Liebe Petra,

meine schlaflosen Nächte bringen mich manchmal auf merkwürdige Gedanken. Um drei Uhr morgens hatte ich mich in einen jungen Mann aus Eritrea versetzt. Meine Familie lebte von dem mageren Ertrag einer kleinen Landwirtschaft und so lange das Klima nicht verrückt spielte, war die Hoffnung auf ein Minimum an Versorgung berechtigt, aber jetzt trocknet alles aus. Wir konnten uns nicht mehr ernähren, ganz abgesehen vom Wasser, das uns dringend fehlte. Was hätte ich anderes tun sollen als das Weite zu suchen? Zuerst der Gang zur Stadt, in der jeder von uns hoffte, wenigstens Krümel des Wohlstandes einfangen zu können. Illusion! Die Kinder mussten betteln gehen und sich prostituieren. Dazwischen einige Gestalten im Kolonialstil, die auf unseren Rücken ihre Geschäfte machten. Schwer bewacht von Söldnern hatten wir keine Gelegenheit, ihnen unser Leid vorzutragen, mit der Hoffnung vielleicht einen Job zu bekommen? Sehr schnell merkte ich, dass ich für sie nur Abschaum war und unter solchen Umständen konnte ich nicht in meiner Heimat bleiben. Oder hätte ich eine Karre nehmen sollen um dieses ganze Gesindel umzulegen? Das hätten sie schon verdient, aber ich verabscheue jede Art von Gewalt.

Eine Stunde später, nach einem längeren Besuch auf der Toilette, war ich als junger Eritreer in einem Flüchtlingslager in Libyen angelangt. Dort versuchte ich etwas zu verdienen, um mir einen großen Traum zu ermöglichen: die Reise in den Garten Eden, denn dort herrschte, wie ich hörte, Gerechtigkeit. Jeder könnte dezent leben und frei denken. Um aber dorthin zu kommen, musste ich mehr als 2000,00$ hinblättern, das ist der „Lohn“ der Schlepper! Ich wusste schon, dass viele Menschen ertrunken waren, denn die Schiffe waren alt, brüchig und völlig überfüllt. Dennoch entschloss ich mich, diesen Schritt zu wagen, was blieb mir anderes übrig? Die Barkasse kenterte. Ich gehöre zu den wenigen Überlebenden und konnte, nach einer langen Odyssee, Deutschland erreichen. Ich dachte, dass ich an meinem Ziel angekommen sei, von wegen.

Dann erfolgte die Gegenüberstellung mit einem Beamten. Er wollte beweisen, dass ich kein politischer Flüchtling sei. „Niemand hat sie gedrängt, das Land zu verlassen!“ „Sie irren sich, der Hunger!“ Aber der vollgefressene Mensch, der mir gegenüber saß, wollte nicht wahr haben, dass Afrika von erbarmungslosen Geschäftsleuten aus Amerika, Europa oder China geplündert wird und dass sie auch die Schuld tragen, wenn Millionen Menschen verhungern. „Ich bedauere sehr diese Umstände, aber ich kann sie nicht als politisch bewerten, deshalb sind Sie hier unerwünscht!“ Ich versuchte ihm klar zu machen, dass internationale Multis uns rücksichtslos auspressten und letztendlich nur unseren Tod wünschten und dass Europa auch eine Schuld an unserer Misere trüge. Ich versuchte ihm zu erklären, dass viele afrikanische Bauern gezwungen wurden einen genmanipulierten Samen zu verwenden, der nur einmal zu benutzen war und dies zu erhöhten Preisen. Das fand er zwar eine Frechheit, aber meine Argumente ließen ihn letztendlich kalt. Er war in seinen Gedanken beim Stammtisch versunken, wo seine Genossen ihm eintrichterten, dass „die Kaffer“ hier nichts verloren hätten. „Es würde noch fehlen, dass sie unsere Weiber schwängern.“

Mein Rücken tut mir zwar weh, liebe Petra, aber neben diesen Schicksalen mit denen wir alltäglich konfrontiert sind, ist das nur eine Lappalie. Irgendwie schäme ich mich, auch wenn ich genau weiß, dass wir nicht in der Lage sind das Leid der gesamten Menschheit zu lindern. Ich würde aber mir wünschen, dass Menschen, die nicht weiter als zu ihrer Nasenspitze blicken, sich in einen Flüchtling versetzen könnten. Uns sollte uns klar sein, dass wir ein riesiges Glück haben hier geboren zu sein und das in friedlichen Zeiten, was bei unseren Eltern nicht der Fall war.

 

In diesem Sinne,
herzliche Umarmung,

Pierre
//pm

Lieber Pierre,
du sprichst ein interessantes und aktuelles Thema an und dabei lasse ich einmal deine persönliche Darstellung außen vor und widme mich dem Thema Professionalität aus objektiver Sicht, denn es ist ein Thema, was in den Künsten und der Wirtschaft gleichermaßen von Wichtigkeit ist. Von einem Profi erwartet man – laut Definition – eine höhere Qualifikation als von einem Amateur. Das sowohl in beruflicher als auch sozialer Kompetenz, der Problemlösungskompetenz sowie der professionellen Distanz einer Person zu einer Sache oder einem Thema. Die Problematik liegt hier also auch bei der persönlichen Selbstüberschätzung und der mangelnden Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten. Jeder hält sich für das Beste, das Größte, das Schlaueste und ist sich seiner Sache im Hinblick auf seine Eignung absolut sicher. Es wäre auch ein Wunder, wenn es Menschen gelänge, Abstand zu ihrer eigenen Person zu nehmen und sich objektiv von außen zu betrachten. Das hat wieder einmal sehr viel mit Egozentrik zu tun und auch der Tatsache, dass niemand sein persönliches Versagen und den Dilettantismus wahrhaben möchte. Zudem kommen jede Menge Menschen mit semiprofessioneller Ausbildung und nur bedingt fundiertem Wissen auf den Arbeitsmarkt. Lieber Pierre, man braucht Mut und ein gesundes Selbstbewusstsein, um zu erkennen, dass teilweise noch ein langer Weg zu gehen ist, um wirklich professionell zu sein. Genau diesen erreicht man, wenn man sich distanziert von sich selbst betrachten und überprüfen kann.
Ein weiterer Aspekt ist das heutige Zeitmanagement und der Markt der Dumping-Preis-Politik. Darunter muss gezwungenermaßen die Qualität leiden. Ein falsches Zeitmanagement und ein gehetzter Alltag, in dem schnell, sofort und rasant Lösungen und Leistungen präsentiert werden müssen, kann keine Qualität hervorbringen, denn Qualität bedeutet Reife und dieser Reifeprozess braucht Zeit. Wir müssen dringend ent-schleunigen, wenn wir qualitativ hochwertig arbeiten und erschaffen möchten, aber wir geben uns selbst nicht einmal die Zeit, das in Ruhe zu tun! Auch das kann nicht funktionieren, denn Gehetze und Gerenne sind kontraproduktiv.
Der nächste Aspekt wäre die Ausbildung, die ebenfalls kostengünstig und möglichst schnell zu erledigen wäre, damit die jungen Leute postum in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Ein Studium der Geowissenschaften ist heute so gequetscht und zeitlich gestrafft, dass es den Studenten nicht möglich ist, sich vertieft mit einem Thema zu beschäftigen – was die Voraussetzung für eine Spezialisierung wäre, die letztendlich wieder zur Professionalität führt.
Die Preise sind der Grund, warum alles schnell und oberflächlich sein muss – es heißt: „Ruhen kostet Geld.“ Schade, denn gute Leistung kostet Geld, sie ist es Wert und das passt ebenfalls nicht in unser „Geiz ist geil“-System. Welcher Idiot diesen Slogan auch immer geschaffen hat, er dachte kurzfristig und auf schnellen Erfolg programmiert. Mein Slogan wäre „Geist ist geil“ – leider schwindet dieser mehr und mehr.
Nun komme ich zur Musik, lieber Pierre: hier ist es so, dass Songs via Internet, Dropbox o.ä. versendet werden, die Bands proben oft nicht mehr regelmäßig zusammen, die Musiker wohnen in völlig unterschiedlichen Regionen und sehen sich kaum. Geübt wird vor einem Auftritt, alles andere läuft über das Internet. Hier haben die modernen Dinge Einzug erhalten und auch hier leidet in meinen Augen das Handwerk, weil die persönliche Kommunikation und die Miteinander-Entwicklung zwischen den Menschen fehlen. Das Endprodukt mag zwar musikalisch ausgereift sein, technisch perfekt – aber es fehlt das Herz und die Seele der Musiker, die schnell via Dateien-Schubsen, ein Album fertigstellen müssen.
Heute kann jeder alles und das oft mit wenig fundiertem Wissen, aber die Profis will oder kann niemand bezahlen. Es geht ja auch so – mit einem Level an Mindestmaß – denn wir sind ohnehin so abgestumpft, dass wir das kaum noch bemerken. Die Masse macht´s – wer will denn da Professionalität?
Ich will es, lieber Pierre, doch da sind wir wieder beim Zeitmanagement, bei dem wir nicht einmal genug Zeit haben, eine Idee ausreifen zu lassen oder uns die Zeit nehmen, darüber strategisch oder künstlerisch, objektiv nachzudenken.

Herzlichst,
Petra
© Petra M. Jansen

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Liebe Petra,

meine Mutter war eine gute Bildhauerin und beherrschte die Technik der Holzschnittes. Sie nahm ein Stück Eiche, drehte es in alle Richtungen, um zu erfahren, was sie aus den Fasern und den Knoten bewältigen könnte. Sie waren für sie den Wegweiser aus dem eine Skulptur entstehen sollte. Sich gegen die Eigenschaften des Holzes zu stemmen, würde das Aus bedeuten. Um das richtige Auge und Gefühl zu entwickeln, gehört eine Menge Fachwissen dazu, das muss gelernt werden. „Er hat Talent!“ Meine Mama nahm immer wieder dieses Wort in den Mund, was ich hasste! Es handelte sich immer wieder um Pseudokünstler – einer war ich – die ihr technisches Unvermögen, unter der Decke „einer höchst modernistischen Darstellung“ versteckten. Liebe Petra, ich bin durchaus ein Anhänger der abstrakten Kunst, wie es zum Beispiel bei Antonyi Tàpies der Fall ist. Seine Werke haben Substanz und das ist allgegenwärtig zu spüren. Das alles, um den Dilettantismus in jeder seiner Formen an den Pranger zu stellen. Wir haben es leider sehr oft mit dieser Spezies zu tun, die ihre Leere mit den Mitteln der Arroganz überbrückt.

Was sich in der Musik abspielt, ist bei weitem nicht besser. Es bedeutet nicht, wenn man ein Instrument halbwegs beherrscht, dass man als Erneuerer betrachtet werden kann. Was sich hier manchmal abspielt ist eine Schande! Menschen, die durch die Mittel der Kunst den Versuch unternehmen, ihr trauriges Dasein zu „versüßen“, können es meinet wegen so lange tun, wenn sie sich als Amateure bezeichnen würden. Das tun sie oft nicht und schaden somit der ganzen Branche. Sie hat sich total verkauft und ist in die Niederungen der Mittelmäßigkeit untergetaucht. Seien wir uns endlich klar, dass der schlechteste Arzt ohne ein Studium niemals praktizieren dürfte. Das ist aber nicht der Fall bei einer großen Zahl von Möchte-gern-Musikern, die nicht einmal die Noten lesen können und sich damit brüsten. Klar, es gab einige Jazz-Größen, die einen gerechten Ruhm erlangten, ohne dieses Fachwissen zu beherrschen, dennoch kann ein wenig Theorie nicht schaden, oder?

Du siehst, dieses Thema beschäftigt mich. Ich hatte ein Aha-Erlebnis im Laufe meiner jungen Jahre, ich war beruflich im Theaterfach in Frankreich erfolgreich und entwarf zum Beispiel die Bühnenbilder und die Kostüme für Rigoletto an der großen Oper in Paris. Ich war 23 Jahren alt und gut in den Kunstkreisen eingeführt, der typische Newcomer. Eines Tages, sagte meine Freundin, eine weltberühmte Musikerin: „Pierre, du bist eigentlich ein Dilettant!“. Das war der größte Gefallen, den sie mir tun konnte, denn diese Bemerkung prägte sich in mein Gehirn ein. Ich hatte mit Sicherheit gute Einfälle, aber es fehlte mir das Fundament und deshalb auch das Versprechen, nie mehr etwas zu tun, ohne eine gute berufliche Basis zu besitzen. Als ich das Glück hatte Fernsehreportagen zu machen, lernte ich von der Pike auf das ABC des Berufes. Das war was mir bisher fehlte und auch das Bewusstsein, dass es mit Talent alleine nicht getan ist. Ohne eine Knochenarbeit kann kein Künstler bestehen und ich habe es satt immer wieder Analphabeten zu treffen, mit der Verpflichtung, sie ernst nehmen zu müssen. Pappfiguren, die versuchen, sich durch ein bestimmtes Outfit zu profilieren, haben nichts auf den Bühnen zu verlieren und es ist kein Wunder, dass die meisten von ihnen letztendlich scheitern.
In diesem Sinne und herzliche Grüße aus dem Olymp,
Pierre

//pm

Lieber Pierre,
wenn die Symptome eine Tragödie hervorgerufen haben, sollte nicht n u r sie der Mittelpunkt sein sondern die Ursachenforschung. Wir schieben es auf „menschliches Versagen“ und übersehen dabei, dass wir selbst die Gesellschaft sind, die dieses auslöst! Medien spulen in den letzten Tagen immer wieder das Gleiche ab – zweifellos eine Tragödie, aber nichts im Vergleich zu den weltweiten Kriegen, Menschen, die verhungern, irgendwo massenhaft verrecken. Massen-Hype auf BILD-Niveau hat bisher niemandem geholfen, außer der trägen Masse Futter zu liefern für polierte, geschliffene, sensationsgeile Gehirne. Aufwachen! WIR sind die Gesellschaft und der Verursacher solcher Tragödien und stehen ebenfalls in der Verantwortung.
Therapie ist eine erprobte Art und Weise, die Abgründe der menschlichen Psyche zu erforschen. Manchmal gelingt es und manchmal bleibt es an der Oberfläche stecken. Lieber Pierre, es gab immer schon empfindsame Menschen, die es sehr schwer hatten und in früheren Zeiten war das oft noch viel schlimmer. Heute sind psychisch Angeschlagene überall und es ist schon fast so, als ob wir unnormal wären, wenn wir nicht mindestens eine Neurose, manisch-depressives Verhalten, Borderline, krankhafte Zwangshandlungen, Burn Out oder Ähnliches haben. Das gibt den Freischein zum Ausruhen oder für die Tatsache, seine Entscheidungen n i c h t umzusetzen oder eine klar definierte Stellung zu beziehen. Ich will eine psychische Erkrankung nicht verleugnen, aber wer sagt, dass das Leben nur ein Paradies sein muss? Unsere Erwartungshaltung ist absurd und realitätsfremd. Tod, Probleme, schlechte Gefühle, Müdigkeit, Versagensängste, Trägheit – all das gehört zum Leben dazu, aber w i r werten es als „krank“. Der Rest der Welt darf gefälligst weitermachen und sich dem alltäglichen Dauerstress weiterhin aussetzen. Der „Kranke“ findet Entschuldigungen für sein schlappes Dasein und den nicht vorhandenen Kampfgeist, es mit Problemen (oft selbst geschaffen) aufzunehmen. Mögen die Menschen da draußen das hart finden, lieber Pierre… ich kämpfe mich durch´s Leben mitsamt den Auf und Ab´s, mitsamt dem Unglück, mitsamt meiner Trauer oder schwerwiegenden Problemen. Aber ich entscheide, wie ich damit umgehe und ich erwarte nicht, dass jeden Tag die Sonne scheint! Wir sind verwöhnt, denke ich, uns geht´s zu gut. Wir wollen stets den gleichen GLÜCKS-Zustand und darin liegt die Crux – es gibt ihn nicht! Verzweiflungstaten sind in meinen Augen Taten eines innerlich schwachen Menschen, der die unrealistische Vorstellung hat, alles müsse perfekt sein und man müsse jederzeit funktionieren und es allen Recht machen. Unsinn! Niemand muss dauerhaft Höchstleistungen vollbringen, aber er muss lernen, seine Grenzen zu erkennen und vernünftig eine Balance zu finden, damit keine innere Überforderung entsteht, die final zum Kurzschluss führt.
Auf der Psychocouch hat man dann endlich d e n inneren Feind gefunden, den es gilt, mit allen Mitteln zu bekämpfen anstatt ihn zu akzeptieren. Na, endlich hat man den Grund für das eigene Waschlappen-Dasein gefunden! Da könnte der Glaube an den lieben Gott eventuell helfen, aber ein realistischer Blick auf die Tatsache, dass Leben nicht immer reibungslos verläuft und auch oft von sehr schlechten Emotionen begleitet wird, dürfte hilfreicher sein. Also Arsch hoch und kämpfen für das was wir sind: Menschen mit Fehlern und Schwächen, die sich auch mal elend fühlen dürfen – das ist durchaus legitim. Heute lustig, morgen traurig, übermorgen lala, so ist das Leben eben.
Bei mir klingeln an Ostern auch die Glocken, aber nicht die von Jesus´ Auferstehung. Jesus ist gestorben, er ist tot und an den lieben Gott glaube ich auch nicht. Ich glaube an das Leben und ich glaube an die Kraft, die hinter einem positiven Denken steht. In der Natur verkümmert das, was nicht lebensfähig ist und geht unter. Allerdings nehmen die Tiere nicht noch 150 ihrer Artgenossen mit ins Jenseits, das unterscheidet uns. Amen.

 

Alles Liebe,
Petra

 

© Petra M. Jansen
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Liebe Petra,

hast du keine Angst vor dem Fegefeuer? Wird es dich erfassen wegen Religionslästerung? Ich finde deine Meinung sehr erfrischend, auch wenn ich in mir einen tiefen Glauben verspüre, fern von jedem Dogma. Jedes Mal, wenn die Schriften, die aus meiner Sicht zweifellos zur Weltkultur gehören, für irdische Zwecke missbraucht werden, steigt die Wut in mir. Sie sind aus meiner Sicht die einzigen Referenzen an die ich mich halten kann und ein Wegweiser, dem ich sehr wohl auch kritisch gegenüber stehe. Hände weg, ihr Pharisäer! Wie könnt ihr das Wort Christi derart für eure miesen Zwecke verbiegen? Was habt ihr aus dem Glauben gemacht? Dennoch will ich auf ihn, in dieser aggressiven Welt, nicht verzichten. Ein stiller Glaube, um mich ganz einfach wieder zu finden.

Nach der schrecklichen Katastrophe in den französischen Alpen, schenke ich heute meine Gedanken den Opfern und ihren Angehörigen. Ein psychisch-kranker Copilot übt Selbstmord und tötet in seiner Verzweiflung 149 Kinder, Frauen und Männer. Ist er Täter oder Opfer? Das einfache Volk bezeichnet ihn als Mörder, aber war er in der Lage seine Tat zu ermessen? Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Wer mit Psychiatrie zu tun gehabt hat, weiß sehr genau, dass solche Kurzschluss-Aktionen meistens sehr spontan vorkommen und von einer Minute zur anderen kann sich die Stimmung ändern. Der Mensch, der vorher so gelassen war, wird zur Bestie und hat den Drang, alles zu vernichten. Da besteht keine Logik, alles ist in solch einem Fall irrational und nur eines besteht: der Wille zum Tod. Fehler wurden gemacht und die Germanwings wusste, dass der Bord-Offizier Probleme gehabt hatte. Anstatt eine kontinuierliche psychische Kontrolle vorzunehmen, wird es jedem selbst überlassen, ob er bereit ist, mit Psychologen in den Dialog zu treten. Aber das birgt die Gefahr, dass dies falsch bewertet werden könnte und hier die berechtigte Angst vor einem Entzug der Fluglizenz und das Aus einer Karriere. Für einen jungen Mann ein Alptraum. Am Tag des Unglückes war er vom Arzt krankgeschrieben worden. Er zog vor die Unterlagen zu zerreißen, um kein Verdacht aufkommen zu lassen und das führte zur Katastrophe. War das der ständige Stress, als Versager eingestuft zu werden? Ein sehr hoher Preis!

Nicht ohne Grund passieren immer wieder Vorfälle mit Menschen, die in Therapie sind. Wie in einem Räderwerk, in dem ein Sandkorn eine Störung verursacht, kam sehr wahrscheinlich eine Stimmung-Schwankung zu Stande, die ihn zu diesem totalen Gau führte. Es ist nicht rational zu erklären und Menschen sind keine seelenlosen Wesen, die immer so funktionieren, wie es gewünscht wird. Das hat mit Sicherheit unschuldigen Menschen das Leben gekostet. Warum hat er nicht alleine einen Suizid vorgenommen? War es ein Racheakt gegen die Gesellschaft in der er sich anpassen musste? War das die Angst, einsam das Blatt umzudrehen oder ein letzter Versuch zu beweisen, dass er Macht über Tod und Leben besaß? Ein Versuch, seine Anonymität beiseite zu schieben? Das kann man nicht erklären und wäre er noch am Leben, wäre er auch nicht in der Lage, es zu tun. Das ist das Vorzeichen einer gestörten Seele unter der immer mehr Leute leiden. Soll man jetzt Mitleid haben? Trotz aller Erklärungen kann ich es nicht schaffen und mich packt die Wut vor solch einer egoistischen Haltung, auch wenn er dafür keine Schuld trägt, da er krank war.

 

In diesem Sinne.
Alles Liebe aus München, die Stadt in der die Glocken für Ostern läuten werden, egal was passiert.

Pierre
//pm

Lieber Pierre,
In Frankreich wurde das laizistische Prinzip durchgesetzt, Religion und Staat werden als getrennt angesehen, in jeglicher Konsequenz. Religion gehört nicht in den öffentlichen Raum und ist Privatsache eines jeden Einzelnen. Wäre es doch auch so! Religion ist der Dreckmantel für Gewalt, Mord, Fanatismus oder auch Resignation vor dem eigenen Leben und der Realität. Für mich gibt es keine Religion, ich bin konfessionslos und lebe sehr gut damit. Laut unserem demokratischen Gedanken sollten wir allen Religionen gegenüber den gleichen Respekt entgegen bringen und der Staat sollte sich neutral verhalten. Kann er das denn überhaupt, wenn überall auf der Welt Religion in die falsche Richtung kippt? So Gott will, so Allah will… alles nur Ausreden und Mittel zum Zweck? Ja, behaupte ich. In den heimischen Reihenhaussiedlungen hauen sie sich die Köpfe ein, wenn der Apfel vom Baum auf´s falsche Grundstück fällt und sitzen dennoch Sonntags betend vereint in der Kirche. Eine Farce! Verlogenheit bis zum geht nicht mehr und das hat nichts mit Christentum zu tun. Ohnehin ist das ein sehr spezielles Thema, reine Spionage. Buße tun? In der damaligen Zeit ein Mittel um Informationen aus den Bürgern raus zu quetschen und ihnen das Gefühl eines reinen Gewissens zu geben.
Und nehmen wir mal die „deutschen“ Buddhisten. Was soll der Unsinn? Das können sie hier gar nicht so leben, weil wir eine ganz andere Kultur haben, die dahinter steht – wir sind hier ja nicht in Indien. Ob wir wiedergeboren werden? Ehrlich gesagt, das kann ich nicht beantworten, ich lebe noch. Glauben kann Berge versetzen, das mag dahinter stehen vor der Angst, eines Tages das Zeitliche segnen zu müssen. Sie können alle glauben, was sie wollen, ich glaube nur eines: ein guter, ehrlicher Mensch ist das größte Geschenk auf dieser Welt und dafür brauche ich keine Religion.
Lieber Pierre, Toleranz, Akzeptanz, Religion, Fanatismus…von welcher Seite aus auch immer wir es betrachten, es ist ein sehr langes Thema und würde meinen heutigen Brief erschöpfen. Religion hat in meinen Augen mehr Unheil in der Welt angerichtet als zu einem friedlichen Konsens zu führen. Religion ist die völlige Verblendung und der in den Menschen immer noch schlummernde Aberglaube. Dem einen mag es helfen durch das Leben zu kommen, dem anderen gibt es den Freischein für radikale, verbrecherische Taten.
Katholische Kirche? Vergiss es! Weltfremder, korrupter und verlogener geht es nicht mehr und ich verurteile diesen Sauhaufen zutiefst. Auf dass ich in der Hölle schmore, weil ich so unangepasst bin…aber fairerweise muss ich sagen, dass eigentlich nicht die Religionen verantwortlich zu machen sind, sondern wieder einmal die Menschen selbst.

 

Im Namen … meines gesunden Menschenverstandes,
alles Liebe, Amen.

 

Petra

© Petra M. Jansen

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Liebe Petra,

in deinem Brief mit dem Thema Freiheit ist mir deine Sicht über das Tragen des Kopftuches in öffentlichen Einrichtungen, wie zum Beispiel die Schule, aufgefallen. Mit Recht sprichst du von Toleranz in diesem Zusammenhang. Wenn unsere Gesellschaft sich für eine freie Meinung einsetzt, sollte sie akzeptieren, dass Menschen sich nach ihrem Glauben oder Lebenseinstellung richten und sich nicht scheuen sollten, sie zum Ausdruck zu bringen. Das ist im Prinzip richtig, dennoch gibt es in diesem Zusammenhang einige Probleme. Was nun, wenn Kinder die Religion als Alibi missbrauchen, um andere auszugrenzen? Wir beobachten seit Jahrhunderten welchen Schaden die „göttliche Ideologie“ auslöst und welche Grausamkeiten, von der Hexenverbrennung bis zu den Morden des Islamischen Staates, in ihrem Namen durchgeführt werden. Das hat mit Menschlichkeit und der reinen Lehre gar nichts zu tun – es ist abscheulich. Für mich ist das die Antithese der hochgelobten Freiheit, daher bin ich für eine konsequente Trennung zwischen Religion und Staat. Für mich ist Laizismus das Grundprinzip eines friedlichen Zusammenlebens.

Daher vertrete ich die Meinung, dass in der Schule oder in anderen öffentlichen Einrichtungen, kein Religionssymbol vorhanden sein soll und das geht vom Kreuz bis zur Kippa, darunter auch das Kopftuch. In Frankreich findet der Religionsunterricht in den Glaubensgemeinden statt, nur so ist es möglich, aus der Sicht der politischen Behörden, Spannungen fernzuhalten. Ob von links oder von rechts, eine sehr große Mehrheit setzt sich dafür ein. Um glaubwürdig zu sein, dürfen keine Ausnahmen gemacht werden, jeder Bürger ist gleichgestellt, das heißt aber bei weitem nicht, die Religionsfreiheit zu verhindern. Wenn man heute sieht, wie Kinder indoktriniert werden, sollte diese Einstellung nicht missverstanden werden. Eine 16jährige ist in München verschwunden und es ist anzunehmen, dass sie nach Syrien „ausgewandert“ ist, um die Islamisten zu unterstützen, die „wahre Botschaft zu verkünden“. Wir wissen viel zu gut, was das bedeutet: Das Köpfen von Andersdenkenden! Das wird auch nicht der Laizismus verhindern können, aber es sollte alles getan werden, um solche Gedanken zu verhindern und dazu gehört das Entfernen von religiösen Symbolen in der Schule, zum Beispiel.

Du siehst, liebe Petra, dass ich irgendwie schwanke. Ich wäre schon für die vollständige Freiheit, wenn die Menschen sich gegenseitig respektieren würden, aber das ist leider nicht der Fall. Wer aus der Reihe tanzt wird noch immer diskriminiert und mit dem Finger auf ihn gezeigt, deshalb muss alles getan werden, um Spannungen abzubauen. Wenn das nicht vom an Schulalter getan wird, führt es zwangsläufig zu einer Eskalation und das geht vom Mobben bis zum Mord. Der Gedanke des Laizismus besteht darin, jeder Art von Ideologie Paroli zu bieten und das im Namen eines friedlichen Zusammensein. Laizismus ist nicht mit Atheismus gleichzustellen. Religionen werden respektiert, aber in einem bestimmten Rahmen. Hinzu kommt noch, wenn sie zu sehr mit dem Staat verflochten sind, dass jede Art von Kritik ausbleibt und das wäre ein herber Verlust für den demokratischen Dialog. Liebe Petra, gerade heute ist er notwendiger denn je.

 

Herzliche Grüße,
Pierre

//pm

Lieber Pierre,

ich betrachte Freiheit einmal aus philosophischer Sicht. Freiheit lässt immer die Wahl, aus verschiedenen Möglichkeiten auszusuchen und sich freiwillig zu entscheiden. Doch ist Freiheit wirklich frei? Nein. Freiheit ist geprägt von der Toleranz und dem bestehenden Wertesystem und jeder definiert Freiheit anders. Freiheit birgt ebenso die Toleranz wie die Intoleranz. Wir verbieten anderen Kulturen das Tragen eines Kopftuches am Arbeitsplatz und wollen uns gleichzeitig als eine freie Gesellschaft definieren. Nur, wo fängt die Freiheit an und wo hört sie auf? Wo beginnt Freiheit und wann wird Freiheit zu einem Gefängnis? Wenn Freiheit nicht in die richtigen Wege geleitet wird. Nehmen wir an, ein Kind hat alle Freiheiten und darf hingehen, wo es will, machen, was es will, schreien, wann es will… es hat keinerlei Orientierung, aber sicher jede Menge Freiheit, mit der es gar nicht so recht etwas anzufangen weiß. Das heißt also, Freiheit ist gekoppelt an eine vernünftige Auswahlmöglichkeit (Selektion), an die jeweilige Gesellschaftsstruktur und an Regeln. Ist es meine Freiheit, wenn ich rotzend, glotzend „Arschloch“ schreie oder ist es einfach ein schlechtes Benehmen? Ich nehme mir die Freiheit, zu urteilen, zu schreiben, zu reden, zu leben, zu fordern und vieles mehr, aber Freiheit ist nur dann wahre Freiheit, wenn ich diese Möglichkeiten in eine positive Richtung bringe. Damit wären wir beim Thema: wir befreien uns aus radikalen Verhältnissen, aus einer intoleranten Gesellschaft, aus Zwangsmaßnahmen und gleichzeitig wenden wir Zwangsmaßnahmen an. Wenn und wann und wo es uns passt! So lange es Menschen gibt, die ihre Position dafür verwenden, andere Menschen zu diskriminieren, zu verletzen, anzugreifen… so lange wird es keine Ruhe geben. Es ist also wichtig, w e r den Schlüssel zur Freiheit in den Händen hält und was er mit dieser Macht tut. Auf der einen Seite schreien wir alle nach Freiheit, aber gleichzeitig sind wir verdammt unfrei in unseren Vorurteilen und Intoleranz. Das wäre nun meine leicht philosophische Begriffsbestimmung, lieber Pierre.
Wenn Freiheit uns Angst macht, weil freie Menschen, andere Menschen wiederum unfrei machen wollen, dann braucht diese negativ verstandene Freiheit einen Kick ins Positive. Dabei drehen wir uns leider im Kreis, denn Menschen sind niemals frei von schlechten oder guten Gedanken. Es gibt Gutes und Böses, es gibt Verstand und Blödheit, es gibt Mut und Arschkneifen, es gibt Kämpfer und Versager. Es gibt alles, Pierre, nur eines gibt es nicht: die Freiheit der Menschen, völkerübergreifend in Frieden weltumspannend miteinander zu leben.
Ich wünsche dir heute ebenfalls Freiheit,

 

herzlichst,
Petra

© Petra M. Jansen

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