Es war eine kurze Momentaufnahme eines an die Wand geschraubten, schief hängenden Magnetboards mit zahllosen Fingerabdrücken, aufgehängt über der vergilbten Kabelleiste des Frühstücksraums, in dem niemand mehr mit Appetit frühstücken wollte. Der klebrige, weiße Kühlschrank zitterte im zehn Minuten Takt so lange bis die darauf liegende Sechser-Steckdosenleiste auf dem Industriebetonboden donnerte und zerbarst. In der Ecke sammelte ein abgewetztes Stahlregal wahllos billige Steinguttassen, in denen klebrige Löffel steckten. Dazwischen irgendwelches Besteck, vergilbte Wegwerfservietten und Zucker in langgestreckten Papiertütchen wie man sie vom Italiener beim Espresso kannte. Was die vollgestopfte Restmülltonne direkt neben der Mikrowelle und dem Wasserkocher zu suchen hatte, blieb unbeantwortet. Draußen flatterte Trockeneis-Schnee am Fenster vorbei – es waren sonnige 25 Grad und Frühling. Er schaute sich um: Die Cappuchinore stand vergessen ohne Kanne und Behälter auf einer ausrangierten Push Up-Tonne, daneben der Plastikbehälter für die Einmal-Wegwerftücher zum Rausziehen, damit man wenigstens kurz das Gefühl hatte, man könne mit der Reinigung das Vergammeln beseitigen.

Die alten Kacheln, lieblos an die Wand geklebt, haben ebenso bessere Zeiten verdient wie der Seifenspender, aus dem stündlich so viel Flüssigseife tropfte, dass es jeden, der ans Becken kam, garantiert auf die Fresse legte. Fünfzig Cent – abgezählt in Münzen – hatten sie zu zahlen für einen irrsinnig heißen „Coffee To Go“, an dem sie sich die Finger verbrannten und der ebenso schnell abkühlte, wie er aus der Maschine heraus gepresst wurde. Sechs Tassen pro Tag, ganz normal. Macht drei Euro mal fünf und schon waren sauer verdiente sechzig Euro pro Monat im Eimer.

Immerhin funktionierte der Durchlauferhitzer unter dem nach Abwasser und Gully riechendem Handwaschbecken. Aber wieso kamen die Putzfrauen eigentlich jede Woche und reinigten seit Jahren nie den darüber hängenden Spiegel, in dem sich keiner der Arbeiter mehr erkennen konnte vor lauter Dreck? Sie liefen auf abgewetztem Betonboden, der sich seiner selbst schämen würde, wenn er es denn könnte. Wie viele Milliarden Tritte er schon bekommen hatte, ließ sich an seinem erbärmlichen Zustand ablesen.

Sie wollten das Fenster öffnen, aber der Alurahmen klebte vor so viel Atem auf seinem Leib derart fest, dass sich keines öffnen ließ, um ein wenig frische Luft in den stickigen Raum zu lassen. Es gab einige Rundtische, an denen sie sitzen konnten, sofern sie die schmerhaften Stiche im Steißbein nach spätestens zehn Minuten ignorierten. Notfallplan Physiotherapeut. Alles war eklig abgenutzt und schmutzig in dem alten Industriegebäude, dessen Glanzzeiten schon lange vorbei waren. Wer wollte denn eine verrostete, marode, bankrotte Bude mit überalterter Technik, die nicht nur optisch um Hilfe schrie als auch buchhalterisch? Das Missmanagement war offensichtlich.

Er blickte in den Hof, in dem sich viele Pfützen sammelten und den Mückenlarven Raum zur Vermehrung bot. Da stand der verrostete Container, daneben die vollen Mülltonnen, in die nachts Ratten krochen um die Reste der Butterstullen der Arbeiter zu fressen. Nichts, rein gar nichts erinnerte an die Zeit vor über dreißig Jahren, in denen er Gewinnbeteiligung und sonstige Gratifikationen bekommen hatte. Noch drei Monate Insolvenz-Überbrückungsgeld und er gehörte ebenso zum verrotteten Inventar wie alles, was um ihn herum stand.

Während er seine Pausen-Zigarette ausdrückte, kamen die Geschäftsführer mit dem Insolvenzverwalter vorbei. Er wusste es. Er kannte die großen Limousinen der Chefs, denen es gut ging und die bald wieder irgendwo anders die Zügel in die Hand nehmen würden. Sogar in Aufsichtsräten sitzen würden und garantiert nichts aus ihren Fehlern gelernt hatten.

Er ging rein. Seine Schichtpause war zu Ende. Morgen kommt die Nacht.

 

© Petra M. Jansen

http://literatourpoetictext.blogspot.com/

 

 

Lieber Pierre,
ich mag Deine Verbalironie, findet sie denn nicht nur auf dem Papier statt sondern ebenso real. Du siehst, auch Top-Manager legen ihre faulen Eier irgendwo ab und Rücktritt her, Rücktritt hin – Herr Winterkorn möchte doch noch ein paar Fäden in der Hand halten bei der Porsche Automobil Holding SE. Inwiefern unsere extrem gut bezahlten Topmanager zur Imageschädigung beitragen, ist klar und klar ist auch, dass 2,8 Millionen Autos zudem auch in Deutschland manipuliert wurden. Korruption überall, schlimmer als ein Schweinestall (ist aus einem meiner Gedichte) – sie findet statt und wir wissen es eigentlich auch. Dürfen wir überrascht sein? Es geht wieder einmal um Geld, Prestige, Macht, Kommerz, wie so oft und egal, wohin wir schauen, es tritt uns immer wieder ein gehässiges, fieses Monster ins Gesicht. Skandale bei Unternehmen, bei Banken (wie gerade in Frankfurt am Main mit der Fiskus-Geschichte), bei den Politikern und überall. Kommt also gerade Recht, der deutsche Skandal, steht doch das Thema Klimaschutz in den USA aktuell ganz oben. Deutschland präsentierte sich als „grüne“ Vorkämpfer und nun offenbart sich eine extrem kontraproduktive Tat, die alles in Frage stellt. Die Glaubwürdigkeit der Verbraucher steht ebenso auf dem Spiel wie die Ernsthaftigkeit zum Thema Klimaschutz, dass Merkel unlängst in den USA zur gemeinsamen Sache machte. Made in Germany hat seinen Ruf als Qualitätssiegel verzockt, da hast du vollkommen Recht und es dürfte schwer sein, die jetzt herrschende Skepsis einzudämmen oder weg zu räumen. Insofern wäre die Schaffung einer autonomen Kontrollbehörde/ – Instanz ein guter Zug, damit Politikern und Wirtschaft ein Riegel vorgeschoben wird. Der Welt zuliebe und der Sicherheit unserer Kinder zuliebe. Für die Japaner, die als deutsch-liebend gelten, was unsere Autos anbelangt, blutet das Herz. Sie sind tief erschüttert in ihrem Vertrauen zu der deutschen Top-Qualität. Wie eine Ironie erscheint es, dass nur einen Tag später andere deutsche Autobauer ähnliche Machenschaften von sich weisen, um ihren Konzern rein zu waschen. War das nur die Spitze des Eisbergs? Wir dürfen gespannt sein.
Ob Winterkorns „Freundschaft“ mit den Russen der Grund dafür ist, dass sich Russland in dieser Angelegenheit eher uninteressiert und unbeteiligt zeigt? Der „Prachtmensch“ Winterkorn, wie Putin den Manager bezeichnet, hat Mist gebaut, sehr großen Mist, den niemand ungeschehen machen kann und für eine langfristige Image-Abwertung eines Weltkonzern mit guter, deutscher Qualität. Es sollte in einem Produkt auch drin sein, was die Werbung verspricht, das ist oberste Regel eines Managements und die dürfte auch bei Winterkorn mit Sicherheit schon in jungen Jahren angekommen sein. Was passierte? Eine Marketing-Strategie, die miserabler und zerstörerischer nicht hätte sein können. Aufgabe verfehlt!
Lieber Pierre, Skandale kommen und gehen und solche Skandale gehen immer zu Lasten unserer Bevölkerung und der vielen Arbeiter, die Federn lassen müssen. Wieso gibt es kein Gericht, das solche Täter anklagt für ein Verbrechen, um das sie sicher wussten, aber bewusst vertuschten, wie viele Mitwisser übrigens. Stellen wir sie vor Gericht? Nein. Traurig, aber es gelingt es ihm noch bei Porsche Vorstandsvorsitzender zu sein und seine Kohle hat er ohnehin im Trockenen. Kann das wirklich wahr sein? Mir fehlen die Worte, wie bei vielen Themen, die über die Köpfe der Menschen entschieden und vermasselt werden. Nur mal am Rande: Das Jahresgehalt des Herrn Winterkorn betrug bei VW 16 Millionen Euro. Ja, wir sind in einem eigenartigen „Spiel“, bei dem am Ende jedes Lebewesen ein Verlierer ist. Denk mal an die Honigbienen und an Einstein: Gibt es die Bienen nicht mehr, gibt es 4 Jahre später den Menschen nicht mehr. Wäre das nun eine wünschenswerte oder absurde Vorstellung?

 

Einen herzlichen Gruß aus der Bankenmetropole,
die heute wieder mal Kopf steht,

Petra
© Petra M. Jansen
http://jansen-markting.de