Liebe Petra,

hier ein Thema, was mich besonders bewegt, nämlich das des Verschwindens von Kindern und Kids. Ich finde, dass die Aufklärung zu brüchig ist und habe das Gefühl, dass sich die Polizei – im Alarmfall – in Deutschland zu viel Zeit lässt – ganz im Gegensatz zu Frankreich, wo so schnell wie möglich gefahndet wird. Hier ein Paar Gedanken:

Die verschwundenen Kinder

Im Fernsehen habe ich eine Sendung gesehen, bei der es um das Verschwinden von Kindern ging, es wurden vier Fälle gezeigt. Oft geschahen diese Dramen vor Jahren, aber die Angehörigen konnten sich davon nie erholen und auch die Hoffnung haben sie nie aufgegeben. Für mich ist dies das Schlimmste, was geschehen kann, kaum nachvollziehbar – wie dieses Mädchen, das nach der Schule nicht mehr heim kam. Es verschwand am hellen Tag zweihundert Meter von ihrem Zuhause und das in einer lebhafte Straße. Ein Student war nach einem Treffen mit Freunden nicht mehr auffindbar, das geschah vor 21 Jahren. Seine Pflegemutter ist seitdem verzweifelt und glaubt noch an ein Wunder. Auch eine 14jährige, die sich mit älteren Männern befasste, kam nie zurück und man vermutet, dass sie auf dem Strich gelandet ist, wie diese Mutter von vier Kindern, die an einem Morgen nicht mehr auftauchte. Eine gute Mutter, die niemals – trotz Seitensprungs – ihre Kinder in Stich lassen würde. Die Polizei geht davon aus, dass sie ermordet wurde, aber sie fanden keine Leiche – und das nach 10 Jahren. Fälle, die sehr verschieden sind und doch haben sie ein Merkmal: Die Bürde der Ungewissheit. Diese Vorfälle bewegen mich sehr, deshalb befasse ich mich immer wieder damit.

Glaube an Wunder

Lebt sie noch? Ist er ermordet worden? Die Hinterbliebenen leben auf Warteschleife. Anfang 2018 wurden 11.300 Kinder in Deutschland als vermisst angemeldet. In der gleichen Zeit waren es 49.422 in Frankreich, darunter viele, die einfach ihren Eltern den Rücken kehren wollten. Die große Mehrheit unter ihnen ist wieder aufgetaucht. 1328 Fälle davon werden als sehr besorgniserregend betrachtet. Immer wieder werden Kinder entführt, die gegen Lösegeld frei gelassen werden, aber das ist eine große Minderheit. In den anderen Fällen tappt die Polizei im Dunklen, es sei denn eine Leiche wird gefunden. Auf jeden Fall geben die meisten Eltern nicht auf, aber die Zeit heilt solche Wunden nicht und damit zu leben ist unerträglich. Ständig neue Hoffnungen, die sich zerschlagen. Das kleinste Indiz als Hoffnungsschimmer. Diese Leute haben keine Sekunde Ruhe. Sie leben oft in der Illusion, dass sich ein Wunder ereignen könnte. Die gibt es auch, wenn sich nach Jahren eine Vermisste wieder meldet, wie es der Fall dieses Mädchens war, die durch eine Internet-Bekanntschaft mit 12 mit einem älteren Mann verschwand. Mit 18 meldete sie sich per Telefon aus Rom bei ihren Eltern und kam wieder zurück nach Hause – der Mann wurde verhaftet. Ein gutes Ende, aber was für eine Hölle mussten die Eltern sechs Jahre durchmachen?!

Der Mann fürs Leben im Internet

Die Eltern und die Lehrer können die Kinder nur davor warnen, Bekanntschaften, die sie im Internet knüpfen, nachzugehen, denn sehr viele Pädophile oder potentielle Zuhälter suchen auf diese Weise ihre Opfer. Klar, es ist schwer, immer alles zu kontrollieren, was sich abspielt. Hier das Beispiel von Hanna. Mit 14 lebt sie mit viel Mühe ihre Pubertät. Die Jungs in der Schule interessieren sie nicht. Sie sind ihr zu grün! Sie lebt alleine mit ihrer Mutter und sehnt sich nach einem „Ersatzvater“. Damit meint sie nicht den Partner der Mama, aber einen Freund älteren Kalibers. Im Netz gibt es eine Menge Kontaktbörsen, bei denen Männer und Frauen ihr Glück finden. Hanna fällt auf einen Mann rein, der alles hat, was sie sich erwünscht. Er ist gutaussehend, kultiviert und scheint genug Kleingeld zu besitzen, um sie zu verwöhnen. Sie nehmen Kontakt auf und treffen sich in einer Konditorei. Robert – nennen wir ihn so – erzählt ihr, dass er Jura studiert und er spricht von seinen Interessen. Vor allem die Kunst scheint ihn zu faszinieren. Einige Tage später landet sie in einer Luxuswohnung, sie glaubt an ein Wunder. Sie haben Verkehr. Er erzählt ihr, dass er sie liebe, aber langsam ändert sich sein Verhalten. Er wird härter, beleidigt sie. Um ihn nicht zu verlieren, biedert sie sich an. Eines Tages sagt er ihr, dass er Geldsorgen hätte… Spielschulden. „Was kann ich für dich tun?“ Und schon war sie die Falle getapst und musste Freier empfangen. Ein alter Trick, um junge Mädchen gefügig zu machen und sie als Huren zu missbrauchen. Der Rat der Polizei: „Kids, Hände weg von den Kontaktbörsen im Internet.“

Alarmstufe 1

In Frankreich gibt es ein System, das im Falle eines Verschwindens eines Kindes auf nationaler Ebene eingeschalten wird. Im Radio, im Fernsehen, im Netz wird dem Publikum bekannt gemacht, was geschah. Schnelligkeit ist die beste Methode, um Vermisste wiederzufinden und damit hatte die Polizei oft Erfolg. Jede Verzögerung kann lebensgefährlich sein. Ich finde es unmöglich, dass die Beamten Leute, die nach Hilfe suchen, zu oft vertrösten und von ihnen Geduld verlangen. Sie sollten wissen, dass es böse Konsequenzen haben kann. Jede Vermisstenanzeige sollte ernst genommen werden und das auch, wenn sich die meisten Anzeigen von selbst erledigen. Das Menschenleben sollte die höchste Priorität haben, auch wenn es viel Arbeit verlangt. Es wäre auch wünschenswert, dass die Polizei die Präventionsarbeit optimiert und auch die Medien, sollten vermehrt über die Gefahren hinweisen, ohne Ängste zu schüren. Was das Internet angeht, würde ich die Kontaktbörsen unter strengere Kontrolle setzen und es sollte vermieden werden, dass Minderjährige sich dort anmelden. Die Registrierung sollte keine Lappalie sein. Wer sich nicht ausweisen kann, auch seitens der Erwachsenen, hat keinen Zutritt zur Plattform. Das wäre technisch und juristisch zu bewältigen, wenn der Wille vorhanden wäre. Den vermisse ich allerdings!

Angst ist berechtigt!

Es ist unmöglich, Kinder in einem Käfig zu halten. Es geht vielmehr darum, ihnen zu erklären, dass manche Ängste berechtigt sind und dazu gehört eine gute Aufklärung. Im Rahmen des Elternhauses oder der Schule, sollten sie mit Dokumentationen konfrontiert werden, die über die Problematik des Verschwindens referieren. Man muss ihnen klar machen, dass jede Fuge sehr gefährlich werden kann. Wäre es nicht besser mit den Eltern ins Gespräch zu kommen, wenn es Spannungen gibt? Am besten geschieht das im Beisein eines Mediators. Es ist aber nicht das Ziel der Aufklärung Ängste zu schüren, deshalb sollte das didaktische Material, dass verwendet wird, altersgerecht sein. Ich plädiere auch dafür, dass vor den Nachrichten-Sendungen, immer wieder Vermissten-Meldungen ausgestrahlt werden – dies, um Eltern wie Kids mehr Bewusstsein zu vermitteln. Die Zahlen bestätigen es, das Verschwinden ist kein marginales Problem und Grund genug, es endlich ernst zu nehmen. Es ist in meinen Augen genauso schlimm, wie der Terrorismus, denn schon die Zahl der Opfer übertrifft bei weitem die Opfer der Attentate. Nach einer Angabe im Internet verschwinden 250.000 Kids pro Jahr in Europa.

Es war mir ein Anliegen darüber zu sprechen.

 

Alles Liebe, Petra!

Pierre

//pm