Liebe Petra,

heute will ich die Sau herauslassen, aber nicht wie Jeder meinen könnte. Eines möchte ich im Voraus sagen: Ich mag sehr gerne Schweinefleisch und habe nichts gegen einen saftigen Braten, gespickt mit zahlreichen Knoblauchzehen, aber wenn ich lese, was sich in einer Stadt wie Chalon-sur-Saône abspielt, bekomme ich eine Sau-Wut. Die Stadträte dieser kleinen Stadt, durch ihre Weine weltbekannt, haben sich vorgenommen, in den Schulkantinen kein Essen mehr für die Kinder islamischen Glaubens anzubieten, wie es seit Jahrzehnten immer der Fall war. Wie jeder wissen sollte – im Koran, wie auch für die Juden in der Thora – ist der Konsum des Schweinefleisches untersagt. Darüber kann man streiten, aber dieses Verbot war aus Seuchengründen damals gerechtfertigt und dass es zum Dogma erhoben worden ist, kann stören, sollte aber respektiert werden. In dieser kleinen Provinzstadt wird somit die Meinungs- und Religionsfreiheit ins Absurdum getrieben, mehr noch: Sie wird verletzt, was gar nicht im Einklang mit der Verfassung ist, aber niemand geht auf die Barrikaden, weil es sich „nur um Araber handelt“ – für viele ein Störenfried, der unsere so tolle abendländische Zivilisation durchmischt und Frankreich sollte den Weißen gehören. Das behauptet Nadine Morano, eine europäische Abgeordnete der Republikanischen Partei von Nicolas Sarkozy. Deswegen wurde sie gerügt und wird wahrscheinlich bei den Regionalwahlen nicht als Spitzenkandidatin aufgestellt werden, aber eines ist nahezu sicher, sehr viele Franzosen denken wie sie.

Stelle dir vor, liebe Petra, wenn die Vegetarier und die Veganer keine Ess-Auswahl mehr hätten – und das ist in Chalon der Fall – würde das Volk in Deutschland auf die Barrikaden gehen und das mit Recht, weil es ganz einfach eine Provokation ist. Das Argument, dass in einem laizistischen Schulsystem – wie es in Frankreich der Fall ist – solche religiösen Dogmen nicht beachtet werden sollten, widerspricht die Grundregeln der Toleranz. Die Trennung von Kirche und Staat begrüße ich, das heißt aber noch lange nicht, Menschen wegen ihrer Wurzeln zu quälen, im Gegenteil. Es geht darum, religiöse Debatten vom Schulhof fernzuhalten, das Prinzip der Gleichheit, egal zu welcher Gemeinde man gehört, zu fördern und den Glaubenskrieg zwischen den Schülern möglicherweise fern zu halten. Eine humanistische Haltung, die total im Sinne der Aufklärung betrachtet werden kann.

Solche Schikanen wie in Chalon-sur-Saône, haben die Qualität der Hetztiraden des „Stürmers“ von Julius Steicher vor und während des Dritten Reiches. Ich würde ab sofort den Stadträten empfehlen, die Parkbänke nur für die Weiße frei zu halten und weiterhin den Zutritt für Hunde und für Araber – Juden gibt es zu wenige – zu untersagen. Die Schulen könnten dann folgen und um den Mob zu befriedigen, könnte man eine neue „Reichskristallnacht“ inszenieren – natürlich mit einer Menge Fackeln, um die Moscheen in Brand zu setzen. Dann könnten die KZ folgen und logischerweise auch die Endlösung, wie in Birkenau. So weit wird es hoffentlich nicht kommen, aber diese Grundstimmung erfüllt mich mit Sorge. Die Geschichte hat gezeigt, wie schnell der Mensch jede Zurückhaltung verliert, wenn sein Herz mit Hass gefüllt ist und niemand ist dagegen immun, egal ob Proletarier oder Intellektueller.
Die Stadträte von Chalon, sind in ihrer Mehrheit keine Nazis – nur Kleinbürger mit einem beschränkten Rundhorizont. Das war auch der Fall bei denen, die Adolf Hitler unterstützt haben. Leute, die keiner Fliege etwas antun könnten und die nach außen den Anstand hoch zelebrieren. Liebe Petra, ich ziehe waschechte Nazis vor, weil man dann wenigstens weiß, woran man ist. Die sogenannte „stille Mehrheit“ ist in ihrer Engstirnigkeit viel gefährlicher, weil sie Demagogen die Toren der Macht eröffnet, wie es 1933 für die NSDAP der Fall war. So etwas könnte uns in Europa blühen, wenn wir nicht verdammt aufpassen.

 

In diesem Sinne.
Ich umarme dich, liebe Petra.
Pierre

//pm

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