Liebe Petra,

wie du weißt, bewegt es mich sehr, was sich um uns herum abspielt. Ich versuche, einen klaren Kopf zu bewahren, was keine leichte Sache ist. Heute musste ich mich wieder mit dem Terrorismus befassen und habe einige Gedanken niedergeschrieben:

Nach dem Drama von Katalonien, bei dem zahlreiche Opfer getötet oder verletzt wurden, habe ich mir erneut die Frage gestellt, was dazu führen kann, dass junge Leute ihr Leben auf´s Spiel setzen, um irgendwie eine irre Ideologie zu etablieren. Sie wissen sehr genau, dass die meisten unter ihnen solche Terrorakte nicht überleben werden. Der Fahrer, der in den Ramblas in Barcelona den Lieferwagen fuhr, war 21. Selbst, wenn seine Tat schrecklich war, empfinde ich einen üblen Nachgeschmack. Was führt blutjunge Menschen dahin, den Selbstmord als eine Selbstverständlichkeit zu betrachten? Ist das nicht ein krankhaftes Verhalten? Was ist schief gelaufen? Hier handelte sich in der Mehrheit um Marokkaner, die sich in Spanien etabliert hatten. War ihre Zukunft so düster, dass das Leben für sie keinen Wert mehr hatte? Das ist umso mehr erstaunlich, da der Islam, für den sie kämpfen wollten, den Suizid als Todessünde betrachtet. Und das auch, wenn der Kampf – um ihn zu etablieren – dies verlangt. Die Schriften kann man nicht nach Gusto ändern und einmal mehr war wieder ein Imam am Werk, der die Jugendlichen angeheizt hatte. Aber ohne einen tiefen Frust, könnten die Hetzparolen nicht greifen. Wenn der Hass derart überhandnimmt, steht man hilflos da. Gerade das ist der Bereich, in dem der Antiterrorkampf effektiv sein sollte. Es ginge darum, die Probleme dieser entwurzelten Jugend am Schopf zu greifen. Wenn wir dieses mörderische Phänomen ein wenig eindämmen wollen, muss in diesen Kreisen eine umfangreiche psychologische und soziologische Betreuung stattfinden – das fängt in den Familien an, die oft hilflos da stehen. In einer meiner Reportagen hatte ich bei Paris einen marokkanischen Vater getroffen, der mir sein Leid aussprach. Sein Sohn missachtete ihn, weil er kein Fundamentalist sei, weil er sich einfach in die Gesellschaft integrieren wollte. Der junge Mann war ihm gegenüber respektlos, was in einem patriarchalischen Umfeld unvorstellbar ist, der Bruch innerhalb der Sippe hatte sich vollzogen. Wenn man die Biographie anderer Selbstmordattentäter verfolgt, ist das immer öfter der Fall. Das führt mich zur Annahme, dass diese jungen Menschen ihre Eltern mit ihren Taten strafen wollen, wenn sie nicht die gleichen Ziele des Fundamentalismus verfolgen. Kann das ihre Haltung erklären? Ich fürchte teilweise ja und wie es immer klarer wird, geht es um ein Identitätsproblem, dass ohne einer Familientherapie kaum zu bewältigen ist.

Das Phänomen Terrorismus muss ich in einem breiteren Umfeld betrachten. Es ist zu leicht, ihn nur in einem Bereich zu lagern. Der Vorfall von Charlottesville zeigt, dass unabhängig der Ideologien, ein bestimmtes Verhalten vorgegeben ist. Ich habe zahlreiche Filme bei den Neonazis gedreht und habe festgestellt, dass die Spannungen auch da von einer Identitätskrise stammen. Sie ist vergleichbar mit der, die ich in muslimischen Kreisen erlebt habe. Daher wäre es vernünftig, sie zuerst von jeder politischen oder religiösen Ursache abzukoppeln. Es ist in der Tat immer schwieriger, seine Zukunft in einer kurzweiligen Lebensplanung zu planen und es herrscht eine sehr große Unsicherheit. Dazu gehört auch die Jugendarbeitslosigkeit. Es ist haarsträubend, dass ganz einfach hingenommen wird, dass eine ganze Generation als verloren betrachtet wird und das oft aus reiner Gewinnsucht einiger Zocker. Da ich mich heute mit Spanien befasse, kann ich nicht übersehen, dass durch die Fehlinvestitionen aus Habgier, hunderttausende junge Leute das Nachsehen haben – da darf man sich nicht wundern, dass Aggressivität aufkommt. Man kann sich bisher glücklich sein, dass es nicht zu einem Bürgerkrieg kam. Nein, ich übertreibe keineswegs. Wenn Leute keinen Ausweg mehr finden, greifen sie nach den Mitteln der Willkür und dazu gehört der Terrorismus – egal aus welcher Ecke er auch kommt und man darf sich nicht wundern, dass die Zahl der Brunnenvergifter zunimmt. Wenn wir uns nicht neu erfinden, wird die Lage immer bedrohlicher werden und wenn die jungen Leute feststellen müssen, wie tief die Werte zusammengebrochen sind, ist es nicht erstaunlich, dass es zu Wut kommt. Die Haltung der deutschen Autobranche hat schon kriminelle Züge angenommen, das könnte man als den Terrorismus der weißen Hemden betrachten. Die Art und Weise, wie sie mit der Volksgesundheit umgeht, gleicht einer geplanten Körperverletzung, im Namen des Profits. Wie wollen sie unter diesen Umständen den Jugendlichen moralische Grundsätze einpauken? Solange der Staat mitmischt, ist er völlig unglaubwürdig. Das Geschwätz über den Erhalt unserer Gesellschaft ist völlig überflüssig, solange man sich nicht an die Regeln hält und unter diesen Umständen, darf sich niemand wundern, dass die Gewalt zunimmt. Wäre es angebracht, den Staat als Terroristen einzustufen? Ihr solltet darüber nachdenken, bevor ihr eine Antwort äußert!

Es wäre schön von dir zu wissen, was du davon hältst.

Ich umarme dich und bis sehr bald.

 

Pierre

//pm

 

Ideologie

Jeder, der von der eigenen Meinung einigermaßen abweicht, wird als „ideologisch” bezeichnet. Der Begriff der Ideologie wird verwendet, um jemandem vorzuwerfen, dass er oder sie eine Idee von etwas über die Realität stellt und damit die Thematik gar nicht richtig fassen könne. Dazumal forderte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz eine „ideologische Abrüstung” in den Griechenland-Verhandlungen.

Ideologie im sozialwissenschaftlichen Verständnis ist vielmehr genau die Meinung, die gesellschaftlich so fest verankert ist, dass sie selbstverständlich geworden ist und nicht mehr selber erfasst werden kann. Es ist nicht die Abweichung, sondern das unreflektierte Zentrum. Die ideologischen Säulen unserer Gesellschaft sind daher entstanden aus vergessenen Selbstverständlichkeiten, die aber keineswegs ewige Wahrheiten sein müssen.

Das Zerfallen von Ideologien geht nicht auf eine steigende Kritikfähigkeit qua bessere Bildung zurück, sondern auf das Scheitern jener an der Realität. Der neoliberale Konsens der politischen Mitte bröckelt. Dieses Auseinanderfallen der neoliberalen Selbstverständlichkeit provoziert den Vorwurf der ideologischen Verblendung an die aufkeimenden Alternativen. Der Ideologievorwurf geht von der ideologischen Mitte an die Randbezirke politischer Praxis. Zu deutsch: große Alternativlosigkeit zerfällt und überzieht die Alternativen mit dem, woraus sie selbst besteht: Ideologie.

In den letzten Jahren haben sich einige Selbstverständlichkeiten der Gesellschaft in Luft aufgelöst: Die Rente ist nicht mehr sicher, der Kapitalismus führt nicht zu steigendem Wohlstand für alle, was gut für die Wirtschaft ist, nicht aber für die Menschen. Wir können nicht immer weiter wachsen, die Klimakatastrophe wird doch nicht gelöst, Griechenland kann durch die Sparpolitik nicht wachsen und jüngst die Erkenntnis, dass Deutschland nicht das friedvolle humanistische Land ist, sondern ein Land mit einem massiven Rassismusproblem.

Die Realität trifft die Ideologie der Mitte ins Herz. Die traditionellen Parteien der Mitte (CDU und SPD) haben schon lange ihre totale Deutungshoheit verloren, was die Erweiterungen des Parteienspektrums ermöglicht hat. Parteien wie Syriza und Podemos sind die Negation der Ideologie, nicht ihr Ausdruck. Wobei sich das Verhältnis jederzeit drehen kann.

Die Ideologie der Mitte ist daher vor allem durch den konservativen Impetus beseelt, dass die alten Konzepte immer noch die beste Lösung bieten in einer dynamischen Welt. Gerade die Dynamik in Ökonomie, Politik und Kommunikation ist mit den alten Mitteln der Reformanpassung an die Realität nicht mehr zu bewerkstelligen. So kann eine Rentenreform die menschenwürdige Rente nicht retten, eine Energiewende kann den Klimawandel nicht aufhalten, Sparen wird Griechenland nicht retten, der Mindestlohn wird die Kluft zwischen Arm und Reich nicht schließen. Trotzdem werden alle großen Probleme mit kleinen Reformen angegangen, obwohl abzusehen ist, dass diese bei weitem nicht ausreichen werden. Aber: jede große Reform beginnt mit dem ersten kleinen Schritt …

Dazu kommt, dass viele Probleme miteinander verwoben sind. Der Rassismus und die soziale Kälte haben mit der Abstiegsangst vieler Bürger zu tun, unsere Arbeitsmodelle passen nicht mehr zur vorhandenen Arbeit und die meisten Flüchtlinge kommen zu uns, weil unsere Kriege und unsere Ausbeutung viele Länder Asiens und Afrikas zerstört und verroht haben.

Reformismus, der diese Probleme nicht im Zusammenhang sieht, endet in Partikularismus. Der Sozialphilosoph Max Horkheimer hat einmal geschrieben, wer vom Kapitalismus nicht reden wolle, solle auch über den Faschismus schweigen. Damit spricht er aus, was daraus folgt, wenn man die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge nicht mehr im Blick hat.

Universale – revolutionäre oder radikale – Lösungsansätze verschwinden so aus dem Horizont der Politik. Dieser Horizont ist noch durch die Mitte geprägt, die radikale Lösungen stets als ideologisch bezeichnet, ohne zu merken, dass sie selbst nur die ideologische Deutungshoheit der Mitte bewahrt.

Wer die Erweiterung des eigenen Horizonts, der eigenen Denkräume, rigoros verhindert, der hält das politische Feld nicht in der Mitte, sondern lässt es erodieren. Die deutsche Regierung muss verstehen, dass sie einen Interessenausgleich in Europa und auch weltweit herstellen muss, aber dafür muss sie ihre Ideologie der Mitte reflektieren. Gelingt das nicht, dann wird die Realität das politische Feld früher oder später auch in Deutschland über Nacht erodieren lassen, spätestens dann, wenn sich die ökonomische Lage auf den globalen Märkten weiterhin verschärft und der Export einbricht.

Der aufkommende Rassismus dieser Tage lässt befürchten, dass solche „Weimarer Verhältnisse“ blutig werden und die bürgerliche Mitte am Ende wieder nach rechts schwenkt, wenn sich eine Entscheidung zuspitzt.

Ideologiekritik heute wäre ein Angriff auf den common sense, um daraus Alternativen zu generieren, nicht ein solcher auf die Alternativen, um den common sense zu bewahren.

Le Pape François est toujours bon pour une surprise. Lorsqu’il déclare que la France doit devenir plus laïque, il pense qu’elle doit dépasser les contraintes de la philosophie des lumières, où les religions étaient des sous-cultures. Il s’agit pour lui de redéfinir les rapports entre l’État, qui se doit d’être neutre en ce qui concerne les croyances, et l’exercice du pouvoir politique. Il est tout à fait conscient du rôle néfaste que peuvent jouer les religions lorsqu’elles mêlent l’intemporel à la gestion d’un pays. Lorsqu’on observe ce qui se passe avec l’Islam, on ne peut qu’approuver un tel point de vue. L’Arabie Saoudite est un exemple qui fait frémir. La loi de la charia rend cette forme de gouvernement inhumaine. En se mêlant des affaires publiques, l’Islam se dévalorise. La religion doit toujours être en mesure d’avoir un effet régularisateur. Si elle fait partie intégrante de l’État, elle perd sa légitimité initiale, celle de la critique. Elle devient au contraire complice d’un système humain très éloigné de sa vocation divine. Ce qui est valable ici pour la croyance, doit aussi l’être pour le pouvoir intemporel. François condamne dans son interview la mainmise des idéologies, qui mène à l’absolutisme. Les citoyens devraient avoir la liberté de pouvoir juger ce qui est bon ou non pour eux, sans se soumettre à des dogmes. « Une laïcité saine comprend une ouverture à toutes les formes de transcendance, selon les différentes traditions religieuses et philosophiques. La recherche de la transcendance n’est pas seulement un fait, mais un droit. » dit le Pape. Weiterlesen