Ob der Krieg (polemos), wie Heraklit in der Geburtszeit der westlichen Philosophie („Achsenzeit“ nach Karl Jaspers) gesagt haben soll, „der Vater aller Dinge und von allem der König“ ist, sei dahingestellt. Aber die bekannte Äußerung weist neben der Verankerung von Widerstreit und Konkurrenz in das Weltgeschehen darauf hin, dass
Kriege für lange Zeit als selbstverständliche Vorkommnisse in einer Welt betrachtet wurden, in der zwischen Gemeinschaften Gewalt und Begehrlichkeiten herrschen und in der Kriege, wie wir dies auch jetzt wieder erfahren haben, die Gemeinschaft und die Machthaber der Gemeinschaft stärken. 1914 war eine Generation begeistert in den Ersten Weltkrieg gezogen, darunter viele Künstler, die das Ereignis zusätzlich poetisch bejubelten. 1917 war es damit vorbei. Die Realität des Jahres 1917 sah so aus: Die großen Genies der Kunstgeschichte sind noch da – Renoir, Monet, Rodin, Degas. Aber auch die jungen Avantgarden: 1917 war der Anfang von De Stijl, Dada befindet sich im Aufschwung, für Matisse ist es ein entscheidendes Jahr und auch für Picasso, der sich vom Kubismus abwendet.
Was passiert mit der Kunst im Krieg? Wie positionierten sich Künstler/-innen in dieser patriotisch aufgeheizten Zeit, wo Hunderttausende auf den Schlachtfeldern getötet und verletzt wurden? In unserer heutigen Gesellschaft ist es mit solchen blinden Begeisterungsstürmen – Gott sei Dank – vorbei. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine hält an. Kulturschaffende aus beiden Ländern versuchen, ihre Erfahrungen künstlerisch umzusetzen. Die einen kämpfen gegen Zensur und Isolation, bei den anderen floriert die Kunst. Wo bleibt Platz für die Kunst, wenn zwei Länder sich bekämpfen? Die Antwort auf die Frage hängt davon ab, auf welcher Seite des Frontverlaufs man sich befindet. Während die russischen Künstler unter Zensur und Isolation leiden (deutschlandfunkkultur.de, 17.08.2022), seit ihr Land einen Krieg angezettelt hat, profitieren ukrainische Künstler vom Zugewinn an künstlerischer Freiheit und gesellschaftlicher Veränderung, die der Krieg antreibt. Aber nicht nur staatliche Zensur, auch gesellschaftliche Empörung führt zu merkwürdigen Ergebnissen: Ein großes Street-Art-Mural, das einen russischen und einen ukrainischen Soldaten in einer Umarmung zeigte, hatte in Australien für Proteste gesorgt. Das umstrittene Wandgemälde in Melbourne stammte von dem Künstler Peter Seaton, der sich mittlerweile für das Werk entschuldigt hat und es wieder entfernte (monopol-magazin.de). Die Kunstfreiheit in Zeiten von Kriegen ist ein zartes Pflänzchen …Dokumentation ist Aufgabe des Journalismus, das Schwimmen gegen den Mainstream und das Schaffen von Freiheiten für Interpretationen Sache der Kunst. Kunst eckt an, muss und soll dies auch tun. Kunst – und Journalismus – dienen der Meinungsbildung. Und die lassen wir uns nicht wegzensieren respektive niederschreien.