Liebe Petra,
jetzt wird es dunkel und Zeit, nachdenklich zu werden. Ich denke, dass uns ein Blick in die Vergangenheit nicht schlecht bekommen würde. Hier, was ich mir dazu einfallen ließ.
Die Reichskristallnacht
Nach den Ereignissen von Chemnitz, bei denen Ausländer in Pogrom-ähnlichen Aufständen verfolgt und misshandelt worden sind oder die Attacke gegen ein jüdisches Restaurant in der Innenstadt, das mit Steinen beworfen wurde, kann ich nicht ignorieren, was in der Nacht vom 9. bis 10. November 1938 geschah. Mehr als 1400 Synagogen wurden in Brand gesetzt. 30.000 Juden wurden verhaftet und in Konzentrationslagern – wie Vieh – verfrachtet. Hunderte von ihnen wurden ermordet oder starben durch Misshandlungen, denen sie ausgesetzt wurden. Es sollte für alle unter uns ein Signal sein, egal in welchem Land, was geschehen könnte, wenn wir weiter mit dem Rechtsextremismus flirten. Sehr schnell kann solch eine Eskalation stattfinden und niemand dürfte dies ignorieren. Es wäre noch Zeit sich zu besinnen, aber die demokratischen Parteien stecken in der Krise in Europa. Das Drama des 9. November 1938 sollte Anlass genug sein, um sich zu besinnen, aber ich befürchte, dass der Hass im Moment größer ist als die Empathie. Wohin wird das uns führen? Ich hoffe nicht zu einem neuen Auschwitz!
Ideologie kann pervertieren
Die Reichskristallnacht zeigt wohin es führen kann: Zum Chaos, zur Grausamkeit. Das passt bei weitem nicht zum deutschen Volk, für das die Ordnung ein hohes Gebot ist. Sie hat das Verhalten der Menschen pervertiert, aus ihnen Bestien gemacht, was in normalen Zeiten als Charakterlosigkeit betrachtet würde. Was da geschah hatte nichts mit dem Credo der Anständigkeit, vom der die Leute viel halten, zu tun gehabt – im Gegenteil. Es zeigt wie schnell die Seele kippen kann, wenn Gift versprüht wird und gerade dies sollten wir wissen. Wenn in Frankreich in diesen Tagen antisemitische Pamphlete und Plakate Publik gemacht werden, wie zum Beispiel im Rahmen des Protestes gegen die Erhöhung des Dieselpreises durch neue Taxen. Man sieht wie schnell eine Verschwörungstheorie rassistische Züge annehmen kann und man sieht Macron mit einer krummen Nase, der wie eine Marionette von einem Arm gelenkt wird, der den Name Rothschild trägt. Eine Illustration, die in den antisemitischen Zeitungen „Je suis partout!“ oder „Der Stürmer“ im Dritten Reich hätte publiziert werden können. Toll…
Das Böse in sich bekämpfen
Dazu gehört sehr viel Mut. Man muss sich eingestehen nicht der Mensch zu sein, den man zur Schau tragen will und das bedeutet Abwehrkräfte nach außen zu bauen, um sich nicht beeinflussen zu lassen. Theoretisch klingt das gut, aber wie sieht es mit der Realität aus? Wenn man in einer vergifteten Atmosphäre lebt, kann niemand garantieren, dass man nicht von ihr verseucht wird. Wir sind alle abhängig von den Menschen, die um uns herum leben und sich abzusondern wäre nicht die gute Lösung, also wir müssen lernen gegen den Strom zu schwimmen. Der 9. November hat uns belehrt, dass nur sehr wenige Leute dazu fähig sind. Es kam kein Widerstand gegen diese Willkür, im Gegenteil. Nicht alle Deutschen waren Antisemiten. Sie beobachten mit einer gewissen Passivität was da geschah und andere schauten ganz einfach irgendwo anders hin. Ich betrachte die Feigheit als das Böse. Aber kann ich selbst sicher sein, davon immun zu sein? Es ist zu einfach die Schuld auf andere zu schieben. Die Volksgenossen hätten nicht so handeln können, wenn Widerstand spürbar gewesen wäre. Das war ein schlimmes Signal, das nicht wahrgenommen wurde!
Die Demokratie hat sich feige gezeigt!
Es wundert mich nicht, dass die demokratischen Großmächte 1938 nicht für ein paar tote Juden einen Weltkrieg anzetteln wollten. Sie haben unendlich lange gebraucht die Vernichtungslager während des Krieges durch Bombardements lahm zu legen. Es wäre gut gewesen, wenn sie die Eisenbahnlinien still gelegt hätten, denn die Transporte von Juden wären somit eingeschränkt worden. Auschwitz zu attackieren wäre für mich dringend notwendig gewesen. Das war nicht geschehen, weil bei den Befreiungsmächten viele Antisemiten am Ruder waren. Es ist schon beschämend, solch ein Verhalten wahrnehmen zu müssen, es entbehrt jedes Ehrengefühl. Geht es nicht vor allem um die Menschen und um den Anstand? Auch das sollten wir heute beachten. Jede Art von Abgrenzung muss verhindert werden. Das gilt für jeden, auch für die Migranten. Was sich in Italien abspielt, erinnert mich schon an diesen 9. November 1938. Die Hasswelle hält sich noch in Grenzen, aber das könnte rasch umkippen. Ich erwarte von der EU, dass sie sich entschieden gegen solchen Machenschaften einsetzt und die neue Regierung in Rom dafür bestraft. Wenn Europa nicht dazu fähig, bedeutet das, dass wir immer mehr vom Neofaschismus bedroht sind. Schwäche zu zeigen, ist anzuerkennen, dass die Demokratie futsch ist.
Es brennt!
Zuerst die Bücher, dann die Synagogen.
Es brennt!
Zuerst die jüdischen Läden, dann die Menschen.
Es brennt!
Zuerst die Städte, dann die Dörfer.
Es brennt!
Zuerst die Seele, dann die Leiber.
Es brennt!
Zuerst die Empathie, dann der Anstand!
Es brennt!
Egal ob Kinder, Frauen, Männer!
Es brennt!
Egal ob Freunde oder Feinde.
Es brennt!
Egal ob Väter oder Mütter.
Es brennt!
Egal ob Maria oder Jesus.
Es brennt!
Egal ob Bibel oder Koran.
Und was tun wir?
Nichts!
In der Hoffnung, dass es dir gut geht,
umarme ich dich!
Pierre