Lieber Pierre,

das liest sich alles gar nicht artig und auch nicht erwachsen. Du siehst das Resultat einer sehr antiautoritären Erziehung mit zu wenig klar definierten Regeln, die ein Kind aber braucht. Oft sehe ich völlig verzogene Kids, die quengelnd ihren Willen durchsetzen wollen und – wenn das nicht klappt – werden sie frech, schlichtweg unausstehlich. Da fällt es einem schon sehr schwer, diese kleinen – von den Eltern dazu erzogenen – Monster als liebenswert zu betrachten. Genau das aber brauchen diese Kinder, das sichere Gefühl, dass sie einen klaren Weg zu gehen haben, als Kind in ihrer Kindlichkeit akzeptiert werden und ein festes Gerüst erfahren dürfen. Wie aber sollten Eltern, die selbst unausgereift sind oder von Sorgen erdrückt werden, dem gerecht werden? Zum Elternsein gehören ein festes Fundament und eine gesunde Basis, auf der man eine Familie aufbauen kann. Oft fehlt hier der finanziell sichere Background, die saloppe Auffassung „Wir kriegen das schon irgendwie hin“ ist ein fataler Irrtum. Zuerst! muss das Fundament stabil sein, dann! erst sollte ein Paar mit der Familienplanung beginnen. Sicher gibt es im Laufe der vielen Jahre, die da kommen werden Auf und Abs und garantiert auch Durststrecken, aber mindestens sollten beide Elternteile gesichert dastehen. Ein Kind als kleinen Erwachsenen zu behandelt und es als einen gleichwertigen Freund anzusehen, ist falsch. Ein Kind ist ein Kind und kann die Differenzen in der Eltern-Partner-Beziehung noch nicht wirklich verstehen. Insofern ist es nicht interessiert an elterlichen Seitensprüngen sondern n u r an dessen Stabilität und der Sicherheit in der kleinen Familie, alles andere macht ihnen Angst. Der Hass, der da zum Vorschein kommt, ist die Hilflosigkeit eines falsch erzogenen Sprosses, bei dem die Eltern oft die letzten sind, die sich dabei die Schuld geben würden. Sich selbst zu hinterfragen, was bei ihnen im Argen liegt, wäre der erste Ansatz. Stattdessen schicken sie ihr schwer erziehbares Kind auf die Psychocouch, in der Hoffnung, damit seien die Probleme gelöst. Weder die Schule, noch die Verwandtschaft, noch die Psychologen oder sonst wer sind verantwortlich, sondern ohne Ausnahme n u r die Eltern, Punkt. Zeigt das Kind solch schlimmen Verhaltensauffälligkeiten, würde ich in erster Linie bei den Eltern und ihrem Erziehungsmuster schauen. Der kleine Kerl oder die kleine Lady sind seelisch und körperlich Kinder und sie brauchen keine erdrückende Fürsorge, kein Hin und Her in der Erziehung, sondern Richtlinien, die sie bei fehlerhaftem Verhalten auch einhalten müssen. Liebevoll, aber konsequent – alles andere macht keinen Sinn. Die fehlende Leitlinie erzeugt tatsächlich Hass auf die Eltern, auch wenn es den Kids nicht bewusst ist. Sie wissen ja gar nicht, was mit ihnen passiert. Sie schwimmen in einer breiigen Suppe ohne Halt. Ausnahmslos sind sie das „Produkt“ ihres Elternhauses und schon öfters sah man die durchgeknallte Mama (außerstande durchzugreifen, weil völlig überfordert) oder den hilflosen Papa (der auch nicht mehr weiter weiß und die Flucht ergreift, sich vielleicht sogar in eine neue Liebschaft stürzt), die kopfschüttelnd vor ihrem Kind kapitulierten. Und sollte der Papa das wirklich tun, dann benutzt die durchgeknallte Mama mit Sicherheit nun das Kind, um ihren Frust loszuwerden und sich psychisch zu erleichtern. Schwups, sitzt der Dämon auf den Kindes Schultern, das sich die Schuld dafür gibt und der Teufelskreis geht weiter. Meiner Meinung nach gehören diese Eltern dringend in eine psychologische Behandlung, damit sie nicht noch mehr Schaden an einem hilflosen Kind anrichten können. Eine reife, erfahrene, weitere Bezugsperson müsste der Familie zur Seite gestellt werden, damit sich die schädlichen Strukturen lockern. Sonst ist das Leben dieser Kids schon im Eimer bevor es richtig angefangen hat. Wohl dem Kind, das kluge, liebevolle und nicht-psychisch-gestörte Eltern hat, die ihm eine unbeschwerte Kindheit erlauben und ihm das notwendige Rüstzeug mit auf den Weg geben werden. Das, was du beschrieben hast, lieber Pierre, ist die Hölle für jedes Kind und es kann sich nicht einmal davon befreien, ist dem ausgeliefert und schreit weiterhin aggressiv „Fick deine Mutter!“

 

Herzliche Grüße

 

Petra

© Petra M. Jansen

 

http://literatourpoetictext.blogspot.com/

Lieber Pierre,

ein trauriges Thema mit dem wir uns heute beschäftigen, aber es ist leider tatsächlich wahr, dass jedes Jahr mehr als 100.000 Vermisstenanzeigen Minderjähriger bei der Polizei eingehen. Dabei ist bei fast 96% so, dass sehr schnell aufgeklärt werden kann, was genau passiert ist und tatsächlich viele Kinder auch wieder zurückkommen. Allerdings tröstet das nicht die verbleibenden ca. 4%, die entweder nie wieder aufgetaucht sind und über einen langen Zeitraum bis heute als vermisst gelten oder auch diejenigen, die nachweislich einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sind und offiziell für tot erklärt wurden. Was immer zum Vermissen führt, es sind oft Ausreißer oder auch – im Falle von Trennung und Familienstreitigkeiten in bilateralen Beziehungen – Kindesentführungen, die von elterlicher Seite aus vollzogen wurden. Ich würde nun nicht alleine das Internet verantwortlich machen, wenngleich es als Kontakt-Hof für Pädophile und Täter dient und ihnen damit sehr leicht gemacht wird. Altersgrenzen müssten stärker kontrolliert werden, da gebe ich dir vollkommen Recht, aber vorrangig ist die elterliche Aufklärung und ggf. auch Überwachung der Minderjährigen durch geeignete und zu installierende Schutzmaßnahmen, die durchaus möglich sind (Laptop ebenso wie mobiles Telefon). Passt es im Elternhaus nicht, sind dort Bedrohungen und Streit an der Tagesordnung, suchen Minderjährige ein Ventil und einen Weg, um das a) ertragen zu können oder b) ernst genommen zu werden und c) sich wieder ein gutes Gefühl zu vermitteln. Ein stabiles Kind jedoch ist in der Lage, mit seinen Eltern über alles zu sprechen und bei ihnen Hilfe zu suchen, wenn ihnen etwas komisch vorkommt. Da liegt oft die Crux für die Anfälligkeit der Minderjährigen, denn sie wissen manchmal gar nicht, ob sie bei ihrer Familie willkommen sind und ob man sie ernst nimmt und ihnen zuhört. Stimmt also die Basis der Familie und die Kommunikation bzw. der Austausch in den eigenen Reihen, müssen Kinder nicht weglaufen oder sich eine andere erwachsene Bezugsperson suchen, die sie wieder ins Lot bringt (ihrer Meinung nach). Ist es vielleicht auch manchmal Rebellion, frei nach dem Motto „Euch zeig ich´s aber!“? Auch hier fühlt es sich mehr nach Machtkampf an und ich wage zu bezweifeln, dass Kids sich von ihren Nächsten respektvoll behandelt fühlen.

Auf der anderen Seite sind nun diejenigen, die eine Hilflosigkeit und Verzweiflung der Minderjährigen grausam ausnutzen und sie zu sexuellen Handlungen zwingen, bestialisch quälen, misshandeln, töten… eine Motivation, die ich weder kenne noch nachvollziehen kann, denn Welpenschutz ist unantastbar. Welche psychischen Erkrankungen da nun bei den Tätern vorliegen und welchen extremen Situationen sie vielleicht ursprünglich selbst einmal ausgesetzt waren, damit sie zu Tätern wurden, wäre ein neues Thema.

Vorausgesetzt, die Eltern ticken normal, ist das Verschwinden des eigenen Kindes ein Super-Gau, ein Trauma, eine Belastung, von der sie sich nie erholen, keine Ruhe finden, sich vor Selbstvorwürfen zerfleischen und ich bin in Gedanken bei all den Menschen, denen derart Schlimmes widerfahren ist. Dennoch ist die Polizei die erste Anlaufadresse, ebenso empfehlenswert ist die „Initiative für vermisste Kinder“ in Hamburg mit deren Notfall-Nummern sowie das internationale „Global Missing Children´s Network.“ Sofern keine offizielle Todesmeldung erfolgt, besteht Hoffnung – für alle Betroffenen.

 

Mit herzlichen Grüßen,

Petra

 

© Petra M. Jansen

 http://jansen-marketing.de

Liebe Petra,

hier ein Thema, was mich besonders bewegt, nämlich das des Verschwindens von Kindern und Kids. Ich finde, dass die Aufklärung zu brüchig ist und habe das Gefühl, dass sich die Polizei – im Alarmfall – in Deutschland zu viel Zeit lässt – ganz im Gegensatz zu Frankreich, wo so schnell wie möglich gefahndet wird. Hier ein Paar Gedanken:

Die verschwundenen Kinder

Im Fernsehen habe ich eine Sendung gesehen, bei der es um das Verschwinden von Kindern ging, es wurden vier Fälle gezeigt. Oft geschahen diese Dramen vor Jahren, aber die Angehörigen konnten sich davon nie erholen und auch die Hoffnung haben sie nie aufgegeben. Für mich ist dies das Schlimmste, was geschehen kann, kaum nachvollziehbar – wie dieses Mädchen, das nach der Schule nicht mehr heim kam. Es verschwand am hellen Tag zweihundert Meter von ihrem Zuhause und das in einer lebhafte Straße. Ein Student war nach einem Treffen mit Freunden nicht mehr auffindbar, das geschah vor 21 Jahren. Seine Pflegemutter ist seitdem verzweifelt und glaubt noch an ein Wunder. Auch eine 14jährige, die sich mit älteren Männern befasste, kam nie zurück und man vermutet, dass sie auf dem Strich gelandet ist, wie diese Mutter von vier Kindern, die an einem Morgen nicht mehr auftauchte. Eine gute Mutter, die niemals – trotz Seitensprungs – ihre Kinder in Stich lassen würde. Die Polizei geht davon aus, dass sie ermordet wurde, aber sie fanden keine Leiche – und das nach 10 Jahren. Fälle, die sehr verschieden sind und doch haben sie ein Merkmal: Die Bürde der Ungewissheit. Diese Vorfälle bewegen mich sehr, deshalb befasse ich mich immer wieder damit.

Glaube an Wunder

Lebt sie noch? Ist er ermordet worden? Die Hinterbliebenen leben auf Warteschleife. Anfang 2018 wurden 11.300 Kinder in Deutschland als vermisst angemeldet. In der gleichen Zeit waren es 49.422 in Frankreich, darunter viele, die einfach ihren Eltern den Rücken kehren wollten. Die große Mehrheit unter ihnen ist wieder aufgetaucht. 1328 Fälle davon werden als sehr besorgniserregend betrachtet. Immer wieder werden Kinder entführt, die gegen Lösegeld frei gelassen werden, aber das ist eine große Minderheit. In den anderen Fällen tappt die Polizei im Dunklen, es sei denn eine Leiche wird gefunden. Auf jeden Fall geben die meisten Eltern nicht auf, aber die Zeit heilt solche Wunden nicht und damit zu leben ist unerträglich. Ständig neue Hoffnungen, die sich zerschlagen. Das kleinste Indiz als Hoffnungsschimmer. Diese Leute haben keine Sekunde Ruhe. Sie leben oft in der Illusion, dass sich ein Wunder ereignen könnte. Die gibt es auch, wenn sich nach Jahren eine Vermisste wieder meldet, wie es der Fall dieses Mädchens war, die durch eine Internet-Bekanntschaft mit 12 mit einem älteren Mann verschwand. Mit 18 meldete sie sich per Telefon aus Rom bei ihren Eltern und kam wieder zurück nach Hause – der Mann wurde verhaftet. Ein gutes Ende, aber was für eine Hölle mussten die Eltern sechs Jahre durchmachen?!

Der Mann fürs Leben im Internet

Die Eltern und die Lehrer können die Kinder nur davor warnen, Bekanntschaften, die sie im Internet knüpfen, nachzugehen, denn sehr viele Pädophile oder potentielle Zuhälter suchen auf diese Weise ihre Opfer. Klar, es ist schwer, immer alles zu kontrollieren, was sich abspielt. Hier das Beispiel von Hanna. Mit 14 lebt sie mit viel Mühe ihre Pubertät. Die Jungs in der Schule interessieren sie nicht. Sie sind ihr zu grün! Sie lebt alleine mit ihrer Mutter und sehnt sich nach einem „Ersatzvater“. Damit meint sie nicht den Partner der Mama, aber einen Freund älteren Kalibers. Im Netz gibt es eine Menge Kontaktbörsen, bei denen Männer und Frauen ihr Glück finden. Hanna fällt auf einen Mann rein, der alles hat, was sie sich erwünscht. Er ist gutaussehend, kultiviert und scheint genug Kleingeld zu besitzen, um sie zu verwöhnen. Sie nehmen Kontakt auf und treffen sich in einer Konditorei. Robert – nennen wir ihn so – erzählt ihr, dass er Jura studiert und er spricht von seinen Interessen. Vor allem die Kunst scheint ihn zu faszinieren. Einige Tage später landet sie in einer Luxuswohnung, sie glaubt an ein Wunder. Sie haben Verkehr. Er erzählt ihr, dass er sie liebe, aber langsam ändert sich sein Verhalten. Er wird härter, beleidigt sie. Um ihn nicht zu verlieren, biedert sie sich an. Eines Tages sagt er ihr, dass er Geldsorgen hätte… Spielschulden. „Was kann ich für dich tun?“ Und schon war sie die Falle getapst und musste Freier empfangen. Ein alter Trick, um junge Mädchen gefügig zu machen und sie als Huren zu missbrauchen. Der Rat der Polizei: „Kids, Hände weg von den Kontaktbörsen im Internet.“

Alarmstufe 1

In Frankreich gibt es ein System, das im Falle eines Verschwindens eines Kindes auf nationaler Ebene eingeschalten wird. Im Radio, im Fernsehen, im Netz wird dem Publikum bekannt gemacht, was geschah. Schnelligkeit ist die beste Methode, um Vermisste wiederzufinden und damit hatte die Polizei oft Erfolg. Jede Verzögerung kann lebensgefährlich sein. Ich finde es unmöglich, dass die Beamten Leute, die nach Hilfe suchen, zu oft vertrösten und von ihnen Geduld verlangen. Sie sollten wissen, dass es böse Konsequenzen haben kann. Jede Vermisstenanzeige sollte ernst genommen werden und das auch, wenn sich die meisten Anzeigen von selbst erledigen. Das Menschenleben sollte die höchste Priorität haben, auch wenn es viel Arbeit verlangt. Es wäre auch wünschenswert, dass die Polizei die Präventionsarbeit optimiert und auch die Medien, sollten vermehrt über die Gefahren hinweisen, ohne Ängste zu schüren. Was das Internet angeht, würde ich die Kontaktbörsen unter strengere Kontrolle setzen und es sollte vermieden werden, dass Minderjährige sich dort anmelden. Die Registrierung sollte keine Lappalie sein. Wer sich nicht ausweisen kann, auch seitens der Erwachsenen, hat keinen Zutritt zur Plattform. Das wäre technisch und juristisch zu bewältigen, wenn der Wille vorhanden wäre. Den vermisse ich allerdings!

Angst ist berechtigt!

Es ist unmöglich, Kinder in einem Käfig zu halten. Es geht vielmehr darum, ihnen zu erklären, dass manche Ängste berechtigt sind und dazu gehört eine gute Aufklärung. Im Rahmen des Elternhauses oder der Schule, sollten sie mit Dokumentationen konfrontiert werden, die über die Problematik des Verschwindens referieren. Man muss ihnen klar machen, dass jede Fuge sehr gefährlich werden kann. Wäre es nicht besser mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, wenn es Spannungen gibt? Am besten geschieht das im Beisein eines Mediators. Es ist aber nicht das Ziel der Aufklärung Ängste zu schüren, deshalb sollte das didaktische Material, dass verwendet wird, altersgerecht sein. Ich plädiere auch dafür, dass vor den Nachrichten-Sendungen, immer wieder Vermissten-Meldungen ausgestrahlt werden – dies, um Eltern wie Kids mehr Bewusstsein zu vermitteln. Die Zahlen bestätigen es, das Verschwinden ist kein marginales Problem und Grund genug, es endlich ernst zu nehmen. Es ist in meinen Augen genauso schlimm, wie der Terrorismus, denn schon die Zahl der Opfer übertrifft bei weitem die Opfer der Attentate. Nach einer Angabe im Internet verschwinden 250.000 Kids pro Jahr in Europa.

Es war mir ein Anliegen darüber zu sprechen.

 

Alles Liebe, Petra!

Pierre

//pm

Wie oft haben wir in den letzten Jahren – die wir in westlichen Demokratien leben – uns gefragt, ob es überhaupt Sinn macht, auf die Straße zu gehen und Missstände anzuprangern. Das Recht der Demonstration, eine legalisierte Form der Revolution. Oft fragt man sich, ob es überhaupt Sinn macht, sich den Bewegungen anzuschließen. Danach ist eh wieder Ruhe. Oder gibt es einen schmalen Grad zwischen Demonstration und Revolution? Ein Blick über den Teich:

„March For Our Lives“ überschreiben Schüler der Marjory Douglas Stonemann Highschool in Parkland in Florida die Kundgebung. Aufgerufen hatten sie dazu, nach dem ein Massaker mit 17 Toten ihre Schule erschüttert hatte. In Los Angeles, Seattle, New York, San Francisco und vielen anderen Städten Amerikas gingen insgesamt mehr als eine Million Menschen auf die Straße, viele weitere verfolgten das Geschehen an den Fernsehschirmen. Prominente machten mit oder spendeten Geld: Oprah Winfrey und das Ehepaar George und Amal Clooney gaben zusammen eine Million Dollar.

Es zeugt von einer ungewöhnlichen Zähigkeit im von rasend schnell wechselnden Nachrichtenzyklen geprägten Amerika, dass sich die Überlebenden von Parkland über einen langen Zeitraum Gehör bei einer breiten Öffentlichkeit verschaffen konnten. Einige der Schüler kommen selbst auf die Bühne, sie geben inzwischen dem Kampf gegen Waffengewalt in den USA ein Gesicht. Tränen fließen, Stimmen überschlagen sich.

Rhetorik und Emotion lassen keinen Zweifel daran: Diese jungen Leute haben einen festen Willen. Ein Umdenken beim Umgang mit Schusswaffen muss her. „Willkommen zur Revolution“, sagt der Wortführer der Schüler aus Parkland, unter dem euphorischen Jubel Hunderttausender. „Diese Demonstration ist nicht der Höhepunkt, sondern der Beginn unserer Bewegung“, sagt er entschlossen.

Täglich werden in den USA Menschen mit völlig legal beschafften Pistolen und Gewehren umgebracht, täglich kommt es auch zu dem, was die Amerikaner als „Mass Shooting“ bezeichnen, als Schusswaffeneinsatz mit mehreren Opfern. Fast jeden Tag kommt es auch zu Unfällen mit Schusswaffen, bei denen etwa Kleinkinder ihre Eltern oder sich selbst erschießen, weil eine geladene Waffe irgendwie in ihrer Griffweite lag.

Die mächtige Waffenlobby, angeführt von der Schusswaffen-Organisation NRA (National Rifle Association), und ihr Einfluss auf die Politiker machen es möglich, dass der gesunde Menschenverstand bei politischen Entscheidungen völlig ausgeblendet werden kann. Der Zugang zu Schusswaffen ist in den USA so lax geregelt wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Die Zahl der Todesopfer durch Schusswaffen ist in den USA so hoch wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Dennoch kommen immer wieder Politiker mit Argumenten durch, die Waffen würden für die Jagd gebraucht und außerdem sei das Recht auf Selbstverteidigung in der Verfassung festgeschrieben.

Parkland könnte etwas verändert haben. Man ist an einer Art Wendepunkt. Die Amerikaner nehmen mit ganzen Familie an der Protestkundgebung in der US-Hauptstadt Teil. „Niemand zuvor hat soviel Enthusiasmus zum Thema Schusswaffen und Sicherheit geschaffen – obwohl es Hunderttausende Tote gegeben hat“, so die Statements der Schüler von Parkland.

Die im November bevorstehenden Zwischenwahlen für den US-Kongress hat die Bewegung als willkommenen Hebel für die Umsetzung ihrer Ziele ins Visier genommen. „Vote them out!“, tönt es als Sprechchor aus den Reihen der Demonstranten, sobald ein Redner auf der Bühne eine Pause einlegt.

Die Märsche übertrafen die Erwartungen vieler Beobachter. Die Schätzungen für Washington reichen von knapp 400.000 bis zu über 700.000 Teilnehmern – offizielle Zahlen liegen noch nicht vor. Donald Trumps Weißes Haus gratulierte den Protestierenden, vage genug, zu ihrem „Mut“ für die Sicherheit an ihren Schulen aufzustehen. Die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, der angesichts einer Tragödie wie in Parkland vorschlägt, dass Lehrer sich bewaffnen sollen. Während der Protestbewegungen selbst weilte er, wie an vielen Wochenenden, in seinem Golfclub in Florida – dort soll seine Autokolonne einen Umweg gefahren sein, weil auch hier ein „March for our Lives“-Protest stattfand.

Revolutionen beginnen schleichend!