Lieber Pierre,

schäle den Spargel, koche die Kartoffeln… etwas Sauce Hollandaise und einige Radieschen dazu. Später die Blaubeeren und einen Espresso, dann aufräumen. Warum ich das sage? Ganz einfache Dinge, die im realen Leben Zeit kosten und davon normalerweise so viel, dass wir nicht stets online präsent sein und gleichermaßen am realen Leben teilnehmen können. Kochst du ordentlich dein eigenes Menue, plapperst du nicht zeitgleich irgendeinen Unsinn im Internet. Vielleicht später oder davor oder am Wochenende oder… tja, lieber Pierre, es ist unsere digitale Welt, die uns fasziniert und die menschlichen Eigenschaften wie Voyeurismus, Narzissmus, Mitteilungsbedürfnis, Prahlerei oder auch Einsamkeit macht das Ganze zu einem virtuellen Brei. Dazu kommt die Werbung, der Umsatz mit Internetgeschäften und viel, viel mehr. Ich zähle das nun nicht alles auf, was die digitale Welt mit seinen sozialen Netzwerken bedeutet, aber es bedeutet auch immer, dass einige Wenige finanziell stark davon profitieren, während die Schafs-Masse (also das Volk) brav und artig jeden Scheiß mitmacht – inklusive Hose runterlassen und kostenlos Daten zur Verfügung stellen. Wer also seine – ohnehin schon knappe Zeit – mehr als nötig der sozialen Präsenz widmet, ist vielleicht arbeitslos, einsam, psychisch geschädigt, hat sie nicht mehr alle? Wohl von allem etwas und stets voran ein angeknackstes Ego und die unersättliche Sucht nach Streicheleinheiten.

Das Machtinstrument Internet ist einerseits wahnsinnig unterhaltsam, spannend bei der Entdeckung neuer Musik, Fotos, Kunst, Artikel und mit Sicherheit ein Segen für viele Studenten und Schüler, die tatsächlich interessante und wichtige Informationen aus dem Netz beziehen.  Auch denke ich an Personen, die z.B. im Rollstuhl sitzen und kaum andere Möglichkeiten haben, sich zu informieren oder mit Menschen Kontakt aufzunehmen. Andererseits liegt es an uns, wie wir damit umgehen und wann wir wie anwesend sind, uns einlesen, erreichbar sind. Niemand ist gezwungen, das zu tun und ich halte ein gesundes Maß – wie bei allen anderen Dingen auch – für wichtig. Wir dürfen nicht das „world-wide-web“ mit seinen Möglichkeiten aburteilen sondern stets nur uns selbst. Haben wir den Wahn, ein exzessives Online-Leben zu führen, stimmt da einfach etwas nicht mit dem „User“. Was Segen ist, kann auch Fluch bedeuten, aber das ist immer so und hier ist das eben keine Ausnahme. Wenn ich den ganzen Tag Schokolade fresse darf ich mich nicht wundern, wenn ich fett und träge werde und so ist es auch mit der Internetpräsenz. Die Anonymität ist zudem die Basis für virtuelle Gefechte, Hass und Partnersuche. Merkt ja schließlich keiner, dass da eigentlich ein Hund an der Tastatur sitzt… Spaß beiseite!

Wenn nun jemand in deinem Umfeld virtuell mit Selbstmord droht, lass sie… sag einen schönen Gruß und poste gleich den Strick dazu. Ich nenne das Aufmerksamkeits-Defizitsyndrom und naja…dann ab in die Kiste – Leute, die gehen wollen, sollte man nicht aufhalten. Ganz ehrlich, lieber Pierre, ich habe weder die Zeit noch die Lust, mich mit jedem Bekannten oder Unbekannten im Internet zu unterhalten, denn dazu ist mir meine Lebenszeit zu kostbar. Es interessiert mich auch schlichtweg einfach nicht und ich bin kein oberflächlicher, egoistischer Mensch, aber der größte Teil (ca. 85% der Community-Postings) ist Schrott, geistloses Zeug und Falschaussage (Webseiten sind geduldig). Da schnuppere ich lieber ein wenig Wiesenprise, mache mir in Ruhe Gedanken über kreative Arbeiten und nutze dieses Medium ganz einfach für meine Arbeiten oder die Kunst (inkl. Musik). Unterhaltungen führe ich in der Regel nicht, stehe aber meinen Kunden und Lesern gerne zur Verfügung. Es gibt ein altes Sprichwort „Willst du was gelten, komme selten“ und das finde ich auch virtuell angebracht.

Diese ganze Social Media Marketing-Blase ist völlig überbewertet und viel zu aufgeplustert, sofern man nicht Amazon oder Otto Versand ist. Seit Jahren habe ich Kunden im Social Media beraten und kann nur sagen „Was für ein Hype!“ Selten rechnet sich die Permanent-Präsenz und jeder bildet sich ein, es wäre unbedingt nötig. Nein, nicht für jeden und schon gar nicht in diesem Umfang. Es schafft allerdings neue Arbeitsplätze, das muss ich fairerweise zugeben.

Im Internet hat man keine echten Freunde, es sei denn, es sind deine realen Freunde und auch die haben nicht immer Bestand, denn manchmal sind Freunde „es-waren-mal-Freunde“ und manchmal sogar tatsächlich zerstört durch Social Media Communities. Wir vermischen hier zwei Welten, die parallel verlaufen. Die reale Welt ist meine Welt und die Internetwelt dient dazu, meine reale Welt zu propagieren und damit Menschen breitflächig und international zu erreichen. In den seltensten Fällen äußere ich mehr als nötig und jeder muss sich darüber bewusst sein, dass (sofern mit eigenem Namen aktiv) Arbeitgeber, Chefs und Recruiting-Firmen mitlesen und sich ihr strammes, gnadenloses Urteil bilden. Was die Verbreitung um den Erdball anbelangt, ist das „www“ ein echter Segen, denn auf diese Art und Weise kann man tatsächlich eine breite Leserschaft generieren und eben auch Artikel importieren, die im Handel nicht lieferbar sind. Die Datenauswertung und Ortungsmöglichkeiten lasse ich heute mal weg.

Bei mir gilt: Ruhe bedeutet,  alles auszuschalten und nicht erreichbar zu sein und das kann ich sehr gut! Wer Sklave seines Handys ist, ist selbst daran schuld und darf sich nicht beschweren, wenn keine Zeit für die Zeit ist. Wer dauerhaft mit Apps verbunden ist und dadurch keinerlei Ruhe mehr findet, ist schlichtweg ein Vollidiot. Um dann zu jammern, dass man so gar keine Zeit mehr hat? Ich höre immer wieder „keine Zeit“… und wenn sie alle einmal zusammenrechnen würden, wieviel Zeit für den Community-Mist drauf geht, erübrigt sich der nächste Satz. Wer einen anstrengenden Beruf hat, kann es sich kaum erlauben, stets präsent zu sein und nutzt Handy, Smartphone, Laptop, Tablet, PC etc. nur selektiv, denn irgendwo hat alles seine Grenzen.

Was unser Segen ist, ist gleichzeitig unser Fluch? Fortschritt bedeutet auch einen umsichtigen Umgang mit neuen Medien und so viel Intelligenz sollte eigentlich möglich sein. Normalerweise. Aber was ist schon normal in dieser absurden Welt, in der Fakes im Internet zeitraubender sind als reale, soziale Kontakte? Jedem muss es gestattet sein, auch einmal nicht erreichbar zu sein, aber die menschliche Neugier ist stärker. Die wahre Netzgröße mit vielen „Likes“ ist für mich ein armes Schwein, denn das alles zu pflegen, kostet unendlich viel Freizeit und die verlorene Zeit, die kommt niemals zurück. Ja, lieber Pierre, ich bin sehr real und meine knappe Präsenz im Internet ist bewusst, denn ich will leben, lieben, lachen, sehen, riechen, fühlen, schmecken und habe keine Lust eine dumme Show abzuliefern, damit „User1“ aus Uruguay, „User2“ aus Mexiko, „User3“ aus den USA mich bauchpinseln und mir virtuelle Küsschen zuwerfen oder mich gar zu Cybersex-Orgien einladen (alles schon passiert).

Darf man sich nun wundern, dass so viele Menschen alleine sind, wenn sie nicht wirklich begreifen, dass uns das digitale Zeitalter nicht nur Fortschritt sondern ganz furchtbar viel Einsamkeit und Angriffsfläche gebracht hat? Fazit: Nicht das Internet allgemein verurteilen mitsamt allen Funktionen via Handy, IPhone, Laptop… sondern sich an die eigene Nase fassen und sich bewusst fragen „Wie viele Informationen möchte ich preisgeben? Wie lange will ich online sein und bleiben? Wie steht es um reale Sozialkontakte? Ist das alles die Mühe wert? Lohnt es sich, überall seine Nase reinzustecken? Sind wir nicht schon genug unter Strom und klagen über Mangel an Freizeit? Haben wir ein erfülltes Real-Leben?“ Das alles sind die Antworten und wer im täglichen Leben versagt, haut gerne virtuell auf die Kacke. Resümee: Selbstmordgedanken. Unglücklich sein im Vergleich mit anderen, wo offenbar der Bär steppt und stets das Gefühl zu haben, unser eigenes Leben wäre langweilig. Schlafprobleme und vieles mehr. Aber es liegt einzig und alleine an uns – an jedem Einzelnen und n i c h t an der Öffnung in ein digitales Zeitalter und an der Erfindung des Internets oder Smartphones.

Und jetzt kommen die Putenfilets mit Reis und Salat. Danach einen Pudding mit Vanillesauce, später der Espresso… ich bin also offline.

 

Einen herzlichen Gruß,

Petra

© Petra M. Jansen

http://jansen-marketing.de

 

Liebe Petra,

ich sauge und sauge Nachrichten auf und werde langsam süchtig. Unentwegt schaue ich auf mein I-Phone um zu erfahren, was die Zeitungen berichten, ob mir Facebook-Freunde eine Bemerkung geschickt haben oder die Suche nach meinen Mails, die meistens belanglos sind. Nein, ich benötige kein Viagra, keine billige Krankenversicherung und keinen Verdienst von mehr als 5000.- Euro pro Tag. Man wird ständig mit Mist überworfen und dafür sollte man dankeschön sagen. Ich merke schon, dass ich nicht nur mental von dieser Flut erfasst werde, auch physisch fühle ich mich schlecht, wenn zum Beispiel der Server nicht will oder wenn die Technik streikt und das ist mehr als bedenklich. Ich versuche die sozialen Netzwerke zu benutzen, um das zu schreiben, was mich so berührt und meine Texte werden gelesen. Vielleicht von Menschen, die genauso wie ich, den Entzug befürchten. Das Schlimme dabei ist, dass die Empfangsgeräte nicht 1t wiegen. Warum? Weil man sie sonst nicht überall mit sich schleppen könnte. Haben sie es schon mit einem tonnenschweren Handy versucht? Nein, ich bin keineswegs bescheuert, aber wenn ich alle – mich inbegriffen – auf das Display blicken sehe, frage ich mich, ob wir noch alle Tassen im Schrank haben. Sehr wahrscheinlich nicht! Auf jeden Fall erspart uns das Netz, eine hübsche Frau anzusprechen und sie zu einem Date zu bitten. Alles geschieht digital, selbst der Liebesakt, den ich besser als Porno bezeichnen würde. Eine widerliche Lutscherei, die kein Ende findet… Schwamm drüber. Ich bin keineswegs gegen die neue Technik und genieße sie auch, aber man sollte, wie es bei einem Gourmet üblich ist, sparsam damit umgehen. Das versuche ich meinem Enkel einzutrichtern, aber er grinst mich an. „Fang selbst damit an und komm´ dann mit deinen blöden Sprüchen“  und leider muss ich ihm Recht geben. Die digitale Welt ist eine digitale Droge, die uns digitale Sensationen bringt, die nur als Ziel haben, uns total zu digitalisieren. Wir sind Sklave unserer Technologie geworden und bringen es nicht mehr fertig, frei zu denken.

Der andere digitale Alptraum ist, dass ich überall auf dieser Welt durch mein Handy geortet werden kann. „Du brauchst es nicht an zu haben, so bleibst du inkognito“ aber ist das so sicher, wie behauptet wird? Ich habe meine Bedenken und noch was: Warum hätte ich ein Handy, wenn es nur ausgeschaltet wäre? Ich möchte schon erreichbar sein, weil ich Angst habe, einem wichtigen Anruf zu entgehen. Wir dachten, dass uns die Technik die Emanzipierung bringen würde, aber das Gegenteilige ist der Fall. Wir sind zu Saugmaschinen geworden, die ständig einen Hype brauchen, um glücklich zu sein – wenigstens glauben wir es. Was erschreckt mich, wenn ich mich in einem Spiegel anschaue? Meine Fresse hat sich nicht so sehr geändert, aber ich habe das Gefühl, es mit einem Menschen zu tun zu haben, der es nicht mehr verträgt, alleine zu sein. Ist das der Grund, dass ich ständig auf meinem I-Phone tippe? Habe ich verlernt, die Umwelt anzuschauen? Den Frühling zu genießen? Würde ich nicht mich nicht gerne mit meiner Frau unterhalten? Ja… auch über Belangloses, aber dieser lästige, halb-gefressene Apfel macht mir einen Strich in die Rechnung. Ich muss immer wieder auf ihn schielen, ihn wahrnehmen und wenn ich das nicht das nicht tue, das lästige Kikeriki. Zu Befehl! Meistens ist es mein Handy-Anbieter, der von tollen neuen Angeboten spricht und sie mir unterjubeln will oder Callcenter in Kanada oder Indien, die mir berichten, dass mein Microsoft-Programm krank sei. Eine Netzbearbeitung würde die beste Therapie sein – das nur mit dem Ziel, meine Bankkonten abzuzocken. Würde ich jetzt in der Natur ohne Netz dasitzen, würde ich endlich Ruhe haben. Eine Illusion, denn ich würde mir ständig sagen, dass mir eine lebenswichtige Nachricht entgangen ist. Ich würde nervös hin

und her laufen, die Kühe verdammen, die sich fragen würden, mit welchem Idioten sie es zu tun haben. Wäre ich Wiederkäuer, bräuchte ich mir keinen Kaugummi zu kaufen und vielleicht, was viel wichtiger wäre, könnte ich auf das Handy verzichten. Ich denke, dass er an der Zeit wäre mich zu entschleunigen und wieder die Erkenntnis zu gewinnen, dass es nur ein Leben gibt und das man es auch ohne digitalen Zwang verbringen kann. Ich wurde von meiner virtuellen Wolke heruntergestoßen. Eine Bekannte fragte mich telefonisch, wie sie sich verhalten sollte, da sie von Angstzuständen belagert wird. Ich gab ihr den Rat, unter Menschen zu gehen und mit ihrer Einsamkeit endlich zu brechen. „Wer sollte mich schon sehen wollen?“ Ich wusste, dass ihre Außenwelt nur aus Facebook-Freunden bestand, schon ein paar Mal hatte sie im Netz ihren Selbstmord angekündigt. Die User nahmen es ihr übel. Sie hatten sich nicht die Frage nicht gestellt, wieso es soweit kommen konnte. Von Haus her ist sie eine Frau, die sich durch ein Trauma abgeschottet hat und nur selten ihre Wohnung verlässt. Das nehme ich an, da sie nie  mit mir darüber offen gesprochen hat. Da sie gehemmt ist, ist es ihr Recht, mit der Umwelt nur digital kommunizieren zu können, aber dabei vereinsamte sie immer mehr. Die Leute, mit denen sie kommunizierte, sind anonym und vielleicht ist es nicht ihr richtiger Name, der auf dem Bildschirm angedeutet wird. Sie hat – wenn es ihr ein wenig besser geht – Hemmungen, sich zu sehr zu öffnen, mit der Angst seelisch missbraucht zu werden und in Krisen verliert jedes Maß. Ich wäre schon zu ihr gefahren aber sie wollte mir nicht sagen wo sie wohnte und was der Grund ihrer völligen Isolation ist. War es in Europa oder anderswo? Ein Hilferuf, aber was tun wenn jemand sich hinter der Scheibe ihres Computers verschanzt? Die Gestalten, die sie anspricht sind irgendwie nur Schatten, ich bereits auch! Hier sehe ich wie trügerisch die Behauptung ist, dass wir uns in einer Welt der ständigen Kommunikation befinden. Sie ist vielleicht digital greifbar, aber sie verfliegt, wenn man sie anpacken will und wenn es den Tod bedeuten könnte, wie es hier der Fall ist, verdammt man diese ganze Technik. Es müsste einfach jemanden geben, die sie an die Hand und in die Arme nimmt – nicht mehr und nicht weniger. Hinter dem Bildschirm bleibt aber alles aseptisch und nicht greifbar. Ich könnte fluchen und mit einem Tritt meine Geräte vernichten, tue es aber nicht – aus Angst noch einsamer zu sein und jetzt wird mir bewusst, in welcher Armut wir leben. Die einfachsten Gesten der Empathie werden als Angriff betrachtet. Ist das der Fortschritt?

 

In diesem Sinne, eine herzliche Umarmung,

Pierre

//pm