Die Bedeutung des Wortes Richtlinienkompetenz kann man in Artikel 65 unseres Grundgesetzes nachlesen. Dort ist festgelegt, dass Bundeskanzler Scholz die Richtlinien der Politik bestimmt und dafür die Verantwortung trägt. Er hat dafür quasi die Kompetenz bzw. Zuständigkeit. Scholz steht damit in einer Reihe mit Konrad Adenauer. Seit dem ersten Kanzler der Bundesrepublik hat kein Regierungschef seinen Punkt mehr so klargemacht wie Scholz bei den Atomkraftwerken: per Brief an seine Minister und mit explizitem Verweis auf seine Richtlinienkompetenz. Im Streit über den Weg zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wies Adenauer seine Minister 1956 in einer „Direktive“ an,
die Integration Europas „mit allen in Betracht kommenden Mitteln zu fördern“ und dies als „Richtlinie der Politik der Bundesregierung zu betrachten und danach zu verfahren“ (faz.net). Auch sonst ermahnte er seine Minister im Kabinett regelmäßig, entzog ihnen Kompetenzen und ließ keinen Zweifel daran, wer die Richtung vorgab: ausschließlich er!

Dass sowohl Wirtschaftsminister Habeck als auch Finanzminister Lindner das Vorgehen des Bundeskanzlers klaglos akzeptierten, zeigt, dass beide erleichtert waren, heil aus ihren selbst geschaufelten Schützengräben herauszukommen. Man kann getrost davon ausgehen, dass beide nicht nur über diesen Schritt des Kanzlers
informiert, sondern auch damit einverstanden waren. Fragt man sich also, wer aus diesem Streit als Sieger hervorgeht, lautet die Antwort: alle! Der Einsatz der Richtlinienkompetenz ist mehr als ein Machtwort des
Regierungschefs, wie Scholz ́ Parteigenossen immer wieder betont hatten. Das Kanzlerprinzip“ (stern.de, 18.10.2022) ist gewissermaßen die vorletzte Machtoption vor der Vertrauensfrage, wenn ein Kompromiss ausweglos erscheint und der Problemlösung nicht mit milderen Mitteln beizukommen ist. Scholz ́ Machtwort erstreckt sich nur auf den Kreis der Bundesregierung. Die Richtlinienkompetenz markiert verfassungsrechtlich die Sonderstellung des
Bundeskanzlers im Verhältnis zu den Ministern: Er ist der Regierungschef!

Deshalb beinhaltet sie unumstritten das Recht des Bundeskanzlers, in politischen Grundsatzfragen Führungsentscheidungen zu treffen, bei denen sich das Kabinett als Ganzes nicht einig wird. Denn bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundesministern soll vorrangig die Bundesregierung als Kollegium entscheiden (Art. 65 Satz 3 GG). Der Bundeskanzler und seine Minister/-innen bilden gemeinsam das Kollegialorgan der Bundesregierung (Kollegialitätsprinzip). In gewisser Hinsicht ist der Kanzler damit „le premier ministre“, also Erster unter Gleichen. Das war nicht immer so: Nach der Reichsverfassung von 1871 war der Reichskanzler der einzige verantwortliche Minister. Im Verhältnis zu den Staatssekretären, die die verschiedenen Ämter – nicht Ministerien – wie das sogenannte Auswärtige Amt leiteten, waren Bismarck und Nachfolger nicht lediglich primus inter pares, sondern weisungsbefugt. Das änderte sich erst mit der Weimarer Reichsverfassung 1919, nachdem die Oktoberreformen von 1918 bereits eine teilweise Kollegialisierung der Reichsleitung verfolgt hatten. So hat Art. 65 GG sein unmittelbares historisches Vorbild in dem geradezu wortgleichen Art. 56 WRV.

Mit den Starlink Satelliten bringt Elon Musk schnelles Internet in entlegene Orte. Nach jedem neuen Start fliegen die Satelliten erstmal in einer Kette beieinander, bevor sie sich auf die für sie vorgesehenen Umlaufbahnen verteilen. Es ist ein Spektakel, die Satelliten in dieser Formation als „Perlenkette“ am heimischen Himmel fliegen zu sehen. Die Zielsetzung des SpaceX-Projekts Starlink ist schnell erklärt. Starlink will seit 2020 einen globalen Breitband-Internetgürtel um die Erde legen und ist auf eine Flotte von zwischen 12.000 und 42.000 Satelliten konfektioniert. Die Satelliten sollen in relativ niedrigen Umlaufbahnen fliegen, Daten von Bodenstationen erhalten und untereinander per Laser weiterleiten (t3n.de, 11.10.2020). Das Satellitennetz soll vor allem den ländlichen Raum mit schnellem und gleichzeitig kostengünstigem Internetzugang versorgen. Die Starlink-Satelliten der Firma SpaceX stellen seit vielen Monaten den Internetzugang in der Ukraine sicher und unterstützen die ukrainischen Truppen bei
der Kriegsplanung, seit die Russen zu Beginn des Überfalls auf die Ukraine die dortige Internetversorgung gestört haben.

Für manche Besitzer eines Häuschens auf dem Land sind daher die Starlink-Antennen ein komfortabler Zugang zu schnellem Internet. Für viele ukrainische Soldaten an der Front in der Ukraine sind sie überlebenswichtig: Inzwischen läuft über Starlink ein beträchtlicher Teil der digitalen Kommunikation der Armee, die ansonsten vom
Internet abgeschnitten wäre. Bisher ließ sich SpaceX-Gründer Elon Musk, reichster Mensch der Welt, dafür
feiern, der Ukraine mit seinem Starlink-System zu helfen. Doch mit der Wohltätigkeit war es fast vorbei; wie der US-Nachrichtensender CNN berichtet, hat sich Musk in einem Brief an das US-Verteidigungsministerium gewandt. SpaceX könne den Internetdienst in der Ukraine nicht länger finanzieren. Das mache laut SpaceX Kosten von mehr als 120 Millionen Dollar für den Rest des Jahres aus, in den nächsten zwölf Monaten lägen sie bei fast 400 Millionen Dollar (tagesspiegel.de). Das Schreiben an das Pentagon enthält aber offenbar auch Daten, die belegen, dass
SpaceX keineswegs alle Kosten für die Ukraine bisher selbst getragen hat. 85 Prozent der 20.000 Antennen sollen Länder wie die USA und Polen bezahlt haben (wiwo.de). Auch 30 Prozent der Kosten für die Datenübertragung sollen nationale Behörden beglichen haben.

Vertrauen ist schnell verspielt, man kann das große Geld in Kriegen machen. Aber „Kriegsgewinnler“ gelten heutzutage als unredlich, bauen sie doch ihren Gewinn auf Zerstörung und menschlichem Leid auf. Das Unternehmen SpaceX will daher das Internetangebot für die Ukraine über den Satellitendienst Starlink nun doch weiter finanzieren. Was soll ́s … auch wenn Starlink immer noch Geld verliert und andere Unternehmen
Milliarden an Steuergeldern erhalten, werden wir die ukrainische Regierung weiterhin
kostenlos finanzieren, schrieb Musk auf Twitter (n-tv.de).

Ob der Krieg (polemos), wie Heraklit in der Geburtszeit der westlichen Philosophie („Achsenzeit“ nach Karl Jaspers) gesagt haben soll, „der Vater aller Dinge und von allem der König“ ist, sei dahingestellt. Aber die bekannte Äußerung weist neben der Verankerung von Widerstreit und Konkurrenz in das Weltgeschehen darauf hin, dass
Kriege für lange Zeit als selbstverständliche Vorkommnisse in einer Welt betrachtet wurden, in der zwischen Gemeinschaften Gewalt und Begehrlichkeiten herrschen und in der Kriege, wie wir dies auch jetzt wieder erfahren haben, die Gemeinschaft und die Machthaber der Gemeinschaft stärken. 1914 war eine Generation begeistert in den Ersten Weltkrieg gezogen, darunter viele Künstler, die das Ereignis zusätzlich poetisch bejubelten. 1917 war es damit vorbei. Die Realität des Jahres 1917 sah so aus: Die großen Genies der Kunstgeschichte sind noch da – Renoir, Monet, Rodin, Degas. Aber auch die jungen Avantgarden: 1917 war der Anfang von De Stijl, Dada befindet sich im Aufschwung, für Matisse ist es ein entscheidendes Jahr und auch für Picasso, der sich vom Kubismus abwendet.

Was passiert mit der Kunst im Krieg? Wie positionierten sich Künstler/-innen in dieser patriotisch aufgeheizten Zeit, wo Hunderttausende auf den Schlachtfeldern getötet und verletzt wurden? In unserer heutigen Gesellschaft ist es mit solchen blinden Begeisterungsstürmen – Gott sei Dank – vorbei. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hält an. Kulturschaffende aus beiden Ländern versuchen, ihre Erfahrungen künstlerisch umzusetzen. Die einen kämpfen gegen Zensur und Isolation, bei den anderen floriert die Kunst. Wo bleibt Platz für die Kunst, wenn zwei Länder sich bekämpfen? Die Antwort auf die Frage hängt davon ab, auf welcher Seite des Frontverlaufs man sich befindet. Während die russischen Künstler unter Zensur und Isolation leiden (deutschlandfunkkultur.de, 17.08.2022), seit ihr Land einen Krieg angezettelt hat, profitieren ukrainische Künstler vom Zugewinn an künstlerischer Freiheit und gesellschaftlicher Veränderung, die der Krieg antreibt. Aber nicht nur staatliche Zensur, auch gesellschaftliche Empörung führt zu merkwürdigen Ergebnissen: Ein großes Street-Art-Mural, das einen russischen und einen ukrainischen Soldaten in einer Umarmung zeigte, hatte in Australien für Proteste gesorgt. Das umstrittene Wandgemälde in Melbourne stammte von dem Künstler Peter Seaton, der sich mittlerweile für das Werk entschuldigt hat und es wieder entfernte (monopol-magazin.de). Die Kunstfreiheit in Zeiten von Kriegen ist ein zartes Pflänzchen …Dokumentation ist Aufgabe des Journalismus, das Schwimmen gegen den Mainstream und das Schaffen von Freiheiten für Interpretationen Sache der Kunst. Kunst eckt an, muss und soll dies auch tun. Kunst – und Journalismus – dienen der Meinungsbildung. Und die lassen wir uns nicht wegzensieren respektive niederschreien.

Eine Ideologie ist im neutralen Sinne die Lehre von den Ideen, d. h. der wissenschaftliche Versuch, die unterschiedlichen Vorstellungen über Sinn und Zweck des Lebens, die Bedingungen und Ziele des Zusammenlebens usw. zu ordnen (bpb.de). Aus diesen Bemühungen entstanden historisch unterschiedliche
Denkschulen. Ursprünglich sind sie eine aus Frankreich stammende, an Etienne Bonnot de Condillac (1714-1780) und Antoine Louis Claude Destutt de Tracy (1754-1836) anknüpfende sensualistische philosophische Richtung, „welche durch eine genaue und systematische Kenntnis der physiologischen und psychischen Welt praktische Regeln für Erziehung, Ethik und Politik festzustellen sucht“ (juraforum.de). Im politischen Sinne dienen Ideologien zur Begründung und Rechtfertigung politischen Handelns. Es gibt Staaten, die ideologisch handeln. Die Herrschenden wollen die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen und Ansichten gestalten und lassen keine anderen
Meinungen zu. Dies war zum Beispiel in den kommunistischen Staaten der Fall. Die Menschen konnten dort nicht frei entscheiden, wie sie leben wollten, sondern die herrschende Partei gab das vor. Das ganze Leben war „ideologisiert“, das heißt, es hatte sich der kommunistischen Weltanschauung unterzuordnen. Alles wurde danach beurteilt, ob es in die Weltanschauung passte. Auch der Nationalsozialismus war eine Ideologie, die von den Bürgern die totale Unterordnung forderte und jeden verfolgte und bestrafte, der sich gegen diese Weltanschauung stellte. Beispiele aus heutiger Sicht sind Russland und der Iran. Während in Russland das Dogma auf politischen Säulen fußt, ist es im Iran die Religion, die das alltägliche Leben bestimmt. Eine staatlich verordnete, aufgezwungene Religion ist nichts anderes als eine Ideologie; Religion muss mit der Freiheit der Wahl eines Bekenntnisses verbunden sein. Nur dann kann man von Religion im eigentlichen Sinne sprechen. Alles andere ist
eine Ideologie, fußend auf politischen respektive religiösen Fundamenten. Der „Kopftuchstreit“ und der tragische Tod der jungen Frau im Iran, verursacht durch die sogenannte „Sittenpolizei“, sowie von „Gott befohlene“ Morde im Sinne der Religion oder auch der „Ehre“ zeigen, welche Gefahren sich bei unkritischem Umgang mit Denkrichtungen ergeben.

Aus Sicht des Grundgesetzes bedrohen im Gegensatz zur Allgemeinkriminalität politisch/religiös motivierte Straftaten vor allem die freiheitliche demokratische Grundordnung unseres Gemeinwesens und die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Täter verfolgen mit den Taten politische Ziele beziehungsweise fühlen sich bei der Begehung durch eine Ideologie oder ein Gefühl angeblicher Überlegenheit gegenüber den Tatopfern gerechtfertigt. Sie entwickeln daher häufig kein Unrechtsbewusstsein. Dabei sind Staatsschutzdelikte im
eigentlichen Sinne solche, die sich gegen die Verfassung, den Bestand des Staates oder gegen seine innere und äußere Sicherheit richten. Ideologie ist Machterhalt einer keinen Clique gegenüber der breiten Masse. Um sie zu
enttarnen, muss man ihr buchstäblich die Maske vom Gesicht reißen. Eine Ideologie ist nur in der Lage, einen bestimmten Aspekt des realen Lebens zu beleuchten. Andere Aspekte werden nicht abgedeckt, für deren Erklärung und Lösung daraus resultierender Probleme. Man meidet deren Lösung, sei es aus mangelndem Mut, vielleicht auch aus mangelnder Intelligenz.

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, anlasslose, pauschale Vorratsdatenspeicherung ginge nicht (Urt. v. 20.09.2022, Rs. C-793/19, C-794/19 u.a.). Damit ist klar: Die deutschen Regeln zur Vorratsdatenspeicherung, die schon lange auf Eis liegen, müssen endgültig weg. Ein Grund zur Freude für alle, diesich gegen das fragwürdige Überwachungsinstrument einsetzen. Einen Schritt zurückzutreten und Bedenken auszuhalten, bevor man etwas Neues macht, ist schwer. Gerade wenn laute Stimmen nach Schnelligkeit schreien, aber niemand nach einer ausgeruhten, komplexen Vogelperspektive. Und auch, wenn das vielleicht bei der Vorratsdatenspeicherungsregelung nichts wird. Es gibt noch genug geplante Gesetze- und andere Vorhaben, für die es diesen Blick von oben dringend braucht (netzpolitik.org). Sei es ein neues Bundespolizeigesetz, die Frage nach den Staatstrojanern oder die nach einem konsequenten Schwachstellenmanagement. Hintergrund des Urteils ist ein Rechtsstreit der Bundesnetzagentur mit dem Internetprovider SpaceNet und der Telekom, die gegen die Speicherpflicht im Telekommunikationsgesetz vorgegangen waren. Die Bundesnetzagentur hatte die Regelung bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Speicherung der Daten verpflichtet werden darf – wenige Tage, bevor die neue Regel hätte in Kraft treten sollen. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Sache dem EuGH vor. Der EuGH räumt aber in Bestätigung seiner bisherigen Rechtsprechung abweichend von dem grundsätzlichen Verbot einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung dennoch Spielraum für die Mitgliedstaaten ein, das Instrument vorzusehen, auch für
Deutschland ergibt sich damit ein Rahmen für eine Neuregelung, u.a. zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zum Schutz der nationalen Sicherheit kann den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste aufgegeben werden, während eines festgelegten Zeitraums die ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten umgehend zu sichern (lto.de).

Abgesehen davon gilt: Der Satz von Verbindungs- und Standortdaten, die nach der deutschen Regelung gespeichert werden sollten, kann nach Ansicht der Richter des EuGH sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen ermöglichen – etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens oder das soziale Umfeld. Damit könne ein Profil dieser Personen erstellt werden. Dies sei ein Grundrechtseingriff, der eine gesonderte Rechtfertigung erfordere, so die Richter. Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter
Viele von uns, ja die Jugend, sind technikaffin, doch wir wehren uns dagegen, dass unsere Demokratie verdatet und verkauft wird. Der Ball liegt nun bei der Bundesregierung. Der EuGH hat mit seiner Entscheidung den Rahmen abgesteckt, in dem eine Vorratsdatenspeicherung rechtlich zulässig ist. Sowohl die SPD als auch die FDP haben sich bereits positioniert. Die Politik hat nun die Aufgabe, zu entscheiden, ob sie einen neuerlichen Versuch für
eine nationale Vorratsdatenspeicherung wagt. Dabei käme es insbesondere darauf an, die vom EuGH vorgegeben unbestimmten Rechtsbegriffe der „nationalen Sicherheit“ oder der „schweren Kriminalität“ mit Leben zu füllen. Welchen Weg die Bundesregierung allerdings final einschlagen wird, ist unklar. Eines ist dagegen gewiss: Der EuGH hat sich sicher nicht zum letzten Mal mit der Vorratsdatenspeicherung befasst. Fortsetzung folgt …

Junge Menschen möchten nicht mehr arbeiten als sie müssen, sie kündigen innerlich: Das jüngste Phänomen auf dem Arbeitsmarkt der Generation Z nennt sich „Quiet Quitting“. Eigentlich gibt es das schon länger. Neu ist, dass es jetzt um die Generation Z geht, also die heute 15- bis 30-Jährigen, die langsam auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. „In den USA gab es in den vergangenen zwei, drei Jahren einen sehr positiven Arbeitsmarkt“ (Frédéric Pirker,
Unternehmensberater, capital.de). Wer gerade nach einem Job suche, habe oft sogar mehrere Angebote auf dem Tisch liegen – und könne höhere Ansprüche stellen. Quiet Quitting bedeutet sich von der Idee und Vorstellung zu verabschieden, dass Arbeitende übers Limit hinausgehen, Überstunden und Extra-Arbeit machen, die vertraglich gar nicht von ihnen verlangt werden. Auf verschiedenen Plattformen kann man lesen: „Mit Quiet Quitting sagen wir: Wir leisten nur das, für das wir bezahlt werden“. Das allerdings stellt Betriebe in Deutschland vor große Aufgaben: Denn der Personalmangel bedeutet für die Unternehmen derzeit: Weniger müssen mehr leisten. Um neue Leute zu bekommen, brauchen die Firmen neue Anwerbekonzepte. Klar definierte Arbeitszeiten, die eingehalten werden und klar genannte Aufgabengebiete, die Zeit für Familie und Freizeit lassen, können hochattraktiv für potenzielle neue
Arbeitnehmer/-innen sein. Das Konzept des Quiet Quitting liegt irgendwo zwischen diesen beiden Extremen –
einer stark emotionalen Verbundenheit auf der einen Seite und dem kühl kalkulierten Eigennutz auf der anderen. Menschen, die sich im Zustand der Quiet Quitting befinden, sind nicht bereit, mehr als die Arbeit zu leisten, die vertraglich festgeschrieben wurde. Mehr noch: selbst bezahlte Überstunden lehnen sie zum Teil ab. Dies bedeutet
allerdings nicht zwangsläufig, dass sie keinerlei emotionale Bindung an ihren Arbeitgeber aufweisen oder bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit zur Konkurrenz überlaufen. Sie setzen ihrem Arbeitgeber jedoch klare Grenzen an der Schnittstelle zwischen beruflichem und privatem Leben.

Wenn das ein echtes Problem wäre, müsste die Wirtschaft deutlich schlechter dastehen. Etliche der quiet quitters, die sich bisher in der Debatte zu Wort meldeten, sehen die innere Kündigung als Burn-out-Prophylaxe; Selbstfürsorge statt Ausbrennen. Die Bewegung, wenn man sie denn als solche zusammenfassen will, denkt das Konzept Arbeit eben nicht als Lebensinhalt, sondern als Mittel zum Zweck. Unbezahlte Überstunden mehren nicht den Lebenssinn, und warum sollte man Aufgaben zusätzlich übernehmen, für die man gar nicht bezahlt wird? In Deutschland haben laut Statistischem Bundesamt 4,5 Millionen Menschen im vergangenen Jahr Überstunden geleistet – davon ein gutes Fünftel unbezahlt (spiegel.de, 30.08.2022). Hinter dem Phänomen „Quiet Quitting“ könnte also letztlich einfach das Gesetz des Marktes stecken. Wenn Arbeitnehmer durch den Fachkräftemangel in einer so guten Verhandlungsposition sind, dass sie nicht auf Gedeih und Verderb alles mit sich machen lassen müssen, um den Job zu behalten, dann tut es auch die simple Vertragserfüllung.

Wählerwille
Annalena Baerbocks Auftritt auf einer Podiumsdiskussion in Prag sorgt weiter für Diskussionen. Auf Englisch hatte die Ministerin dort gesagt, dass sie den Ukrainern Unterstützung zugesagt habe und dass sie ihnen beistehen wolle, solange es nötig sei – unabhängig davon, was ihre deutschen Wähler darüber denken („no matter what my German voters think“ deutschlandfunkkultur.de, 03.09.2022). Die Ansicht, der Wählerwillen müsse (für Frau Baerbock) oberste Priorität haben, kann so nicht uneingeschränkt gelten. Der Wählerwille artikuliert sich in den Wahlen. Die Regierung hinterher tut Dinge, die der Wähler im Moment der Wahl nicht wollte. Machte man es anders, könnte man
einfach Meinungsumfragen regieren lassen. Der Weg zum Populismus wäre geebnet … (Ursula Weidenfeld, Journalistin, a.a.O.).
Schnell verbreiteten sich nach dem Interview kurze Videoausschnitte von Baerbocks langer, auf Englisch gehaltener Antwort in den sozialen Netzwerken. In einer Telegram-Gruppe war ein Clip mit der Bemerkung versehen: Die deutsche Außenministerin verspricht, dass die Ukraine an erster Stelle komme, ́egal, was deutsche Wähler denken` oder wie hart ihr Leben wird“. (nzz.ch). Auf Twitter wurde ein entsprechendes Video 1,7 Millionen Mal aufgerufen. Ein User versah es mit der Einleitung, dass in der Demokratie das Volk die Staatsgewalt ausübe, und stellte dem
Baerbocks Äußerungen zugespitzt gegenüber -für sie käme die Ukraine zuerst, egal, was ihre deutschen Wähler dächten. Fakt ist, dass das verbreitete Video erkennbar geschnitten ist. Andere Accounts etwa auf Telegram erweckten zudem den Eindruck, Baerbock seien die Folgen der Sanktionspolitik für die deutsche Bevölkerung egal. Tatsächlich versprach sie aber sowohl den Deutschen als auch den Ukrainern die Solidarität des deutschen Staates.
Es ist richtig, dass prorussische Kanäle Baerbocks Aussagen verkürzt wiedergegeben haben. Dennoch bleibt ihre Aussage bestehen, die Ukraine unabhängig von der Zustimmung ihrer deutschen Wähler unterstützen zu wollen.
Zur Verteidigung der Ministerin zur Verteidigung ist darauf hinzuweisen, dass es in der repräsentativen Demokratie gerade keine imperativen Mandate gibt. Staatspolitische Verantwortung drückt sich zudem mitunter auch darin aus, als richtig Erkanntes trotz mangelnder demoskopischer Unterstützung durchzusetzen. Dennoch ist der Ministerin hier wohl ein kommunikativer Lapsus unterlaufen. Baerbocks Aussage ist inhaltlich kein Skandal. Dass eine Politikerin an dem, was sie als richtig erkannt hat, festhalten will, selbst wenn die Umfragen zwischenzeitlich mal in den Keller rutschen sollten, ist kein Amtsmissbrauch, sondern ehrenwert (merkur.de, 08.09.2022). Dass es nicht selten andersrum läuft und aus Angst vor dem Unmut der Wähler nicht oder falsch gehandelt wird, ist einer der Gründe dafür, dass manche Probleme immer größer werden – zum Beispiel in der Rentenpolitik. Gerade deswegen entscheiden in einer Demokratie am Ende immer die Wähler, nur eben nicht täglich, sondern alle vier oder fünf Jahre. Der Verfassungs- und Gesetzgeber hat sich bei den Wahlperioden offensichtlich etwas gedacht. Und das ist gut so …
Die vollständige Antwort der Ministerin – aus welcher der Satz propagandistisch herausgerissen wurde – findet sich in deutscher Übersetzung u.a. auf TELEPOLIS, heise.de vom 02.09.2022.

Michail Gorbatschow ist im Alter von 91 Jahren gestorben. In den vergangenen Jahren hatte sich der Friedensnobelpreisträger zurückgezogen. Er war der Mann, dem die Deutschen maßgeblich ihre politische Einheit zu verdanken haben, war in seinen letzten Lebensjahren fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden: Der Friedensnobelpreisträger lebte zurückgezogen in einer Datscha in einem Vorort von Moskau. Schon längere Zeit hieß es, es gehe ihm gesundheitlich nicht besonders gut. Der letzte Generalsekretär der KPdSU und erste Präsident der Sowjetunion leitete die Perestroika (deutsch: Umstrukturierung) und somit das Ende des kalten Krieges zwischen dem Westen und Osten ein. Am 1. November 1987 erschien in der UdSSR Michael Gorbatschows Buch Perestroika. Vier Jahre später, 1991, wurde Gorbatschow als Folge des Augustputsches entmachtet. Wie steht es um das historisches Ansehen dieses letzten Generalsekretärs und ersten Präsidenten der Sowjetunion? Stellt man diese Frage in Russland, fällt die Antwort wohl in den meisten Fällen eher negativ aus. Für viele Menschen gilt Gorbatschow als Verräter, der eine Supermacht auf dem Gewissen hat. Es hat auch etwas mit der aktuellen innen- wie außenpolitischen Situation Russlands zu tun. Bei den aktuellen Spannungen mit dem Westen wegen des Ukrainekrieges und der zunehmend schweren Wirtschaftslage wird die Sowjetunion zu einem historischen Sehnsuchtsort. Gerade Wladimir Putin wird immer wieder wie folgt zitiert: „Der Zerfall der UdSSR ist die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“. Es gibt natürlich auch andere Stimmen. Menschen, die vor allem an die Freiheit denken, die Gorbatschows Reformen den sowjetischen Bürgern gebracht haben. So hat der Friedensnobelpreisträger zu seinem 80. Geburtstag 2011, fast 20 Jahre nach dem Ende seiner politischen Karriere, vom Präsident Medwedew den höchsten Orden des russischen Staates zuerkannt bekommen. Heute wäre das bei der derzeitigen Stimmung in Russland undenkbar …

Es gab auch die Kehrseite Gorbatschows: Ethnische Konflikte und nationale Unabhängigkeitsbestrebungen in den sowjetischen Teilrepubliken versuchte er mit Gewalt zu unterdrücken, andere ignorierte er so lange, bis sie explodierten. Das macht Gorbatschow in vielen Nachfolgestaaten des Sowjetimperiums zu einer umstrittenen Figur, etwa in Georgien oder Litauen (welt.de, 31.08.2022). Ja, unter dem Strich war er – von russischer Seite betrachtet – der „Totengräber“ der Sowjetunion. Gescheitert ist er mit dem Ziel, das sowjetische Imperium zu erhalten. Die desolate Wirtschaftslage zwang den kommunistischen Machtblock letztlich in die Knie, gerade weil die von ihren Rohstoffverkäufen abhängige Sowjetunion durch den niedrigen Ölpreis kaum noch Einnahmen erzielte. Gorbatschow hat von Wirtschaftsfragen wenig verstanden, er war diesbezüglich wankelmütig und zaudernd
(Ignaz Lozo, „Gorbatschow. Der Weltveränderer“).

Aber: „Gorbatschow hat mehr als 164 Millionen Menschen in die Freiheit entlassen: 38 Millionen Polen, fast 16 Millionen Tschechen und Slowaken, 23 Millionen Rumänen, jeweils fast neun Millionen Bulgaren und Ungarn sowie rund 16 Millionen Deutsche in der DDR“ (Lozo, a.a.O.). Ja, wir Deutschen verdanken „Gorbi“ Freiheit, volle Souveränität und schließlich die Wiedervereinigung. Danke, Michail Gorbatschow! Requiescat in pacem!