Liebe Petra,

was gibt es noch über den Krebs zu schreiben? Da ich kein Wissenschaftler bin, werde ich nicht den Versuch unternehmen, etwas über die Fortschritte zu berichten, die bisher gemacht worden sind. Sie sind erheblich! Ich werde vielmehr mir Gedanken über die psychologische Haltung gegenüber der Krankheit machen. Vor sieben Jahren klingelte es bei uns, eine enge Freundin kam herein und ich sah sofort, dass sie erschüttert war. Nach einer umfangreichen Untersuchung stellte sich heraus, dass ihr noch sehr wenig Zeit blieb – höchstens 6 Monate. Heute lebt sie noch und zwar sehr gut. Was ist passiert? Anne, ich habe ihren Namen geändert, hat sich vorgenommen, der schrecklichen Krankheit zu trotzen und ohne sie zu ignorieren, hat sie sie der Tür verwiesen. Eine Mischung von Schul- und Alternativmedizin hat das möglich gemacht und – nach den Aussagen der Mediziner – noch viel mehr ihr unerschütterter Willen, sich nicht vom Krebs quälen zu lassen. Ohne die Solidarität innerhalb der Familie, wäre das kaum möglich gewesen. Sie nahm jede Art von Leid auf sich und bekämpfte es vehement, das galt auch für die Folgen der verschiedenen Therapien, die brutal sein konnten. Davon hat sie sich nicht fertig machen lassen.

Auch eine französische Freundin erlebt zurzeit die gleiche Qual und das schon als mehr als 10 Jahre. Bisher hat sie nicht die Erfolge von Anne gehabt, aber sie lässt nicht los. Sie will sich so lange wie möglich um ihre Enkel kümmern und zeigt trotz großen Leidens viel Optimismus – das muss man vormachen. Natürlich gibt es auch zahlreiche Fälle, die unheilbar sind, wie der Bauchspeicherdrüsenkrebs und ach Tumore im Gehirn können nur schlecht behandelt werden. Solche Anamnesen sind für die Angehörige und die Freunde unerträglich. Hier stellt sich die Frage, wie man mit dem Tod umgeht? In einer Gesellschaft, die vom Wellness geprägt ist, eine Fehlentwicklung der Natur und doch kann sich niemand einbilden, unsterblich zu sein. Es wäre so wichtig, dass die Menschen lernen, wie man mit ihm umgeht. Er ist Bestandteil der Evolution, krass gesagt ein wichtiges Element des Lebens. Bei jeder Geburt läuft die Uhr und niemand kann sie anhalten und damit sollte sich jeder befassen, so schwer es auch zu begreifen ist. Das ist Teil der Ethik, liebe Petra, teils des Glaubens, egal in welcher Form. Es geht nicht darum, über das Jenseits zu grübeln, vielmehr darum, jeden Moment zu genießen und so zu bewältigen, dass auch die Mitmenschen etwas davon haben.

Dieser Brief könnte deprimierend sein, das ist aber nicht seine Absicht. Es geht eher darum, zu vermitteln, dass, wer das Leben liebt, auch den Tod lieben sollte. Das klingt vielleicht absurd, aber nur so kann man die Existenz ertragen, die jeden Tag zahlreiche Fuhren an Horror mit sich bringen. Der Tod kann zugleich eine Vollendung sein, wie auch eine Befreiung und wenn es so ist, kann die Frage gestellt werden, warum die Menschen alles tun, um die Welt in eine Hölle zu versetzen. Anstatt sich klar zu sein, dass es für alle ein Ende gibt, wird bis zum letzten Herzschlag hart gekämpft. Da kann es keinen Sieg geben, ob stark oder schwach – insofern ist der Tod völlig demokratisch. Da nützt weder Macht noch Geld, denn jeder von uns ist eines Tages dran, egal wer er ist. Hier stellt sich die schwerwiegende Frage, ob es unbedingt notwendig ist, einen Patienten bis zum Exitus therapeutisch zu foltern? Wäre es in manchen Fälle nicht besser, der Natur zu vertrauen?

Meine Mutter hatte keinen Krebs als sie starb, aber ihr Herz war verbraucht. Sie hatte mich ausdrücklich gebeten, die Ärzte zu informieren, dass sie in Ruhe sterben wolle. Sie hatte ihr Leben trotz harter Prüfungen genossen und war der Meinung, dass ein Schlussstrich gezogen werden sollte. 1995 war es auch in der Schweiz nicht üblich, die Geräte abzuschalten. Ich erreichte dennoch, dass es getan wurde und heute bereue ich keineswegs diesen Schritt. Vielleicht wäre sie noch einige Monate am Leben geblieben, aber unter welchen Bedingungen? Mit lauter Schläuchen und Infusions-Geräten und die Einzigen, die davon profitiert hätten, wäre das Krankenhaus – von Organspenden abgesehen. Wie man weiß, sind sie beim natürlichen Tod nicht durchführbar, aber das wäre jetzt nicht das Thema.

 

Im diesen Sinne.
Herzliche Umarmung,
Pierre

//pm

Lieber Pierre,

mit welchem Selbstverständnis wir doch durch das Leben gehen!? Ist es nicht so, dass wir jeden Tag dankbar dafür sein dürfen, wenn uns nichts Schlimmes widerfährt? Nur eine kleine Verstauchung des Knöchels lässt uns humpeln, nur eine Handgelenksverletzung sorgt dafür, dass wir einhändig werden. Warum ich heute zum Thema Gesundheit komme? Stimmt damit etwas nicht, gerät der tägliche gewohnte Ablauf eines Menschen aus den Fugen und man bekommt ein völlig neues Zeitverständnis sowie die aufgezwungene Maßnahme, kürzer treten zu müssen. Wenn der Körper Signale setzt, ist es an der Zeit, das zu akzeptieren und ihm eine Weile Ruhe zu verordnen, so wie du es gerade tun musst, lieber Pierre. Keine Zeitung lesen, keine Zeile mehr tippen – alles liegt brach und bis das wieder möglich sein wird, sind die Nachrichten in den Blättern überholt. Es ist eine Kleinigkeit, die dich nieder rafft und jetzt bist du angewiesen auf den Blick in die Ferne und Weite. Ich finde das gar nicht so schlecht, wenngleich ich niemandem etwas Schlechtes wünsche. Augenklappe auf, Augen schonen, lesen geht nicht im Moment und heute sehe ich die Vorteile. Man ist plötzlich gezwungen, den Blick auf seine Umgebung zu machen, die Augen öffnen sich im wahrsten Sinne des Wortes. Schauen wir denn normalerweise über zwei Wochen einfach nur in die Ferne und lassen unsere Gedanken schweifen? Nein, wir sind abgelenkt und entweder mit lesen (auch virtuell) oder tippen beschäftigt. Für einen Schriftsteller bedeutet diese Aus-Zeit eine Qual, nicht wahr? Doch es öffnet den Blick und du wirst sehen, du wirst jetzt andere Dinge sehen als zuvor. Lieber Pierre, du siehst jetzt etwas, vor dem du deine Augen vielleicht verschlossen hattest – die Schönheit der Natur, das hübsche Gesicht deiner Frau (endlich einmal wieder so bewusst), die Sonne (weil du nicht nur hinter dem PC gequetscht Texte tippst), den Regen (du hast Zeit, lange Spaziergänge zu machen), die Welt. Jetzt hast du eine „verordnete“ Freizeit und dein Körper, dein Geist und deine Produktivität werden es dankbar annehmen und umsetzen. So ist es immer mit den Krankheiten oder einer Zeit, in der der Mensch auf Eis gelegt ist und ich finde daran durchaus viel Positives.
Dein Tagesablauf hat sich vorübergehend völlig verändert, du magst dich damit vielleicht nicht abfinden wollen, aber es ist ein Signal, dass er streikt. Es ist eine Bereicherung und eine neue Perspektive, lieber Pierre, denn wir alle sind viel zu vehement mit den täglichen Aktivitäten beschäftigt und damit, unbedingt funktionieren zu müssen. Ich höre immer wieder „nein, das geht nicht. Ich kann nicht ohne Auto sein“ oder „ich muss jeden Tag wissen, was in der Zeitung steht“ und wie du siehst, es geht alles. Es geht sogar viel besser als unsere innere Bequemlichkeit uns suggeriert und es geht immer – mit der richtigen Einstellung. Vielleicht bekommen wir auf diese Art und Weise eine Demut vor dem Leben. An einem Punkt, an dem nichts mehr selbstverständlich ist und wir den unbequemen Weg gehen oder den Verzicht üben müssen. Und vielleicht tun wir dann endlich mal Dinge, die wir vorher nie gemacht haben…

gute Genesung, lieber Pierre,
Petra

© Petra M. Jansen

http://jansen-marketing.de

Liebe Petra,

immer wieder stelle ich mir die Frage, wie Menschen es fertig bringen in bedrohlichen Situationen noch lachen zu können und sie dem mit Humor begegnen. Eine Haltung, die ich toll finde. Wenn ich daran denke, kommt mir ein Freund in Erinnerung. Er hat Krebs und muss sich einer komplexen Therapie ohne sicheren Ausgang fügen und trotz dieser schmerzlichen Tatsachen sind unsere Begegnungen immer sehr geistreich und voller Ironie. Er will somit dem Tod trotzen und ist für mich ein gutes Beispiel, wie ich mich verhalten sollte. Klar, jede Krankheit ist ein Hindernis, aber wenn sie zu viel Platz eingeräumt bekommt, hat sie uns bereits besiegt. Am besten man streckt ihr die Zunge raus und sagt ihr: „verpisse dich!“ Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich an eine Situation, die bei mir zuerst Bedenken auslöste und dann große Bewunderung. Ich habe in einem Hospiz in Köln gedreht, am 11. November um 11 Uhr und wie du weißt, liebe Petra, ist das der Beginn des Karnevals. Es war in einem Reihenhaus und dort herrschte Party. Von Zimmer zu Zimmer wurde getanzt und gesungen. Lauter Masken und bunte Kostüme und vor allem viele Kinder und dazwischen Menschen, die am Sterben waren – unter ihnen viele junge Mütter. Zuerst war ich entsetzt, dann aber blickte ich mit einer immer größeren Bewunderung auf das Geschehen, denn das war die beste Antwort, die man dem Tod geben konnte. Durch Jux ihn in die Schranken verweisen, mit dem Bewusstsein, dass er nicht nur das Ende bedeutet. Warum würden wir sonst Kinder in die Welt setzen?

Ja, es gibt Grund genug, uns Sorgen zu machen, aber wir dürften nie vergessen, wie wertvoll das Leben ist. Das bedeutet, dass wir immer die Gelegenheit nutzen sollten, jeden kleinsten Moment zu genießen. Das ist die einzige Art, den Druck den wir ausgesetzt sind, zu ertragen. Ich bewundere deine Lebensfreude, liebe Petra und betrachte sie als ansteckend! In der Kiste werden wir Zeit genug haben zum Jammern, dass wiederhole ich mir immer, wenn meine Knochen mich quälen! Nein, ich will die Gesundheit nicht zum Dogma machen und mich auch nicht von ihr quälen lassen. Sich bei jedem Schritt einschränken zu müssen, liegt nicht in meiner Natur. Eines ist sicher: am Ende landen wir alle bei den Würmern, ob wir veganer sind oder nicht! Ein wenig Hurerei macht doch das Leben erträglicher, nicht wahr? Wer sich immer einschränkt, wird zum Dogmatiker und neigt zum Fundamentalismus. Das gilt auch für die Kräuterfresser, die uns missionieren wollen. Wenn es so ist, pfeife ich auf die Gesundheit. Ob wir wollen oder nicht, das Leben ist eine tödliche Krankheit.

Wer glaubt, dass er mit einem asketischen Leben 72 Jungfrauen im Paradies vögeln kann, irrt sich. Warum sich das Leben zur Hölle machen, das ist heute eine berechtigte Frage. Lieber eine Fete veranstalten, als sich ständig zu geißeln. Der Hacke dabei ist, dass Sadomasochismus einige Freude bereitet und die versauen uns die Existenz. Es gibt dabei nur eine Lösung: lachen, lachen, lachen! Das vertragen diese Pharisäer aber nicht – das haben die Zeichner von Charlie Hebdo bitter erfahren müssen – und doch ist das die beste Waffe, um uns über Wasser zu halten. Ist das nicht so, liebe Petra?
In diesem Sinne,
Pierre

//pm