Hoffnung lag in der Luft, ganz ähnlich wie während der Präsidentschaftswahl 2008 (“Yes, we can!”), als die Möglichkeit der Wahl von Barack Obama einen neuen Kurs für das Land versprach. Amerika ist im Juni 1968 zutiefst zerrissen, es scheint, als würde das Land im Chaos versinken. Robert F. Kennedy scheint in dieser Lage der einzige, der die Menschen in den USA einander wieder näher bringen kann.

In den Monaten vor der Vorwahl in Kalifornien waren der Zorn und die Frustration auf den Straßen Amerikas eskaliert. Die wachsende Protestbewegung gegen den Vietnam-Krieg geriet in immer härtere Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt. Nach der Ermordung von Martin Luther King im April waren in Dutzenden von Städten Unruhen ausgebrochen. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung radikalisierte sich. Ein versöhnlicher Weg in die respektvolle Koexistenz, wie King ihn gepredigt hatte, schien unmöglich. Bei einer Schießerei mit der Polizei in Oakland war im April Bobby Hutton, einer der Anführer der Black Panther Partei, umgekommen.

Wie schon während seines gesamten Wahlkampfes, findet Kennedy in diesem Augenblick genau jene Worte, nach denen sich die Menschen sehnen: „Wir können das überwinden, was unser Land in den vergangenen Jahren geplagt hat, die Spaltung, die Gewalt, die Desillusionierung. Wir können es schaffen, zusammen zu kommen, wir sind ein Volk, das mitfühlen kann, und ich werde diese Fähigkeit zum Mitgefühl wieder zur Grundlage unserer Gesellschaft machen“, so Kennedy.

Kur nach dem Ende der Rede hallen Schüsse durch die Hotelgänge des Ambassador, die Bobby Kennedy töten. In der Küche, die Kennedy durchquert, um diskret zum Hinterausgang zu gelangen, wartet der Palästinenser Sirhan Sirhan auf Kennedy – und feuert aus nächster Nähe acht Schüsse ab.

Kennedy wird noch in der Nacht nach New York geflogen, wo er 24 Stunden später seinen Verletzungen erliegt. Als am 8. Juni sein Sarg mit dem Zug auf den Nationalfriedhof Arlington in Washington überführt wird, kommen Hunderttausende von Menschen an die Gleise, um Abschied zu nehmen. Die Trauer eint die Nation – vielleicht zum letzten Mal. Es ist eine tiefe Trauer nicht nur um einen Mann, sondern vor allem auch um die Hoffnung einer gesellschaftlichen Versöhnung.

Die Menschen hatten Robert Kennedy vertraut. Kennedy habe den Nimbus der Authentizität gehabt, schrieb einmal einer seiner Biografen. Es sei eine Authentizität, die nicht aus Fokus-Gruppen und Sitzungen mit PR-Beratern entstanden sei, sondern aus Lebenserfahrung.

Robert Kennedy hatte vor den Augen des ganzen Landes eine dramatische Transformation durch den Tod seines Bruders erfahren. Als Wahlkampfchef von John F. Kennedy, später auch als Justizminister, war Robert Kennedy ein kühl kalkulierender Politiker gewesen, ein mit allen Wassern gewaschener Drahtzieher. Doch John F. Kennedys Ermordung im Jahr 1963 veränderte ihn von Grund auf.

Als überzeugter kalter Krieger hatte Robert Kennedy den Krieg in Vietnam, den sein Bruder angezettelt hatte, zunächst unterstützt. Je offensichtlicher zynisch der Krieg wurde, desto offener trat Kennedy jedoch in Opposition zu Präsident Johnson und setzte sich für einen raschen Abzug aus Vietnam und für eine diplomatische Lösung ein. Das Sterben in Vietnam müsse aufhören, hatte er immer wieder betont.

Vor allem aber wurde sein Kampf für die Entrechteten des Landes immer bedingungsloser. Als Justizminister hatte Kennedy noch zwischen Interessen laviert und nicht zuletzt auch der Überwachung von Martin Luther King zugestimmt. Nach dem Tod seines Bruders, so schien es, wurde ihm jegliches Kalkül egal, er tat nur noch, was ihm sein Gewissen diktierte.

Die Morde an King und Kennedy haben Amerika auf lange Zeit hin verflucht. Sie haben es erschüttert und geteilt. Die USA sind seither ein Land, dass es einfach nicht schafft, seinen Möglichkeiten gerecht zu werden. Das Gespenst dessen, was hätte sein können, sucht Amerika 50 Jahre nach Kennedys Tod so schrecklich heim wie damals. Der Verlust seiner Ikonen hat die Vereinigten Staaten weit zurückgeworfen, ihnen einen gehörigen Teil ihrer Zukunft geraubt. Barack Obama hatte vierzig Jahre danach dem Land wieder ein Stück Zuversicht zurückgegeben. Zukunftsaussichten, die Amerika dringender denn je braucht.

Wenn es eine Sicherheit gibt in den USA, dann die, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ein Massaker wie in Las Vegas dem Land wieder einen Schock versetzen würde. Schießereien und Amokläufe gehören in den USA mittlerweile zum Alltag. Vor drei Wochen etwa erschoss jemand acht Menschen in Plano, Texas, nur hat man davon kaum etwas gehört, weil acht Schussopfer nicht mehr reichen, um Schlagzeilen zu machen.

Die Zahlen sprechen ein klares Bild. Seit dem Amoklauf in einem Schwulenclub in Orlando im Juni 2016, damals das tödlichste Attentat in der Geschichte der USA, starben mindestens 585 Menschen in sogenannten „Mass shootings“, mehr als 2.100 Menschen wurden in Schießereien verletzt. In den USA sterben mehr Menschen durch Waffen als durch Aids, Drogen, Kriege und Terror zusammen. Doch was wurde politisch seit dem Attentat in Orlando unternommen? Nichts!

Die Waffengewalt der vergangenen Jahre habe, landesweit betrachtet, nicht etwa zu strengeren Gesetzen geführt, schreibt der Thinktank Center for American Progress. Im Gegenteil. Die vielen Schießereien hatten zur Folge, dass sich immer mehr Menschen Waffen kaufen, um sich im Notfall selbst verteidigen zu können; was zu einer Art Aufrüstung führte. 300 Millionen Schusswaffen befinden sich bis dato in Privatbesitz – und jedes Mal, wenn der damalige Präsident Barack Obama davon sprach, endlich etwas zu unternehmen, schossen die Verkäufe in die Höhe.

Auch wenn also der unwahrscheinliche Fall einträfe und die Politiker neue Gesetze beschlössen, was unter Präsident Trump schwer vorstellbar ist, würden all die MPs und Sturmgewehre nicht einfach verschwinden. Im Bundesstaat Nevada etwa, wo das Attentat vom Sonntag passierte, stirbt alle zwanzig Stunden (!) ein Mensch durch eine Kugel.

Es gibt in den USA eine ganze Landkarte der Amokläufe. Orte wie Aurora, Littleton oder Orlando sind auf ewig durch die Attentate in Kinos, Schulen oder Nachtclubs gezeichnet. Nun also Las Vegas, eine Stadt, in der viele Amerikaner ein paar Tage verbringen, um ihren Alltag hinter Glücksspielautomaten zu vergessen. In den Interviews am nächsten Tag sagten manche Menschen auf den Straßen, sie würden sich schämen, jetzt ins Casino zu gehen, nach allem, was passiert sei. Hochzeiten wurden abgesagt. Doch spätestens in wenigen Tagen wird alles wieder den gewohnten Gang gehen. „The Show must go on!“, zu keiner Stadt passt der Satz besser als zu Las Vegas. Und er passt auch zu Washington.

Auf jedes Attentat folgt dasselbe Ritual. Politiker twittern über ihren Schock und senden den Familien der Opfer ihre „Gedanken und Gebete“. Die Flaggen sind auf Halbmast, betroffene Politikergesichter stammeln in Fernsehkameras, dass Amerika nun zusammenhalten müsse. „Doch viel mehr wird nicht passieren“ (Washington Post)“.

Die meisten Demokraten werden auf Veränderung pochen. Die meisten Republikaner aber, die sich auf den zweiten Verfassungszusatz berufen und am Recht auf den Besitz von Schusswaffen festhalten, werden warten, bis sich die Empörungswelle legt. „Es war eine Tat des absolut Bösen“, sagte Präsident Donald Trump. Gemäß seiner Sprecherin Sahra Huckabee Sanders aber sei es zu früh, eine Debatte über das Waffenrecht zu führen.

Wann wird die Zeit für die Debatte sein?!

30 Millionen Dollar investierte die Waffenlobby NRA in den Wahlkampf und den Sieg Donald Trumps, der im Gegenzug versprach, am Recht jedes Amerikaners auf eine Waffe nicht zu rütteln. Doch dieser zweite Verfassungszusatz stammt aus dem Jahr 1791 und bezog sich auf Gewehre, die man mühselig mit Schwarzpulver laden musste, um einen Schuss abzugeben. Nicht auf Maschinengewehre, wie sie der Schütze in Las Vegas, Stephen Paddock, bei sich im Hotel hatte.

Umfragen zeigen regelmäßig, dass das amerikanische Volk offen wäre für mehr Regulierungen. Insbesondere für sogenannte „Background checks“, sogenannte Abklärungen der Käufer, und für Verkaufsverbote bei Personen, die sich in psychologischer Behandlung befinden. Immer wieder wird auch diskutiert, ob die Anzahl Waffen, die ein Einzelner kaufen kann, limitiert werden soll. Gemäß Vergleichsstudien mit anderen Ländern würden diese Maßnahmen die Anzahl der Schießereien und Todesopfer reduzieren. Doch die Republikaner blockieren sämtliche Vorstöße mit den immer gleichen Argument: Gegen einen Schützen könne man sich nur wehren, indem man sich selbst bewaffnet. Es ist das Mantra der Waffenlobby NRA.

Die Ermittler werden viele Fragen an die Freundin des Attentäters haben: Zum Beispiel, ob sie weiß, warum Paddock kurz vor dem Attentat noch 100.000 Dollar auf die Philippinen überwiesen hat. Noch mehr wird das FBI interessieren, ob sie irgendeine Ahnung hat, was Stephen Paddock dazu gebracht hat, in eine Menge voller feiernder, gutgelaunter Menschen zu schießen – und einfach nicht mehr aufzuhören.

 

Liebe Petra,

heute wollte ich einen heiteren Brief schreiben, aber die Ereignisse holen mich immer wieder ein. Der Tod von Jo Cox hat mich sehr berührt. Als ich ihr Bild sah, konnte ich mir kaum vorstellen, dass jemand dieser jungen Frau etwas Böses antun könnte – und das nur, weil sie eine andere Meinung vertrat, als die des Täters. Ich hätte mir kaum vorstellen können, dass der Brexit solche Emotionen hervorrufen könnte. Ich wusste schon Bescheid, wie schmutzig der Wahlkampf bisher verlaufen war. Es ging schon um die EU aber vielmehr um die Migranten, um den Rassismus und um den Populismus. Gerade das hatte die Abgeordnete der Labour im Visier, sie bekämpfte vehement die Intoleranz und musste dafür sterben. Eine Mutter von zwei Kindern, die bisher von allen geachtet war, auch von den Konservativen. Das weißt du sicher alles, aber ich musste es wiederholen um zum Kern meiner Aussage zu kommen. Sie ist für mich ein Beweis – in meine Augen lebt sie noch -, dass der Kampf gegen die Betonköpfe keine Pause duldet. Was in England geschehen ist, kann sich hier wiederholen. Ich denke dabei an das „verseuchte, türkische Blut“ oder andere Absurditäten die tagtäglich verzapft werden. Würden sie jede tödliche Folge ausschließen, könnte man über solche Dingen nur schmunzeln, aber leider zeigt der Mord an Jo Cox, dass es dabei nichts zu lachen gibt. Soweit kann es führen, sehr geehrter Herr Gauland. Bevor man das Maul aufreißt, sollte man an die Konsequenzen denken!

Ob in Amerika beim Wahlkampf, bei dem Donald Trump eine Hasstirade nach der anderen abzieht oder hier in Europa, sei es in Ungarn oder in Polen, der politische Stil hat seinen Tiefpunkt erreicht und das erzeugt Angst. Sich von ihr überwältigen zu lassen, ist aber sinnlos. Es ist besser, zu reagieren und das mit allen Mitteln, die uns zu Verfügung stehen. Nein, ich habe keine Lust aus opportunistischen Gründen zu schweigen, liebe Petra. Ich möchte Farbe bekennen. Wenn wir uns still und artig verhalten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass es weitere Opfer geben könnte. Henriette Reker, die Bürgermeisterin von Köln, hat wie durch ein Wunder, den Anschlag überlebt und der hatte den gleichen Hintergrund als es bei Jo Cox der Fall war. Ich frage mich wirklich, was in den Köpfen so passiert? Müssen wir uns auf die Rübe hauen, weil es uns einfach langweilig ist? Muss ein Verrückter in Orlando 49 Menschen töten, nur weil sie Homosexuelle sind? Oder hat er im Auftrag der IS gehandelt? Ich habe immer wieder meinen Freund Sisyphus zitiert, der jedes Mal bei dem Stein, den er mühsam bis zum Gipfel schob, sehen musste, dass er in wieder die Tiefe rollte. Anstatt zu verzweifeln, sagte er sich: „Wenn es so ist, fangen wir wieder von vorn an.“ Das Unbegreifliche für uns ist die Tatsache, dass er dabei Spaß hatte. So masochistisch veranlagt bin ich doch nicht, auch wenn das die Realität eins zu eins widerspiegelt.

Eigentlich würde ich hier am liebsten auf ein Podest steigen, um die Jugend zu ermuntern, die alte Säcke, die wir sind, auf den Olymp zu verfrachten. Liegt es nicht ans uns, dass die Lage heute so an gespannt ist? Wäre es nicht die Zeit, dass wir angeln gehen oder ganz einfach dem Bestatter Arbeit vermitteln? Ich habe die Nase voll von diesem leeren Gerede, das wir über uns ergehen lassen müssen. Handeln heißt die Devise, sich die Hände schmutzig zu machen, anstatt sich mit Nichtigkeiten berauschen zu lassen. Wie können junge Menschen zusehen, wie negativ unsere Haltung ist? Darüber sollten wir nachdenken. Kein Dialog bei Facebook wird etwas bewegen, wenn jeder nur an seinen kleinen Wohlstand denkt und auf dieser Art von Dialog kann ich verzichten. Jo Cox hatte den Mut, offensiv ihre Meinung zu vertreten und das ist für mich der einzige Weg, um das zu retten, was noch zu retten ist. Auch, wenn man denken kann, dass die Hoffnung ermordet wurde, ist ihr Tod das Symbol der Öffnung, der Solidarität, kurzum der Nächstenliebe und dafür bin ich ihr dankbar.

 

In diesem Sinne,

alles Liebe aus dem Hades,

 

Pierre

//pm

Männer aus Europa und Nordamerika ziehen durch den afrikanischen Busch. Wilde Horden, Schiffsbesatzungen, mit Netzen, Stöcken, Peitschen und allen möglichen Waffen. Wir befinden uns im 18. und 19. Jahrhundert. Sie überfallen afrikanische Dörfer, überwältigen die Bewohner, treiben sie zusammen: Männer, Frauen und Kinder. Unter Peitschenhieben werden sie, an Stöcke gebunden, Hände und Füße gefesselt, zu den Segelschiffen an der Küste getrieben. Deren Ziel: Sklavenmärkte, hauptsächlich in Nordamerika. Während der Überfahrt über den Ozean sind sie in den Bäuchen der Schiffe wie Waren gestapelt. Es ist dunkel und schweineheiß, es stinkt, kein Licht, bei Sturm auf dem Meer brechen Wassermassen in den Laderaum. Ein Großteil der Menschen überlebt die Überfahrt nicht, stirbt an Krankheiten, Unter- und Mangelernährung, Herzinfarkt oder ertrinkt. Die Leichen werden achtlos ins Meer geworfen.

In den Bestimmungshäfen beginnt für die Überlebenden die nächste Erniedrigung: Begutachtet wie Vieh werden sie von fremden Männern gekauft und abgekarrt zu den Plantagen, ihren zukünftigen Wohn- und Arbeitsstätten. Rechtlich werden sie wie Sachen behandelt, sind verpflichtet, ohne Entgelt für ihre Besitzer zu arbeiten. Sie gehören ihnen. Manche Plantageneigner sind wahre Sadisten, quälen, vergewaltigen und verstümmeln ihre Sklaven, nicht selten sterben die Gepeinigten. Wenige Afrikaner treffen es verhältnismäßig gut, was heißen mag, während der Arbeit einfach in Ruhe gelassen zu werden. Wir alle kennen die Geschichte der Sklaverei. Abraham Lincoln ist uns ein Begriff. Der 1865 ermordete Präsident der Nordstaaten der USA hat sich dafür eingesetzt, dass in den neu zu gründenden Staaten im Westen Nordamerikas keine Sklaverei mehr herrscht.

Aus den afrikanischen Sklaven in den USA sind die heutigen Afro-Amerikaner geworden, US-amerikanische Bürger schwarzer Hautfarbe. Und Amerika hat ein Problem mit Rassismus, ein gewaltiges! „Neger“ oder „Nigger“ (niger, -gra lat.: schwarz oder dunkel) sind Worte der Herabwürdigung eines Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Der Amerikaner spricht vom „N-Wort“.

Präsident Obama stellte neulich öffentlich klar, dass die US-amerikanische Bevölkerung vom Rassismus noch lange nicht geheilt sei. Das Erbe von Sklaverei und Diskriminierung sei immer noch „Teil unserer DNA“. Rassismus: Schwarze Bürger sind häufiger arbeitslos, schlechter ausgebildet und verdienen weniger. Die Wahrscheinlichkeit, als Schwarzer in den Vereinigten Staaten verhaftet zu werden, ist sechsmal höher als für einen Weißen. Diskriminierungsalltag in den USA! Worin liegen die Gründe? Dafür, dass schwarze Bürger bis Ende der 1950er Jahre nicht die gleichen Busse benutzen durften wie Weiße? Es mag an den Gesetzen gelegen haben. Aber was ist der Grund für die Gesetze? Die Antwort ist: Angst, Neid, Verzweiflung. Nehmen wir die Tea Party: Deren Angehörige sind im Schnitt zwischen 40 und 60 Jahre alt, gehören der unteren Mittelklasse an. Viele von ihnen hat das Leben gebeutelt. Man will sich abgrenzen, sucht nach Schuldigen, nach jemandem, der unter einem steht. Ist es da nicht einfach, sich an Äußerlichkeiten wie der Hautfarbe zu orientieren?! Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?! Komplizierte soziale bzw. soziologische Zusammenhänge interessieren nicht. Seit Jahrhunderten geht die Angst vor dem „Schwarzen Mann“ in der westlichen Welt um, vor dem „Mohr“, im Mittelalter vor den Mauren. Der Mensch ist einfach gestrickt! Aber Amerika arbeitet an seinem Rassismusproblem. Seit den Bürgerrechtsbewegungen in den 1960er Jahren hat sich einiges getan. Es herrscht in den Vereinigten Staaten ein größeres Bewusstsein für dieses Problem als zum Beispiel in Deutschland. Und man erzielt Erfolge. Es gibt mittlerweile eine etablierte Mittelklasse schwarzer Bürger, zum großen Teil mit akademischem Hintergrund. Und nicht zuletzt einen dunkelhäutigen Präsidenten. Das 21. Jahrhundert beginnt Einzug zu halten in den USA. Aber man muss wachsam sein: nach wie vor werden schwarze Mitbürger benachteiligt. Der amerikanische Schulunterricht ist auf die Förderung einer positiven nationalen Identität ausgerichtet. Wichtig ist jedoch auch, die Wurzeln des Rassismus und der Sklaverei auszuleuchten, die eigene Vergangenheit zu bewältigen. Es gibt noch viel zu tun!

© Thomas Dietsch

Der Boston-Bomber wurde zum Tode verurteilt. Er soll durch die Giftspritze sterben. Menschen, die ein Verbrechen begangen haben, werden in manchen Staaten, je nach Delikt, zum Tode verurteilt. Das bedeutet nichts anderes, als dass dieser Mensch sein Leben verwirkt hat aufgrund seiner Tat. Hierüber hat ein Richter zu befinden. Kein Polizist, Beamter oder auch Staatsanwalt. Ist die Todesstrafe heute noch argumentativ haltbar? Resultiert sie nicht aus einem Gefühl der Rache? Der Mob (lat.: mobile vulgus – wankelmütiges gemeines Volk) lyncht nicht unkontrolliert, die Verurteilung und auch die Vollstreckung erfolgt geordnet durch Staatsorgane. Und dennoch: viele zweifeln den Sinn und auch die Berechtigung der Todesstrafe an. Selbst in den USA wird sie nicht in allen Staaten angewandt. Die Bundesrepublik hat sie im Grundgesetz gemäß Artikel 102 schon im Jahr 1949 abgeschafft. Unter anderem in der Hessischen Landesverfassung, dortiger Artikel 21, ist sie hingegen noch verankert. Keine Angst! Die hessische Verfassung ist aus dem Jahre 1946, also vorkonstitutionell, d. h. sie entstand vor dem Grundgesetz. Da Bundesrecht Landesrecht bricht, wenn eine gegenteilige Regelung vorliegt, gilt die Todesstrafe in Deutschland also als abgeschafft; auch in Hessen!

Gründe für die Aufrechterhaltung der Todesstrafe:

  1. Aufrechterhaltung der staatlichen Rechtsordnung. Frage: muss man einen Menschen töten, um die Rechtsordnung aufrechtzuerhalten? Nein! Unser Strafvollzug baut auf dem Prinzip Resozialisierung auf. Der Täter wird quasi „geheilt“, um wieder in die Gesellschaft entlassen zu werden. Zugegeben: dem Opfer und seinen Angehörigen nutzt das nichts mehr.
  2. Prävention. Der Einzelne und auch die Gemeinschaft sollen durch eine vollzogene Todesstrafe abgeschreckt werden! Wenn Du jemanden umbringst, wirst Du auch getötet! Frage: hat das je einen Mörder von der Tat abgehalten? Nein! Jeder begeht im Zeitpunkt der Tat nach seiner Meinung das „perfekte Verbrechen“.
  3. Archaische Motive: Entfernung des Täters aus der Gemeinschaft. Das geht auch mit der Verbannung, man muss ihn nicht gleich umbringen.

Rache, „Auge um Auge!“. Der staatliche Strafvollzug soll ja gerade privates Lynchen unterbinden. Man könnte es nicht mehr kontrollieren, eine unendliche Mordserie wäre der Fall. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, der biblische Grundsatz, ist kein Muss. Er ist eine Grenze: Schlägt mir jemand einen Zahn aus, dann darf ich ihm nicht zwei ausschlagen oder ihn gar töten. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit steckt hierin. Der Grundsatz wird immer wieder falsch gelesen. Oft wird gesagt, wer tötet, müsse auch getötet werden. Er kann, er muss nicht! Die Tat wird gespiegelt am Körper des anderen, direkt oder indirekt. Wer mir 100,– € stiehlt, dem nimmt man auch 100,– €. Das ist direkte Spiegelung. Indirekt heißt, man hackt dem Dieb die Hand ab. Er wird stigmatisiert!

  1. Religiöse Motive: Sie kommen aus dem Mittelalter. Die Seele muss geläutert in den Himmel eintreten. Man muss die Seele des Täters reinigen, ihm helfen, dass er gereinigt vor Gott tritt. Kurz vor der Vollstreckung bereue der Täter seine Sünden und begebe sich in die Hand Gottes. Es ging einzig und allein um die Seele des Täters, nicht um seinen Körper. Wie gesagt: Mittelalter! Was ist heute mit Atheisten? Wie kontrolliere ich die Reue eines Täters, bevor ich ihn umbringe? Was ist, wenn er nicht bereut? Darf ich ihn dann umbringen? Nein!
  2. Nicht zuletzt: auch Staatsorgane können irren! Wie viele Unschuldige wurden schon gehenkt?! Alles Geld der Welt kann einen zu Unrecht Getöteten nicht zurückbringen.

Jeder Staat möge abwägen, ob er die Todesstrafe einführt oder aufrechterhält. Richter und Geschworene mögen weise entscheiden. Eine große Bürde!

© Thomas Dietsch

Völkermord

Einer der ersten Genozide des 20. Jahrhunderts wurde an den Armeniern verübt. Das war 1915, während des Ersten Weltkrieges (1914-1918) unter der Verantwortung der jungtürkischen, vom Komitee für Einheit und Fortschritt gebildeten Regierung des Osmanischen Reiches. Im Krieg kämpfte das Osmanische Reich an der Seite des Deutschen Reichs gegen Russland. Nationalistische armenische Guerillas unterstützen an der osmanisch-russischen Grenze die Russen, weil sie sich davon einen eigenen Staat in Ostanatolien versprachen. Die armenische Zivilbevölkerung stand mehrheitlich loyal auf der Seite des Reiches. Doch die Regierung der Jungtürken bezichtigte sie kollektiv der Kollaboration mit den Russen. Historiker sind sich einig über die Bewertung der Ereignisse als Völkermord. Politisch streitet man, ob die damaligen Geschehnisse als Bürgerkrieg oder als Massaker im Sinne eines Völkermords zu werten sind. Die Türkei erkennt rund 300.000 Tote an, andere Stimmen gehen zum Teil von bis zu 1,5 Millionen toten Armeniern aus (Yves Ternon: Der verbrecherische Staat. Völkermord im 20. Jahrhundert. Hamburg 1996, S. 151).
Der wohl erste Völkermord geschah zwischen 1904 und 1908 in Deutsch-Südwestafrika.
Seit 1883 waren die Herero und andere Völker, wie die Nama, immer weiter von ihrem Land vertrieben worden. Ihre Rinderherden wurden immer kleiner, weiße Händler betrogen sie, ihre Rechte wurden immer mehr beschnitten. Schließlich kam es im Januar 1904 zum Widerstand der Herero in der deutschen Kolonie, dem heutigen Namibia. Herero besetzten weite Teile des Landes, töteten 123 Deutsche, plünderten Läden, raubten Vieh und zerstörten die Infrastruktur. Die Deutschen reagierten mit brutaler Härte. Kaiser Wilhelm II. schickte sogenannte „Schutztruppen“ ins Land. Sie verübten ein Massaker an den Herero, die in die Omaheke-Wüste getrieben wurden und dort elendig verdursteten und verhungerten.
Unter anderem die Völkermordkonvention von 1948 und das deutsche Völkerstrafgesetzbuch von 2002 regeln in juristischer Hinsicht den Begriff „Völkermord“ als Straftat.
Artikel II der Völkermordkonvention lautet:
Als wegen Völkermord zu Bestrafender gilt,
„wer in der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, vorsätzlich
1. Mitglieder der Gruppe tötet,
2. Mitgliedern der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden zufügt,
3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
4. Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,
5. Kinder der Gruppe in eine andere Gruppe gewaltsam überführt“.
Die Absicht – der Vorsatz – für die Tat genügt. Auf die tatsächliche Ausführung derer kommt es nicht an.
§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches der Bundesrepublik ist inhaltsgleich.

Warum werden die Taten von 1904 bzw. 1915 nicht strafrechtlich verfolgt?
Zum einen aus faktischen Gründen: die Täter sind schon lange tot!
Zum anderen gilt der Grundsatz: „Nullum crimen, nulla poena sine lege“ (kein Verbrechen, keine Strafe ohne Gesetz!).
Das Gesetzlichkeitsprinzip hindert uns, Taten, welche vor Erlass und Inkrafttreten des Gesetzes begangen wurden, zu bestrafen.

Und so gilt es, die damaligen Massaker aufzuarbeiten und sowohl historisch wie auch politisch dazu zu stehen.

 

© Thomas Dietsch