Nach der Jahrtausendwende wurde Deutschland weltoffen und entspannt und damit endlich ein normales Land Europas. Die Masseneinwanderung droht dieses Erfolgsmodell nun infrage zu stellen.

Die großen Anstrengungen nach 1990 liegen hinter uns, vieles ist gelungen, manches auch nicht. Die gute Konjunktur und die anhaltende Produktivität lassen vieles vergessen. Das Land ist ein Land der Älteren, Gesetzteren, und das bekommt ihm gut. Keine Militanz, weder außen- noch innenpolitisch, vom rechten und linken Rand abgesehen. Im Vergleich mit den europäischen Nachbarn ist Deutschland fremdenfreundlich und weltoffen, rechte Parteien und Bewegungen sind marginalisiert, und für die Utopie eines geeinten Europa haben wir – wenn auch mit verhaltenem Grummeln – dazumal sogar auf die D-Mark verzichtet. Wir sind hilfsbereit, das Elend anderer rührt uns, Gerechtigkeit geht uns über alles, und Solidarität lassen wir uns was kosten. Deutschland ist im Ausland beliebter geworden, was wir Deutschen selbst kaum glauben wollen.

Doch jetzt sieht es so aus, als ob das Land seine besten Jahre hinter sich hätte. Führende Politiker und Meinungsmacher jedenfalls möchten, dass Deutschland sich verändert, ja sie sehnen dies sogar herbei: Bunter soll es werden, jünger, vielfältiger, weltoffener. Ganz anders eben.

«Deutschland wird sich durch die Flüchtlingskrise verändern», so Angela Merkel in Sommer 2015, sekundiert von Innenminister Thomas de Maizière. Verändern soll es sich, natürlich, zum Positiven.

Die, die sich darüber freuen, werden weniger. Warum? Weil sie keine Veränderung wünschen? Oder weil sie nicht glauben können, dass das so ziemlich beste Deutschland, das es je gab, dank überwiegend muslimischen Migranten noch strahlender und schöner wird?

Mit Veränderung kennen wir uns aus. Kaum ein Land hat so viel Übung damit – auch Abschied von Deutschland hat seine Bevölkerung mehr als einmal genommen. Vielleicht haben wir sogar eine Art Abschieds-Tick? Mit jeder Veränderung ist irgendwo auch eine Änderung der Kultur verbunden.

Wir haben das Kaiserreich von 1871 hinter uns, die Monarchie, das kurze Aufblühen der Demokratie in der Weimarer Republik, in einem Land, das noch nicht reif dafür war. Danach kam die Nazi-Zeit, gefolgt von der Zeit der Teilung in Bundesrepublik-West und DDR.

1989 brachte den Abschied von Bundesrepublik und DDR. Auf beiden Seiten gab es welche, die damit nicht einverstanden waren, es war doch nicht alles schlecht gewesen vorher, oder? Die europäischen Nachbarn fürchteten sich mal mehr, mal weniger vor der neuen deutschen Großmacht und bemühten sich, sie einzuhegen – mit dem Ersatz der D-Mark durch den Euro, womit man Deutschland, so hieß es damals im Elyséepalast, seine „Atombombe“ genommen habe.

Vielleicht kriegen wir ja auch noch die Sache mit der Selbstabschaffung hin. Wenn man dem britischen Historiker Brendan Simms folgt, tun wir dem Rest der Welt damit einen Gefallen: Noch immer und schon wieder gehe es in Europa um die „deutsche Frage“. Also weg damit, auf welche Weise auch immer? Nun, Simms bevorzugt die Lösung fortschreitender europäischer Vereinigung. Doch die wird wohl daran scheitern, dass keiner der Nachbarn Deutschlands seine nationalstaatliche Souveränität aufgeben will. Dann bliebe, sofern seine These stimmt, wirklich nur eines: weg mit Deutschland.

Sind wir damit nicht bereits auf bestem Weg?

Ein weitgehend entspanntes Land, in dem mehrheitlich Menschen wohnen, die schon aus Altersgründen friedlich sind, hat neuerdings mit einem Problem zu tun, das Gesellschaften seit Menschengedenken zerreißt. Die Mehrheit der Zugewnserten besteht aus jungen Männern ohne Familie und ohne Arbeit und deren Religion oder Nationalgefühl nicht zu einem säkularen und wenig national gestimmten Deutschland passt. Mit ihrer Frustration ist zu rechnen, wenn die Versprechen, die sie aus der deutschen Willkommensseligkeit herausgelesen haben, nicht eingelöst werden. Die wenigsten bringen zudem die Voraussetzungen mit, die ihre baldige Integration in den Arbeitsmarkt wahrscheinlich machen – einmal abgesehen davon, dass noch lange unklar sein wird, wer bleiben darf und wer gehen muss, was alle Integrationsbemühungen voreilig oder sinnlos macht. Jung sein allein ist keine hinreichende Qualifikation.

Die Push-Faktoren, also das, was Menschen aus ihrer Heimat vertreibt, bleiben bestehen, und der größte Pull-Faktor, das vergleichsweise bestens ausgestattete soziale Netz Deutschlands, wird dem Ansturm nicht standhalten, sollte es so weitergehen. Radikalliberalen Reformern dürfte diese Veränderung noch am ehesten gefallen: der Abschied vom Sozialstaat.

Brauchen wir Veränderungen, die an die Substanz gehen?

Es gibt sie, die Deutschen mit dem notorischen Selbsthass, die das begrüßen würden. Soll sich Deutschland doch abschaffen – dann gibt es ein Problem weniger.

Sei es, wie es sei! Es ist ein Missverständnis, unser Land auf das dreckige Dutzend Jahre von 1933 bis 1945 zu reduzieren. Wir können mehr, unser „Ländle“ ist zäh.

Auch bunt und weltoffen? Mal sehen, wohin die Reise geht …