So manche(r) Neuwähler(in) wird sich jetzt fragen: „Wen oder was soll ich eigentlich wählen?“ oder „Soll ich überhaupt wählen gehen?!“. Für so manchen Zuschauer ist nach dem „TV-Duell“ nicht so recht klar, wohin der Weg der beiden Parteien bzw. Kandidaten führt. Fehlten doch klare Trennlinien.

Flashback: Manchmal wendet sich Frau Merkel bei ihren Antworten zuerst an Herrn Schulz und sagt: „Wir haben oft gedacht…-“ Spätestens da dürfte sich mancher Zuschauer fragen, ob Merkel wirklich gegen Schulz antritt oder ob die große Koalition gerade gemeinsam um ihre Fortsetzung wirbt. Schnell wird klar, dass sich im Berliner Adlershof zwei langjährige europäische (Außen-)Politiker treffen, die sich und ihre Positionen aus unzähligen Verhandlungsrunden in- und auswendig kennen und einander sehr schätzen. In weiten Teilen ist das Duell dann auch eher ein öffentlicher Koalitionsgipfel unter Regierungspartnern als ein heftiger Schlagabtausch.

Das zeigt sich vor allem in der ersten Stunde, in der es fast ausschließlich um die Außenpolitik geht und in der sich Merkel und Schulz in etlichen Punkten höchstens in der Rhetorik, nicht aber fundamental in ihren Positionen unterscheiden, die die Union und die SPD in vier Regierungsjahren gemeinsam vertreten haben.

Sehen wir uns die Flüchtlingspolitik an: Zwar greift Schulz die Kanzlerin heftig für ihre Entscheidung im Spätsommer 2015 an, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge nach Deutschland einreisen zu lassen, ohne sich vorher mit den anderen EU-Staaten beraten zu haben. 2015 aber fand eben jener Martin Schulz noch, Merkel hätte „sicher mehr mit Franzosen und Polen kommunizieren können“, aber die humanitäre Ausnahmesituation habe eben ein schnelles Handeln erfordert. „Es gibt im Leben einer Bundeskanzlerin Momente, da müssen Sie entscheiden“, sagt Merkel im Gegenzug – und so richtig kann Schulz dem nicht widersprechen. Zumal er Merkels Entscheidung grundsätzlich weiter richtig findet. Selbst das Bekenntnis der Kanzlerin, die Bundesregierung habe sich in der Krise zu wenig um Flüchtlingslager in der Türkei und Jordanien gekümmert, ändert nichts an de Gemeinsamkeiten. Das ist alles nicht so recht neu.

Bei anderen außenpolitischen Themen muss man Differenzen mit der Lupe suchen. Schulz wie Merkel finden, ein „verfassungskonformer Islam“ (Merkel) habe Platz in Deutschland, Islamisten und gewaltbereite Gefährder hingegen nicht; beide wollen straffällig gewordene Flüchtlinge schnell abschieben und stärker als bisher gegen Hassprediger und fanatische Imame vorgehen. Spannend wird es höchstens beim Thema Türkei, bei dem Schulz eine deutlich klarere Sprache als Merkel spricht: Als Kanzler will er dem europäischen Rat empfehlen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sofort zu beenden, weil Ankara längst „alle roten Linien überschritten“ habe. Dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden sollten, da sind sich beide in der Sache einig. Das EU-Flüchtlingsabkommen wollen weder Merkel noch Schulz aufkündigen.

Dann weiter mit internationalen Themen wie Nordkorea und Donald Trump in den USA. Auch beim Umgang mit Donald Trump, für Schulz ein unberechenbaren Twitterer, müsse man im Gespräch bleiben, erklärt Merkel. Denn der sei nun einmal Partner im Kampf gegen den IS im Irak oder auch in Afghanistan. Beim Thema Nordkorea gehe es sogar um „Krieg oder Frieden“.

Jetzt ging es innenpolitisch weiter mit Diesel-Skandal, Rente, sozialer Gerechtigkeit und Innerer Sicherheit. Schulz bleibt angriffslustig: Keine Rente mit 70? Das sei genauso wie beim letzten Duell, als Merkel eine Pkw-Maut ablehnte, die dann doch kam. Denn es gebe Stimmen in der Union, die eine noch spätere Rente in Deutschland forderten. Merkel entgegnet, sie spreche Schulz auch nicht alles zu, was in einer der vielen Unterorganisationen der Partei besprochen werde. Die Kanzlerin wirkt etwas dünnhäutig, man sieht ihr an, dass sie verärgert ist. Schulz stichelt: Und überhaupt sei die Maut nur mit den Stimmen der Linken beschlossen worden.

Was nach Klein-Klein klingt, offenbart beider Strategien: Die Kanzlerin will erklären – selbst wenn es darum geht, aus Fehlern zu lernen. Schulz vereinfacht gern und schleift populistische Sphären wie schon zu Beginn seiner Kandidatur Anfang des Jahres, die damals einen Hype ausgelöst hatten, der dann aber implodierte.

Fazit: Den großen Showdown – wie manche ihn vorausgesehen hatten – gab es nicht. Die Maxime auf beiden Seiten: Nur keine Fehler machen! Merkel war ganz Kanzlerin, bisweilen fast präsidial. Schulz verbuchte den einen oder anderen Punkt für sich, doch den großen Umschwung dürfte das Duell für ihn nicht gebracht haben.

Insgesamt waren die Unterschiede zwischen den jeweiligen Positionen kaum erkennbar.

Prognose: Die beiden sehen wir wieder – in einer großen Koalition!

 

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