Heute, am 23. September, würde die schillernde Schauspielerin 80 Jahre alt. Bis heute wirkt ihre Magie, und weiterhin dient sie als Projektionsfläche weiblicher Freiheit und Haltlosigkeit.

80 Jahre: Natürlich wüsste man gern, was Romy Schneider heute zu „Me too“ zu sagen hätte oder zu Diskussionen um eine Frauenquote im Film. Noch lieber hätte man sie, wie ihre Altersgenossinnen Vanessa Redgrave, Judi Dench oder Liv Ullmann, weiter in vielen Filmen gesehen, hätte Texte von ihr gelesen oder sie im Konzert erlebt, sie hätte vielleicht selbst Regie geführt. Die Chance eines Comebacks oder einer Neuerfindung hat Romy Schneider, die 1982 mit 43 Jahren starb, nicht gehabt. Ihre Filme sind zeitlos, ja, sie werden immer stärker.

Welten liegen zwischen der kokett-fröhlichen jungen Frau, die im Film als Prinzessin aus Bayern mit 16 Jahren einen der mächtigsten Herrscher der Welt heiratet, und ihrer letzten Rolle als eine von Nazis verfolgte Animierdame in „Die Spaziergängerin von Sans-Souci”. Der Streifen sei „das letzte Dokument des viel zitierten „gebrochenen Herzens”, an dem Schneider aus Sicht vieler Fans kurz nach der Premiere starb”, befand der SPIEGEL 2009. Romy Schneider wurde zehn Monate nach dem Unfalltod ihres Sohnes David am 29. Mai 1982 im Alter von 43 Jahren tot am Schreibtisch ihrer Wohnung in Paris gefunden.

Romy Schneider war ein früh verlorenes und verlassenes Kind. Ihre Eltern, Magda Schneider und Wolf Albach-Retty, verfolgten manisch ihre Schauspielkarrieren und konnten mit Romy nichts anfangen. Zuerst kümmerte sich eine Kinderfrau um sie, dann kam sie zu den Großeltern, schließlich in ein Mädcheninternat. Wie einst Emmy Bovary folgte sie in der totalen Weltabgeschiedenheit ihren Träumen und hatte nur einen großen Wunsch, den jeder Kinobesuch neu aktivierte: „Ich muss auf jeden Fall einmal eine Schauspielerin werden. Ja! Ich muss!“ (mittelbayerische.de). Die Ausrufezeichen weisen schon auf das hin, was sie zeitlebens auszeichnete: Eigensinn und ein starker Wille – und die Unbedingtheit des Gefühls.

Frankreich war der Sehnsuchtsort der hochbegabten, aber nie als Schauspielerin ausgebildeten Schneider. „Ich fühle mich zu einem Viertel als Österreicherin und zu drei Vierteln als Französin”, bekannte sie damals. Ihre Liebe zur kunstreichen Grande Nation drückte sich schon bei der Synchronisation der „Sissi”-Filme aus. In der ebenfalls höchst erfolgreichen französischen Variante sprach sie ihre Rolle selbst (berliner-zeitung.de).

Die Deutschen hatten Ende der 1950er Jahre ein Problem damit, dass die von ihnen verehrte Verkörperung der Unschuld mit dem skandalumwitterten französischen Schauspieler Alain Delon nach Paris zog. „Wir sind die beiden meistbeschimpften Frauen Deutschlands”, habe ihr Schneider in einem Interview 1976 gesagt, so die Feministin Schwarzer. Zuvor hatte Romy Schneider zusammen mit 374 Frauen im Magazin STERN bekannt: „Wir haben abgetrieben”.

Der Regisseur Claude Sautet beschrieb sie einmal so: „Sie ist gleichzeitig Gefühl und Spannkraft, Panik und Heiterkeit”.

Auch wenn sie mit einigen Werken in Hollywood Fuß zu fassen versuchte – so etwa mit „Good Neighbour Sam“ an der Seite von Jack Lemmon, in „What’s new Pussycat?” neben Woody Allen und Peter Sellers oder unter Otto Preminger in „The Cardinal” – die große zweite Schauspielkarriere machte Romy Schneider in Frankreich. Das Land wurde der Aktrice zumindest zur zweiten, wenn nicht zur ersten Heimat. „Sie verkörpert den Traum, den alle Franzosen haben: Sie war eine Ausländerin, die wie eine Französin war” (Constantin Costa-Gavras).

Viele Filme und Biografien sind über das Leben von Romy Schneider erschienen. Der jüngste Film heißt „3 Tage in Quiberon“. Die Regisseurin Emily Atef erzählt, wie die erschöpfte Romy Schneider kurz vor ihrem Tod noch ein Interview über ihr kaputtes Leben gibt.

Im Juli 1981 war ihr Sohn David beim Überklettern eines Zaunes mit Metallspitzen nordwestlich von Paris tödlich verunglückt. Der größte Schicksalsschlag ihres Lebens. Einige Monate danach verstarb auch Romy Schneider am 29. Mai 1982 mit 43 Jahren. Die offizielle Todesursache: Herzversagen.

Schneider wurde auf dem Friedhof von Boissy-sans-Avoir beigesetzt. Ihr Ex Alain Delon organisierte nicht nur die Beerdigung, er sorgte auch dafür, dass Schneiders Sohn vom Friedhof in Saint-Germain-en-Laye in das Grab seiner Mutter umgebettet wurde.

Der Mythos Romy Schneider wird bleiben, in ihren Filmen lebt sie weiter.

Nachts sieht man sie vielleicht spazieren, in den Straßen: „La passante du Sans-Souci“.

Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Erdogan vereinbarten in Sotschi, in der syrischen Provinz Idlib eine entmilitarisierte Zone einzurichten, die Rebellen und Regierungstruppen trennen soll. Auf diese Weise könnte die bevorstehende Schlacht um Idlib vielleicht noch verhindert werden. Nichts wäre den drei Millionen Menschen dort mehr zu wünschen.

Idlib gilt als letzte Rebellenhochburg im Norden Syriens. Dort befinden sich zehntausende bewaffnete Extremisten und Kämpfer der gemäßigten syrischen Opposition, aber auch drei Millionen Zivilisten leben in der Grenzregion zur Türkei (handelsblatt.com).

Es gibt eine Grundsatzfrage für den Fall der Fälle: Nämlich die, ob die Bundesrepublik zu einer Beteiligung an einer gemeinsamen Militäraktion des Westens bereit wäre, sollte Baschar al-Assad in Idlib Giftgas einsetzen. Die Vereinigten Staaten waren mit diesem Anliegen in Berlin vorstellig geworden.

Andrea Nahles hat die Zustimmung, sowohl für die SPD-Fraktion im Parlament als auch im Rahmen der SPD-Beteiligung an der Regierung, kategorisch verneint. Ganz so einfach ist dies jedoch nicht.

Im Kriegsvölkerrecht haben sich einige Länder auf das Verbot chemischer Waffen geeinigt. Bereits 1925 unterzeichneten 36 Staaten das Genfer Protokoll über das „Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder anderen Gasen, sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege“. Der Chemiewaffenkonvention der Vereinten Nationen von 1993 sind bis heute 193 Nationen beigetreten. Damit umfasst der Vertrag 98 Prozent der Weltbevölkerung, so ein sicherheitspolitischer Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (zeit.de).

Auch Syrien hat das Abkommen im vor fünf Jahren unterschrieben, nachdem Barack Obama erwogen hatte, syrische Militäranlagen wegen eines Einsatzes chemischer Waffen zu bombardieren. Hunderte Menschen waren damals in der Region Ghuta östlich von Damaskus elendig gestorben, sie wurden Opfer des Giftgases Sarin. Der Bericht einer unabhängigen, von den Vereinten Nationen eingesetzten Untersuchungskommission stellte fest, dass Baschar al-Assads Luftwaffe für den Giftgasangriff verantwortlich war.

Obama machte seine Drohung nicht wahr, obwohl er den Einsatz von Chemiewaffen zuvor zur „roten Linie“ erklärt hatte. Eine Fehlentscheidung, die Assad und seine Verbündeten Russland und Iran in ihrer brutalen Kriegsführung zusätzlich ermutigte.

Donald Trump hingegen reagierte sofort auf den nochmaligen Einsatz von Sarin durch Assads Luftwaffe. Im April 2017 und ein Jahr später griffen US-Einheiten Stellungen der syrischen Armee an, beim zweiten Mal unterstützt durch Frankreich und Großbritannien. Die Bundesregierung beteiligte sich nicht, nannte die Aktion im April 2018 aber „erforderlich und angemessen“.

Chemiewaffen dürfen, wie biologische und atomare Waffen, nicht im Krieg verwendet werden. Wenn dieses Tabu aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges nicht verteidigt wird, dann fallen auch die letzten Schranken einer Kriegsführung; nichts anderes als Terror gegen die Zivilbevölkerung.

Deutschland hat 2014 einen Teil der syrischen Giftgasbestände vernichtet, die vom Regime übergeben wurden. Die technischen Fähigkeiten und Einrichtungen der Bundeswehr sind dafür geeignet. Assad aber hat die Staatengemeinschaft betrogen und entgegen seiner Beteuerungen größere Bestände an Chemiewaffen behalten. Mindestens zweimal hat er sie erneut eingesetzt, in Chan Scheichun 2017 und in Duma 2018.

Wenn die Vereinbarung der Herren Putin und Erdogan hält und es nicht zur Schlacht um Idlib kommt, muss über eine Beteiligung Deutschlands an einem militärischen Eingreifen nicht entschieden werden. Aber die Grundsatzfrage ist damit nicht aus der Welt: Kann es verantwortungsvolle deutsche Sicherheitspolitik sein, den Einsatz von Massenvernichtungswaffen – geächtet von der gesamten Staatengemeinschaft – mit verschränkten Armen hinzunehmen? Die Frage zu stellen, heißt sie zu verneinen.

Die SPD fordert Maaßens Entlassung wegen seines umstrittenen Interviews zu den Vorgängen in Chemnitz, Seehofer als Maaßens Dienstherr hat ihm aber das Vertrauen ausgesprochen. Merkel hielt sich bedeckt. Für einen Bericht der WELT, die Kanzlerin habe bereits gegen Maaßen entschieden, gab es zunächst keine Bestätigung.

Eine endgültige Entscheidung über die Zukunft Maaßens ist noch nicht gefallen. Auch in SPD-Kreisen wusste man zunächst nichts von einer definitiven Entscheidung – man gehe aber fest von der Ablösung des Spitzenbeamten aus. In der Koalition hieß es gestern, derzeit werde noch nach einer Kompromisslösung gesucht, die auch Seehofer zufriedenstelle.

Um Maaßen zu entlassen, müsste Merkel gegenüber Seehofer von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen. Das dürfte CDU und CSU kurz vor der Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober vor eine Zerreißprobe stellen. Dass auch Merkel Maaßen kritisch sieht, ist ein offenes Geheimnis: Er hatte von Anfang an die Politik offener Grenzen in der Flüchtlingskrise skeptisch bewertet.

Auslöser der Debatte war die Äußerung Maaßens, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, dass es in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe – vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.

Im Jahr 2015 klagte Maaßen noch in einem Interview mit dem Tagesspiegel über die „Anti-Asyl-Agitation“ rechter Parteien. Als Jura-Student war er Ende der 1990er dagegen selbst auf asylkritischem Kurs unterwegs. Maaßens Doktorarbeit „bemüht sich um den Nachweis, dass für eine restriktivere Flüchtlingspolitik erhebliche noch unausgeschöpfte Spielräume bestehen“, schrieb die ehemalige Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff im Jahr 2000 in einer juristischen Fachzeitschrift.

Es sind die Widersprüche, die die Person Maaßen zu kennzeichnen scheinen. Einerseits warnte er 2015 nach den gewalttätigen Ausschreitungen im sächsischen Heidenau, „dass sich Gruppen bilden, die dazu bereit sind, rechtsterroristische Anschläge zu verüben.“ Jetzt bezweifelte er öffentlich das Ausmaß rechter Gewalt in Chemnitz – trotz eindeutiger Berichte der Presse sowie der örtlichen Polizei. Auch dass Maaßen im Fall Chemnitz öffentlich von „Mord“ (tagesspiegel.de) gesprochen hat, obwohl die Staatsanwaltschaft nur wegen Totschlags ermittelt, passt nicht so recht in das Bild des präzisen Juristen.

In den Landesämtern für Verfassungsschutz schauen viele mit Sorge auf die „Causa Maaßen“. Im Mittelpunkt der Kritik aus den Länderbehörden steht Maaßens Umgang mit der AfD. Seit mindestens einem Jahr drängen Beamte aus Bremen, Brandenburg oder Thüringen darauf, die AfD ins Visier zu nehmen – oder zumindest zu prüfen, ob das nötig ist. In Thüringen ist die AfD bereits „Prüffall“. In Bremen wird die AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ wegen rechter Umtriebe beobachtet.

Die Personalie Hans-Georg Maaßen wird im Parteienspektrum unterschiedlich bewertet. FDP-Chef Christian Lindner sagte: „An der Spitze des Verfassungsschutzes ist ein personeller Neuanfang nötig, um das allgemeine Vertrauen in den Inlandsnachrichtendienst zu stärken“.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt beklagte, je länger Maaßen im Amt bleibe, desto mehr werde das Vertrauen in den Verfassungsschutz untergraben. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nannte eine Ablösung überfällig und die Koalition schwach, Zitat: „Schwarz-Rot ist nur noch im Krisenbewältigungsmodus“ (welt.de).

Die Uneinsichtigkeit des Verfassungsschutzpräsidenten ist bemerkenswert. Genauso bemerkenswert ist es, wie der Bundesinnenminister den uneinsichtigen Präsidenten in seiner Uneinsichtigkeit bestärkt. Dieses Zusammenspiel des Bundesministers und des obersten Verfassungsschützers bei der Verharmlosung von rechtsextremen Ausschreitungen schadet nicht nur dem Ansehen der deutschen Geheimdienste, sondern auch dem der Bundesrepublik Deutschland.

Pflegen wir eine Rücktrittskultur? Wenn, dann gibt es sie in der Bundesrepublik nur sehr spärlich. Eigentlich ist es keine Kultur des Rücktritts – aber die Rücktritte, Nicht-Rücktritte und die Diskussion darüber prägen die politische Kultur. Heinemann, Eppler, Leutheusser-Schnarrenberger – diese Namen stehen für Demissionen, die Grund zur Bewunderung sind.

Der türkische Präsident Recep Erdogan scheint sich mit „der Mutter und dem Vater allen Übels“ mittlerweile wieder anzufreunden. Kurz vor ihrer Sitzung attackierte Erdogan die türkische Notenbank scharf – ohne Erfolg. Diese hob den Leitzins kräftig an, um satte 6,25 Prozentpunkte. Das ist der stärkste Anstieg in der Ära Erdogan, die nunmehr bereits 15 Jahre andauert. Künftig liegt der Sclüsselsatz für die Versorgung der Geschäftsbanken bei 24 Prozent.

Ökonomen hatten lediglich mit einer Anhebung von 17,75 auf 22 Prozent gerechnet. Die Türkei hat nunmehr die zweithöchsten Leitzinsen der Welt. Nur Argentinien hat mit 60 Prozent höhere Sätze.

Die Märkte reagierten postwendend. Die türkische Lira schoss vorübergehend um rund acht Prozent nach oben. Zwischenzeitlich notierte der Dollar bei 6,01 Lira. Vor der Notenbankentscheidung mussten noch 6,56 Lira für einen Dollar bezahlt werden. Höhere Zinsen wirken wie ein Aphrodisiakum für Währungen, weil mehr Investoren ihr Geld dort anlegen.

Ifo-Chef Clemens Fuest kritisiert die Rolle Erdogans. Dieser hätte mit seiner Entscheidung, die Leitzinsen nicht anzuheben, weiter Vertrauen verloren und Investoren abschreckt. Diese bräuchte die Türkei aber, um die Währung zu stabilisieren. „Es geht gar nicht mehr darum, den entstandenen Schaden wieder zu beheben, das ist schon jetzt nicht mehr möglich“, so Fuest Anfang des Monats (SPON). Ein kontrollierter Konjunkturabschwung wäre noch das Beste, was der Türkei passieren könnte. Erdogan muss sich entscheiden: beherrschbare Rezession oder unkontrollierter Kollaps.

Es ist schon etwas befremdlich, wenn sich der Staats- und Regierungschef eines Landes auch noch zum Chef des Staatsfonds macht. Erst vergangenes Jahr hat die türkische Regierung staatliche Firmenanteile in Höhe von Dutzenden von Milliarden US-Dollar an einen Staatsfonds übertragen. Das Ziel: Milliardenkredite für die großen Infrastrukturprojekte in der Türkei vergeben — ohne dafür Zinsen zu verlangen. Erdogan hat nun das komplette Management der Notenbank ersetzt — und den Chefposten selbst übernommen (businessinsider.de).

Erdogan betonte vor der Sitzung der Notenbank, diese sei zwar unabhängig. Er warf den Währungshütern aber auch vor, für die hohe Inflation verantwortlich zu sein. An deren Adresse gerichtet sagte er vor Kleinunternehmern in Ankara, die Inflation sei das Ergebnis des falschen Handelns der Währungshüter. Und wer zahle den Preis dafür? Das Volk und die Kleinunternehmer (manager-magazin.de).

Als weitere Maßnahme gegen die Währungskrise entschied Erdogan zudem, dass Geschäftsverträge zwischen in der Türkei lebenden Menschen nur noch in türkischer Lira und nicht mehr in Fremdwährungen wie Euro oder Dollar abgeschlossen werden dürfen.

Der vorgestern veröffentlichte Erlass legt fest, dass diese Verträge innerhalb von 30 Tagen auf Lira umgestellt werden müssen.

Das betrifft unter anderem Immobilienverkäufe und Mieten. Gerade in der Metropole Istanbul und in Touristengebieten werden Wohnungen häufig in Euro oder Dollar verkauft oder vermietet. Von der Maßnahme sind aber auch Verträge aus dem Transport und Finanzdienstleistungen betroffen.

Die Zinserhöhung könnte Erdogan innenpolitisch Stimmen kosten. Zwar schafft er es bisher mit den zu 90 Prozent auf Linie gebrachten türkischen Medien, seinen Wählern einzureden, allein die USA seien schuld am Verfall der Lira. Doch selbst bei vielen konservativen Türken dürften zunehmend Zweifel aufkommen.

24 Prozent Leitzins bedeutet für Verbraucher, dass sie erstens kaum noch Kredite bei Banken aufnehmen können und zweitens die Verlängerung bestehender Kredite extrem teuer wird. Auch viele mittelständische Unternehmen dürften in nächster Zeit größere Probleme bekommen, Schulden zu bedienen und Gehälter zu bezahlen.

Zu der Misere kommt die Zinspolitik der US-Notenbank Fed. Investoren legen aufgrund gestiegener Zinsen ihre Gelder lieber in den sicheren USA an, als in Schwellenländern wie der Türkei. Das sind keine guten Aussichten für Erdogan.

Was bleibt, ist eine relativ robuste türkische Wirtschaft und der Vorteil, dass eine gefallene Lira die Exporte ankurbelt. Kopfschmerzen dürften dem türkischen Staatspräsidenten insbesondere Lokalwahlen im Frühjahr in Istanbul, Ankara und Izmir bereiten. Dort könnte er die Quittung für seine wenig aussichtsreiche Wirtschaftspolitik bekommen. Warten wir´s ab …

Nach der Europawahl im nächsten Frühjahr werden im Herbst 2019 eine neue Kommission und ein neuer Präsident das Ruder übernehmen. Bei seinem Amtsantritt 2014 hatte der Luxemburger Jean-Claude Juncker noch voller Tatendrang gesagt, seine Kommission sei die „Kommission der letzten Chance“, um das Vertrauen der Europäer zurückzugewinnen. Nun erklärte er, eine Amtszeit von fünf Jahren sei zu kurz, um die Geschicke eines Kontinents definitiv zu ändern. Seine Kommission sei „bloß eine kurze Episode in der langen Geschichte der Europäischen Union“.

Juncker wirkte müde. womit er unfreiwillig den Zustand der EU widerspiegelt. Europa hat sich leidlich von der Wirtschaftskrise erholt, und die Euro- und die Flüchtlingskrise sind zwar strukturell nicht gelöst, aber weniger akut. Doch in Junckers Ägide fallen auch der Brexit, neue transatlantische Spannungen, der Aufstieg von Nationalisten und Rechtspopulisten und die Vertiefung des Grabens zwischen Ost- und Westeuropa. Junckers neuliche Rede war ein Versuch, auf diese Herausforderungen Antworten zu finden und Brücken zu bauen. In Anlehnung an den österreichischen Kanzler Sebastian Kurz und an den französischen Präsidenten Emmanuel Macron propagierte er eine EU, die den Bürgern einerseits Schutz und Sicherheit bietet, die sich andererseits auch geopolitisch emanzipiert und auf der Weltbühne mehr Verantwortung übernimmt.

Europa ist geteilt: Die Länder der „Östlichen Partnerschaft“ sind zum Objekt einer anhaltenden Konfrontation zwischen der EU und Russland geworden. Entlang einer Trennlinie von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer ist eine Zone der Instabilität entstanden. Das Europaparlament bringt ein Strafverfahren gegen Ungarns rechtsnationale Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban wegen Rechtsstaatsverstößen auf den Weg. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Europaparlament stimmte heute dafür. Das Rechtsstaatsverfahren könnte im äußersten Fall zum Entzug der Stimmrechte im Ministerrat führen (tagesschau.de). Quo vadis, Europa? Ertrinken wir im Nationalismus?

„Das Zeitalter der Konfrontation und der Teilung Europas ist zu Ende gegangen“, erklärten 34 Staats- und Regierungschefs aus Europa und Nordamerika am 21. November 1990 in der „Charta von Paris“. Der symbolische Schlussstrich unter den Kalten Krieg rückte das Ziel eines gemeinsamen Europäischen Hauses in greifbare Nähe. Der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow hatte diesen Begriff geprägt.

25 Jahre später tobt in der Südostukraine ein Krieg. Russland hat die Krim annektiert. Damit wurde nicht nur eine faktische, sondern auch eine völkerrechtliche Grenze verschoben. Steht ein neuer Kalter, oder gar ein großer „Heißer“ Krieg bevor? Jedenfalls wirkt die Pariser Erklärung wie ein ferner Traum. Oder auch – wie eine verfehlte Prognose.

Wenn die Geschichte uns eines lehrt, dann dass die Zukunft unvorhersehbar bleibt, und Prognosen fast immer falsch sind. Dennoch müssen heutige Entscheidungen in der Politik auf Annahmen über die Zukunft basieren. Die Alternative zu der einen Prognose heißt: Szenarien. Szenarien sind keine Vorhersagen. Sie treffen Aussagen darüber, wie die Zukunft sein könnte – nicht darüber, wie sie sein wird. Genau solche Szenarien fehlen uns heute. Wir leben in Europa, setzen Bedingungen voraus, die jedoch nicht gegeben sind. Dennoch belassen wir es dabei. Was will Europa? Wenn die Zukunft schon unvorhersehbar ist, so ist sie doch noch lange nicht unplanbar. Wie können wir die Zukunft gestalten? Es wird tiefe Einschnitte geben müssen.

Wenn es erforderlich sei, so Bundeskanzlerin Merkel beim ersten Treffen in Berlin mit dem französischen Staatspräsidenten Macron nach dessen Wahl, dann sei sie auch zu Änderungen an den EU-Verträgen bereit. Das war neu. Denn wer die EU-Verträge ändert, schafft neues Recht (zeit.de). Dafür sind in einigen EU-Ländern Volksbefragungen notwendig.

Diesen Schritt hatte man in der EU bislang gescheut. 2005 hatten sich die Niederländern und Franzosen per Referendum gegen eine EU-Verfassung entschieden. Deshalb hat sich Juncker in den vergangenen Jahren mit Vorschlägen für grundlegende Änderungen an der EU-Architektur zurückgehalten. Geht es aber nach Macron, sollte es in diesem Jahr noch europaweit mehrere Zukunftsdebatten geben. Bei diesen Diskussionen soll mit den Bürgern auch über Vertragsveränderungen gestritten werden. Schließlich sind viele Reformideen – von den transnationalen Wahllisten bis zu einem Eurozonen-Budget – schwer ohne neues EU-Recht möglich.

Fassen wir das „heiße Eisen“ an!

Die Rechtspopulisten haben sich festgesetzt in Nordeuropa. Die Wahl in Schweden hat gezeigt, wie ratlos andere Parteien dem gegenüberstehen. Es ging nicht mehr darum, wer gewinnt, Sozialdemokraten oder Moderate, sondern wer weniger an die rechten „schwedischen Demokraten“ verliert.

Das hat die Kandidaten gelähmt, sie zu wenig Neues wagen lassen. Stattdessen haben sie Themen durchgekaut, die die Schwedendemokraten vorgaben, und ihnen das beste Ergebnis ihrer Geschichte beschert.

In Skandinavien haben sie schon fast alles probiert, um die Anti-Einwanderungs-Parteien ins politische System einzuordnen: Als Regierungspartei in Oslo, als Stütze des Premiers in Kopenhagen, als Geächtete in Stockholm. Nichts scheint ihren Erfolg zu brechen. Sie haben sich etabliert.

In Stockholm haben die anderen Parteien lange vermieden, über dieselben Themen zu sprechen wie die Schwedendemokraten. Nun haben sie im Wahlkampf das genaue Gegenteil versucht.

Dabei konnten sie in den Nachbarländern sehen, was passiert, wenn man dieselben Argumente wie die Rechtspopulisten benutzt: Man bestätigt sie, nimmt ihnen aber keine Stimmen ab. Sozialdemokraten und Moderate haben darüber ihre eigenen Wähler vergessen, die Alternativen statt einfacher Antworten wollten. So wird man zu Verlierern.

Der Totalabsturz der Sozialdemokraten ist ausgeblieben, der Aufstieg der rechtspopulistischen Schwedendemokraten mit knapp 18 Prozent nicht ganz so hoch ausgefallen wie befürchtet. Alles wie immer? Mitnichten!

Aus einem Grund ist diese Wahl eine Zäsur. Die traditionell starken Sozialdemokraten haben ihr schlechtestes Ergebnis seit mehr als 100 Jahren (tagesschau.de) eingefahren und gerade ihre einstigen Hochburgen im Norden Schwedens verloren.

Mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten will niemand etwas zu tun haben – ein Fünftel der Wählerstimmen ist damit kalt gestellt. Sowohl die konservativen Moderaten wie auch die Sozialdemokraten haben vor der Wahl jede Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten abgelehnt.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder vergisst die Allianz ihre gute Vorsätze und setzt sich doch mit der Partei von Jimmie Ákesson an einen Tisch. Das scheint angesichts der Vorbehalte gegenüber der Partei, die ihre Wurzeln neo-nazistischen Milieu hat und ihren Abgeordneten mitunter auch rassistische Parolen durchgehen lässt, schwer vorstellbar – jedenfalls jetzt.

Die andere Möglichkeit wäre das Ende der Blöcke und die Bildung einer Koalitionsregierung aus Parteien, die dann zusammen die Mehrheit haben. Die Sozialdemokraten selbst brachten diese Möglichkeit am Wahlabend auf. „Die Parteivorsitzenden müssen mit dem brechen, was sie vor der Wahl gesagt haben“, so Anders Ygeman, Fraktionschef der Sozialdemokraten.

Wer Schweden künftig regieren kann, scheint völlig unklar. Eine Regierungsbildung wird sich schwierig gestalten, denn keiner der traditionellen Blöcke will eine Koalition mit der für ihre rechtsextremistischen Wurzeln und strenge Einwanderungspolitik kritisierten Partei eingehen.

Die Blockpolitik hatte in Schweden seit dem Zweiten Weltkrieg stets zu einer schnellen Regierungsbildung verholfen. Entweder lag der linke Block – angeführt von den Sozialdemokraten – oder der bürgerliche Block mit den Moderaten an der Spitze vorne. Die schwedische Verfassung hat eine Besonderheit, die Minderheitsregierungen möglich macht. Denn gewählt ist die Regierung, die keine Mehrheit gegen sich hat. So ist also zur Bildung einer Regierung keine absolute Mehrheit notwendig.

Wenn die Schwedendemokraten mitmischen bei der künftigen Regierung: Was kommt dann? Ein schwedischer Kolumnist hat Ákesson wegen dieser unverfrorenen Widersprüchlichkeit einmal „Schwedens Fettarme-Milch-Version von Donald Trump“ (sueddeutsche.de) genannt. Ákesson erweckt den Anschein, als ließe sich alles miteinander vereinen: Fremdenfeindlichkeit mit der Freundschaft zum syrischen Pizzabäcker, Steuersenkungen mit höheren Sozialleistungen, den EU-Austritt mit einer florierenden Exportwirtschaft, Vielfalt mit Einfalt.

Wer die Schwedendemokraten wählt, bekommt daher das Gefühl, sich nicht entscheiden zu müssen.

Am Freitag ist passiert, worauf Barack Obamas Fans lange gewartet haben: Der ehemalige Präsident hat die Samthandschuhe ausgezogen und hat seinen Nachfolger Donald Trump erstmals seit seinem Abtritt heftig und namentlich angegriffen.

Man wundert sich immer wieder, wie extrem beliebt Ex-Präsident Barack Obama immer noch ist. Und das nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt. Selbst die, die seine Politik inhaltlich nicht befürworteten, sprechen ihm einige Sympathiepunkte zu. Der Gedanke, dass der erste schwarze Präsident in der US-Geschichte von jemand wie Donald Trump abgelöst wurde, stößt bei vielen auf Unbehagen.

Die Wahl gewann Trump gegen die Demokratin Hillary Clinton. Die meisten Demokraten hätten sich wohl gewünscht, dass Obama weitermachen könnte. Aber nach der US-amerikanischen Verfassung darf ein Präsident seit 1951 nach zwei Amtszeiten, also insgesamt acht Jahren, nicht noch einmal in das vermeintlich höchste Amt der Welt gewählt werden. Damit soll ein potenzielles Machtmonopol verhindert werden.

Der 22. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika verbietet eine dritte Amtszeit.

Bedingungslos? Nein, es scheint für dieses Gesetz eine Hintertür zu geben. Brian Kalt, Professor für Rechtswissenschaften an der „Michigan State University“, sagt, es könnte in Krisensituationen — also bei Terroranschläge oder Kriegsausbruch — dazu kommen, dass ein Präsident eine dritte Amtszeit bekommt.

Der 22. Zusatzartikel der Verfassung leidet an einer schwammigen Formulierung. Obama darf nicht drei Mal zum Präsidenten gewählt werden — und wer nicht für das Amt des Präsidenten wählbar ist, darf laut zwölftem Zusatzartikel auch nicht in das Amt des Vizepräsidenten gewählt werden. Aber auch in einer Demokratie gibt es Möglichkeiten, ungewählt in ein Amt zu gelangen. So ist zum Beispiel die derzeitige Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Theresa May, nach dem Rücktritt von David Cameron zu ihrer Position gekommen, ohne dass die Briten darüber abstimmten.

Zurück in die USA: Obwohl die Gesetzeslage um den 22. Zusatzartikel seit Jahrzehnten umstritten ist (man erinnere sich, auch nach Präsident Bill Clinton diskutierten amerikanische Juristen, ob er nicht als Vizepräsident gewählt werden könne), spielt die Wahrscheinlichkeit ebenfalls eine Rolle. Wie der ehemalige US-Außenminister Dean Acheson schon zu Zeiten von Präsident Eisenhower sagte: „Ein Präsident, der nach zwei Amtszeiten als Vizepräsident kandidiert, ist unwahrscheinlicher, als dass es verfassungswidrig sei“.

Aber auch einer geringen Wahrscheinlichkeit darf die Relevanz nicht abgesprochen werden. Es geht immerhin um die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Wer in die Hauptstadt kommt, wird verstehen, wie wichtig den US-Amerikanern ihre Verfassung ist.

Der 22. Zusatzartikel der US-Verfassung lautet (Wikipedia):

Absatz 1

Niemand darf mehr als zweimal zum Präsidenten gewählt werden. Niemand, der länger als zwei Jahre der Amtszeit, für die eine andere Person zum Präsidenten gewählt worden war, das Amt des Präsidenten innehatte oder dessen Geschäfte wahrnahm, darf mehr als einmal in das Amt des Präsidenten gewählt werden. Dieser Artikel findet keine Anwendung auf jemanden, der das Amt des Präsidenten zu dem Zeitpunkt innehatte, zu dem dieser Zusatzartikel durch den Kongress vorgeschlagen wurde. Er hindert auch nicht die Person, die das Amt des Präsidenten in der Periode innehat oder wahrnimmt, in der dieser Artikel in Kraft tritt, daran, für den Rest dieser Amtsperiode das Amt des Präsidenten fortzuführen.

Absatz 2

Dieser Artikel tritt in Kraft, wenn er innerhalb von sieben Jahren nach Abgabe durch den Kongress an die Bundesstaaten von drei Vierteln der einzelnen Bundesstaaten als Zusatz zur Verfassung ratifiziert wird.

Ex-Präsident Obama war für zwei Amtsperioden vom Volk gewählt worden und hat diese auch durchgezogen. Er kann und darf zeitlebens nicht mehr US-Präsident werden. Jedenfalls nicht durch eine Wahl. Ihren 22. Zusatzartikel der Verfassung werden die US-Amerikaner nicht ändern. Das ist am unwahrscheinlichsten von allem …

Als sich Pegida-Gründer Lutz Bachmann und sein Vize Siegfried Däbritz am vergangenen Samstag in Chemnitz neben den AfD-Länderchefs aus Thüringen, Sachsen und Brandenburg zeigten, war das so etwas wie eine Demonstration in der Demonstration. Schaut her: Hier kommt zusammen, was zusammengehört. Die fremdenfeindliche Straßenbewegung und ihr parlamentarischer Arm schreiten Seite an Seite. Ein Jahr, bevor in drei ostdeutschen Bundesländern ein neuer Landtag gewählt wird, soll der Schulterschluss möglichst öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt werden.

Deutschlands Heimatminister Horst Seehofer hat natürlich einen Auftrag: Seine Heimat vor schlechtem Ruf und „Bad Vibrations“ zu bewahren. Damit über das deutsche Wesen die ganze Welt genese. Denn nichts schadet der globalen Wirtschaft mehr, als ein fremdenfeindliches Klima in dem Land, das den Holocaust zu verantworten hat.

Da kommt Chemnitz denkbar ungelegen, und aus Seehofer-Perspektive ist vor allem die Rezeption völlig ungerecht; ist nicht er einer der Protagonisten, die das Asylrecht am liebsten abschaffen würden. Individuelle Prüfung (Bamf Bremen) wird kriminalisiert, Menschen, die sich in dieses Land integrieren wollen, werden gerne mal direkt von der Schule aus in das Flugzeug in Richtung ihrer Heimatländer gesetzt.

Für die Rechten läuft eigentlich alles wie am Schnürchen, die sogenannten „besorgten“ (rechten) Bürger treiben die Politik seit Jahren vor sich her. Besonders besorgt sind sie in Gegenden minimalem Flüchtlingsaufkommens; es wird gegreint, jeder hört zu, die Armen, so abgehängt. Merkwürdig nur, dass sich das Abgehängtsein nicht überall im Rechtsextremismus wieder findet. Und dass gerade in Orten wie beispielhaft Chemnitz oder Hoyerswerda die Lösung des individuellen Problems in Erniedrigung und/oder im Wunsch nach dem „Töten“ (Protestler in Chemnitz) von „Nicht-Deutschen“ bzw. Flüchtlingen gesehen wird (fr-online.de).

In Chemnitz sind auf schlimme Worte noch schlimmere Taten gefolgt. Das bekamen auch Journalisten in der Stadt mit 243.000 Einwohnern zu spüren. Selten zuvor wurden in Deutschland so viele Journalisten bei ihrer Arbeit bedroht, beleidigt und angegriffen wie im früheren Karl-Marx-Stadt.

In Europa und darüber hinaus wird mit Entsetzen und Fassungslosigkeit auf die ostdeutsche Provinzstadt geschaut. Die hässliche Seite der deutschen Wiedervereinigung wird sichtbar. Die Frage nach dem „Warum“ wird nicht nur in Berlin und anderswo in Deutschland gestellt, sondern auch in London, Paris, Wien, Zürich oder New York.

Eine Antwort kann nur gefunden werden, wenn Berichterstatter frei, ungehindert und ohne Angst vor Ort Fakten sammeln und bewerten können. Das ist aber im Fall Chemnitz nicht mehr möglich. Ein Team des MDR wurde beim Filmen einer Demonstration in einer Privatwohnung angegriffen.

Der jahrelangen Hetze gegen die angebliche „Lügenpresse“ folgten in Chemnitz viele Taten. Es ist nicht nur ein Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit, sondern auch auf die Wahrheit an sich. Je weniger recherchierte und nachprüfbare Informationen es gibt, desto besser funktioniert Propaganda. Deshalb wird die freie Berichterstattung von allen Extremisten von rechts bis links seit jeher als hinderlich wahrgenommen.

Viele Bürger erzählen an diesem Wochenende, es sei ihnen peinlich, wie ihre Stadt mittlerweile wirke. Einige Unternehmen aus Chemnitz haben sich zusammengetan, um Anzeigen in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und der Samstagsausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ zu schalten. „Chemnitz ist weder grau noch braun“, heißt es dort

Wie sich die Lage nun weiterentwickeln wird, ist kaum abzusehen. Pegida, AfD und das rechtspopulistische Bürgerbündnis „Pro Chemntiz“ haben bislang keine weiteren Proteste angekündigt.

Wie Thomas Jefferson, Gründervater der Vereinigten Staaten und dritter US-Präsident, schon sagte: „Wo Pressefreiheit herrscht und jedermann lesen kann, da ist Sicherheit“ (handelsblatt.com). Sein Wort gilt auch nach 200 Jahren mehr denn je – in Chemnitz und überall.