Ob Flüchtlingsfrage oder Corona-Krise: Politiker stecken im Dilemma. Zwischen Prinzipientreue und Pragmatismus. Der Soziologe Max Weber gab ihnen mit der Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik ein hilfreiches Instrument in die Hand.

Mit seinem Wort von der „Entzauberung der Welt“ durch die neuzeitliche Rationalität eröffnete Max Weber einen neuen Blick auf die Moderne. Vor hundert Jahren, am 14. Juni 1920, starb der Vordenker der Soziologie in München an der Spanischen Grippe.

Weber hat ein gewaltiges Oevre hinterlassen, ein zersplittertes und fragmentarisiertes Werk von einschüchternder Monumentalität. Gar nicht so einfach, da den Überblick zu bewahren. Und gar nicht so einfach, in einigen wenigen Sätzen zu sagen, worum es im Kern des Weberschen Denkens überhaupt geht.

Eine Antwort auf seine Fragen fand Weber in der Religionssoziologie. Es sei der asketische Protestantismus der Calvinisten und anderer puritanischer Gruppierungen gewesen, der die Entstehung des modernen Kapitalismus begünstigt habe, so Webers berühmte, bis heute umstrittene These (deutschlandfunkkultur.de).

Weber gilt als einer Gründerväter der Soziologie und schrieb Bahnbrechendes in den Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. Gerade seine religionssoziologische Schrift Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus machte Max Weber bekannt – und sie wird bis heute kontrovers diskutiert. Selbst sein monumentales Hauptwerk, Wirtschaft und Gesellschaft erschien erst posthum. Vor seiner Fertigstellung starb er am 14. Juni 1920 mit gerade 56 Jahren in München an der Spanischen Grippe, der ersten Pandemie der Moderne.

Die Lebensspanne des 1864 in Erfurt geborenen Weber umfasst damit die epochalen Umbrüche auf dem Weg in die Moderne. Die Industrielle Revolution und die Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik verändern das Gesicht der Welt. Und die großen Ideologien von Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus und Kommunismus treten in Konkurrenz zu religiösen Weltvorstellungen. 

Max Weber hat sein gewaltiges Werk für alle diejenigen geschrieben, die ihr Leben unter den Bedingungen der Modernität zu führen haben – also für uns. Wir, die wir in die kapitalistische, bürokratische, entzauberte Welt hineingeworfen worden sind, sind die eigentlichen Adressaten von Webers Schaffen.

Mit der Frage nach der Möglichkeit von Freiheit schließt Weber zum einen an Marx, zum anderen an Nietzsche an. Wie seine kongenialen Vorgänger teilte er die Überzeugung, dass der freien Lebensführung rein theoretisch nichts im Wege stehe – allein: Kapitalistische Großbetriebe, bürokratische Herrschaftsformen und Ideologien mit Alleinvertretungsanspruch setzten eine Prämie auf die Anpassungsfähigkeit“ (nzz.ch) aus.

Wer sich deren Maximen anpasse, werde mit Geld, Status oder einem guten Gewissen belohnt, was für gewöhnlich dazu führe, dass sich die große Mehrheit der Menschen weniger den eigenen als vielmehr den fremden Maximen unterwerfe.

Der Biograf Jürgen Kaube sieht in Weber den nach Luther und Goethe vermutlich meisterforschten deutschen Intellektuellen“ (br.de).

Nicht alles in Webers Biografie fügt sich bruchlos zusammen. Seine letzte große Lebensleistung: im Hochverratsprozess gegen die Akteure der Münchner Räterepublik bescheinigt der dezidierte Revolutionsgegner Weber dem Revolutionär Ernst Toller „absolute Lauterkeit“ (wikipedia.org) – was den Angeklagten wohl vor der Todesstrafe bewahrte.

Diese Bruchstellen in Leben und Denken machen die Beschäftigung mit dem großen Soziologen unseres Landes spannend.

Eines von Webers Erklärbildern war: Er vergleicht die moderne Gesellschaft mit einer Straßenbahn, deren Passagiere auch dann vorankämen, wenn sie nicht wüssten, welche physikalischen Gesetze sie in Bewegung hielten. Ähnlich verhalte es sich mit anderen Errungenschaften der Zivilisation: „Geld oder Gericht oder Militär oder Medizin“ …

Die historischen Verbindungen des Territoriums der heutigen Russischen Föderation mit der 1783 von Katharina II. eroberten Krim sind – im Gegensatz zu verbreiteten Stereotypen – nur gering. Von 1802 bis 1917 war die Krim Teil des Taurischen Gouvernements, welches die Krim mit der heutigen südlichen Festlandukraine verband. Der Geburtsname des international bekanntesten „russischen“ Sohnes der Krim, des berühmten Marinemalers Iwan Aiwasowskij (1817-1900), ist in Wirklichkeit Hovhannes Aiwasjan. Aiwasowskijs armenische Familie war aus dem ehemals ostpolnischen und heute westukrainischen Galizien auf die Krim gezogen (wikipedia.org).

Von 1954 bis 1991 war die Krim Teil der ukrainischen Sowjetrepublik. Daher fiel sie beim Zerfall der UdSSR an die unabhängige Ukraine, was der damalige russische Präsident Boris Jelzin im berühmten Belowesher Abkommen Ende 1991 offiziell anerkannte und das russische Parlament anschließend ratifizierte. 2003 erkannte auch der zweite Präsident Russlands Wladimir Putin in einem weiteren voll ratifizierten Vertrag über die ukrainisch-russische Grenze die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine an.

Die Insel kostete schon die ukrainische Regierung jedes Jahr eine ordentliche Stange Geld (ukrainischer Finanzminister Oleksandr Shlapak, Financial Times März 2014). „Ökonomisch betrachtet würde die Ukraine bei einer Abspaltung nicht schlecht wegkommen, die Krim war immer eine Region, die subventioniert wurde“. Wichtigster Wirtschaftssektor ist die Agrarindustrie und das bekannteste Insel-Produkt dürfte der Krimsekt sein. Aber dass die Vodka vernarrten Russen deshalb auf die Krim schielten, ist unwahrscheinlich (handelsblatt.com 14.03.2014).

Zwischenzeitlich spielte man in der russischen Hauptstadt offenbar sogar mit dem Gedanken, die Ukraine in zwei Hälften zu spalten – mit einem prorussischen Südosten, für den man eine längst vergessene Bezeichnung aus der Zarenzeit reaktivierte: Neurussland. Es hätte alles noch schlimmer, noch blutiger kommen können. Aber dann erwies sich der Westen als geeinter, die Ukraine als zäher denn erwartet. So ließ sich aus ihr am Ende nur ein kleines Stück Kohlerevier SPON 16.03.2019) herausbrechen, mit dem Moskau bis heute wenig anfangen kann.

So bewegte sich Wladimir Putin Schritt für Schritt von der russischen Innenpolitik weg und hinein in die Weltpolitik. Er wirkt auf die Russen längst nicht mehr wie ein Politiker, der sich um seine Bürger sorgt, er ist jetzt in welthistorischer Mission unterwegs. Er sucht nicht mehr die Anerkennung der Zeitgenossen, ob im Ausland oder daheim. Er denkt jetzt lieber an die Nachwelt.

Die allermeisten Russen sahen die historische Gerechtigkeit auf ihrer Seite. Dass ihr Staat dabei zugleich Völkerrecht gebrochen, gelogen und betrogen hatte, störte sie nicht. Sie waren es ja gewohnt, selbst vom Staat betrogen zu werden. Die „hybride Kriegsführung“ – der verkappte Einsatz von Gewalt, das Streuen falscher Gerüchte, die Arbeit mit Provokateuren – entspricht der hybriden russischen Innenpolitik, in der Demokratie nur imitiert wird. Nur, dass diesmal das feindliche Ausland hereingelegt wurde und die Russen selbst nicht Opfer, sondern Komplizen des Kreml waren. 

Die Begeisterung der russischen Öffentlichkeit für die Annexion hat sich deutlich abgekühlt. Dies zeigen auch die Zustimmungsraten für den Präsidenten, die seit Monaten sinken.

Die neue Etappe in der Entwicklung der russischen Gesellschaft hat noch keine Bezeichnung, aber Eigenschaften: Enttäuschung, Neubewertung, Frustration.

Der Kreml hat bisher nichts gefunden, was den Krim-Effekt ersetzen könnte. Ein Weg, um die Zustimmung in der Bevölkerung zu steigern, wäre ein harter Kampf gegen die Korruption

 

Es gibt Zeichen der Zeit (Mt. 16, 2–4), die offensichtlich sind und doch von Menschen, die Zeichen am Himmel erforschen, nicht wahrgenommen werden können. Sie kristallisieren sich in Ereignissen heraus, die eine nahende Epoche ankündigen und ihr Kontur geben, Ereignisse, die vielleicht unbemerkt vorübergehen und nichts oder fast nichts an der Realität ändern, zu der sie hinzutreten, die jedoch gerade deshalb ihren Wert haben als Zeichen, als historische Kennungen, semeia tōn kairōn“, die Zeichen der Zeit.

Kapitalismus als Religion ist der Titel eines der eindringlichsten postum edierten Fragmente von Walter Benjamin. Der Sozialismus ist so etwas wie eine Religion, wie mehrfach festgestellt wurde (unter anderem von Carl Schmitt: Der Sozialismus behauptet, einer neuen Religion zum Leben zu verhelfen, die für Menschen des 19. und 20. Jahrhunderts dieselbe Bedeutung hatte wie das Christentum für Menschen vor zwei Jahrtausenden). Anders als bei Max Weber stellt nach Benjamin der Kapitalismus nicht nur eine Säkularisierung des protestantischen Glaubens dar, sondern ist selbst ein wesentlich religiöses Phänomen, das sich parasitär aus dem Christentum entwickelt (nzz.ch)

Laut Benjamin ist „im Kapitalismus eine Religion zu erblicken, d. h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben“. (Benjamin VI, 100) (Wolfgang Palaver: Kapitalismus als Religion 2002).

Ein religiöser Kapitalismus gehört zu den Zeichen unserer Zeit. Am augenscheinlichsten zeigt sich die religiöse Dimension in der Werbung. Religiöse Symbole oder Anspielungen auf die Kirche gehören zum Alltag der Reklame. Nonnen erscheinen in Anzeigenmotiven und Werbefilmen. Parfüms können nicht auf himmlische Versprechungen verzichten, wie die Produktnamen „Heaven“ oder „Eternity“ erkennen lassen (cicero.de). Die religiös verbrämte Werbung ist aber nur ein Oberflächenphänomen, die Spitze eines Eisbergs. Die Welt der Waren und des Konsums ist in einem viel grundsätzlicheren Sinne zur „Reichsreligion“ unserer Zeit geworden.

Nach Benjamin gehört zum aktuell „verschuldenden Kapitalismus auch die Geisteskrankheit der Sorgen (Benjamin VI, 102). Damit charakterisiert er die durch den Kapitalismus hervorgerufene Knappheitsproblematik. Die Überwindung der Knappheit gilt als Grundlage der Ökonomie. Weil es knappe Güter gebe, brauche es wirtschaftliches Handeln, das allen Menschen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ermöglichen soll. Wäre die Knappheit gemäß diesem Verständnis ein zentrales Problem der Menschheit, müsste sie sich gerade in archaischen Kulturen aufgrund ihrer vergleichsweise geringeren Gütermenge viel deutlicher als in unseren modernen Gesellschaften zeigen (Wolfgang Palaver a.a.O. Rz.: 34)

Gerade weil er mit all seiner Kraft nicht zur Erlösung, sondern zur Schuld, nicht zur Hoffnung, sondern zur Verzweiflung strebt, zielt der Kapitalismus als Religion nicht auf die Veränderung der Welt, sondern auf ihre Zerstörung. Und seine Herrschaft in unserer Zeit ist so total, dass sogar die drei großen Propheten der Moderne (Nietzsche, Marx und Freud) sich, nach Benjamin, mit ihm verschwören, gewissermaßen mit der Religion der Verzweiflung solidarisch sind.

Creditum ist das Partizip Perfekt des lateinischen Verbs credere: das, woran wir glauben, worauf wir uns verlassen, sobald wir eine vertrauensvolle Beziehung zu jemandem aufbauen, indem wir ihn unter unseren Schutz nehmen oder ihm Geld leihen, indem wir uns auf seinen Schutz verlassen oder Geld von ihm borgen. 

Zukünftig bedarf es der Klärung des eigentlichen theologischen Gehalts des Kapitalismus, vergleichbar der Zerstörung des Goldenen Kalbs durch Mose oder der Festlegung eines Konzilsdogmas (nzz.ch) – auf jeden Fall einen entscheidenden Schritt zur Reinigung und Ausformung unseres neuen Glaubens.

Das ungarische Gesetz, das den Umgang mit aus dem Ausland finanzierten Nichtregierungsorganisationen regelt, verstößt gegen EU-Recht. Das haben die Richter des Europäischen Gerichtshofs entschieden (Rechtssache: C-78/18).

Um unter das NGO-Gesetz zu fallen, muss eine Organisation mehr als 7,2 Millionen Forint (etwa 20.500 Euro) im Jahr aus dem Ausland erhalten. Zudem müssen sie bei der Registrierung die Anzahl der Spender angeben, deren Unterstützung 500.000 Forint (etwa 1.500 Euro) übersteigt.

Das Gesetz wurde 2017 von der Regierungsmehrheit des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán verabschiedet. Es sieht vor, dass sich NGOs, die Spenden aus dem Ausland erhalten, ab einem bestimmten Schwellenwert bei den ungarischen Behörden registrieren lassen müssen. Die Informationen werden online veröffentlicht. Zudem müssen die NGOs auf ihrer Webseite und in anderen Veröffentlichungen angeben, sie seien eine aus dem Ausland unterstützte Organisation.

Der Konflikt um das NGO-Gesetz ist nicht der einzige Streit zwischen Brüssel und Budapest. Die EU-Kommission klagte in den vergangenen Jahren mehrfach gegen Ungarn vor dem höchsten EU-Gericht. Häufig ging es um die ungarische Asyl- und Migrationspolitik. Zuletzt befand der EuGH Mitte Mai, die ungarischen Transitlager für Asylbewerber verstießen gegen EU-Recht.

Kritiker sehen das Gesetz als speziell zugeschnitten auf den US-Investor und Großspender Georg Soros (sueddeutsche.de). Orbán führt seit Jahren Kampagnen gegen den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden. Dabei hetzt er auch mit antisemitischen Stereotypen. Die EU-Kommission hatte ein Verfahren gegen Ungarn eingeleitet, da die Regeln diskriminierend seine und betroffene Organisationen aber auch die Spender ungerechtfertigt einschränkten.

Die Luxemburger Richter gaben der EU-Kommission nun Recht. Die Regeln des Gesetzes seien diskriminierend und schränkten die betroffenen Organisationen, aber auch die Spender ungerechtfertigt ein. Dies verstoße unter anderem gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs. Ebenso verletze es unter anderem das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.

Die EU-Kommission, die in der Staatengemeinschaft die Einhaltung von EU-Recht überwacht, leitete wegen des Gesetzes ein Verfahren gegen Ungarn ein. Als Budapest nicht einlenkte, klagte die Behörde vor dem EuGH (saarbruecker-zeitung.de).

Die ungarische Regierung versucht, kritische Stimmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Land massiv einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. NGOs, darunter auch die ungarische Amnesty-Sektion, sind immer wieder Schikanen und Diffamierungen durch Regierungsvertreter und regierungsnahe Medien ausgesetzt. Zudem wurden mehrere NGO-Gesetze verabschiedet, die zivilgesellschaftliches Engagement behindern und kriminalisieren (amnesty.de).

Nein, du bist nicht mein Freund…

wenn du mir ständig ins Wort fällst,

niemanden ausreden lässt,

redest wie ein Wasserfall,

erklärend, was du früher stets beritten hast,

welch oberflächlichen Vorzüge du gerade erst gesehen hast.

 

Nein, du bist nicht mein Freund…

wenn du Platz nimmst, um auszuhorchen,

um weiter zu tragen, was du erfahren hast,

um Gehör durch Gehörtes zu finden,

um schlüpfrig wie ein Aal zu sein.

 

Nein, du bist nicht mein Freund…

wenn du heute nickst

und morgen beim Gegenteil um Beifall heischst.

Nein, du bist nicht mein Freund,

wenn du nie das Gesprochene verstehst,

niemals den Faden einfädelst,

den man dir reichen möchte,

keinen festen Knoten spinnst.

 

Nein, du bist nicht mein Freund…

wenn du so ganz anders tickst

als überhaupt in einem Takt.

Nein, du bist wahrhaftig nicht mein Freund.

Und nein, du bist auch nicht mein Feind.

Ich sehe, was da an dem Ast dort hängt

an dem ein Unwissender unermüdlich sägt.

  

© Petra M. Jansen 

http://literatourpoetictext.blogspot.com/

 

 

 

 

Politische Sprache“ ist nicht mit der Sprache der Politiker gleichzusetzen. Nicht nur Politiker vermögen politisch zu sprechen, sondern auch Führungskräfte in der Wirtschaft, wenn sie ihr Handeln öffentlich legitimieren oder Intellektuelle, wenn sie Ideologien kritisch entlarven und so den Nährboden für den Machtzuwachs mancher Kräfte austrocknen und manch anderer düngen. Die Sprache der Politiker hingegen umfasst stilistische Eigenheiten, liebgewonnene Formulierungen und gewöhnliche Floskeln, die teils individuell gefärbt sind und nur schwach mit Steuerung von Öffentlichkeiten oder Lenkung von gesellschaftlichem Handeln zusammenhängen.

Es fällt auf, dass Begriffe wie Heimat, Volk und Identität Konjunktur haben. Nicht nur bei Rechtspopulisten.

Heimat ist eine Art Begriff, den viele Gruppen versuchen zu besetzen – oder sich davon abzugrenzen. Ein anderer wichtiger Begriff – aus dem entgegengesetzten politischen Spektrum – ist Nachhaltigkeit. Den findet man in den letzten zehn, zwanzig Jahren sehr viel häufiger als zuvor (zeit.de, 10.09.2019).

Wo Sprache ist, ist auch Subtext. Vor allem dort, wo Sprache politisch wird. Zur Analyse dieser Subtexte hat sich in der Forschung unter anderem das Konzept des Framings etabliert. Framing meint einen Assoziations- und damit Deutungsrahmen für Begriffe: Wer Zitrone hört, denkt an sauer oder gelb. Dieser Mechanismus lässt sich politisch instrumentalisieren. Frames definieren nämlich oft ein Problem – und liefern, wenigstens implizit, auch gleich die passende Lösung (sueddeutsche.de).

Rassenunruhen“ … In Deutschland ist der Begriff „Rasse“ aufgrund unserer Vergangenheit eindeutig nationalsozialistisch und damit negativ besetzt. Unser Deutungsrahmen ist relativ klein. Das Wort „Rasse“ muss daher – abgesehen vom Tierreich – vermieden werden. Der Begriff ist im Deutschen eindeutig biologisch konnotiert.

Anders verhält es sich mit dem Wort „race“ im englischen Sprachraum. Dieser Terminus meint laut dem Cambridge Dictionary etwas gänzlich anderes als in Deutschland: A group, especially of people, with particular similar physical characteristics, who are considered as belonging to the same type, or the fact of belonging to such a group“. Eine Gruppe von Menschen, denen einende physische Charakteristika zugeschrieben werden. Man spräche hierzulande am ehesten von der Ethnizität. In einer engeren Bedeutung meint der Begriff einfach Personen, die dieselbe Sprache und Geschichte und gewisse Eigenschaften teilen.

Political Correctness“ hat mittlerweile eine negative Konnotation (jetzt.de). Gerade Konservative und rechte Lager nutzen den Ausdruck als Beleidigung, um Bemühungen gegen Diffamierung lächerlich zu machen. Eine altbewährte Rechte Taktik, Begriffe, die im peripheren, meist linken Bereich ihren Ursprung finden, zu spiegeln und für ihre Interessen zu adaptieren. 

Doch gäbe es diese Debatte überhaupt, wenn man Political Correctness mit „Respekt“ oder „Empathie“ ersetzen würde? Wäre die künstliche Panikmache rund um Meinungsfreiheit genauso groß? Obwohl wir uns dessen oft nicht bewusst sind, ist Sprache immer auch politisch, da sie zwischenmenschliche Beziehungen definiert und daraus resultierende Machtverhältnisse festlegt. 

Rassismus, gerade im Alltag, hat viele unterschiedliche Ausprägungen. Eine wichtige Facette bildet die Sprache. Denn die Sprache ist und bleibt ein wichtiges Machtinstrument. Heute, da jeder über Soziale Medien selbst zum Sprachrohr werden kann, ist sie mächtiger denn je. Und hier zeigt sich auch das Problem: Wenn rassistisches Sprache gebraucht wird, ist dies laut Wissenschaftlern (mainpost.de) ein Ausdruck des Beharrens auf den bestehenden Machtverhältnissen, ein Ausdruck verbaler Gewalt.

Schon im Byzantinischen Reich stritten die Menschen um Bildnisse. Ikonoklasmus, das Zerbrechen der Bilder (wikipedia.org), nannten die Griechen das. Bilderstürmerei zog sich auch durch die Reformation, als Luther, Zwingli, Calvin und andere Reformatoren gegen Heiligenbildchen, Ikonen und Reliquien und das Geschäft damit wetterten. Es waren Aufstände gegen das Abbild, aber eigentlich ging es um das Ganze, das System, den Geist der Epoche und die Frage, wie wir leben wollen.

Es ist seltsam, dass man sich um Marmor, Sandstein und Bronze streitet, wenn man für die Rechte von Menschen eintritt, für das überfällige Ende von Diskriminierung und Rassismus. Die Denkmalstürze zeigen, dass es um mehr geht: den öffentlichen Raum und das Bild einer Gesellschaft“ (zeit.de) von sich selbst. Denkmäler sind Symbole, Denkmäler sind Kunst und zwischen Gebäuden eine Art Kleinmöbel in der Stadt.

Nehmen wir die Erinnerungskultur in den USA: Statuen sind im Ziel der derzeitigen Proteste gegen Rassismus.

Die symbolische Tragkraft vieler Denkmäler, die oftmals weiße Sklavenhalter darstellen, spielt in dem Konflikt eine entscheidende Rolle. Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, forderte die Entfernung von elf Statuen in der Hauptstadt Washington. Die Statuen stellen elf Soldaten und Vertreter der aus dem Sezessionskrieg (1861-1865) hervorgegangenen Konföderierten Staaten von Amerika dar, die nach Pelosis Meinung nicht die höchsten Werte der Vereinigten Staaten von Amerika vertreten würden. „Ihre Statuen sind eine Hommage an den Hass, nicht an das Erbe“, so Pelosi in einem Brief an den Kongress. Die Männer seien für „Grausamkeit und Barbarei“ eingetreten (fr.de)

Das große Denkmalstürzen folgte auch auf die Auflösung des Ostblocks und der Sowjetunion 1989 bis 1991. Damals legten Demonstranten Seile um die Hälse der sozialistischen Größen, manche kamen mit Traktoren und Kränen. Es stürzten die Ebenbilder des Revolutionsführers Wladimir I. Lenin, des Geheimdienstgründers Felix Dserschinski und anderer sozialistischer Helden. Mit den Denkmälern brach ein System zusammen, das in über siebzig Jahren gewachsen und in weiten Teilen der Welt verbreitet war.

Wollen wir jetzt alle Kolonialherren, Sklavenhändler und Apartheitsapostel entsorgen? Was machen wir mit Christoph Kolumbus? Er ermöglichte die Kolonisierung Amerikas durch Europäer, wird als Entdecker gefeiert. Seine Methoden des Vorgehens sind sehr umstritten. Und dann Bismarck, der in Berlin und anderswo als ehrwürdiger Staatsgründer steht, aber während dessen Regierung das kurzlebige deutsche Kolonialreich entstand.

Was diese Menschen – hauptsächlich Männer, deren steinerne Relikte wir nun entsorgen, getan haben, war aus unserer heutigen Sicht nicht richtig. Es gibt viele Gründe, sie abzulehnen: Verstoß gegen die Menschenwürde, gegen die Menschenrechte, Freiheitsberaubung usw. Keine Diskussion!

Aber: Es sind Denkmäler! Male des Denkens, Objekte, die von früheren Zeiten Zeugnis ablegen. Sie sind Stätten der Erinnerung. Salopp könnte man auch sagen: „Denk mal!“. Die „gute alte Zeit“ war nicht nur gut. Wir sollten uns dessen bewusst sein, damit wir die Fehler nicht wiederholen. Verschwinden die Denkmäler, verschwindet auch die Erinnerung. Schon in zwei Generationen sind sich weniger Leute bewusst, was seinerzeit geschehen ist.

Wer sich nicht seiner Vergangenheit erinnert, ist verurteilt, sie zu wiederholen“ (George Santayana, Philosoph).

US-Präsident Donald Trump twitterte gestern: „Wer seine Geschichte verleugnet, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen!“ (fr.de). Das läuft in etwa aufs Gleiche hinaus.

Vorschlag: Wir können die Vergangenheit nicht „entsorgen“. Wenn wir sie schon nicht im öffentlichen Raum haben wollen, warum bringen wir sie als Kompromiss nicht in Museen? Auch die sind Stätten der Erinnerung.

Fühlt sich anders an, irgendwie verloren.

Trotz aller Hoffnung auf Besserung und trotz aller Maßnahmen,

ist irgendwie nicht mehr das Gleiche.

Zieht dir den Boden unter den Füssen weg,

stellt deine einst rosige Zukunft in Frage.

Lässt dich beim Amt anklopfen.

Unverschuldet.

In die Schulden.

Was nun?

Es ist geschehen, was passiert.

Es legte dich flach und dein Tagesablauf gleicht dem eines Rentners.

Kleiner Trost ist, dass es ja nicht endgültig ist.

Es kommt Hoffnung auf.

Ein weiterer Hieb? Den verkraftest du nicht.

Der Gürtel ist so eng, dass du keine Luft mehr kriegst.

Alles auf den Kopf gestellt, alles neu sortiert.

In die Hände klatschen, wenn die, denen du zuarbeitest, nach Atem ringen?

Milliarden, die deine Kinder bezahlen müssen.

Millionen, die die Reichen haben und nichts davon teilen werden.

Wie heißt der Super-Gau, der uns alle in die Knie gezwungen hat?

Fleischfressende Menschenmassen, die wie Kannibalen rohe Viecher essen.

Und sich wundern, wenn die Erde schreit.

Sie war verloren. Verloren wie du.

Sie holt zurück, was sie verdient.

Da stehst du nun, verloren.

Ja, verloren.

Weil du für nur für dich der Verlierer bist.

Doch Verzicht und Entschleunigung –

sind die wahre Not!

 

© Petra M. Jansen

 

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