Lieber Pierre,
es sind die Gedanken an Freude, Glück und an ein gesundes Leben, die wir uns zum Jahreswechsel gegenseitig wünschen. Was soll Reichtum und Wohlstand bedeuten oder auch ein sicherer Job, wenn du krank bist und dich nicht bewegen kannst? Verschlissen durch deine Arbeit oder durch deine eigenen psychischen Belastungen? Nur ein gesunder Mensch steht morgens auf und freut sich auf einen spannenden Tag und nur ein gesunder Hund wedelt seinem Herrchen freudig mit dem Schwanz entgegen. Ansonsten sitzt er in der Ecke und frisst nichts. Bist du gesund, steht dir die Welt offen und die Gesellschaft umarmt dich, gibt dir einen sinnvollen Platz in der sozialen Welt. Streikt dein Körper, streikt dein Mut und du fühlst dich ausgemustert, wertlos, überflüssig. Doch dein Geist gibt nicht auf, arbeitet bis zum letzten Atemzug – vorausgesetzt du leidest nicht an Demenz. Ich stelle mir das sehr schwierig vor, alt zu werden und nicht umsonst gibt es den Satz „Zum Altwerden gehört Mut“, „Altwerden ist nichts für Feiglinge.“
Nehmen wir den klassischen Arbeiter, der in der Gehaltsstufe eher unten angesiedelt ist, dafür aber schleppen und schippen darf bis er im Rücken steif ist und unbrauchbar für die Welt, in der Geld mehr Glanz und Gloria innehat als ethische Werte. Alle schaffen für´ s liebe Geld, das – gestaffelt in Kompetenz und Hierarchien – von oben nach unten sortiert. Der Obere schafft für´ s Geld des Investors, den die ganz unten stehenden Ameisen einen Scheiß interessieren. Er gibt Druck an den Rangnächsten, der ihm untergeordnet ist und dieser wiederum an die Ameisen, die fleißig den Haupthaufen wegarbeiten. Und diese emsigen Kleinen reden sich auch noch ein, es sei der „Beruf, für den man alles gibt, den man lebt und glücklich sei, wenn der Rubel des Obergurus rollt. Der Oberguru sitzt derweil auf den Seychellen, schmaucht Pfeife, rührt in seinem Drink und vögelt eine schmucke Dame, die mindestens 25 Jahre jünger ist. Wenn du nun zu den Ameisen gehörst, bist du in deinen goldenen 50-ern kaputt geschafft, drehst dich nachts schlaflos um deine eigene Achse und knirschst bei jeder Bewegung. Doch der Kopf arbeitet stets weiter, du träumst immer noch von dem großen Coup, der Beförderung und der Entschleunigung deines täglichen Rotierens. Fehlanzeige! Der Körper streikt, du bist Alteisen und darfst die Hand aufhalten, wenn die monatliche Kohle vom Amt kommt. Dein Kuchen krümelt ein wenig, aber wen kümmert´ s? Sei immer schön bescheiden und habe stets Angst vor dem innerlichen Aufstand, die dich deinen Job kosten würde. Malochen, rackern, fleißig sein. Irgendwann bist du alt, der Rollator dein Begleiter und du hoffst, dass die Rente dich über Wasser hält. Klar, wenn du gesund wärst, könntest du einen 450-Euro-Job machen, aber… das Skelett macht nicht mehr mit.
Lieber Pierre, kleiner Trost: Es geht uns ausnahmslos allen so. Sei sicher, dass es auch diejenigen trifft, die ganz oben in der H(K)ackordnung stehen und sich auch mit Sicherheit ein besseres Leben ermöglichen konnten. Aber irgendwann werden auch sie krank und brauchen Hilfe. Sie haben alles erreicht und vielleicht ergattern sie einen der teuren, begehrten Plätze im betreuten Luxus-Appartement-Wohnen mit Pflegepersonal, das Deutsch spricht. Vielleicht aber auch nicht. Und was dann? Dann geht bekanntermaßen kein Cent mit in ihr Grab, kein Euro tröstet über die Tatsache, dass auch sie gebrechlich werden und das Zeitliche segnen. Ihre Kids profitieren garantiert und werden schon im Säuglingsalter angehalten, dem Konsum zu frönen, n u r nach dem Verdienst zu schauen (schließlich dreht es sich nur darum, damit du deine Kohle wieder für irgendeinen Schmodder re-investieren kannst) und schon beginnt ihr Kreislauf in einem System von Gedeih und Verderb.
Schmerzen hin, Schmerzen her…es ist Fakt, dass Menschen, die einer Extrembelastung ausgesetzt sind oder waren, krank werden, körperliche Leiden und – durch die Welt von Schnelllebigkeit und Stressfaktoren – zunehmend psychischen Schaden erleiden, weil niemand standhalten kann. Wir haben derart beschleunigt, die Produktivität stetig erhöht und alles soll sich kontinuierlich weiter in die Höhe schrauben. Das geht nicht, das kann nicht klappen und das wird es auch nicht. Wer immer nur hochschaut, kriegt´ s im Genick und wer immer nur hochsteigt, kann runterfallen. Nimm also dein Leben und lass auch mal los, suche den Sinn in deiner Zeit und sei stolz auf deine Qualitäten. Ändere zur Not deine Gewohnheiten und wenn es sein muss, stell alles auf den Kopf und wage, was du dir sonst nie erlaubt hättest. Der Kopf redet sich oft gut, was dein Körper als Notbremse signalisiert. Tust du das alles nicht, wird der Schmerz dein weiterer Begleiter sein. Er begleitet etwas in dir und tut das so lange ohne Schonung bis du endlich tot bist. Erst dann schonst du gezwungenermaßen etwas, was schon lange deine Aufmerksamkeit, Verarbeitung und Schonung verdient hätte. Jetzt! hast du genug Zeit dafür und Geld ist hier so unwichtig wie der Furz einer Weinbergschnecke.
Meine allerbesten Wünsche,
Petra
© Petra M. Jansen