Wir hören regelmäßig:

  1. Deutschland ist einer der dichtbesiedelsten Staaten der Welt!
  2. Deutschland leidet seit über drei Jahrzehnten unter der Massenarbeitslosigkeit!
  3. Ein märchenhaftes Sozialsystem passt nicht zu einem Einwanderungsland!

Also nicht noch mehr Menschen in unser Land! „Das Boot ist voll!“, so schallte es lange Jahre aus der rechten politischen Ecke.

Es gibt aber auch Fakten, die eine andere Sprache sprechen:

Deutschland muss nach Ansicht der UNO ausländische Arbeitskräfte ins Land holen, wenn es seinen Lebensstandard halten will (Spiegel Online). Das geht aus einem Bericht des Bevölkerungsprogramms der Vereinten Nationen (UNFPA) hervor. Die Untersuchung sagt den Bundesbürgern auf Dauer starke wirtschaftliche Einbußen voraus, wenn Deutschland sein Arbeitskräfte-Potenzial nicht langfristig durch Zufluss aus anderen Ländern ausbaut. Nur mit diesem Einwandererstrom könnte Deutschland das Verhältnis zwischen Arbeitskräften und Ruheständlern wie derzeit bei vier zu eins halten. Die Bundesrepublik benötige pro Jahr eine halbe Million Zuwanderer, um die niedrige Geburtenrate auszugleichen, heißt es in dem Bericht. Nach der UNO-Prognose wird die Bevölkerung hier zu Lande in 25 Jahren um 14 Millionen Menschen abnehmen. Mit den Arbeitskräften sieht die Weltorganisation auch den deutschen Wohlstand schwinden. Um das wachsende Heer der Rentner angemessen finanziell zu unterhalten, wären nach UNO-Einschätzung sogar 3,4 Millionen Immigranten pro Jahr notwendig.

Fakt ist: Wir können nicht die Armut der Welt aufnehmen, auch nicht Europa als Ganzes. Eine Bevölkerungszahl von beispielsweise über 2 Milliarden Menschen würde unsere Sozialsysteme zum Kollabieren bringen.

Nichtsdestotrotz: Wenn wir das Phänomen Zuwanderung beleuchten, kommen wir zwangsläufig zu dem Schluss, dass es sich um wirtschaftliche bzw. Armutsmigration handelt. Dies kann man versuchen wegzudiskutieren, wie man will, das ist so! Juristisch sind Wirtschaftsflüchtlinge nicht erwünscht – dies aus gutem Grund. Die Türkei beherbergt 2,5 Millionen Flüchtlinge. Anders ausgedrückt: Sie hindert sie am Weiterziehen gen Norden. Und das lässt sich die Europäische Union etwas kosten. Cash gegen Problemlösung! Harte Worte, aber leider Realität. Wenn man Allgemeinplätze wie „Wir haben nach 1945 aufgebaut und Wohlstand geschaffen. Hätten die das auch, dann …“ hört, kann einem schon übel werden. Unser Wohlstand in Europa und USA, allgemein im Norden gegenüber dem Süden, weniger, aber auch im Westen gegenüber dem Osten, beruht auf Ausbeutung von Ländern und deren Bevölkerung. Wir reden hier nicht über 70 oder 80 Jahre, wir reden über rund 500 Jahre, beginnend mit Kolumbus. Wir haben zu unserem Vorteil, d.h. unserem europäischen Vorteil, später auch Nordamerikas, andere Länder unterworfen, deren Bevölkerung versklavt und ausgebeutet. Der Abfall, kaputte und ausgelaugte Landschaften blieben zurück. Damit wir es in Europa schön hatten. Andere Kulturen haben wir zerstört, ihnen unser europäisches System aufgezwungen. Grob gesagt sind die Vereinigten Staaten kulturell europäisch. Hier beginnt alles. Aber Afrika und Asien sind nicht Europa, ihnen war – ohne unseren Eingriff – ein anderer Weg der Entwicklung vorbestimmt. Selbst nach den dortigen Unabhängigkeitskriegen hat sich an deren wirtschaftlicher Abhängigkeit nichts geändert. Die Gebiete haben sich bis heute wirtschaftlich nicht mehr gefangen.

Die Gegenbewegung steht jetzt am Anfang. Die Menschen aus den wirtschaftlich benachteiligten Gebieten – die Ursachen haben wir gesetzt – strömen in die Wohlstandszonen dieser Erde. Die heißen Nordamerika, Australien und Europa.

Wir müssen auch rechtlich umdenken: unser Asylrecht, fußend auf politischer Verfolgung, und die Genfer Flüchtlingskonvention unter anderen reichen nicht aus bzw. müssen überarbeitet werden. Der Grund ist in vielerlei Hinsicht wirtschaftlicher Natur, und diese Völkerwanderung läuft an. Wir brauchen ein Regelwerk, das die Einwanderung in die richtigen Bahnen leitet. Ob wir es Einwanderungsgesetz nennen, ist gleichgültig.

Nicht zuletzt sollten wir aufhören, in Stellvertreterkriege in den Herkunftsländern der Menschen zu investieren; stattdessen sollten wir Geld in die Hand nehmen für den dortigen Wiederaufbau, bzw. die regiongerechte Umstrukturierung.

Geben wir den Menschen dort einfach wieder etwas zurück!

Vor einem Vierteljahrhundert begann die Zuwanderung russischsprachiger Juden nach Deutschland.

„Vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns Flüchtlinge nennt. Wir selbst bezeichnen uns als Neuankömmlinge oder als Einwanderer“. Mit diesen Worten beginnt Hannah Arendt 1943 ihren Essay „Wir Flüchtlinge“. Sie analysiert darin die rechtliche Position geflüchteter Menschen, die Situation von Menschen also, die auf nichts als ihr bloßes Leben zurückgeworfen sind, die sich, aller grundlegenden Rechte entkleidet, auf ihr nacktes Menschsein berufen müssen und so von der Willkür und Wohltätigkeit anderer abhängen.

Arendt spricht über die Juden, die sich vor dem Naziregime in die USA retten konnten. Ihre Worte berühren aber einen allgemeinen Aspekt der Situation von Flüchtlingen und vielen Migranten – die Reduktion eines komplexen Lebens mit all seinen Erfahrungen und Hoffnungen auf einen (migrations-)politischen Status. Solange mit Bürger- und Menschenrechten zwei Kategorien von Rechten unterschieden werden, so Arendt, würden Flüchtlinge, egal wie sehr sie sich um Assimilation bemühen, immer Gefahr laufen, erneut für vogelfrei erklärt zu werden.

Arendt erfasst auch die mit dem Flüchtlingsstatus verbundene soziale Abwertung. Sie beschreibt die schmerzhafte Entwertung des bisherigen Lebens in einer Situation, in der man doch alle Ressourcen braucht, um ein neues Leben aufzubauen, weil man das alte hinter sich lassen musste. Mit der Bezeichnung Flüchtling gehen Stigmatisierung, Rechtlosigkeit und der Status der Bedürftigkeit einher. Der hilfesuchende Flüchtling wird schnell, so Arendt, zum ungeliebten Schnorrer. Er bleibt stets der Parvenü.

In Deutschland der Beginn einer anderen Geschichte: der Migration russischsprachiger Juden und ihrer zum Teil nichtjüdischen Partner. Vor über 25 Jahren, im Schatten der deutschen Wiedervereinigung und des Zusammenbruchs der Sowjetunion, wurde mit der Kontingentflüchtlingsregelung eine gesetzliche Regulierung der für alle Beteiligten unerwarteten Migration sowjetischer Juden ausgerechnet nach Deutschland gefunden.

Heute blicken wir auf ein Vierteljahrhundert russischsprachiger jüdischer Migration zurück und sehen neue und wiederbelebte Formen jüdischen Lebens in einer Bundesrepublik, die sich nur widerwillig an ihr neues Selbstverständnis als Einwanderungsgesellschaft gewöhnt. Das scheint der Moment, um an Arendts Überlegungen anzuknüpfen und über die Bezeichnungen nachzudenken, die wir für Flüchtlinge und Migranten finden.

Im Gegensatz zu der von Hannah Arendt erfahrenen Flucht handelt es sich bei den rund 220.000 sogenannten Kontingentflüchtlingen weniger um Flüchtlinge als um Menschen, die aus politischen, aber vor allem wirtschaftlichen Gründen auswanderten. 1990 war allen Beteiligten klar, so Wolfgang Schäuble, damaliger Innenminister, in einem Interview, dass es sich bei ihnen nicht um Asylbewerber im eigentlichen Sinn handelte, sondern „einfach um Menschen, die nach Deutschland kommen wollten, weil sie nicht mehr in der Sowjetunion leben wollten“.

Während die Arbeitsmigranten, die seit den 1960er-Jahren mit ihren Händen und Köpfen das westdeutsche Wirtschaftswunder mitgestalteten, als „Gastarbeiter“, also tatsächlich als Gäste bezeichnet wurden, waren die russischen Juden ein Geschenk an Deutschland. Nun ist die Position eines Geschenkes wahrlich angenehmer als die eines Gastes. Ein Geschenk will und muss man behalten.

Die russischen Juden erfuhren in den 1990er-Jahren wesentlich bessere Aufnahmebedingungen als einige Jahrzehnte vor ihnen die türkischen und südeuropäischen Arbeitsmigranten oder heute geflüchtete Menschen aus Bürgerkriegen wie in Syrien. Sie erhielten zügig einen gesicherten Aufenthaltsstatus, Sprachkurse und eine Arbeitserlaubnis.
So markiert die Migration russischsprachiger Juden eine historische Zäsur. Deutschland wurde wieder Einwanderungsland für Juden, und in den letzten 25 Jahren etablierten sich unerwartete, schöne und oft konfliktreiche Formen jüdischen Lebens inner- und außerhalb der Gemeinden. Die russisch-jüdische Migration trug zu einer Pluralisierung jüdischer Selbstverständnisse in Deutschland und Europa bei, deren langfristige Entwicklungen wir noch nicht abschätzen können.

Die Menschen, die als Kontingentflüchtlinge kamen, fügten sich auch sozial und ökonomisch nicht in die für Flüchtlinge und Einwanderer vorgesehenen Rollen. Sie waren nicht dankbar genug, suchten, gut ausgebildet und selbstbewusst, nach sozialer Anerkennung. Die jüngeren Migranten, vor allem die zweite Generation, sind inzwischen beruflich äußerst erfolgreich, ein Großteil studierte, hat mittlerweile gut bezahlte Jobs.

Der 20. Juni 2016, der diesjährige Weltflüchtlingstag, kam mit einem neuen Rekord: Ende 2015 waren 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht – so viele wie noch nie!

Aber auch trotz stark gestiegener Flüchtlingszahlen in Deutschland und Europa bleibt die so genannte globale Flüchtlingskrise vor allem eine Krise der armen Länder dieser Welt. Die allermeisten der weltweit Fliehenden kommen nicht nur aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Ein Großteil von ihnen verlässt auch das eigene Herkunftsland oder die Herkunftsregion nicht. Von Pakistan und dem Iran über Jordanien, den Libanon und Äthiopien bis Nigeria oder Kolumbien – die Liste der Länder, die die meisten Flüchtlinge und Binnenvertriebenen beherbergen, liest sich wie ein Querschnitt durch den globalen Süden.

Welches sind die Ursachen – und was kann Entwicklungspolitik zu ihrer Bekämpfung tun?

Der Hauptgrund für Flucht und Vertreibung sind bewaffnete Konflikte. Daneben sind Terror, Repression, Hunger oder Naturkatastrophen weitere Ursachen. Größere Fluchtbewegungen entstehen zumeist erst durch gleichzeitige das Auftreten mehrerer dieser Faktoren.

Die Anzahl der Menschen, die pro Jahr in kriegerischen Auseinandersetzungen rund um den Globus getötet werden, hat sich seit 2010 auf etwa 200.000 Tote vervierfacht. Die Flüchtlingskrise ist daher in erster Linie eine Krise der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik. Zwei Ursachenbündel kommen zusammen: innergesellschaftliche Auseinandersetzungen um Macht, Anerkennung und Chancen einerseits; und eine Außenwelt, die teils aus Desinteresse, teils aus Eigennutz nicht alles unternimmt, um Aggressoren den Zugang zu Waffen und Finanzen zu verwehren, sondern oft das Gegenteil bewirkt. Konflikte und Kriege wie in Syrien, Afghanistan oder im Sudan allein mit dem westlichen Lebensstil und seinen Auswirkungen auf Entwicklungsländer, der Nahostpolitik der USA oder internationalen Waffenexporten erklären zu wollen, griffe zu kurz. Dennoch kann Entwicklungspolitik eine wichtige Rolle als Stimme im Interesse der betroffenen Zivilbevölkerungen spielen und – im Sinne eines aufgeklärten Eigeninteresses – dafür werben, die Vermeidung von gewaltsamen Konflikten zur Richtschnur allen politischen Handelns zu machen.

Darüber hinaus zielt Entwicklungspolitik meist direkt auf die Verminderung innergesellschaftlicher Konflikte ab. Kriege und Bürgerkriege resultieren oftmals aus einer Verzahnung unterschiedlichster Faktoren, die ökonomischer, sozialer, historischer, ethnischer oder weiterer Natur sein können. Entwicklungspolitik hat zum Ziel, zur Transformation solcher strukturellen Konfliktlagen beizutragen.

Es wäre falsch, davon auszugehen, dass Entwicklungspolitik schnell und einfach etwas gegen die Ursachen von Flucht und Vertreibung bewirken kann. Entwicklungspolitik wirkt erst langfristig. Kurzfristig geht es erst einmal um Schadensbegrenzung und Stabilisierung der Lage. Es muss gewährleistet werden, Flüchtlingen in den Hauptaufnahmeländern eine bessere Zukunftsperspektive zu geben. Dabei gilt es, Verwaltungen vor Ort einzubinden, aufnehmende Kommunen und Länder zu unterstützen – nicht zuletzt auch um Konflikte zwischen Flüchtlingen und Alteingesessenen zu verhindern – und Menschen in Lagern nicht nur zu „verwalten“, sondern sie aktiv zu integrieren. Dabei steht nicht der Gedanke im Vordergrund, dass Menschen ohne Aussicht auf ein festes Gehalt, bessere medizinische Versorgung oder eine bessere schulische Bildung für ihre Kinder nach Europa weiterfliehen. Die meisten Flüchtlinge verfügen dafür nicht über die notwendigen finanziellen Mittel.

Langfristig muss die internationale Entwicklungszusammenarbeit vor allem zukünftigen Konflikt- bzw. Fluchtursachen entgegenwirken. Krisenprävention und Friedensförderung müssen als entwicklungspolitische Schwerpunktthemen gestärkt werden. Auch die Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss eine größere Rolle spielen.

Im weltweiten Maßstab scheint die Demokratie als Herrschaftsform seit Jahren auf dem Rückzug zu sein, während Bürgerkriege und Gewalt zunehmen. Ergo: Mangelt es an demokratischer Teilhabe, können Staaten schnell instabil werden und Konflikte eskalieren. Allzu lange haben westliche Geberländer autoritäre Regime im Nahen Osten und Afrika unterstützt, um sich so kurzfristige politische Stabilität zu erkaufen. Zukünftig muss es darum gehen, die Wohlfahrt und Teilhabe der Bürger in diesen Ländern zu verbessern.

Nach der Jahrtausendwende wurde Deutschland weltoffen und entspannt und damit endlich ein normales Land Europas. Die Masseneinwanderung droht dieses Erfolgsmodell nun infrage zu stellen.

Die großen Anstrengungen nach 1990 liegen hinter uns, vieles ist gelungen, manches auch nicht. Die gute Konjunktur und die anhaltende Produktivität lassen vieles vergessen. Das Land ist ein Land der Älteren, Gesetzteren, und das bekommt ihm gut. Keine Militanz, weder außen- noch innenpolitisch, vom rechten und linken Rand abgesehen. Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn ist Deutschland fremdenfreundlich und weltoffen, rechte Parteien und Bewegungen sind marginalisiert, und für die Utopie eines geeinten Europa haben wir – wenn auch mit verhaltenem Grummeln – dazumal sogar auf die D-Mark verzichtet. Wir sind hilfsbereit, das Elend anderer rührt uns, Gerechtigkeit geht uns über alles, und Solidarität lassen wir uns was kosten. Deutschland ist im Ausland beliebter geworden, was wir Deutschen selbst kaum glauben wollen.

Doch jetzt sieht es so aus, als ob das Land seine besten Jahre hinter sich hätte. Führende Politiker und Meinungsmacher jedenfalls möchten, dass Deutschland sich verändert, ja sie sehnen dies sogar herbei: Bunter soll es werden, jünger, vielfältiger, weltoffener. Ganz anders eben.

«Deutschland wird sich durch die Flüchtlingskrise verändern», so Angela Merkel in Sommer 2015, sekundiert von Innenminister Thomas de Maizière. Verändern soll es sich, natürlich, zum Positiven.

Die, die sich darüber freuen, werden weniger. Warum? Weil sie keine Veränderung wünschen? Oder weil sie nicht glauben können, dass das so ziemlich beste Deutschland, das es je gab, dank überwiegend muslimischen Migranten noch strahlender und schöner wird?

Mit Veränderung kennen wir uns aus. Kaum ein Land hat so viel Übung damit – auch Abschied von Deutschland hat seine Bevölkerung mehr als einmal genommen. Vielleicht haben wir sogar eine Art Abschieds-Tick? Mit jeder Veränderung ist irgendwo auch eine Änderung der Kultur verbunden.

Wir haben das Kaiserreich von 1871 hinter uns, die Monarchie, das kurze Aufblühen der Demokratie in der Weimarer Republik, in einem Land, das noch nicht reif dafür war. Danach kam die Nazi-Zeit, gefolgt von der Zeit der Teilung in Bundesrepublik-West und DDR.

1989 brachte den Abschied von Bundesrepublik und DDR. Auf beiden Seiten gab es welche, die damit nicht einverstanden waren, es war doch nicht alles schlecht gewesen vorher, oder? Die europäischen Nachbarn fürchteten sich mal mehr, mal weniger vor der neuen deutschen Großmacht und bemühten sich, sie einzuhegen – mit dem Ersatz der D-Mark durch den Euro, womit man Deutschland, so hieß es damals im Elyséepalast, seine „Atombombe“ genommen habe.

Vielleicht kriegen wir ja auch noch die Sache mit der Selbstabschaffung hin. Wenn man dem britischen Historiker Brendan Simms folgt, tun wir dem Rest der Welt damit einen Gefallen: Noch immer und schon wieder gehe es in Europa um die „deutsche Frage“. Also weg damit, auf welche Weise auch immer? Nun, Simms bevorzugt die Lösung fortschreitender europäischer Vereinigung. Doch die wird wohl daran scheitern, dass keiner der Nachbarn Deutschlands seine nationalstaatliche Souveränität aufgeben will. Dann bliebe, sofern seine These stimmt, wirklich nur eines: weg mit Deutschland.

Sind wir damit nicht bereits auf bestem Weg?

Ein weitgehend entspanntes Land, in dem mehrheitlich Menschen wohnen, die schon aus Altersgründen friedlich sind, hat neuerdings mit einem Problem zu tun, das Gesellschaften seit Menschengedenken zerreißt. Die Mehrheit der Zugewnserten besteht aus jungen Männern ohne Familie und ohne Arbeit und deren Religion oder Nationalgefühl nicht zu einem säkularen und wenig national gestimmten Deutschland passt. Mit ihrer Frustration ist zu rechnen, wenn die Versprechen, die sie aus der deutschen Willkommensseligkeit herausgelesen haben, nicht eingelöst werden. Die wenigsten bringen zudem die Voraussetzungen mit, die ihre baldige Integration in den Arbeitsmarkt wahrscheinlich machen – einmal abgesehen davon, dass noch lange unklar sein wird, wer bleiben darf und wer gehen muss, was alle Integrationsbemühungen voreilig oder sinnlos macht. Jung sein allein ist keine hinreichende Qualifikation.

Die Push-Faktoren, also das, was Menschen aus ihrer Heimat vertreibt, bleiben bestehen, und der größte Pull-Faktor, das vergleichsweise bestens ausgestattete soziale Netz Deutschlands, wird dem Ansturm nicht standhalten, sollte es so weitergehen. Radikalliberalen Reformern dürfte diese Veränderung noch am ehesten gefallen: der Abschied vom Sozialstaat.

Brauchen wir Veränderungen, die an die Substanz gehen?

Es gibt sie, die Deutschen mit dem notorischen Selbsthass, die das begrüßen würden. Soll sich Deutschland doch abschaffen – dann gibt es ein Problem weniger.

Sei es, wie es sei! Es ist ein Missverständnis, unser Land auf das dreckige Dutzend Jahre von 1933 bis 1945 zu reduzieren. Wir können mehr, unser „Ländle“ ist zäh.

Auch bunt und weltoffen? Mal sehen, wohin die Reise geht …

Sind es religiöse Konflikte? Oder ist es schlicht der Lagerkoller?

Eine kirchliche Gemeinde in Hamburg. Ein 24-jähriger Iraner hat eine neue geistliche Heimat gefunden. Vor zwei Monaten hat sich der ehemalige Muslim taufen lassen. Als im Flüchtlingsheim bekannt wurde, dass er und weitere Iraner zum Christentum konvertierten, bekamen sie Ärger mit anderen muslimischen Flüchtlingen:

Wochenlanges Mobbing, dann kam es zum gewaltsamen Übergriff.

Ein Konvertit berichtet : „Morgens um vier standen sie neben unseren Betten und fingen an, laut den Koran zu rezitieren. Ich war eigentlich wegen des Islam aus dem Iran geflohen und jetzt wurde ich wieder damit konfrontiert. Als sie gesehen haben, dass wir ein Kreuz trugen, haben sie auf den Boden gespuckt und uns als Verräter bezeichnet. Wir standen in der Schlange an, um zu essen und sind dann nach draußen gedrängt worden. Dort haben afghanische Muslime einen von uns attackiert, der Herzprobleme hatte. Dann wollten wir ihn – wir waren zu viert – schützen, aber es kamen noch 20, 30 andere Muslime, die uns geschlagen haben.“

Taufen haben Konjunktur. Die meisten Konvertiten sind vom Islam enttäuscht, und als gottgläubiges Volk sind sie offen für andere Religionen. Einige haben erfahren, dass es ihre Chance, ein Aufenthaltsrecht zu bekommen, erleichtert, wenn sie zum Christentum konvertieren.

Konversionen, die im Islam eigentlich verboten sind, führen zu Unruhen bis hin zu gewalttätigen Übergriffen in Flüchtlingsheimen.

Allein die Tatsache, dass Christen und auch Aleviten beispielsweise in Einrichtungen sich nicht mehr sicher fühlen, ist für unser Land kein akzeptabler Zustand“, erklärte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder in dieser Woche auf einer Fachtagung seiner Fraktion.

Es solle nicht Stimmung gemacht werden, aber es gehe auch nicht, dass Dinge nicht offen angesprochen würden, die einfach einmal da seien.

Verlässliche Zahlen fehlen im Hinblick darauf, wie viele Übergriffe es gegeben hat, wie gewalttätig diese waren und vor allem: welche Rolle die Religion bei diesen Übergriffen spielt.

Es gab schon Fälle, wo Flüchtlinge auf die Träger der Einrichtungen zukamen und meinten, sie würden diskriminiert aufgrund der Tatsache, dass sie Christen seien. Näher betrachtet, waren die Vorwürfe haltlos, weil die Menschen so traumatisiert waren, überängstlich aufgrund ihrer Geschichte.

Der Berliner Erzbischof Heiner Koch warnt davor, die Übergriffe zu dramatisieren. Man habe bislang in den Unterkünften nicht erlebt, dass die Verfolgung von Christen ein Massenphänomen sei. Es zeige sich, dass die Konflikte zwischen Bewohnern schnell entstünden wegen gruppendynamischer Prozesse, die eine eigene Dynamik entwickelten.

Es gibt immer wieder Konflikte, Anfeindungen, Beleidigungen und vereinzelt auch Tätlichkeiten. Diese sind jedoch – so wird mehrfach betont – Folge der Wohnsituation in den Unterkünften und nicht religiös motiviert.

Religion ist nicht der Grund bei den Konflikten. In der Regel geht es um soziale Probleme. Es ist zu einfach, die Problematik pauschal auf die religiös-ethnische Schiene schieben zu wollen.

Ein evangelischer Pfarrer, der viele konvertierte Flüchtlinge betreut, sieht das anders. Er fordert einen verbesserten Schutz für christliche Flüchtlinge und befürwortet eine nach Religionen getrennte Unterbringung von Flüchtlingen. Der Berliner Erzbischof Koch lehnt dies ab:

Man lebe in einem christlich geprägten Land mit Religionsfreiheit, was alle zu respektieren hätten. Es könne kein Weg sein, vor intolerantem Verhalten gegenüber Christen zu kapitulieren, indem man separate Unterkünfte für jene einrichte.

Unbehagen an der Debatte über die Übergriffe auf christliche Flüchtlinge besteht vor allem unter Muslimen. Einzelfälle könnten politisch instrumentalisiert werden – Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten! Nicht die Religionen seien der Urheber des Problems, sondern soziale Spannungen, die zum Teil durch Lagerkoller oder ähnliches entstünden.

Vermeiden wir, Religionen für politische Botschaften zu instrumentalisieren – egal, in welche Richtung!

„Deal or no deal?“. Das ist die Frage, mit der wir uns im Zusammenhang mit den Verhandlungen mit der Türkei beschäftigen müssen. Eine Hand wäscht die andere: Die Kanzlerin wirbt für einen Deal mit der Türkei. Einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik lehnt sie ab. Aber sie weiß: Europa ist an einem entscheidenden Punkt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Türkei weitere Milliardenhilfen in der Flüchtlingskrise in Aussicht gestellt. Ein EU-Beitritt des Landes stehe aber „nicht auf der Tagesordnung“.

Die Flüchtlingswelle bei uns ist tatsächlich abgeebbt. Hat unsere Regierung die Sache doch in den Griff bekommen? Ja, es sind weniger geworden! Aber woran liegt das? Laut verlässlichen Berichten machen sich aus Ländern wie unter anderem Syrien, Afghanistan und Irak nahezu ungebremst Wellen von Migranten auf den Weg nach Europa. Laut Bundesregierung und BAMF im Februar diesen Jahres rechnet man 2016 mit weiteren 500.000 Migranten, welche nach Deutschland wollen.

Alles wieder gut? Ein Blick hinter die Kulissen: Die Balkanroute ist dicht. Zäune und Stacheldraht halten die Migranten dort von der Weiterreise ab. In Griechenland „stapeln“ sich die Flüchtlinge buchstäblich unter miserabelsten und menschenunwürdigen Bedingungen. Die Grenzstadt Idomeni ist total überfordert. In der Türkei hielten sich bisher (Anfang März 2016) 2,7 Millionen Flüchtlinge – vornehmlich aus Syrien – auf. Zum Vergleich: in der Europäische Union nur 2 Millionen. Erdogan plant eine Flüchtlingsstadt an der syrischen Grenze. Auf syrischem Gebiet dürfte dies völkerrechtswidrig sein. Zumal dies keine menschenfreundliche Geste des türkischen Präsidenten darstellt. Damit will er zum einen erreichen, dass weniger Menschen aus Syrien in die Türkei fliehen. Zum anderen will Erdogan entlang der Grenze zu Syrien einen mehrere Kilometer breiten Pufferstreifen schaffen. Damit könnte Ankara den Vormarsch syrischer Kurden kontrollieren. Das dürfte der eigentliche Hintergrund von Erdogans „Großzügigkeit“ sein, denn die Kurden sind ihm wegen ihrer Autonomiebestrebungen schon lange ein Dorn im Auge.

Die Masse der Flüchtlinge wäre somit schon heute bei uns angekommen, hätten nicht die Türkei und die Balkanländer derart drastische Maßnahmen ergriffen. Das Problem ist lediglich regional bzw. national verschoben, nicht gelöst. Die Fluchtursachen bestehen nach wie vor – vor allem in Syrien!

Als Gegenleistung für seine Politik verlangt Ankara insgesamt sechs Milliarden Euro von der EU, Visafreiheit für türkische Bürger schon ab Juni diesen Jahres, sowie beschleunigte Beitrittsverhandlungen mit Brüssel. Viele sprechen von „Erpressung“. Erdogan will die Situation (aus)nutzen, um sein Land in die EU hinein zu manövrieren. Derzeit stiefmütterlich behandelt werden die Themen „Wahrung der Pressefreiheit“ und „Umgang mit den Kurden“ in der Türkei. Die Zustände in Idomeni/Nord-Griechenland sind hinreichend bekannt. Wie es den 2,7 Millionen Flüchtlingen in der Türkei geht, darüber wird wenig berichtet. Wenn insgesamt sechs Milliarden Euro fließen sollten und die türkischen Forderungen erfüllt werden, wer garantiert den Flüchtlingen in der Türkei, dass ihnen dauerhaft ein menschenwürdige Existenz gewährt wird?! Die Pläne einer Stadt auf fremdem Gebiet sprechen Bände …

Eine europäische Lösung der Krise ist derzeit nicht in Sicht, um nicht zu sagen: eine solche ist gescheitert! Griechenland wird der Lage um Idomenie kaum noch Herr. Wer garantiert, dass die geplanten Massenabschiebungen von Griechenland in die Türkei rechtmäßig, sprich im Einklang mit europäischem und internationalem Recht sind?!

Es ist im Moment viel dem kritischen Auge der Öffentlichkeit entrückt, vielleicht auch verschwiegen worden. Die Angelegenheit ist für uns alle – für die Flüchtlinge wie auch für Europa – lästig. Aber wir müssen mit ihr umgehen und eine Lösung finden.

Die Lösung muss sich bewegen auf dem Boden des Rechts, nicht hinter Stacheldraht. Wir haben uns in Europa für die Demokratie entschieden. Demgemäß gilt es Regelungen zu finden, die auf rechtlichen Grundlagen fußen.

Panikentscheidungen fallen irgendwann auf uns zurück!

Alle Welt redet von den vielen ankommenden Flüchtlingen. Aber immer mehr wollen auch wieder zurück. Am Berliner Flughafen etwa starten jede Woche Dutzende in den Irak. Sie haben genug von Deutschland.

Vor sechs Monaten verließen sie ihr Land zu Fuß und per Schlauchboot in Richtung Deutschland. Heute fliegen sie zurück.

Auf die Frage eines Polizisten, ob man nach Deutschland zurückkommen wolle, ist die Antwort ein klares „Nein!“.

Ganze Gruppen stehen vor den Schaltern, wo der Check-In für Maschinen nach Erbil und dann weiter nach Bagdad stattfindet.

Fast ausschließlich Männer warten hier, darunter Dutzende irakischer Flüchtlinge. Mitarbeiter der Iraqi Airways schlängeln sich zwischen den Menschen durch.

Die Männer kaufen sich auf den letzten Drücker für 295 Euro ihre Tickets für die Rückkehr in die Heimat; zahlen mit 500-Euro-Scheinen.

Ein weiterer Flüchtling hat sein Ticket im Voraus besorgt. Dabei dürfte er mit seiner Aufenthaltsgenehmigung mindestens noch ein halbes Jahr in Deutschland bleiben.

Aber er hat genug: Die Behandlung am LaGeSo sei sehr schlecht, erzählt er auf Arabisch von den Zuständen am berüchtigten Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin, ein Freund übersetzt. Außerdem habe er gehofft, dass er seine Frau und seinen kranken Vater nachholen kann, das sei aber nicht möglich.

Er sei gekommen, um zu bleiben, berichtet ein Kurde aus Kirkuk. Aber Deutschland tue nichts für ihn. Es gebe sehr viele Iraker, die wie er Deutschland den Rücken kehrten.

Freiwillige Ausreisen in Krisenländer sind keine Einzelfälle“, sagt Johann Ehrnsperger vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg. Auch nach Pakistan und Afghanistan gingen Menschen zurück.

Meistens ist die Familie die treibende Kraft. Außerdem kämen viele mit überhöhten Erwartungen nach Deutschland.

Statistisch erfasst werden nur Flüchtlinge, die ein spezielles Rückkehr-Förderprogramm von Bund und Ländern in Anspruch nehmen. Daher gibt es keine verlässlichen Zahlen über die tatsächlichen Rückkehrer.

Ein Recht darauf hat nur, wer sich die Reise sonst gar nicht leisten kann.

Im vergangenen Jahr nutzten nach Angaben des Bundesamtes mehr als 37.220 Menschen das Angebot; die meisten stammen aus den Balkanstaaten. Syrer können sich derzeit nicht bei der Rückkehr in ihr Heimatland unterstützen lassen. Die Sicherheitslage dort lässt dies nicht zu.

In den letzten zwei Monaten 2015 machten rund 377 Iraker von der Förderung Gebrauch.

Viele buchen ihre Reise aber auf eigene Faust. Ein Inhaber eines Reisebüros in der Nähe des LaGeSo in Berlin hat nach eigenen Angaben allein mehr als 400 irakischen Flüchtlingen den Weg zurück ermöglicht.

Seit vier Monaten bietet er Tickets für Flüge nach Erbil und die irakische Hauptstadt an. Zu ihm kämen täglich 10 bis 15 Flüchtlinge.

Die Flüchtlinge hätten sich das ganze komplett anders vorgestellt, berichtet er.

Im Herbst letzten Jahres verzeichneten die irakischen Vertretungen in Deutschland sprunghaften Besucherandrang. Immer mehr Iraker lassen sich Reisepapiere für die Rückkehr ausstellen.

Hatten sie von Januar bis Oktober insgesamt nur rund 150 solcher Dokumente ausgehändigt, waren es allein im vierten Quartal 1.250. Das Auswärtige Amt bestätigt entsprechende Medienberichte.

Viele aber sind noch hin- und hergerissen. Schließlich sei das Leben im Irak alles andere als sicher.