Mehr als vier Millionen Syrer (mediendienst-integration.de) sind vor dem Gemetzel des Bürgerkriegs in ihrer Heimat ins Ausland geflohen, während in Syrien selbst bis acht Millionen weitere Menschen auf der Flucht sind – bei einer Einwohnerzahl von rund 21 Millionen. Es ist die größte Flüchtlingsbewegung eines Einzelkonfliktes seit Jahrzehnten.
Seit Ausbruch des Bürgerkrieges im März 2011 bis Juli 2015 kamen mehr als 120.000 Syrer nach Deutschland. Allein im Januar 2016 kamen aus Syrien 27.146 Menschen (bamf.de).
Zehntausende von ihnen wollen hier bleiben; sie haben die Hoffnung auf eine Besserung der desolaten und lebensbedrohlichen Lage in Syrien in absehbarer Zeit aufgegeben. Die Frage, wie erfolgreich sich diese entwurzelten Menschen in unsere Gesellschaft integrieren werden, hängt eng mit ihrem Bildungsgrad zusammen.
Und der ist bei den meisten Syrern recht gut. Noch! Syrien galt bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges als Bildungsvorzeigeland der arabischen Welt. Die regierende Baath-Partei des Präsidenten Baschar al-Assad sorgte für eine vergleichsweise säkulare Kulturpolitik. Es besteht Schulpflicht für alle Kinder zwischen sechs und 15 Jahren. Die tatsächliche Einschulungsrate der Mädchen vor dem Krieg lag bei 98 Prozent, die der Jungen bei 99 Prozent. Mehr als zwei Drittel der Kinder besuchten hiernach weiterführende Schulen.
Das syrische Bildungssystem in Schulen und Universitäten ist an das alte französische angelehnt. Die Franzosen hatten zwischen 1922 und 1943 ein Völkerbundmandat für Syrien und in diesen Jahren das Land stark geprägt. Die Analphabetenrate junger Syrer liegt bei nur fünf Prozent. Englisch und Französisch sind Pflichtfächer in den Schulen. In Damaskus, Homs, Aleppo und Latakia gibt es staatliche Universitäten – die auch Deutschkurse anbieten -, dazu eine Vielzahl privater Hochschulen.
Doch es gibt auch Schattenseiten. Eine Studie des Kinderhilfswerkes Unicef fand vor dem Bürgerkrieg heraus, dass die Prügelstrafe – ungeachtet des gesetzlichen Verbotes – immer noch in syrischen Schulen verbreitet ist. Im September 2010 stellte eine unabhängige Internetplattform ein zweieinhalbminütiges Video ins Netz, das zeigt, wie einige syrische Grundschüler von Lehrerinnen mit Lederriemen und Rohrstock geschlagen werden.
Es kam zu einer Welle der Empörung. Angeblich wurden die Lehrerinnen entlassen. Nach Angaben von Kritikern hinkt in Syrien die Ausbildung angehender Lehrer und Lehrerinnen internationalen Standards hinterher.
Der Bürgerkrieg hat die Situation der syrischen Schüler dramatisch verschlechtert. Die Lage ist so katastrophal, dass befürchtet wird, Syrien könne in Sachen Schulbildung eine gesamte Generation verlieren. Wie syrische Lehrkräfte und Schulleiter von Human Rights Watch mitteilen, nehmen nicht einmal mehr halb so viele Kinder am Unterricht teil wie vor dem Krieg – und es werden immer weniger. In jenen Gebieten, die vom „Islamischen Staat“ kontrolliert werden, für welchen westliche Bildung „Teufelswerk“ darstellt, ist die Teilnahme am Unterricht vor allem der Mädchen sehr stark eingeschränkt. Abertausende Schulen sind bereits in den Kämpfen zerstört oder von den jeweiligen Kriegslagern zu Stellungen, Lazaretten oder Flüchtlingslagern umfunktioniert worden.
Auch nehmen die Kriegsparteien immer wieder Schulen ins Visier, in denen sie Gegner vermuten. Zahllose Kinder sind bei diesen Angriffen ums Leben gekommen. Zudem hat die syrische Regierung, die ums Überleben kämpft, überall Spitzel an den Schulen platziert, die Schüler und Lehrer auf ihre Regimetreue aushorchen. Besteht ein Verdacht, verschwinden Menschen.
Auf diese Weise herrscht eine Kultur der Angst an den verbleibenden Schulen: Vor den Schergen des Regimes und vor militärischen Angriffen. Psychische Belastung und Traumatisierung wirken sich massiv auf die Lernfähigkeit der Kinder aus.
Die Kinder fürchten bereits den gefährlichen Schulweg. Nach Angaben der Organisation Save the Children Schweiz sei die Einschulungsrate in der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo auf nur noch sechs Prozent gesunken. Insgesamt weise das einstige Vorzeigeland Syrien mittlerweile eine der schlechtesten Einschulungsraten weltweit auf. Viele der kleinen Schulabbrecher müssen arbeiten, um das Einkommen der Familie aufzubessern.
Für die Bundesrepublik wird es zu den Hauptaufgaben gehören, syrischen Kindern die verlorenen Bildungschancen zurückzugeben.