pest unseres Jahrhunderts hofft? Im Laufe meines Lebens habe ich nicht nur meinen Vater in sehr jungen Jahren verloren sondern auch bereits einige liebe Freunde und Bekannte. Eine junge Frau in meinem Bekanntenkreis verstarb letztes Jahr und es gab keine Chance. Bauchspeicheldrüsenkrebs ist eine der tückischsten Krebserkrankungen. Man entdeckt ihn durch Zufall und in dem Moment, wo er entdeckt wird, ist es auch das sofortige Todesurteil. Keine Therapie der Welt kann diesen hochaggressiven Krebs heilen oder das Krankheitsbild vorübergehend verbessern. Erkennen bedeutet unausweichlich Tod innerhalb sehr kurzer Zeit.
Nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist der Krebs die zweithäufigste Todesursache. Etwa 250.000 Menschen sterben jährlich daran und ca. 500.000 pro Jahr erkranken an Krebs. Grund für die Wissenschaftler zu forschen und Grund für viele Stiftungen, wie z.B. die Deutsche Krebshilfe u.a., Gelder zur Verfügung zu stellen und die wissenschaftlichen Arbeiten zu unterstützen. Bisher sah man einen engen Zusammenhang zwischen genetischer, familiärer Vorbelastung und der Fortsetzung der Erkrankung in der nachfolgenden Generation, aber das stimmt nur zum Teil. Fakt ist, dass unsere Umwelt, die Schadstoffe, die Nahrung, das Alter eine Rolle spielen. Ich denke, wir essen jede Menge „belastete“ Nahrungsmittel und verwenden viel zu viel Plastik, sind dem Feinstaub ausgesetzt, Asbest, Elektrosmog und Viren. Eine Impfung gegen Hepatitis B ist sinnvoll, Bewegung ist sinnvoll, gute Nahrung ist sinnvoll und eine regelmäßige Vorsorge-Kontrolle. Eine absolute Sicherheit und Garantie, nicht an dieser tückischen, fehlerhaften Zellteilungs-Erkrankung, die gesundes Gewebe verdrängt, zu erkranken, gibt es nicht. Mit Hochdruck arbeiten Mediziner und Wissenschaftler seit vielen Jahren daran, den Krebs zu erforschen und Maßnahmen zu entwickeln, die ihn eindämmen oder vernichten. Fehlanzeige!
Lieber Pierre, so traurig es klingt… Krankheiten gab es schon immer, die Tausende und Millionen dahin gerafft haben und es wird auch immer wieder neue Erkrankungen geben. Das gehört zum Leben ebenso dazu wie der Unfalltod – tragisch und oft in jungen Jahren. Also Kopf hoch und machen wir den Menschen, die wir kennen, Mut, den Rest ihrer Zeit mit dieser Erkrankung so angenehm wie möglich zu verbringen. Das Ende blüht jedem von uns – früher oder später. Leben bedeutet auch Risiko und am Ende steht die Beerdigung. So ist es. Und wenn uns das klar geworden ist, frage ich mich auch, wieso manche Leute sich das Leben so schwer machen, anstatt tatsächlich zu leben und zu genießen.

 

Eine herzliche Umarmung,

Petra

© Petra M. Jansen

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