In der polnischen Hauptstadt Warschau sind am Samstag Tausende bei einem „Marsch für die Freiheit“ auf die Straße gegangen. Die Regierungsgegner demonstrieren nicht nur gegen die Missachtung der Urteile des Verfassungsgerichts und Gesetzesinitiativen zur Aufhebung der Unabhängigkeit der Justiz, sondern auch gegen eine Schulreform, die in Polen zum September das bisher auf die Grundschule folgende dreijährige Gymnasium abschaffen soll. Verabschiedet worden war die Reform Ende 2016 hastig und gegen den Widerstand von Fachleuten und Betroffenen. Ende April hatten im Parlament Gegner der Schulreform 950.000 Unterschriften für eine Volksabstimmung über die Reform eingereicht; 450.000 Unterschriften mehr, als dafür nötig sind. Die Regierung will jedoch den Antrag auf Volksabstimmung offenbar missachten: Ministerpräsidentin Beata Szydło sagt, die Initiative komme „zu spät“.

Stattdessen will nun Polens Präsident Andrzej Duda, der ebenfalls zur Regierungspartei Pis gehört, das Volk über ein anderes Thema abstimmen lassen: Er sprach sich für ein Referendum über die geltende Verfassung aus. Im Jahr 2018 – zum 100. Jahrestag der Wiedererlangung der polnischen Unabhängigkeit – sollten sich die Polen dazu äußern, ob sie mit der Verfassung zufrieden sind und „welche grundlegenden Schritte sie in der Zukunft wollen: welche Rolle der Präsident spielen soll, welche Rolle der Senat und der Sejm, welche Bürgerrechte und welche Freiheiten betont werden sollen“.

Dudas Initiative trägt die Handschrift von Pis-Parteichef Jarosław Kaczyński, der grauen Eminenz in Polen. Kaczyński entwarf schon 2005 und 2010 Verfassungsänderungen, die Polen stärker in Richtung einer autoritären Regierungsform rücken und Kontrollinstanzen schwächen sollten. Daran arbeiten Rechtsexperten der Pis auch aktuell: Anfang April erhielten Juristen in Briefumschlägen mit Pis-Briefkopf Schreiben parteinaher Kollegen. Darin wurden sie aufgefordert zu beantworten, ob etwa der für die Wahrung der Unabhängigkeit von Fernsehen und Radio zuständige Rundfunkrat „unbedingt nötig“ sei, und ob man nicht auf den Bürgerrechtskommissar verzichten könne. Dieses Amt hat in Polen Verfassungsrang: Sein Inhaber (der frühere Bürgerrechtler Adam Bodnar) kann bis hinauf zum Verfassungsgericht gegen sämtliche Gesetze und Initiativen der Regierung klagen – und tut dies. Pläne zur Entmachtung des Bürgerrechtskommissars finden sich bereits in früheren Entwürfen Kaczyńskis.

Dass ausgerechnet Präsident Duda eine Verfassungsreform vorschlägt, entbehrt nicht der Ironie: Schließlich hat der Präsident in seiner knapp zweijährigen Amtszeit polnischen Experten zufolge selbst die Verfassung gebrochen, etwa als er sich weigerte, drei rechtmäßig gewählte Verfassungsrichter zu vereidigen.

Der ehemalige Minister Hall nannte Dudas Initiative für ein Verfassungsreferendum ein Manöver, das die „Sanktionierung autoritären Regierens“ zum Ziel habe. Seit Monaten trommeln Pis-nahe Medien gegen verbliebene unabhängige Institutionen. Der für ein Verfassungsreferendum angekündigte Zeitpunkt 2018 dürfte auch mit anstehenden Wahlen zu tun haben: Viele Regionen und Städte sind unter Kontrolle der Opposition, die Pis spielt bereits Gesetzesänderungen zur Schwächung oder Ausschaltung aktueller Amtsinhaber durch. In den Regionen wird 2018 gewählt, ein Jahr darauf folgt die Parlamentswahl. Umfragen zufolge ist die Pis mittlerweile in der Wählergunst von 37 auf unter 30 Prozent gesunken – und die Bürgerplattform, die jetzt zur Massendemonstration in Warschau aufruft, liegt derzeit erstmals seit der Wahl 2015 wieder auf Platz eins.

Was die versuchten Verfassungsänderungen angeht, ist die Situation vergleichbar mit der in der Türkei. Dort geht es Ministerpräsident Erdogan ebenfalls um den Ausbau seiner Macht und um die Ausschaltung politischer Gegner, unter anderem der Gülen-Bewegung.

Die EU-Kommission hat die polnische Regierung bereits mehrfach verwarnt, sie sieht in einigen der Reformen eine Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit. Allein die Schwächung der Justiz – welche quasi eine Abschaffung derer darstellt – verstößt vehement gegen demokratische Grundsätze. Das System der Gewaltentrennung schließt auch die gegenseitige Kontrolle von Legislative, Exekutive und Judikative mit ein. Von der Justiz will sich die regierende Pis aber offensichtlich nicht kontrollieren lassen. Der Boden der Demokratie ist hiermit verlassen, solche Bestrebungen haben keinen Platz im freien Europa.

Nach Angaben der Warschauer Stadtverwaltung beteiligten sich rund 70.000 Menschen an der Kundgebung, die Polizei sprach von 9.000 Teilnehmern. Egal wie viele: manche werden sich an die eigene Nase fassen müssen. Wahrscheinlich haben viele der Demonstranten die Pis aus Protest gewählt, ohne an irgendwelche Konsequenzen zu denken. Letztere sind jetzt da: die Talfahrt von Rechtsstaat und Demokratie. Am Ende hat das doch keiner gewollt …

Darum überlege man vor jedem Kreuz auf dem Wahlzettel gut, wohin das Angekreuzte führen kann. Wir haben alle die Wahl. Noch!

Silvester 2016 in Köln. Die Bilanz:

Die Polizei nahm 27 Menschen mit Verdacht auf Straftaten vorläufig fest. Insgesamt 114 Strafanzeigen gingen bis Neujahr ein, darunter sieben Sexualdelikte, teilweise in Verbindung mit Diebstählen.

Die Bundespolizei nahm weitere 50 Strafanzeigen auf, darunter vorwiegend Diebstähle, Körperverletzungen durch Pyrotechnik, und außerdem vier sexuelle Belästigungen von Frauen.

In der Kölner Silvesternacht 2015 waren Hunderte Frauen begrapscht, beklaut und sexuell missbraucht worden. Im Jahr danach waren deutlich mehr Polizisten im Dienst.

Vor allem im Bereich des Hauptbahnhofes setzten sie mehrere hundert Männer fest oder sprachen Platzverweise aus. Nach Angaben der Polizei traten diese Männer aggressiv auf und waren meist nordafrikanischer Herkunft.

Der Großeinsatz und die damit verbundene Behördenbezeichnung „Nafris“, was polizeiintern für „nordafrikanische Intensivtäter“ steht, hatte am Montag eine parteiübergreifende Rassismus-Debatte ausgelöst.

Am Montag veröffentlichte die „Bild“ polizeiinterne Dokumente, wonach zu den Nafri-Staaten Ägypten, Algerien, Libanon, Libyen, Marokko, Syrien und Tunesien zählen. Darin heißt es auch, dass es sich bei „Nafris“ um kriminelle Banden handelt – vorwiegend Männer, die als Intensivstraftäter, nicht nur in Köln, sondern bundes- und europaweit agieren. „Das Klientel verhält sich äußerst aggressiv auch gegenüber einschreitenden Polizeibeamten und Mitarbeitern der Stadt.“

Eigentlich sollte dieser interne Begriff auch nicht in Polizeimeldungen auftauchen. Beim Twitter-Kanal der Kölner Polizei erschien er in der Silvesternacht dann aber doch – angeblich, um Zeichen zu sparen.

Mit solchen verallgemeinernden Begriffen, besteht die Gefahr, Stereotype zu erzeugen: von den gefährlichen Menschen aus Nordafrika.

Grünen-Chefin Peter stellte in diesem Zusammenhang die Verhältnis- und Rechtmäßigkeit des Großeinsatzes als Ganzem in Frage, da „insgesamt knapp tausend Personen alleine aufgrund ihres Aussehens überprüft und teilweise festgesetzt“ worden seien.

Der Gebrauch von „herabwürdigenden Gruppenbezeichnungen wie ‚Nafris‘ durch staatliche Organe wie die Polizei“ sei „völlig inakzeptabel“, sagte Peter.

Özdemir sagte Anfang der Woche, für ihn sei die Debatte um die Nutzung des „Nafri“-Begriffs durch eine entsprechende Entschuldigung des Kölner Polizeipräsidenten erledigt. Jener hatte die Verwendung des Begriffes als „unglücklich“ bezeichnet – die Kontrollen selbst aber verteidigt.

Auch andere Parteikollegen positionierten sich deutlich vorsichtiger als Peter. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckart sagte, Polizeipräsident Mathies habe durch seine Entschuldigung gezeigt, „dass er sich der Risiken von Racial Profiling bewusst ist“.

Was ist „Racial Profiling“?

Der Begriff kommt aus den USA und wird von der Polizei verwendet. Er bedeutet in etwaethnische Fahndung“ – es geht darum, bei Kontrollen vor allem Menschen mit bestimmten Merkmalen ins Visier zu nehmen.

Kritiker halten das „Racial Profiling“ daher für rassistisch: Es macht pauschal alle Menschen eines bestimmten Hauttyps zu Verdächtigen und grenzt sie von der Mehrheitsgesellschaft ab (European Network Against Racism). Das Oberverwaltungsgericht Koblenz (vom 29.10.2012, Aktenzeichen: 7 A 10532/12.OVG) erklärte die Kontrollmethode in der Vergangenheit für rechtswidrig.

Darf die Polizei Personen anhalten und befragen?

Die Polizei muss immer einen Grund benennen, wenn sie Personen kontrolliert. Dabei muss es sich aber nicht immer um einen konkreten Verdacht handeln. Unter bestimmten Umständen sind auch präventive Kontrollen zur Gefahrenabwehr erlaubt. Sie dienen nicht der Verfolgung einer Straftat, sondern sollen sie verhindern.

Dabei reicht es aus, dass an einem bestimmten Ort von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen ist – zum Beispiel bei Demonstrationen, bei welchen mit Ausschreitungen gerechnet werden muss, Drogenumschlagsplätzen oder – aus aktuellem Anlass – bei Silvesterfeiern in Köln, Nähe Hauptbahnhof.

Fazit: Personenkontrollen zwecks Vermeidung von Straftaten sind erlaubt – eine Eingrenzung der befragten Personen nach bestimmten Merkmalen (z.B. Hauttyp) ist rechtswidrig.

 

 

Körperlich ausgeübte Gewalt ist zu über 90 Prozent männlich. Es kommt aber darauf an, von welcher Gewalt man spricht. Es gibt viele Arten von Gewalt. Man kann die Gesellschaftsformen, die unsere Kultur entwickelt hat, als Versuche beschreiben, die Gewalt, die in ihnen steckt, zu beherrschen, zu kontrollieren, zu minimieren oder sogar zu verwandeln ins Gegenteil: in freundliches, produktives Miteinander.

Die Gewalterzeugung selbst gehört zu den Menschen, nicht nur im Sinne direkter Aggressionen. Unsere Art und Weise, in die Natur einzugreifen, sie umzuarbeiten, zu gestalten, sie auszubeuten, ist prinzipiell gewalttätig. Unsere Arbeitsverhältnisse, die Organisation unserer Fabriken, des Straßenverkehrs, unsere Wohnverhältnisse, sowie unsere Beziehungen sind immer auch Gewaltverhältnisse. Das vergessen wir oft im Alltag. Wir sprechen von „Gewaltenteilung“, wenn wir Gesetzgeber, unsere Exekutive, wie z.B. die Polizei und die Rechtsprechung voneinander trennen. Die politische Macht mit ihrem „Gewaltmonopol“, das wir ihr zugestehen, soll kontrolliert und begrenzt werden.

Dem gegenüber gibt es direkte Aggression.

Kein Tier kann mithalten mit dem Gewaltpotenzial des Menschen.

Gibt es Unterschiede in puncto Gewalt zwischen Männern und Frauen? Der Unterschied liegt grundsätzlich in der verschiedenen Körperlichkeit von Frauen und Männern. Der biologische Unterschied ist dabei aber nicht der entscheidende. Die Differenz basiert auf jahrtausendelangen gesellschaftlichen Konditionierungen: Arbeitsteilungen. Männerkörper und Frauenkörper werden verschieden zu- und ausgerichtet in ihren sozialen Funktionen. Frauen: im Haus, auf den Feldern und mit Kindern. Männer: im Außenbereich, im Bau der Festungsanlagen, im Bergbau, im Schiffsbau.

Krieg – zum Beispiel – ist eine Erfindung von sesshaft gewordenen männerdominierten Gesellschaften.

Männer sitzen auf Pferden, fahren auf Schiffen: Krieger! Die Amazonen (altgriechisch Ἀμαζόνες – Amazones) der altgriechischen Mythen und Sagen, mit Pfeil und Bogen und amputierter Brust kämpfende Kriegerinnen, sind eine Männerphantasie. Der Mannkörper, der kulturell historisch darauf gedrillt ist, seine emotionalen Problematiken in muskulären Aktionen nach außen zu richten, gegen Andere, ist keine Frauenphantasie, sondern eine Tatsache. Das gilt bis heute! Männer werden unter Belastung eher aggressiv (nach außen), Frauen eher depressiv (also nach innen) – das ist mehrfach belegt. Vieles davon löst sich in modernen Gesellschaften auf. In den meisten Gesellschaften der Erde aber ist die männliche Gewaltdominanz nach wie vor gesetzlich abgesichert.

Es gibt bestehende „Ungleichzeitigkeiten“, die es zu bedenken gilt. Was in der einen Gesellschaft historisch überholt ist, ist in der andern aktuell und gültig. In Ländern, in denen sich eine Politik der Gleichheit der Geschlechter langsam durchsetzt, dürfen Männer auch schwach sein. Das hängt davon ab, ob sich Menschen in der Umgebung befinden, die das zulassen. Die Gewalterfahrung mildert sich ab, wenn man sie mit anderen teilen kann; es eröffnen sich Wege gewaltfreien Verhaltens.

Stichwort Gewalterfahrung: Es ist möglich, Arten von Gewalt nach Geschlechtern zu unterteilen. Gewalt durch Frauen geschieht auf anderen Feldern als den männlichen. Frauen können ihre Kinder ablehnen oder quälen; sie können untereinander tödlich konkurrieren („Zickenkrieg“) oder sich gemein verhalten. Frauen führen die Giftmordstatistik an. Sie können anderen das Leben zur Hölle machen. Sie sind eine andere Art Gewalttäter als Männer. Sie sind nicht die Vollstrecker körperlicher Zerstörungsgewalt; diese ist fast immer männlich, überall auf der Welt. Männer schlagen Frauen; umgekehrt passiert das selten. Frauengruppen, die andere menschliche Körper in Lustzuständen zerstören und sich damit brüsten, gibt es kaum auf der Welt. Eine Ausnahme könnten Kriegerinnen des Islamischen Staates sein, wofür es aber keine aktuellen Belege gibt. Dass sich die Bereitschaft in diesem Feld zu neuen Arten von Gewalt derzeit im Wandel befindet, ist aber höchst wahrscheinlich.

Ausgeübte Gewalt gegen andere zerstört immer auch etwas in der eigenen Körperlichkeit. Bei den gewalttätigen oder folternden Männern zerstören ihre Handlungen die Möglichkeiten für das Mitempfinden dessen, was in anderen Körpern vorgeht. Ausgeübte körperliche Gewalt trennt nicht nur von den Gefühlen anderer, sie trennt auch von den eigenen Gefühlen. In diesem Punkt sind Frauen die weniger Zerstörten unserer Gesellschaften.

Psychische Gewalt ist auch physische Gewalt. Nur ihre Spuren sind verschieden. Das blaue Auge sieht jeder; die wunde Psyche nimmt man selten wahr.

Fazit: Alle Gewalt ist zerstörerisch!

 

 

26. Oktober 1962: Die Hamburger Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ werden von Polizei besetzt und durchsucht. Der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß fühlte sich von den Journalisten unter Druck gesetzt, erwirkte in der Folge bei Bundes-kanzler Konrad Adenauer die Durchsuchung. Der Grund: In der Spiegel-Ausgabe vom 8. Oktober 1962 erschien ein Artikel unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“, in dem dargestellt wird, dass das von Strauß vertretene Verteidigungskonzept der Bundeswehr einen potentiellen Angriff des Warschauer Paktes nicht abwehren könnte. Die Erkenntnis stützte sich unter anderen auf Ergebnisse des NATO-Manövers Fallex 62. Mehrere Spiegel-Redakteure werden wegen Landesverrates und Bestechung festgenommen, da man vermutet, dass die Journalisten ihre Informationen durch Geldzahlungen erhalten hätten. Der Angriff auf die Pressefreiheit führt zu heftigen Protesten aus der Bevölkerung und im Laufe der Affäre kommt es zum Bruch des Kabinetts Adenauer. Die verhafteten Redakteure des Spiegel werden sukzessive entlassen, und nach insgesamt 103 Tagen in Untersuchungshaft ist schließlich auch Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein wieder frei.

25. Februar 2015: „Netzpolitik“ zitiert in einem Artikel aus internen Unterlagen des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV). Darin geht es um Pläne des Inlandsgeheimdiensts, massenhaft Internet-Inhalte auszuwerten. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen sieht Verrat an Geheimnissen der Bundesrepublik und erstattet eine erste Strafanzeige. Sie richtet sich gegen „unbekannt“. Am 15. April 2015 legt „Netzpolitik“ nach: Die Blogger zitieren erneut aus internen Akten des Verfassungsschutzes. Es geht um eine BfV-Referatsgruppe, die massenhaft das Internet auswerten soll. Maaßen stellt eine zweite Strafanzeige. Die übergeordnete Behörde, das Bundesinnen-ministerium, ist durch Maaßen informiert und billigt die Strafanzeigen. In der Folge übersendet das BfV ein ausführliches Rechtsgutachten an Generalbundesanwalt Range, das den Verrat von Staatsgeheimnissen bejaht. Range gibt im Juni bei einem unabhängigen Fachmann noch ein externes Rechtsgutachten in Auftrag, ob es sich bei den „Netzpolitik“-Informationen tatsächlich um Staatsgeheimnisse handelt, wie es der Verfassungsschutz behauptet. Das Gutachten erhält er am 3. August. Der Befund: Ja, es handele sich um Staatsgeheimnisse. Ende Juli sehen Kritiker einen Angriff auf die Pressefreiheit. Minister Maas rückt demonstrativ von seinem unter Beschuss geratenen Generalbundesanwalt ab. Er bezweifle das Vorliegen von Landesverrat, sagt Maas. Den Rest kennen wir: Range sieht die Unabhängigkeit der Justiz gefährdet. Es gebe nicht nur die Unabhängigkeit der Presse. Hierbei verkennt der Generalbundesanwalt, dass er kein Richteramt innehat und als Beamter den Weisungen des Justizministeriums untersteht. Er wettert gegen Maas. Dieser sieht nun das Verhältnis gänzlich als zerrüttet an und trennt sich von Range.

Warum soll die Veröffentlichung der Unterlagen durch „Netzpolitik“ strafbar sein? § 94 Abs. 1 2. Alternative des Strafgesetzbuches (StGB) lautet:

„Wer ein Staatsgeheimnis …

sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,

und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.“

Der Begriff „Staatsgeheimnisse“ ist in § 93 StGB definiert als „Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.“

Wollte „Netzpolitik“ die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mit der Veröffentlichung der Unterlagen gefährden? Hat Deutschland mit dem Bekanntwerden dieser Tatsachen einen „schweren Nachteil“ in der äußeren Sicherheit, d.h. gegenüber fremden Staaten? Man darf zweifeln. Sowohl innen- als auch außenpolitisch ist seit dem Bekanntwerden der NSA-Affäre und der damit verbundenen staatlichen Bespitzelung von Politikern und Bürgern das Problem allgemein bekannt. Es wäre fast verwunderlich gewesen, wenn die deutschen Sicherheitsbehörden anders verfahren wären.

Die Unterlagen galten darüber hinaus als „VSV“, „Verschlusssache vertraulich“. Vertraulich ist weder „geheim“, noch „streng geheim“! Das Wort „Geheimnis“ steckt hier nicht drin. Jedenfalls nach wörtlicher Auslegung. Nach systematischer Auslegung bedeutet es aber, dass die Unterlagen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind. Hiergegen verstößt die unbefugte Veröffentlichung.

Trotz allem erscheint die Verfolgung der Angelegenheit als „Landesverrat“ überzogen. Zumal die äußere Sicherheit der Bunderepublik nicht gefährdet ist. Eine Sache für die Rechtsexperten!

© Thomas Dietsch