Die meisten Flüchtlinge, die nach Europa drängen, stammen aus Syrien. Der Konflikt schwelt schon seit geraumer Zeit. Was ist der Hintergrund?
Die Regierungsform von Syrien ist eine Diktatur. Gleichzeitig ist das Land ein Einparteienstaat. Seit 1970, also seit über 45 Jahren, wird Syrien von der Baath-Partei als einziger politischer Partei beherrscht. Es gab nur zwei Herrscher, jene gehören zur gleichen Familie: Bis zur Jahrtausendwende herrschte Hafez al-Assad. Als er im Jahr 2000 starb, ging die Macht an seinen Sohn Bashar al-Assad über. Er regiert bis heute. Alle anderen Parteien sind der Baath-Partei untergeordnet. Die Baath-Partei ist die einzige Partei mit Macht und Einfluss in Syrien.
Die Assad-Familie gehört zur Glaubensrichtung der sogenannten Alawiten. Die Alawiten sind in Syrien in der Minderheit. Aus diesem Grunde hat die Assad-Familie zwecks Machtsicherung beim Regierungsantritt die Alawiten mit vielen Sonderrechten ausgestattet.
Rund 90 Prozent der syrischen Bevölkerung sind Araber, gehören überwiegend der Glaubensrichtung der Sunniten an. Sie wurden bzw. werden unterdrückt. Menschen werden verschleppt, eingesperrt, gefoltert und getötet. Breite Bevölkerungsschichten leiden Hunger und Armut. Man kämpft ums Überleben. Unmut machte sich vor langem bei dem Großteil der Bevölkerung in Syrien gegenüber der Regierung breit. Forderungen nach besseren Lebensbedingungen, mehr Freiheit und vereinzelt nach Demokratie wurden laut. Öffentliche Proteste gegen die Regierung hat man jedoch mit Gefängnis geahndet.
2011 kam es zum Arabischen Frühling. Mit Hoffnung auf Reformen begannen nach den Umwälzungen in Tunesien und Ägypten im Jahr 2011 die Proteste in Syrien. Doch der Konflikt zwischen Oppositionellen und Präsident Assad hat sich zum Bürgerkrieg ausgeweitet. Gekämpft wurde auch mit Giftgas. US-Präsident Obama warnte vor dem „Überschreiten der roten Linie“. Nur die Einmischung von Kremlchef Wladimir Putin und die Vernichtung der Chemiewaffen konnte Assad vor einem Militärschlag der USA bewahren. Assad schlug gewaltfreien Demonstrationen mit brutaler Gewalt nieder, hieraufhin gründete sich aus den Protestbewegungen die Freie Syrische Armee, welche die Regierung unter Assad bekämpft. Durch den Bürgerkrieg entstanden Machtvakua, die Terrorgruppen wie der Islamische Staat ausnutzten. Der IS hatte in der Folgezeit große Gebietsgewinne zu verzeichnen. In jenen Regionen besteht eine Terrorherrschaft. Unter anderem Andersgläubige werden öffentlich hingerichtet, meist durch Köpfen. Die Lebensumstände haben sich für die in diesen Gebieten lebende Bevölkerung noch ein weiteres Mal verschlechtert. Wir alle haben noch die Bilder der überladenen Flüchtlingsboote aus Syrien und Libyen vor Lampedusa vor Augen.
Die Vereinigten Staaten riefen am 5. September 2014 beim NATO-Gipfel im walisischen Newport (Gwent) die internationale Allianz gegen den IS ins Leben. Seitdem werden in den letzten Monaten immer wieder Luftangriffe gegen IS-Stellungen in Syrien und Irak geflogen. Wladimir Putin hat jetzt verstärkt militärische Hilfe für die Regierungstruppen in Syrien in die Wege geleitet. Er will eine internationale Allianz zur Unterstützung Präsident Assads gegen den IS. Washington lehnt dies ab, da man Assad nicht unterstützen wolle.
Die Moskauer Führung hat viele Gründe dafür, Assad treu zu bleiben. Zwar ist er kein enger Verbündeter, aber ein verdienter Geschäftspartner im Nahen Osten. Assad ist einer der letzten Herrscher der Welt, der Jagdflugzeuge und Luftabwehrraketen bedingungslos in Russland einkauft.
Und er steht dafür, dass Russland immer noch Bedeutung in der Welt hat. Andere Großmächte klingeln immer häufiger im Kreml an, um die Syrien-Krise zu lösen. Russland möchte seinen Ruf als treuer Verbündeter im Nahen Osten bewahren. Dass das weltweite Ansehen Russlands durch die Unterstützung Assads leidet, nimmt Moskau in Kauf. Ein abrupter Wechsel an die Seite der westlichen Staaten und der syrischen Opposition würde das kaum ändern. Da bleibt der Kreml offensichtlich seiner Linie lieber treu.
Ein gemeinsames militärisches Vorgehen Russlands und des Westens gegen den IS scheitert also an der Frage der Unterstützung Assads. Russland will ihn vor Ort an der Regierung halten, der Westen will einen Regimewechsel.
Die Bevölkerung kann das Ergebnis dieses Machtgerangels um politische Pfründe allerdings nicht mehr abwarten. Für sie geht es um Tod oder (Über-)Leben. Wir werden Syrien wahrscheinlich militärisch befrieden müssen, um für Menschen dort wieder ausreichende Lebensbedingungen zu schaffen. Bis dahin werden allerdings die Flüchtlingsströme weiter fließen.
© Thomas Dietsch