Liebe Petra,
wie du es dir vorstellen kannst, sehe ich mit großer Furcht was sich in Frankreich ereignet. Wir stehen leider vor einem Bürgerkrieg, wenn nicht rasch eine Lösung gefunden wird. Hier ein paar Gedanken zu der dortigen Lage:
Die Krawallmacher sind die Sieger.
Man muss die Lage so beurteilen, wie sie ist. Der Schwarze-Block hat in Frankreich gesiegt. Die Gewalt hat sich für die Gilets Jaunes gelohnt, da Emmanuel Macron kapitulieren musste. Diese Erkenntnis ist sehr schwer für mich zu akzeptieren, denn das würde bedeuten, dass der Verfall der Demokratie überall im Gange ist. Wenn der Mob siegt, werden die Neonazis wieder auftauchen und wir sind auf dem guten Weg zur Diktatur. Waren es nicht die SA in der Weimarer Republik, die Hitler den Weg zur Macht ebneten? Es könnte sich so auch in Frankreich abspielen, wenn der Élysée-Palast sich weiter einschüchtern lässt. Die Lage kann nur korrigiert werden, wenn die Regierung zu unkonventionellen Methoden greift. Es wäre vielleicht die beste Karte, die volle Demokratie zu wagen und ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die Basis an den notwendigen Maßnahmen, die getroffen werden müssen, aktiv teilnimmt. Das würde konkret bedeuten, dass der Präsident den Räten Vorschläge macht, die im ganzen Land tagen und die von denen modifiziert werden könnten. Es können aber auch Initiativen von unten gemacht werden, die als Vorlage für neue Gesetze dienen könnten. Ich beziehe mich auf das schweizerische Modell, das bis heute sich bewährt hat. Niemand könnte dann sagen, dass er nicht an Entscheidungen beteiligt ist – jeder Franzose hätte das Recht, in den Räten aktiv zu sein.
Schadenfreude wäre nicht angebracht.
Was in Frankreich passiert, könnte sich auch schnell in Deutschland entwickeln. Wenn durch die verrückte Politik von Donald Trump – was die Zollgebühren anbelangt – die Wirtschaft einen Knick bekommt, wäre es aus mit der Ruhe und man kann sich sehr leicht vorstellen, dass es auch hier eine Bewegung, wie die Gilets Jaunes geben könnte. Die politische Lage ist derart labil, dass es keine Garantie für die Stabilität gibt. Alles geht heute so schnell, dass man kaum ahnen kann, was passieren könnte. Als Beispiel kann man 1913 nehmen. Niemand hätte den 1. Weltkrieg voraussehen können. Den Leuten ging es relativ gut und auf einmal änderte sich alles. Millionen Tote waren die schreckliche Rechnung, deshalb warne ich davor, die Situation in Europa auf die leichte Schulter zu nehmen. Wir dachten bis vor kurzem, dass Emmanuel Macron ein Fels in der Brandung sei, aber es hat sich erwiesen, dass dies nicht der Fall ist. Sollte er scheitern, wäre in der EU alles möglich. In Deutschland droht – bis zum Ende der Ära Merkel – alles den Bach runter zu gehen und schon die ersten Schwächen in der Industrie lassen sich blicken. Bei Bayer ist die Rede von zahlreichen Entlassungen. So wird es auch bei der Autoindustrie sein, wenn sie sich auf E-Autos umstellt. Man spricht heute von einem Verlust von 100.000 Stellen und wenn man die Werkstätten dazu rechnet, wird die Zahl noch viel größer sein. Die Jahre der fetten Kühe scheinen endgültig vorüber zu sein.
Was können wir selbst leisten?
Es wäre unverantwortlich, sich von der Gewalt leiten zu lassen. Jeder sollte daran denken, welche Vorteile er bis heute hatte, mit dem, was die Demokratie uns gebracht hat. Es kann nicht möglich sein, alles wegzuschmeißen und den Populisten Vertrauen zu schenken, weil sie ganz einfach große Sprüche von sich geben. Wer glaubt, dass es ihm besser gehen würde, irrt sich gewaltig. Es ist höchste Zeit sich zu besinnen und sich der Realität zu fügen. Ich halte gar nicht von Protestwählern, die einfach die Diktatur bejahen, um der Demokratie eins auszuwischen. Wir wissen allzu gut, was daraus entstanden ist. Es ist dringend nötig, dass wieder überall der Dialog stattfindet, mit dem Bewusstsein, dass die Politik darauf angewiesen ist. Den Kopf in den Sand zu stecken nützt wahrhaftig nichts. Es ist sehr schwer. für mehr Vernunft zu plädieren, wenn man Wut im Bauch hat und doch wäre es die einzige Lösung, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Es wäre deshalb wichtig, dass die Leute miteinander sprechen, zuhören und auch andere Meinungen akzeptieren. Ich weiß, das ist sehr idealistisch, aber gibt es andere Lösungen als sich gegenseitig zu beraten? Es wäre einen Versuch wert. Das Beispiel Frankreich stimmt mich zurzeit sehr skeptisch, weil die Maschinerie der Gewalt sehr schwer anzuhalten ist. Die nächsten Wochen werden uns vielleicht eine bessere Antwort geben, das ist zu hoffen.
Ehrlichkeit macht sich nicht bezahlt.
Die Europawahl könnte der Anlass sein, uns neu zu definieren und es wäre zu primitiv, alles was schlecht läuft, darauf zu beziehen. Brüssel ist nur ein Teil des Problems. Es geht vielmehr darum, dass die Parteien seit Jahrzehnten alles getan haben, um die wahren Schwierigkeiten zu benennen. Hiobsbotschaften, sind kein Wählermagnet. Es wurde immer wieder verschleiert, schöngeredet und die Bescherung haben wir heute. Emmanuel Macron war zu ehrlich für einen normalen Politiker. Er hat immer gesagt, wo der Schuh drückt und dass das Volk schwere Jahre mitmachen würde, um die Lage wieder teilweise ins Lot zu bekommen. Das bedeutet tiefe Einschnitte im Familienbudget. Das ist die Realität, wenn man überschuldet ist und dadurch die Staatskassen leer sind, es gibt leider nichts mehr zu verschenken. Aber wie haben es die anderen Präsidenten gemacht? Sie haben auf Pump gelebt und heute muss die bittere Rechnung bezahlt werden. Die dicke Zinszurückzahlung verhindert wahre Reformen in den Griff zu bekommen, so die Realität. Eine sehr bittere Erkenntnis, die heute hundert Tausende von Menschen in die Straßen führen. Sie können laut schreien, Monumente verschmieren, Feuer anlegen, aber deswegen wird sich die Lage keineswegs verbessern. Das ist die Erkenntnis, die wir aus der Revolte der Gilets Jaunes heute ziehen können. Wahrhaftig eine Sackgasse!
Es regnet in München… auch in meinem Herz.
Alles Liebe
Pierre
//pm