Lieber Pierre,

ich lese Gedanken, Erklärungen, Angst und all das ist natürlich menschlich. Heute wollte ich mich ursprünglich nicht in bereits bekannten Fakten, Argumenten und Schlussfolgerungen verlieren, wie es derzeit unendlich viele – in zum Teil überflüssigen Talk-Shows und Internet-Portalen – tun. Jeder hat selbstverständlich seine Meinung und auch der letzte Quacksalber darf mit Thesen und Ansichten die Leute noch mehr verschrecken. Schaltest du den Fernseher an, wirst du zugeschossen mit dem Wort „Corona“ oder „Covid-19“ und jedermann wälzt tausendfach von hier nach da. Wir alle hätten gerne eine sofortige Lösung, die es aber nicht gibt. Tatsache ist, dass Pandemien die Geschichte der Menschheit schon immer begleitet haben und es auch zukünftig tun werden. Viren konnte man bisher nicht gänzlich ausrotten und das wird auch in Zukunft nicht möglich sein. Sie mutieren, verändern sich, breiten sich für unser Auge unsichtbar aus und sind uns – wenn sie neu entstanden sind – erst einmal einen großen Schritt voraus. Eines Tages werden wir einen Impfstoff gefunden haben und damit dürfte dieser Spuk ein Ende haben. Was wir heute feststellen können ist, dass sich die Geschwindigkeit – auf Grundlage der Globalisierung – rasant erhöht. Die ganze Welt ist miteinander verbunden und wir sitzen alle im gleichen Boot.

Ja, lieber Pierre, es macht Angst. Erstmalig seit meiner Geburt fühle auch ich mich bedroht, stehe fast machtlos da und wünsche, dass meinen Kindern und meiner Familie nichts passiert. Unglaublich ist, dass bei dieser Gefahr dennoch so viele Menschen die einfachsten Infektions- und Besuchsregeln missachten und größtenteils immer noch ohne Masken herumlaufen. Ihnen dürfte doch sicher auch klar sein, dass nur eine konsequente Einhaltung der Infektionsmaßnahmen schützen? Kaum zu glauben, dass gerade die ältere Generation reichlich sorglos damit umgeht (wie ich immer wieder beobachten konnte). Trotz Kontaktsperre kamen über Ostern Enkelkinder zu Oma und Opa, feierten als ob ihnen nichts passieren könnte. Ja, mir fehlen die Worte und ich hoffe, dass diese Nachlässigkeit aus rein egoistischen Gründen nicht doch am Ende seine Opfer holt. Ein Unverständnis auch für die Leugner, denen bis jetzt 4.000 Tote in Deutschland egal zu sein scheinen (solange es niemanden aus deren Umfeld trifft) und die der Meinung sind „alles halb so schlimm, reine Panikmache“. Die weltweiten Zahlen und lock down-Aktivitäten mit Aufrüstung von Intensivplätzen und Beatmungs-Kapazitäten passieren sicher nicht aus einer „alles-nicht-so-schlimm-Laune“ heraus.

Nun zum Thema Kirche: Der liebe Gott hat damit garantiert nichts zu tun und wird uns auch nicht aus dieser Misere befreien. Schlichtweg weil es diesen Quatsch von Gott und diesem Kirchen-Unsinn nicht gibt. Da kommt niemand vom Himmel runter und nimmt mich barmherzig an die Hand, führt mich in eine bessere Welt. Dass die Kirchen, Gotteshäuser und Moscheen geschlossen sind, finde ich absolut korrekt. Wir müssen nicht irgendeinen Aberglauben anbeten, der uns sowieso nicht hilft. Im Jahr 2020 dürfte dieser Blödsinn mit seinen dogmatischen Prinzipien doch sicher überholt sein. Jedenfalls bin ich nicht bereit, eine Kerze anzuzünden – und wenn, dann für eine kuschelige Liebesnacht zu Zweit. Kirche? Der liebe Gott? Nein, Pierre – nichts für mich und schon gar nicht interessant in Corona-Zeiten. Wir haben Besseres zu tun, oder nicht?

Ich verstehe die Ohnmacht, die uns umgibt und ich verstehe durchaus, dass wir die Beschneidung unserer Freiheitsrechte sowie die Reduktion des gesellschaftlichen Lebens unbequem finden. Was in meinen Augen die derzeitigen Lockerungen betrifft, erfolgt dies aus rein wirtschaftlichen Interessen. Ob das sinnvoll ist und nicht letztendlich zum Schaden der Bürger sein wird, werden wir erst in einigen Wochen sehen.

Covid-19 wird jedenfalls so lange weiterhin Menschenleben kosten und zu Erkrankungen führen bis es flächendeckend einen Impfstoff gibt. Daran gibt es wohl keinen Zweifel – es sei denn, die Virologen und Wissenschaftler wissen schon mehr als sie verraten wollen. Noch eines, lieber Pierre: Die Verschwörungstheoretiker sollte man an die Wand stellen – sie verunsichern das Volk zusätzlich, streuen Wut und Misstrauen und tragen absolut nicht zur Besserung und zum Verständnis bei. Ich möchte, dass Europa stark bleibt und dass eine große Solidarität uns allen Kraft gibt. In der Krise siehst du deinen Freund und deinen Feind. Du siehst die Dummheit ebenso wie die Gemeinschaftlichkeit, den Idioten ebenso wie den Achtsamen. Und du siehst, wie fragil unsere Welten-Systeme sein können. Prost nach München zum in 2020 nicht stattfindenden Oktoberfest und – Covid-19 sei Dank – die Alkoholiker ihren Sauf-Rausch endlich einmal zügeln müssen. 

 

Eine herzliche virtuelle Umarmung,

Petra

  

© Petra M. Jansen

http://literatourpoetictext.blogspot.com/                

 

 

Solidarität und Zusammenrücken in einer Zeit, in der Abstand der höchstmögliche Schutz ist – das ist bei jedem mittlerweile angekommen. Was aber ist meine ehrliche Erfahrung in dieser erschütternden Zeit? Die besten Freunde, die ehrlichsten Freunde und die wichtigsten Freunde kommen nicht aus der virtuellen Welt und nicht aus den Reihen derer, die irgendwo anders auf diesem Planeten stets ihren üblichen Senf dazugeben. Meine Erfahrung der letzten Wochen hat mir sehr deutlich gezeigt, dass meine wirklich ernst gemeinten Ratschläge, die ich schon vorab (bedingt durch meine Arbeit) wusste und weitergegeben hatte, beim jeweiligen Empfänger eher in Unglauben oder eine Skepsis, ob ich denn überhaupt wüsste wovon ich spreche, erzeugt hatten. Als ich begann, frühe Informationen selektiert an „Freunde“ weiterzugeben, nahm man mich nicht ernst. Sie warteten auf die offizielle Bestätigung der öffentlichen Medien und das kam teilweise zeitversetzt mehr als Tage später. Dabei vergaßen diese Wenigen, dass WIR (und auch ich somit) Medien sind und einige Berufe mehr oder weniger zeitlich etwas früher informiert sind. Das hängt damit zusammen, dass in Berufen, die gerade jetzt helfend an der Front arbeiten und das Ding am Laufen halten müssen, bereits Informationsschreiben, Genehmigungen und Maßnahmen-Kataloge erhalten, die sie für weitere Schritte im Ernstfall ausweisen und – im Falle eine Ausgangssperre – den Weg für ein problemloses Passieren an eventuellen Barrieren/ Kontrollen freimachen. Zudem müssten bestimmte Berufsgruppen selbstverständlich für ihre Arbeit mit Schutzmaßnahmen und Schutz ausgestattet werden, damit sie selbst nicht erkranken und weiterhin helfen bzw. arbeiten können. Was passierte als ich dringend – wirklich sehr dringend – nur eine einzige Mundschutzmaske brauchte? Totalausverkauf, online wie offline! Ich suchte verzweifelt und danke noch heute einem Herrn, der direkt bei mir gegenüber wohnt und mir nicht eine sondern z e h n Masken in die Briefkasten warf. Das nenne ich echte Freundschaft in einer Notsituation, in der die sonst „besten Freunde“ bedauernd die Kopf schüttelten und sagten, sie hätten leider keine mehr (laufen aber selbst damit herum).

Auch ist es traurig, wenn man doch sehen muss, dass angebliche Freunde genau wissen, welche Leistung man derzeit täglich erbringt und mit welchem Risiko das verbunden ist. Wenn sie dann irgendwann in eine Art verbale Starre verfallen und es nicht als nötig erachten, einmal nachzufragen, wie es einem geht, ist das arg enttäuschend. Funkstille. „No words“ kommen in Krisenzeiten, wobei der täglich Plausch über Kaffee und Blödsinn auch sonst jederzeit möglich war. In Zeiten, in denen jetzt allgemein ernsthaftes Interesse an der Gesundheit gezeigt werden muss, ist es an mancher Stelle vorbei. Vielleicht genau bei denen, denen man helfen wollte und die nun das Gefühl haben, man wollte sie bevormunden. Vielleicht haben sie auch das Gefühl nutzlos zu sein, wenn sie sehen, dass andere sich täglich in den Kampf um Gefahrenabwehr, medizinische Versorgung, öffentliche Sicherheit und Lebensmittelversorgung kümmern. Ich weiß es nicht.

Eines habe ich aber gelernt: Der echte Freund wohnt direkt in deinem Umfeld. Der echte Freund ist deine Familie, die sich um dich sorgt und mitnichten der Quatschkopf, der auf deine Nachricht „Bleib gesund“ mit „Bleib geil“ antwortet. Auch das ist mir passiert in den letzten Wochen der Corona-Krise und ich habe die Schnauze gestrichen voll von Freunden, denen es egal ist, wie es einem geht, wenn man nicht jetzt gerade mal nicht mehr bereit ist, den lustigen Unsinn und oberflächliches Blabla von sich zu geben. Zugegeben, der Humor ist mir etwas abhandengekommen – aber wen wundert das, wenn man fünfzig Stunden und mehr arbeitet, um anderen Menschen irgendwie auf seine Art und Weise und im Rahmen der beruflichen Möglichkeiten zu helfen?

Ich denke, all diejenigen, die nicht begriffen haben, dass Freundschaft auch in Krisenzeiten aufmunternde Worte braucht und echte Unterstützung (auch durch Masken, die im Briefkasten landen), die können ihr Fehlverhalten auch nach der Krise nicht mehr gutmachen. Freundschaft zeigt sich eben doch genau in den Momenten, wo eine fühlbare Krise herrscht.

Mein Dank heute an all diejenigen in meinem direkten Umfeld, die Mut zusprechen, Positivität ausstrahlen, mir Brötchen an die Haustüre hängen (sogar anbieten, mit einer Liste für mich einkaufen zu gehen, weil ich einfach keine Zeit habe) oder einfach nur mal danach fragen, wie es einem geht. Dankeschön auch an einige meiner Ex-Lebenspartner für die Besorgnis und die Erkundigungen, ich weiß das sehr zu schätzen – es zeichnet euch als Mensch aus.

 

© Petra M. Jansen

 

http://literatourpoetictext.blogspot.com/