Heute gehen die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU über die Bedingungen des Austritts weiter. Schon in den vergangenen Wochen hat die britische Regierung Positionspapiere vorgelegt zu Themen wie Zöllen oder der Rolle des Europäischen Gerichtshofs. Ein gemeinsames Merkmal all dieser Vorschläge ist, dass Großbritannien hofft, auch nach dem Brexit 2019 möglichst viele Vorteile der Mitgliedschaft zu behalten.
Das Königreich will die Pflichten, die sich aus der Mitgliedschaft ergeben, wegzaubern und nur von den Segnungen profitieren. Von solch bahnbrechenden Neuerungen wird Michel Barnier, Brüssels Chefunterhändler, nichts halten. Wichtiger noch: Er will über die künftigen Beziehungen gar nicht erst sprechen, bevor es keine Fortschritte gibt in der Debatte um die Höhe der Scheidungszahlung und den Schutz der Rechte von EU-Bürgern im Königreich.
Dabei wird die Zeit knapp: In einem guten Jahr müssen die Abkommen fertig verhandelt sein, damit die Parlamente bis zum Austritt Ende März 2019 zustimmen können. Dass es eng wird, haben sich die Briten selbst zuzuschreiben. Mit der Fehlentscheidung, Neuwahlen anzusetzen, hat Premierministerin Theresa May ein Vierteljahr verschenkt. Zudem hat sie es versäumt, Wähler und Parlamentarier auf die Zumutungen vorzubereiten, die der Brexit mit sich bringen wird. Das macht eine schnelle Einigung mit Barnier jetzt schwierig. Nützlicher als nebulöse Positionspapiere wäre eine klare Ansage Mays gewesen, dass der Austritt, wie alles im Leben, einen Preis haben wird und die Regierung diesen zu zahlen bereit ist.
Das mit dem Preis ist zum Teil durchaus wörtlich zu verstehen. Die EU fordert für eingegangene Verpflichtungen aus der Vergangenheit und Pensionslasten der Brüsseler Beamten eine happige Ausgleichszahlung; die Rede ist von 60 bis 100 Milliarden Euro. London ist zu einer Überweisung bereit, aber nicht in dieser Höhe. Mays Spielraum ist begrenzt. Ist sie zu nachgiebig, werden die EU-Feinde in ihrer konservativen Fraktion rebellieren. Das ist gefährlich, schließlich ist Mays Mehrheit im Parlament relativ knapp.
Ein Beispiel aus Skandinavien könnte den Briten als Prototyp dienen: Norwegen!
Selbst wenn die dortigen landwirtschaftlichen Betriebe klein sind und die Vegetationsphase kurz: Norwegen hat eine lange landwirtschaftliche Tradition. Deren Produktivität könnte mit dem Ertrag anderer EU-Staaten nicht mithalten.
Das ganze Land soll genutzt werden, die Ressourcen den Menschen vor Ort zugutekommen. Das war sicher einer der Gründe für das „Nein!“ bei der EU-Abstimmung 1994, auch weil es mit der EU-Fischereipolitik nicht passte. Den Landwirten, zum Beispiel, gibt der Staat Geld, damit sich auch Anbau in Bergen, an Fjorden und auf kleinen Flächen lohnt.
Die Landwirtschaft und die Fischerei – Norwegen ist eine der größten Fischereinationen der Welt – werden durch das Wirtschaftsabkommen geschützt. Unter anderem ausländische Molkereiprodukte werden mit Schutzzöllen belegt – der Verbraucher soll nach einheimischem Käse greifen.
Aber das Abkommen kostet. Die Norweger zahlen pro Jahr rund 391 Millionen Euro, unter anderem um an EU-Programmen teilzunehmen, wie etwa bei Forschung und Innovation. Ein anderer Teil des Geldes geht an die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz im Schengenraum. Doch die Norweger können es sich leisten – dem Öl sei Dank, und für die Wirtschaft scheint dieser Deal geradezu notwendig: Schließlich exportiert Norwegen etwa 80 Prozent seiner Waren in EU-Länder, und beim Import kommen mehr als die Hälfte aller Waren aus der EU. Neben ihrem finanziellen Beitrag beinhaltet das Abkommen auch, dass sich die Norweger in vielerlei Hinsicht dem EU-Recht beugen: Pro Tag übernimmt das Land durchschnittlich etwa fünf EU-Gesetze – ohne großes Mitspracherecht. Großbritannien würde das niemals akzeptieren.
Die Briten wollen kein ähnliches Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum wie Norwegen. Das Parlament und die Regierung verlieren an Einfluss, nämlich an die Bürokraten in Brüssel. Unter anderem ein Grund für den Brexit …
Dann wäre da noch die Zuwanderung – heißes Thema in der Abstimmung um den Brexit – sowohl mit Blick auf EU-Ausländer als auch auf Flüchtlinge. Am Binnenmarkt teilzunehmen bedeutet auch, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt. Das heißt, EU-Bürger/-innen haben Zugang zum norwegischen Arbeitsmarkt.
Als Mitglied des Schengenraums hat Norwegen 2015 pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen als die Briten. Man braucht eine sehr gute Zusammenarbeit bei den Grenzkontrollen, und das geht am besten auf EU-Ebene.
Es wird Großbritannien nicht im Alleingang gelingen, Einwanderung wirkungsvoll zu kontrollieren.