Wie oft haben wir in den letzten Jahren – die wir in westlichen Demokratien leben – uns gefragt, ob es überhaupt Sinn macht, auf die Straße zu gehen und Missstände anzuprangern. Das Recht der Demonstration, eine legalisierte Form der Revolution. Oft fragt man sich, ob es überhaupt Sinn macht, sich den Bewegungen anzuschließen. Danach ist eh wieder Ruhe. Oder gibt es einen schmalen Grad zwischen Demonstration und Revolution? Ein Blick über den Teich:

„March For Our Lives“ überschreiben Schüler der Marjory Douglas Stonemann Highschool in Parkland in Florida die Kundgebung. Aufgerufen hatten sie dazu, nach dem ein Massaker mit 17 Toten ihre Schule erschüttert hatte. In Los Angeles, Seattle, New York, San Francisco und vielen anderen Städten Amerikas gingen insgesamt mehr als eine Million Menschen auf die Straße, viele weitere verfolgten das Geschehen an den Fernsehschirmen. Prominente machten mit oder spendeten Geld: Oprah Winfrey und das Ehepaar George und Amal Clooney gaben zusammen eine Million Dollar.

Es zeugt von einer ungewöhnlichen Zähigkeit im von rasend schnell wechselnden Nachrichtenzyklen geprägten Amerika, dass sich die Überlebenden von Parkland über einen langen Zeitraum Gehör bei einer breiten Öffentlichkeit verschaffen konnten. Einige der Schüler kommen selbst auf die Bühne, sie geben inzwischen dem Kampf gegen Waffengewalt in den USA ein Gesicht. Tränen fließen, Stimmen überschlagen sich.

Rhetorik und Emotion lassen keinen Zweifel daran: Diese jungen Leute haben einen festen Willen. Ein Umdenken beim Umgang mit Schusswaffen muss her. „Willkommen zur Revolution“, sagt der Wortführer der Schüler aus Parkland, unter dem euphorischen Jubel Hunderttausender. „Diese Demonstration ist nicht der Höhepunkt, sondern der Beginn unserer Bewegung“, sagt er entschlossen.

Täglich werden in den USA Menschen mit völlig legal beschafften Pistolen und Gewehren umgebracht, täglich kommt es auch zu dem, was die Amerikaner als „Mass Shooting“ bezeichnen, als Schusswaffeneinsatz mit mehreren Opfern. Fast jeden Tag kommt es auch zu Unfällen mit Schusswaffen, bei denen etwa Kleinkinder ihre Eltern oder sich selbst erschießen, weil eine geladene Waffe irgendwie in ihrer Griffweite lag.

Die mächtige Waffenlobby, angeführt von der Schusswaffen-Organisation NRA (National Rifle Association), und ihr Einfluss auf die Politiker machen es möglich, dass der gesunde Menschenverstand bei politischen Entscheidungen völlig ausgeblendet werden kann. Der Zugang zu Schusswaffen ist in den USA so lax geregelt wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Die Zahl der Todesopfer durch Schusswaffen ist in den USA so hoch wie in keiner anderen westlichen Demokratie. Dennoch kommen immer wieder Politiker mit Argumenten durch, die Waffen würden für die Jagd gebraucht und außerdem sei das Recht auf Selbstverteidigung in der Verfassung festgeschrieben.

Parkland könnte etwas verändert haben. Man ist an einer Art Wendepunkt. Die Amerikaner nehmen mit ganzen Familie an der Protestkundgebung in der US-Hauptstadt Teil. „Niemand zuvor hat soviel Enthusiasmus zum Thema Schusswaffen und Sicherheit geschaffen – obwohl es Hunderttausende Tote gegeben hat“, so die Statements der Schüler von Parkland.

Die im November bevorstehenden Zwischenwahlen für den US-Kongress hat die Bewegung als willkommenen Hebel für die Umsetzung ihrer Ziele ins Visier genommen. „Vote them out!“, tönt es als Sprechchor aus den Reihen der Demonstranten, sobald ein Redner auf der Bühne eine Pause einlegt.

Die Märsche übertrafen die Erwartungen vieler Beobachter. Die Schätzungen für Washington reichen von knapp 400.000 bis zu über 700.000 Teilnehmern – offizielle Zahlen liegen noch nicht vor. Donald Trumps Weißes Haus gratulierte den Protestierenden, vage genug, zu ihrem „Mut“ für die Sicherheit an ihren Schulen aufzustehen. Die Vereinigten Staaten haben einen Präsidenten, der angesichts einer Tragödie wie in Parkland vorschlägt, dass Lehrer sich bewaffnen sollen. Während der Protestbewegungen selbst weilte er, wie an vielen Wochenenden, in seinem Golfclub in Florida – dort soll seine Autokolonne einen Umweg gefahren sein, weil auch hier ein „March for our Lives“-Protest stattfand.

Revolutionen beginnen schleichend!

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