Hat ein türkisches Kriegsschiff indirekt gedroht, eine französische Fregatte anzugreifen? Und wenn ja, warum? Militärexperten der Nato haben die Untersuchung einer aufsehenerregenden Konfrontation zwischen den Bündnismitgliedern Türkei und Frankreich abgeschlossen. Ein erster Bericht sei fertiggestellt und solle nun zeitnah diskutiert werden, bestätigte ein Nato-Sprecher (dpa). Dem Bündnis drohen nun neue unangenehme Diskussionen.

Bei dem Zwischenfall im Mittelmeer hatte nach Angaben aus Paris ein türkisches Kriegsschiff mehrfach sein Feuerleitradar auf eine französische Fregatte gerichtet (welt.de). Da solche Systeme in der Regel nur benutzt werden, um Zieldaten für den Gebrauch von Waffensystemen zu liefern, war dies von Frankreich als „extrem aggressiv“ gewertet und beim jüngsten Nato-Verteidigungsministertreffen angesprochen worden.

Von der Türkei wurden die Vorwürfe Frankreichs bislang vehement zurückgewiesen. Eine staatliche türkische Nachrichtenagentur zitierte einen ranghohen Militär, der die Anschuldigungen als vollkommen realitätsfern (n-tv.de) zurückwies. Demnach soll die französische Fregatte Courbet in unmittelbarer Entfernung des türkischen Schiffs gefährlich schnell unterwegs gewesen sein und keinen Funkkontakt aufgenommen haben.

Frankreich wirft der Türkei seit langem vor mit Waffenlieferungen an die Truppen der libyschen Einheitsregierung gegen das geltende EU-Waffenembargo zu verstoßen. Die Türkei wiederum vertritt die Auffassung, dass Länder wie Ägypten und Saudi-Arabien mit Waffenlieferungen für den Regierungsgegner General Chalifa Haftar ebenfalls gegen das Waffenembargo verstießen. Zudem wird auch Frankreich nachgesagt, eher mit Haftar als mit der libyschen Einheitsregierung zu sympathisieren(sueddeutsche.de).

Hinweise auf eine Entspannung gibt es bislang allerdings nicht. Es wird deswegen nicht ausgeschlossen, dass Frankreich den Nato-Generalsekretär drängen wird, das Thema sogar im Nordatlantikrat – dem wichtigsten politischen Entscheidungsgremium der Nato – zu behandeln.

Ob der Streit um den Zwischenfall beigelegt werden kann, wird sich nach Angaben aus Bündniskreisen in den kommenden Wochen zeigen. Der als geheim eingestufte Bericht der Bündnisexperten enthalte keine Schlussfolgerungen und Bewertungen, sondern trage nur Daten und Informationen der beiden Seiten zusammen (zeit.de). Er soll nun im Militärausschuss diskutiert werden und dann möglichst die Basis für eine Beilegung des Streits werden.

Die Stimmung ist explosiv. Man ist nervös …

Bemühungen um eine Entspannung im problembeladenen Verhältnis zwischen der Türkei und der EU insgesamt dürften angesichts der wachsenden Spannungen jetzt noch schwieriger werden. Die Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel waren zuletzt im März in eine Krise geraten, als die türkische Regierung tausende Migranten an die Landgrenze mit Griechenland schickte, um die EU unter Druck zu setzen. Inzwischen ist die Grenze wieder geschlossen.

Im Erdgasstreit in Mittelmeer sieht die Türkei die eigenen Interessen und die der türkischen Zyprer verletzt. Präsident Erdogan schloss deshalb voriges Jahr ein umstrittenes See-Abkommen mit der libyschen Einheitsregierung, in dem Teile der gasreichen Seegebiete zu türkischen Hoheitsgewässern erklärt wurden. Die Gegner der Türkei erkennen den Vertrag nicht an.

Nicht nur wegen des See-Abkommens vermischt sich der Gasstreit immer mehr mit dem Libyenkonflikt.

Nach Recherchen von Medien und der Naturschutzorganisation Greenpeace hat das Unternehmen absichtlich tausende Kubikmeter schwermetall- und säurebelastetes Abwasser aus einem Nickelwerk in einen Fluss geleitet. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Ermittlungen wegen der illegalen Entsorgung giftiger Flüssigabfälle eingeleitet. Nornickel erklärte (deutschlandfunk.de), das Abwasser sei wegen einer vollen Sickergrube falsch abgepumpt worden, es handele sich aber um zuvor geklärtes Wasser.

Die Gewässer in der Nähe des Nordpolarmeeres kämpfen aktuell mit den Folgen der Ölkatastrophe von Ende Mai, als 21.000 Tonnen Öl ausgeflossen waren. Dort war in einem Heizkraftwerk in der Nähe der Stadt Norilsk ein riesiger Tank offenbar durch den auftauenden Permafrostboden abgesackt und gebrochen. Das Kraftwerk gehört ebenfalls zu Nornickel, dem zweitgrößten Nickelproduzenten der Welt.

Umweltschützer gehen davon aus, dass die Natur Jahrzehnte zur Erholung brauchen wird. Sie vergleichen die Ausmaße des Vorfalls in Sibirien mit der Havarie des Öltankers Exxon Valdez im Jahr 1989. Damals waren vor Alaska 40.000 Tonnen Erdöl ins Meer geflossen.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bereits Anfang Juni den regionalen Notstand zu einem nationalen hochgestuft und den Gouverneur der Region sowie die Unternehmensführung vor laufender Kamera heftig kritisiert. Wieso wussten die Behörden erst zwei Tage später davon? Sollten wir aus den sozialen Medien von diesem Vorfall erfahren? Sind Sie noch ganz richtig im Kopf?, tönte Putin (ard.de, 10.06.2020).

Die Ursachen:

Der Bergbaukonzern Nornickel sieht die globale Erderwärmung als Hauptursache. Weil der Permafrostboden hinter dem Polarkreis zur Zeit schmelze, könnten die Stützpfeiler des riesigen Dieseltanks sich verschoben haben. Das wiederum könnte zum verhängnisvollen Leck und dem Auslauf des Öls in den Fluss geführt haben.

Russische Umweltschützer schließen jedoch banale Fahrlässigkeit nicht aus. Alexej Knischnikow, Chef der Abteilung Business Environmental Responsibility des WWF-Russland wirft Nornickel die zum Himmel schreiende Schlamperei und Verletzung der elementaren Grundlagen der Umweltsicherheit“ (dw.com) vor. Es gebe in Russland Umweltschutzforderungen für solche Behälter. Sie müssten zum Beispiel von einem Damm umgeben sein, der eine bestimmte Höhe haben und für Flüssigkeiten undurchlässig sein muss, damit in einem solchen Fall die Ölprodukte auf dem Industrie-Gelände bleiben könnten.

Der Konzern Nornickel ist mächtig. An ihm geht nichts vorbei. Sein Chef, der Oligarch Wladimir Potanin, versteht sich blendend mit Präsident Wladimir Putin.

Ohne den Segen des Konzerns geht in der Region nichts. Als die Umweltschützer ihre Bodenproben per Flugzeug nach Moskau bringen wollen, um sie dort von einem unabhängigen Labor untersuchen zu lassen, werden sie am Flughafen von Norilsk gestoppt: Nornickel habe die Ausfuhr der Proben aus der Stadt nicht gestattet (br.de).

Russland hält trotz aller Vorkommnisse an den Entwicklungsplänen in der Arktis fest. Eine hundertprozentige Aufklärung wird es ohnehin nicht geben, Damit das ganze Ausmaß der Katastrophe klar wird, damit sie auf die Agenda der Staatspolitik kommt, bräuchte es den Willen von oben. Der fehlt aber

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Brasilien präsentierte sich als Gastgeber der Fußball-WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016. Es zeigte sich auch zunehmend selbstbewusst.

Das Land beteiligte sich an internationalen UN-Missionen in Haiti, im Kongo und auf den Golanhöhen. Und es war diplomatisch federführend in der Gruppe der aufstrebenden Schwellenländer, den sogenannten BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika).

Bolsonaro, Brasiliens Präsident, der die von dem Coronavirus ausgelöste Lungenkrankheit Covid-19 als kleine Grippe bezeichnete, hatte in der Regel keine Maske getragen und bei seinen öffentlichen Auftritten auch die Abstandsregeln ignoriert: Der rechtsradikale Politiker schüttelte regelmäßig Hände und umarmte seine Anhänger auch. Ein Gericht hat nunmehr die Maskenpflicht auch für Bolsonaro angeordnet (zeit.de).

Anfang letzten Jahres kam er ins Amt. Wie sieht die Bilanz nach 18 Monaten aus?

Während in Brasilien die Zahl der mit dem Coronavirus infizierten Patienten auf über eine Million gestiegen ist, versinkt das Land immer mehr im Chaos. 

Auf den Erfolg der Corona-Strategie seiner Regierung kann sich Bolsonaro nicht berufen. Brasilien ist mit mehr als 57.000 Toten (Stand: 28.06.2020) nach den USA das stärkste von der Pandemie betroffene Land (deutschlandfunk.de).

Brasilien war gerade mit Müh und Not wieder ein bisschen auf Wachstumsfahrt, hatte sich aus der Rezession rausgearbeitet. Jetzt kommt Corona und die Hoffnung von Jair Bolsonaro, dass er diese Pandemie oder die Effekte dieser Pandemie von Brasilien abhalten kann, indem er einfach gegen jedes Social Distancing ist, haben sich nicht erfüllt. Die Produktion ist auch eingebrochen, die Wirtschaftsleistung ist auch eingebrochen. Brasilien steckt in einer tiefen Rezession.

Man vergleicht Bolsonaro oft mit Donald Trump. Der Vergleich ist angebracht, weil in vielen Dingen Bolsonaro Donald Trump schlicht imitiert. Das gilt auch für die Corona-Politik und schließlich, was seine Popularität angeht. Seine Beliebtheit bröckelt. In den Umfragen schneidet er immer schlechter ab. Immer mehr Menschen wenden sich von ihm ab. Das miserable Krisenmanagement in Sachen Corona spielt hierbei eine bedeutende Rolle. Dennoch gibt es einen harten Kern an treuen Anhängern.

Die Zahl der Todesopfer steigt in der Pandemie rasant. Vor rund zwei Wochen sind im Gedenken an die Verstorbenen und aus Protest gegen die Corona-Politik der Regierung am Strand der Copacabana in Rio de Janeiro 100 leere Gräber ausgehoben worden (tagesschau.de, 12.06.2020).

Für Bolsonaro sind diejenigen, die gegen ihn demonstrieren, Asoziale und Terroristen“ (berliner-kurier.de). Bei den jüngsten Demonstrationen fiel die hohe Präsenz der Militärpolizei auf, der Präsident hatte sogar mit einem Einsatz des Militärs in Brasília geliebäugelt.

Bolsonaro wird seine Macht auf jeden Fall stützen wollen. Zu unbeliebt, zu inkompetent, zu viel Polizei und Militär, kurzum: „Mit Bolsonaro droht ernsthaft eine Rückkehr zur Diktatur“, warnt Chico Malfitani, Mitgründer der Ultra-Gruppe „Gaviões da Fiel“. 

Die Regierung versucht jetzt in Brasilien, die Opferzahlen der Corona-Pandemie kleinzurechnen. Die Bundesstaaten und die Justiz halten dagegen. Ganz nebenbei deutet Bolsonaro an, Brasilien werde die WHO verlassen. Donald Trump lässt grüßen …

Die Frage ist, ob es Bolsonaro gelingt, den Anschein einer demokratischen Fassade zu wahren, während er hinter den Kulissen ein autokratisches Herrschaftssystem errichtet. Er war populär, Millionen Menschen ließen sich von seinem Charisma blenden ...

 

Es ist unsichtbar und klein.

Lauert irgendwo da draußen.

Tückisch, mindestens schlimm,

oft sogar tödlich …

Was haben wir getan!?

Es beschäftigt uns,

immerzu und überall.

Immer präsent, sitzt im Nacken.

Wir geben´s nicht zu.

Was sollen wir tun!?

Das große Monster,

seit Kindertagen jagt es uns.

Es ist nichts,

gegen das kleine Nichts.

Angst bewegt uns.

Manche versuchen es

mit Singen und Tanzen.

In Freude zu vergessen.

Das kleine Nichts tanzt mit,

sucht sich neue Opfer.

Wir sind längst besiegt,

haben viel Erkenntnis und

wissen im Grunde nichts.

Geben wir´s zu: Ab jetzt

leben wir mit dem Nichts.

Es sind die Kleinen,

die überleben, am Ende siegen.

Es beobachtet uns alle,

mit unseren Masken.

In der Ecke lauernd: Wann setzt Du sie ab?

Gefangen in zwei Welten,

es sieht uns, wir es nicht.

Gegen wen willst Du kämpfen?!

In Grenzen gewiesen,

verharren wir, halten Abstand.

Könige,

seit über tausend Jahren

tragen sie Kronen.

Es braucht sie nicht,

es heißt so …

Ob Flüchtlingsfrage oder Corona-Krise: Politiker stecken im Dilemma. Zwischen Prinzipientreue und Pragmatismus. Der Soziologe Max Weber gab ihnen mit der Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik ein hilfreiches Instrument in die Hand.

Mit seinem Wort von der „Entzauberung der Welt“ durch die neuzeitliche Rationalität eröffnete Max Weber einen neuen Blick auf die Moderne. Vor hundert Jahren, am 14. Juni 1920, starb der Vordenker der Soziologie in München an der Spanischen Grippe.

Weber hat ein gewaltiges Oevre hinterlassen, ein zersplittertes und fragmentarisiertes Werk von einschüchternder Monumentalität. Gar nicht so einfach, da den Überblick zu bewahren. Und gar nicht so einfach, in einigen wenigen Sätzen zu sagen, worum es im Kern des Weberschen Denkens überhaupt geht.

Eine Antwort auf seine Fragen fand Weber in der Religionssoziologie. Es sei der asketische Protestantismus der Calvinisten und anderer puritanischer Gruppierungen gewesen, der die Entstehung des modernen Kapitalismus begünstigt habe, so Webers berühmte, bis heute umstrittene These (deutschlandfunkkultur.de).

Weber gilt als einer Gründerväter der Soziologie und schrieb Bahnbrechendes in den Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. Gerade seine religionssoziologische Schrift Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus machte Max Weber bekannt – und sie wird bis heute kontrovers diskutiert. Selbst sein monumentales Hauptwerk, Wirtschaft und Gesellschaft erschien erst posthum. Vor seiner Fertigstellung starb er am 14. Juni 1920 mit gerade 56 Jahren in München an der Spanischen Grippe, der ersten Pandemie der Moderne.

Die Lebensspanne des 1864 in Erfurt geborenen Weber umfasst damit die epochalen Umbrüche auf dem Weg in die Moderne. Die Industrielle Revolution und die Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik verändern das Gesicht der Welt. Und die großen Ideologien von Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus und Kommunismus treten in Konkurrenz zu religiösen Weltvorstellungen. 

Max Weber hat sein gewaltiges Werk für alle diejenigen geschrieben, die ihr Leben unter den Bedingungen der Modernität zu führen haben – also für uns. Wir, die wir in die kapitalistische, bürokratische, entzauberte Welt hineingeworfen worden sind, sind die eigentlichen Adressaten von Webers Schaffen.

Mit der Frage nach der Möglichkeit von Freiheit schließt Weber zum einen an Marx, zum anderen an Nietzsche an. Wie seine kongenialen Vorgänger teilte er die Überzeugung, dass der freien Lebensführung rein theoretisch nichts im Wege stehe – allein: Kapitalistische Großbetriebe, bürokratische Herrschaftsformen und Ideologien mit Alleinvertretungsanspruch setzten eine Prämie auf die Anpassungsfähigkeit“ (nzz.ch) aus.

Wer sich deren Maximen anpasse, werde mit Geld, Status oder einem guten Gewissen belohnt, was für gewöhnlich dazu führe, dass sich die große Mehrheit der Menschen weniger den eigenen als vielmehr den fremden Maximen unterwerfe.

Der Biograf Jürgen Kaube sieht in Weber den nach Luther und Goethe vermutlich meisterforschten deutschen Intellektuellen“ (br.de).

Nicht alles in Webers Biografie fügt sich bruchlos zusammen. Seine letzte große Lebensleistung: im Hochverratsprozess gegen die Akteure der Münchner Räterepublik bescheinigt der dezidierte Revolutionsgegner Weber dem Revolutionär Ernst Toller „absolute Lauterkeit“ (wikipedia.org) – was den Angeklagten wohl vor der Todesstrafe bewahrte.

Diese Bruchstellen in Leben und Denken machen die Beschäftigung mit dem großen Soziologen unseres Landes spannend.

Eines von Webers Erklärbildern war: Er vergleicht die moderne Gesellschaft mit einer Straßenbahn, deren Passagiere auch dann vorankämen, wenn sie nicht wüssten, welche physikalischen Gesetze sie in Bewegung hielten. Ähnlich verhalte es sich mit anderen Errungenschaften der Zivilisation: „Geld oder Gericht oder Militär oder Medizin“ …

Die historischen Verbindungen des Territoriums der heutigen Russischen Föderation mit der 1783 von Katharina II. eroberten Krim sind – im Gegensatz zu verbreiteten Stereotypen – nur gering. Von 1802 bis 1917 war die Krim Teil des Taurischen Gouvernements, welches die Krim mit der heutigen südlichen Festlandukraine verband. Der Geburtsname des international bekanntesten „russischen“ Sohnes der Krim, des berühmten Marinemalers Iwan Aiwasowskij (1817-1900), ist in Wirklichkeit Hovhannes Aiwasjan. Aiwasowskijs armenische Familie war aus dem ehemals ostpolnischen und heute westukrainischen Galizien auf die Krim gezogen (wikipedia.org).

Von 1954 bis 1991 war die Krim Teil der ukrainischen Sowjetrepublik. Daher fiel sie beim Zerfall der UdSSR an die unabhängige Ukraine, was der damalige russische Präsident Boris Jelzin im berühmten Belowesher Abkommen Ende 1991 offiziell anerkannte und das russische Parlament anschließend ratifizierte. 2003 erkannte auch der zweite Präsident Russlands Wladimir Putin in einem weiteren voll ratifizierten Vertrag über die ukrainisch-russische Grenze die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine an.

Die Insel kostete schon die ukrainische Regierung jedes Jahr eine ordentliche Stange Geld (ukrainischer Finanzminister Oleksandr Shlapak, Financial Times März 2014). „Ökonomisch betrachtet würde die Ukraine bei einer Abspaltung nicht schlecht wegkommen, die Krim war immer eine Region, die subventioniert wurde“. Wichtigster Wirtschaftssektor ist die Agrarindustrie und das bekannteste Insel-Produkt dürfte der Krimsekt sein. Aber dass die Vodka vernarrten Russen deshalb auf die Krim schielten, ist unwahrscheinlich (handelsblatt.com 14.03.2014).

Zwischenzeitlich spielte man in der russischen Hauptstadt offenbar sogar mit dem Gedanken, die Ukraine in zwei Hälften zu spalten – mit einem prorussischen Südosten, für den man eine längst vergessene Bezeichnung aus der Zarenzeit reaktivierte: Neurussland. Es hätte alles noch schlimmer, noch blutiger kommen können. Aber dann erwies sich der Westen als geeinter, die Ukraine als zäher denn erwartet. So ließ sich aus ihr am Ende nur ein kleines Stück Kohlerevier SPON 16.03.2019) herausbrechen, mit dem Moskau bis heute wenig anfangen kann.

So bewegte sich Wladimir Putin Schritt für Schritt von der russischen Innenpolitik weg und hinein in die Weltpolitik. Er wirkt auf die Russen längst nicht mehr wie ein Politiker, der sich um seine Bürger sorgt, er ist jetzt in welthistorischer Mission unterwegs. Er sucht nicht mehr die Anerkennung der Zeitgenossen, ob im Ausland oder daheim. Er denkt jetzt lieber an die Nachwelt.

Die allermeisten Russen sahen die historische Gerechtigkeit auf ihrer Seite. Dass ihr Staat dabei zugleich Völkerrecht gebrochen, gelogen und betrogen hatte, störte sie nicht. Sie waren es ja gewohnt, selbst vom Staat betrogen zu werden. Die „hybride Kriegsführung“ – der verkappte Einsatz von Gewalt, das Streuen falscher Gerüchte, die Arbeit mit Provokateuren – entspricht der hybriden russischen Innenpolitik, in der Demokratie nur imitiert wird. Nur, dass diesmal das feindliche Ausland hereingelegt wurde und die Russen selbst nicht Opfer, sondern Komplizen des Kreml waren. 

Die Begeisterung der russischen Öffentlichkeit für die Annexion hat sich deutlich abgekühlt. Dies zeigen auch die Zustimmungsraten für den Präsidenten, die seit Monaten sinken.

Die neue Etappe in der Entwicklung der russischen Gesellschaft hat noch keine Bezeichnung, aber Eigenschaften: Enttäuschung, Neubewertung, Frustration.

Der Kreml hat bisher nichts gefunden, was den Krim-Effekt ersetzen könnte. Ein Weg, um die Zustimmung in der Bevölkerung zu steigern, wäre ein harter Kampf gegen die Korruption

 

Es gibt Zeichen der Zeit (Mt. 16, 2–4), die offensichtlich sind und doch von Menschen, die Zeichen am Himmel erforschen, nicht wahrgenommen werden können. Sie kristallisieren sich in Ereignissen heraus, die eine nahende Epoche ankündigen und ihr Kontur geben, Ereignisse, die vielleicht unbemerkt vorübergehen und nichts oder fast nichts an der Realität ändern, zu der sie hinzutreten, die jedoch gerade deshalb ihren Wert haben als Zeichen, als historische Kennungen, semeia tōn kairōn“, die Zeichen der Zeit.

Kapitalismus als Religion ist der Titel eines der eindringlichsten postum edierten Fragmente von Walter Benjamin. Der Sozialismus ist so etwas wie eine Religion, wie mehrfach festgestellt wurde (unter anderem von Carl Schmitt: Der Sozialismus behauptet, einer neuen Religion zum Leben zu verhelfen, die für Menschen des 19. und 20. Jahrhunderts dieselbe Bedeutung hatte wie das Christentum für Menschen vor zwei Jahrtausenden). Anders als bei Max Weber stellt nach Benjamin der Kapitalismus nicht nur eine Säkularisierung des protestantischen Glaubens dar, sondern ist selbst ein wesentlich religiöses Phänomen, das sich parasitär aus dem Christentum entwickelt (nzz.ch)

Laut Benjamin ist „im Kapitalismus eine Religion zu erblicken, d. h. der Kapitalismus dient essentiell der Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die sogenannten Religionen Antwort gaben“. (Benjamin VI, 100) (Wolfgang Palaver: Kapitalismus als Religion 2002).

Ein religiöser Kapitalismus gehört zu den Zeichen unserer Zeit. Am augenscheinlichsten zeigt sich die religiöse Dimension in der Werbung. Religiöse Symbole oder Anspielungen auf die Kirche gehören zum Alltag der Reklame. Nonnen erscheinen in Anzeigenmotiven und Werbefilmen. Parfüms können nicht auf himmlische Versprechungen verzichten, wie die Produktnamen „Heaven“ oder „Eternity“ erkennen lassen (cicero.de). Die religiös verbrämte Werbung ist aber nur ein Oberflächenphänomen, die Spitze eines Eisbergs. Die Welt der Waren und des Konsums ist in einem viel grundsätzlicheren Sinne zur „Reichsreligion“ unserer Zeit geworden.

Nach Benjamin gehört zum aktuell „verschuldenden Kapitalismus auch die Geisteskrankheit der Sorgen (Benjamin VI, 102). Damit charakterisiert er die durch den Kapitalismus hervorgerufene Knappheitsproblematik. Die Überwindung der Knappheit gilt als Grundlage der Ökonomie. Weil es knappe Güter gebe, brauche es wirtschaftliches Handeln, das allen Menschen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse ermöglichen soll. Wäre die Knappheit gemäß diesem Verständnis ein zentrales Problem der Menschheit, müsste sie sich gerade in archaischen Kulturen aufgrund ihrer vergleichsweise geringeren Gütermenge viel deutlicher als in unseren modernen Gesellschaften zeigen (Wolfgang Palaver a.a.O. Rz.: 34)

Gerade weil er mit all seiner Kraft nicht zur Erlösung, sondern zur Schuld, nicht zur Hoffnung, sondern zur Verzweiflung strebt, zielt der Kapitalismus als Religion nicht auf die Veränderung der Welt, sondern auf ihre Zerstörung. Und seine Herrschaft in unserer Zeit ist so total, dass sogar die drei großen Propheten der Moderne (Nietzsche, Marx und Freud) sich, nach Benjamin, mit ihm verschwören, gewissermaßen mit der Religion der Verzweiflung solidarisch sind.

Creditum ist das Partizip Perfekt des lateinischen Verbs credere: das, woran wir glauben, worauf wir uns verlassen, sobald wir eine vertrauensvolle Beziehung zu jemandem aufbauen, indem wir ihn unter unseren Schutz nehmen oder ihm Geld leihen, indem wir uns auf seinen Schutz verlassen oder Geld von ihm borgen. 

Zukünftig bedarf es der Klärung des eigentlichen theologischen Gehalts des Kapitalismus, vergleichbar der Zerstörung des Goldenen Kalbs durch Mose oder der Festlegung eines Konzilsdogmas (nzz.ch) – auf jeden Fall einen entscheidenden Schritt zur Reinigung und Ausformung unseres neuen Glaubens.

Das ungarische Gesetz, das den Umgang mit aus dem Ausland finanzierten Nichtregierungsorganisationen regelt, verstößt gegen EU-Recht. Das haben die Richter des Europäischen Gerichtshofs entschieden (Rechtssache: C-78/18).

Um unter das NGO-Gesetz zu fallen, muss eine Organisation mehr als 7,2 Millionen Forint (etwa 20.500 Euro) im Jahr aus dem Ausland erhalten. Zudem müssen sie bei der Registrierung die Anzahl der Spender angeben, deren Unterstützung 500.000 Forint (etwa 1.500 Euro) übersteigt.

Das Gesetz wurde 2017 von der Regierungsmehrheit des rechtsnationalen Ministerpräsidenten Viktor Orbán verabschiedet. Es sieht vor, dass sich NGOs, die Spenden aus dem Ausland erhalten, ab einem bestimmten Schwellenwert bei den ungarischen Behörden registrieren lassen müssen. Die Informationen werden online veröffentlicht. Zudem müssen die NGOs auf ihrer Webseite und in anderen Veröffentlichungen angeben, sie seien eine aus dem Ausland unterstützte Organisation.

Der Konflikt um das NGO-Gesetz ist nicht der einzige Streit zwischen Brüssel und Budapest. Die EU-Kommission klagte in den vergangenen Jahren mehrfach gegen Ungarn vor dem höchsten EU-Gericht. Häufig ging es um die ungarische Asyl- und Migrationspolitik. Zuletzt befand der EuGH Mitte Mai, die ungarischen Transitlager für Asylbewerber verstießen gegen EU-Recht.

Kritiker sehen das Gesetz als speziell zugeschnitten auf den US-Investor und Großspender Georg Soros (sueddeutsche.de). Orbán führt seit Jahren Kampagnen gegen den aus Ungarn stammenden Holocaust-Überlebenden. Dabei hetzt er auch mit antisemitischen Stereotypen. Die EU-Kommission hatte ein Verfahren gegen Ungarn eingeleitet, da die Regeln diskriminierend seine und betroffene Organisationen aber auch die Spender ungerechtfertigt einschränkten.

Die Luxemburger Richter gaben der EU-Kommission nun Recht. Die Regeln des Gesetzes seien diskriminierend und schränkten die betroffenen Organisationen, aber auch die Spender ungerechtfertigt ein. Dies verstoße unter anderem gegen den Grundsatz des freien Kapitalverkehrs. Ebenso verletze es unter anderem das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten.

Die EU-Kommission, die in der Staatengemeinschaft die Einhaltung von EU-Recht überwacht, leitete wegen des Gesetzes ein Verfahren gegen Ungarn ein. Als Budapest nicht einlenkte, klagte die Behörde vor dem EuGH (saarbruecker-zeitung.de).

Die ungarische Regierung versucht, kritische Stimmen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) im Land massiv einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. NGOs, darunter auch die ungarische Amnesty-Sektion, sind immer wieder Schikanen und Diffamierungen durch Regierungsvertreter und regierungsnahe Medien ausgesetzt. Zudem wurden mehrere NGO-Gesetze verabschiedet, die zivilgesellschaftliches Engagement behindern und kriminalisieren (amnesty.de).