Was ist los in Polen?
Eine umstrittene Gesetzesänderung für den Weg zum Verfassungsgericht ist angestoßen worden. Das von den Politikern der regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) kontrollierte Unterhaus Sejm stimmte am Dienstagabend nach heftigen Debatten mehrheitlich für die Neuordnung des Gerichts. 235 Sejm-Abgeordnete stimmten für das Gesetz, dagegen waren 181.
Die Opposition hält das Gesetz für verfassungswidrig und für einen Versuch, das Gericht in seiner Arbeitsfähigkeit zu beschneiden und zu „zerstören“. Die Regierung dagegen behauptet, die Änderung verbessere die Organisation des Gerichts. Der frühere Minister Andrzej Halicki von der liberalen Bürgerplattform (PO) sagte: „Heute ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass wir es mit einem schleichenden Staatsstreich zu tun haben.“
Die Partei kündigte noch am Abend an, Verfassungsklage zu erheben.
Das Gesetz sieht vor, dass künftig alle Entscheidungen des Verfassungsgerichts in Anwesenheit von wenigstens 13 der 15 Richter mit Zweidrittel-Mehrheit gefällt werden müssen. In Fällen, in denen unter den Richtern keine Zweidrittel-Mehrheit zustande kommt, soll es kein Urteil geben. Bisher entschied das Gericht mit einfacher Mehrheit der an einem Fall beteiligten Richter, die in der Regel in Fünfer-Gruppen arbeiteten; nur in gesetzlich festgelegten Ausnahmefällen musste das gesamte Kollegium entscheiden.
Bisher wurden die meisten Entscheidungen mit fünf anwesenden Richtern getroffen, nur bei sehr wichtigen Fällen war die Anwesenheit von mindestens neun Richtern notwendig. Es genügte die einfache Mehrheit. Nach Ansicht von Politikern der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO), die bis zur Parlamentswahl am 25. Oktober die Regierung stellte, und der neuen liberalen Partei Nowoczesna („Moderne“) soll das Gericht mit den neuen Regeln arbeitsunfähig gemacht werden: Wenn es künftig keine Arbeitsteilung unter den Verfassungsrichtern mehr geben dürfe, könne es bei der derzeitigen Zahl von Verfahren bis zu fünf Jahren dauern, bis ein Fall verhandelt werde. Von Rechtsweggarantie und rechtlichem Gehör kann in so einem Fall allein aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr die Rede sein.
Vorgesehen ist auch, dass das Verfassungsgericht die anhängigen Fälle in Zukunft chronologisch abarbeiten muss. Dies könnte zur Folge haben, dass über Beschwerden gegen neue, von der Regierung auf den Weg gebrachte Gesetze erst mit langer Verzögerung entschieden werden kann.
Schon zuvor hatte die PiS ein Gesetz durchs Parlament gebracht, nach dem die Ernennung von fünf Richtern durch den alten Sejm annulliert wurde. Die Vorgängerregierung, angeführt von der liberalen „Bürgerplattform“, hatte drei Richter, deren Stellen vakant waren, neu besetzt, aber auch zwei Richter, deren Position erst in diesem Monat frei werden. Damit hatte das frühere Parlament, so urteilte das höchste Gericht, seine Befugnisse überschritten. Staatspräsident Duda verweigerte die Vereidigung der rechtmäßig bestellten drei Richter und vereidigte stattdessen gleich fünf von der PiS ernannte – was Anfang Dezember wiederum vom Verfassungsgericht für teilweise ungültig erklärt wurde.
Während der fast elf Stunden langen Parlamentssitzung am Dienstagabend kam es zu teils heftigem Streit. Für Empörung sorgte die PiS-Vertreterin Pawlowicz, die einem Kollegen der liberalen Bürgerplattform vor laufenden Kameras sagte: „So schmeckt das Leben in der Opposition – miam, miam, miam.“ Am Ende kam nur ein Änderungsantrag der Opposition durch: Demnach darf das Tribunal seinen Sitz in der Hauptstadt Warschau behalten.
Europa ist eine Wertegemeinschaft. Recht, Freiheit und Demokratie sind tragende Säulen. Wer diese missachtet, hat in dieser Gemeinschaft nichts zu suchen. Im Rahmen der Flüchtlingswelle hat sich gerade bewiesen, dass einige der osteuropäischen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zwar gerne jener angehören, solange dies wirtschaftliche und finanzielle Vorteile beinhaltet. Kommt die Übernahme von Pflichten zur Sprache, besinnt man sich schnell wieder auf die nationale Ebene. Polen hat mit den obigen Vorkommnissen jetzt einen gefährlichen Weg darüber hinaus beschritten: denjenigen in eine Diktatur. Es fängt schleichend an mit Beschneidung der Rechte von Minderheiten – zunächst im Parlament – und der Entmachtung der Gerichte.
Auch der Vorsitzende des EU-Rates, Jean Asselborn, sieht Polen auf einem gefährlichen Weg. Europa dürfe dabei nicht wegsehen, sonst sei die Wertegemeinschaft in Gefahr.
Ich denke, er hat recht …