Deutschland hat gewählt! Eine „historische Wahl“, so steht es in den Gazetten zu lesen. So sehr sich kleinere Parteien wie die Grünen und die FDP über massive Ergebnisse freuen durften, war es gestern, nach Mitteilung des vorläufigen Endergebnisses, für viele keine Tag der Freude. Frau Merkel wird wohl eine vierte Amtsperiode weiterregieren als Kanzlerin. Die Ergebnisse bei CDU/CSU und SPD sind erschreckend, was die Stimmenverluste der beiden großen Volksparteien angeht, die rechtsradikale AfD ist ins Parlament eingezogen mit einem über zweistelligen Ergebnis. Es wird schwierig für Frau Merkel.

Die CDU/CSU ist trotz massiver Verluste dennoch als stärkste Kraft aus der Bundestagswahl hervorgegangen. Nach dem vorläufigen Ergebnis des Bundeswahlleiters kam sie am Sonntag auf 33,0 Prozent und verlor damit 8,5 Punkte im Vergleich zu 2013. Die SPD fuhr mit 20,5 Prozent (minus 5,2 Punkte) ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein.

Die AfD wurde mit 12,6 Prozent drittstärkste Kraft. Der FDP gelang mit 10,7 Prozent der Rückkehr in den Bundestag, aus dem sie 2013 geflogen war. Die Linke holte 9,2 Prozent, die Grünen erreichten 8,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung betrug 76,2 Prozent (2013: 71,5).

Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag in der neuen Wahlperiode so groß wie nie zuvor. Die Sitzverteilung sieht nach Angaben des Bundeswahlleiters so aus: CDU/CSU: 246 Mandate, SPD: 153, AfD: 94, FDP: 80, Linke: 69, Grüne: 67.

Wer wählt eine rechtsgerichtete Partei wie die Alternative für Deutschland? Wer sind ihre Wähler, was treibt sie um? Sind Gewerkschaftsmitglieder anfälliger für das Gedankengut der Rechtspopulisten? Diesen Fragen ging eine Studie nach, die die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung Anfang August in Berlin vorgestellt hat, und sie bestätigte vieles, was man über die AfD bereits weiß. Einige der Befunde aber zeigen bemerkenswert klar, wie widersprüchlich das Phänomen AfD ist und wie stark subjektive Faktoren, also Stimmungen und Ängste, die Affinität zu der Partei beeinflussen. Für die Studie befragte das Institut policy matters zwischen Mitte Januar und Anfang Februar diesen Jahres knapp 5.000 Personen über Internet.

Die Autoren der Studie konstatieren, dass eine Mehrheit der Menschen in Deutschland die derzeitige wirtschaftliche Lage und auch die eigene positiv beurteilt. Ein tiefgreifender Wertewandel habe aber dazu geführt, dass mehr Menschen anfällig werden für rechtspopulistische Parolen. Zwar wollen heute weitaus mehr Menschen Verantwortung für sich selbst übernehmen als noch vor zehn Jahren, viele glauben aber, dass die Gesellschaft immer weiter auseinanderfällt. Die Menschen fühlen sich auf sich zurückgeworfen.

Die Angst vor Globalisierung und Digitalisierung wächst bei vielen, das führt zu Verunsicherung und Sorgen um die Zukunft. Besonders stark sind diese Ängste bei AfD-Wählern ausgeprägt, sie fürchten sich vor Kriminalität, Überfremdung, dem Verlust des Arbeitsplatzes und mangelnder Absicherung im Alter. Den Institutionen in Deutschland trauen sie weit weniger als der Durchschnitt der Bevölkerung. Nur eine Minderheit glaubt, dass Deutschland ein wirklich demokratischer Staat ist.

Das wichtigste Motiv, AfD zu wählen, ist die Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenssituation, und zwar unabhängig davon, ob die eigene soziale Lage tatsächlich schlecht ist. Entscheidend ist die subjektive, die gefühlte Lebenslage. Die AfD-Wählerschaft setzt sich aus zwei Gruppen zusammen. Eine Mehrheit ist männlich und gehört zur unteren Mittelschicht, ihr Nettoeinkommen liegt mit durchschnittlich 1.664,– Euro kaum unter dem allgemeinen Durchschnitt. Dazu kommen überdurchschnittlich Gebildete, die entsprechend gut verdienen. Es trifft also auch nicht zu, dass vor allem Arbeitslose sich zur AfD hingezogen fühlen.

Mit am wichtigsten für Wahlentscheidung war wohl, wie sicher das Arbeitsverhältnis ist und ob nach Tarifvertrag bezahlt wird. Beschäftigte in großen Betrieben mit Tarifbindung und starker Mitbestimmung sind demzufolge weniger anfällig für die AfD als solche in kleinen. DGB-Chef Rainer Hoffmann forderte seinerzeit die Politik auf, für mehr Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt zu sorgen, etwa durch stärkere Tarifbindung. „Die Politik muss die Ängste der Menschen ernst nehmen“.

Ja, das muss sie! Aber auch der Bürger/die Bürgerin ist gefragt. Wollen immer mehr Menschen Verantwortung für sich selbst übernehmen, dann heißt das auch, dass man sich von der Versorgungsmentalität verabschieden muss – „Mütterchen Fürsorge“ und „Vater Staat“. Wir haben Wohlstand und einen Sozialstaat, und das ist gut so!

Besinnen wir uns zurück auf John F. Kennedy. Er hat einmal gesagt: „And so, my fellow Americans: Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country!“.

Der Wille der Menschen ist da, machen wir etwas daraus!

Wir brauchen keine AfD.

 

 

So manche(r) Neuwähler(in) wird sich jetzt fragen: „Wen oder was soll ich eigentlich wählen?“ oder „Soll ich überhaupt wählen gehen?!“. Für so manchen Zuschauer ist nach dem „TV-Duell“ nicht so recht klar, wohin der Weg der beiden Parteien bzw. Kandidaten führt. Fehlten doch klare Trennlinien.

Flashback: Manchmal wendet sich Frau Merkel bei ihren Antworten zuerst an Herrn Schulz und sagt: „Wir haben oft gedacht…-“ Spätestens da dürfte sich mancher Zuschauer fragen, ob Merkel wirklich gegen Schulz antritt oder ob die große Koalition gerade gemeinsam um ihre Fortsetzung wirbt. Schnell wird klar, dass sich im Berliner Adlershof zwei langjährige europäische (Außen-)Politiker treffen, die sich und ihre Positionen aus unzähligen Verhandlungsrunden in- und auswendig kennen und einander sehr schätzen. In weiten Teilen ist das Duell dann auch eher ein öffentlicher Koalitionsgipfel unter Regierungspartnern als ein heftiger Schlagabtausch.

Das zeigt sich vor allem in der ersten Stunde, in der es fast ausschließlich um die Außenpolitik geht und in der sich Merkel und Schulz in etlichen Punkten höchstens in der Rhetorik, nicht aber fundamental in ihren Positionen unterscheiden, die die Union und die SPD in vier Regierungsjahren gemeinsam vertreten haben.

Sehen wir uns die Flüchtlingspolitik an: Zwar greift Schulz die Kanzlerin heftig für ihre Entscheidung im Spätsommer 2015 an, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen, ohne sich vorher mit den anderen EU-Staaten beraten zu haben. 2015 aber fand eben jener Martin Schulz noch, Merkel hätte „sicher mehr mit Franzosen und Polen kommunizieren können“, aber die humanitäre Ausnahmesituation habe eben ein schnelles Handeln erfordert. „Es gibt im Leben einer Bundeskanzlerin Momente, da müssen Sie entscheiden“, sagt Merkel im Gegenzug – und so richtig kann Schulz dem nicht widersprechen. Zumal er Merkels Entscheidung grundsätzlich weiter richtig findet. Selbst das Bekenntnis der Kanzlerin, die Bundesregierung habe sich in der Krise zu wenig um Flüchtlingslager in der Türkei und Jordanien gekümmert, ändert nichts an de Gemeinsamkeiten. Das ist alles nicht so recht neu.

Bei anderen außenpolitischen Themen muss man Differenzen mit der Lupe suchen. Schulz wie Merkel finden, ein „verfassungskonformer Islam“ (Merkel) habe Platz in Deutschland, Islamisten und gewaltbereite Gefährder hingegen nicht; beide wollen straffällig gewordene Flüchtlinge schnell abschieben und stärker als bisher gegen Hassprediger und fanatische Imame vorgehen. Spannend wird es höchstens beim Thema Türkei, bei dem Schulz eine deutlich klarere Sprache als Merkel spricht: Als Kanzler will er dem europäischen Rat empfehlen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort zu beenden, weil Ankara längst „alle roten Linien überschritten“ habe. Dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden sollten, da sind sich beide in der Sache einig. Das EU-Flüchtlingsabkommen wollen weder Merkel noch Schulz aufkündigen.

Dann weiter mit internationalen Themen wie Nordkorea und Donald Trump in den USA. Auch beim Umgang mit Donald Trump, für Schulz ein unberechenbaren Twitterer, müsse man im Gespräch bleiben, erklärt Merkel. Denn der sei nun einmal Partner im Kampf gegen den IS im Irak oder auch in Afghanistan. Beim Thema Nordkorea gehe es sogar um „Krieg oder Frieden“.

Jetzt ging es innenpolitisch weiter mit Diesel-Skandal, Rente, sozialer Gerechtigkeit und Innerer Sicherheit. Schulz bleibt angriffslustig: Keine Rente mit 70? Das sei genauso wie beim letzten Duell, als Merkel eine Pkw-Maut ablehnte, die dann doch kam. Denn es gebe Stimmen in der Union, die eine noch spätere Rente in Deutschland forderten. Merkel entgegnet, sie spreche Schulz auch nicht alles zu, was in einer der vielen Unterorganisationen der Partei besprochen werde. Die Kanzlerin wirkt etwas dünnhäutig, man sieht ihr an, dass sie verärgert ist. Schulz stichelt: Und überhaupt sei die Maut nur mit den Stimmen der Linken beschlossen worden.

Was nach Klein-Klein klingt, offenbart beider Strategien: Die Kanzlerin will erklären – selbst wenn es darum geht, aus Fehlern zu lernen. Schulz vereinfacht gern und schleift populistische Sphären wie schon zu Beginn seiner Kandidatur Anfang des Jahres, die damals einen Hype ausgelöst hatten, der dann aber implodierte.

Fazit: Den großen Showdown – wie manche ihn vorausgesehen hatten – gab es nicht. Die Maxime auf beiden Seiten: Nur keine Fehler machen! Merkel war ganz Kanzlerin, bisweilen fast präsidial. Schulz verbuchte den einen oder anderen Punkt für sich, doch den großen Umschwung dürfte das Duell für ihn nicht gebracht haben.

Insgesamt waren die Unterschiede zwischen den jeweiligen Positionen kaum erkennbar.

Prognose: Die beiden sehen wir wieder – in einer großen Koalition!