In der Türkei kommt es nach dem gescheiterten Putschversuch zu massiven Eingriffen in Militär und Justiz. Der Staatsapparat begann umgehend mit der von Präsident Recep Tayyip Erdogan angekündigten „Säuberung“.

Insgesamt 2.700 Richter wurden bereits abgesetzt – fast ein Fünftel der schätzungsweise rund 15.000 Richter in der Türkei. Nicht nur mutmaßliche Unterstützer des Putsches, sondern auch völlig unbeteiligte Kritiker Erdogans wurden festgenommen.

Offiziellen Angaben zufolge wurden in einer ersten Aktion auch mehr als 2.800 Putschisten aus den Reihen der Streitkräfte festgenommen. Fünf Generäle und 29 Oberste sollen Regierungskreisen zufolge ihrer Posten enthoben worden sein. Mittlerweile wurden rund 6.000 Menschen inhaftiert.

In mehreren Städten in der Türkei hielten Zehntausende Menschen in der Nacht zum Sonntag „Wachen für die Demokratie“ ab. Türkische Medien berichten von Siegesfeiern nach dem gescheiterten Putschversuch in Städten vom Westen bis zum Südosten des Landes. Bilder zeigen jubelnde und fahnenschwenkende Menschenmassen in der Hauptstadt Ankara.

Bei dem versuchten Umsturz wurden nach offiziellen Angaben in der Nacht mindestens 265 Menschen (161 regierungstreue Sicherheitskräfte oder Zivilisten und 104 Putschisten) getötet und mehr als 1.000 verletzt.

Die Putschisten wollten nach eigenen Angaben Demokratie und Menschenrechte und die verfassungsmäßige Ordnung wiederherstellen. Acht türkische Soldaten setzten sich mit einem Militärhubschrauber nach Griechenland ab und beantragten politisches Asyl. Sie sollen möglicherweise ausgeliefert werden.

Erdogan kündigte eine „vollständige Säuberung“ des Militärs an. Er bezeichnete den Freitagnacht gestarteten Putschversuch als einen „Segen Gottes“.

Über die Einführung der Todesstrafe könne im Parlament gesprochen werden, sagte Erdogan vor Anhängern. Es sei auch nicht nötig, sich dafür von irgendwoher eine Erlaubnis einzuholen. Für viele Politiker, insbesondere der Opposition, klingt das beängstigend. Erdogan baut ein autoritäres System auf, was die deutsch-türkischen Beziehungen erheblich belasten wird.

Erdogan machte die Bewegung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch verantwortlich und kündigte Vergeltung an. Gülen, nach einem schweren Zerwürfnis 2013 einer von Erdogans Erzfeinden, lebt in den USA und bestritt die Vorwürfe. Er verurteilte die Aktionen scharf.

Erdogan verlangte von den USA die Auslieferung oder Festnahme von Gülen. US-Außenminister Kerry wies in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu Behauptungen über eine Verwicklung der USA in den gescheiterten Putschversuch energisch zurück.

Bundespräsident Joachim Gauck sagte: „Meine Erwartung an die türkische Regierung besteht darin, dass bei der Aufarbeitung dieses ganzen Geschehens die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze gewahrt werden.“

Die Hintergründe des Putsches sind folgende:

Die türkische Armee sieht sich traditionell als Hüter des säkularen Staates. Schon lange gibt es deswegen ideologische Konflikte zwischen der Armee und der von Erdogan ausgehenden Islamisierung des Staates. Lange sah es so aus, als könne Erdogan den Widerstand aus den Reihen der Generäle unterdrücken. Jetzt zeigt sich, dass dem nicht so ist. Einflussreiche Generäle und Offiziere berufen sich auf die säkularen Ideen des türkischen Staatsgründers Kemal Atatürk und stellen sich damit gegen Erdogan.

In den Augen vieler Türken und vor allem vieler Eliten des Landes ist Erdogan für die Destabilisierung der Türkei verantwortlich. Die türkische Gesellschaft ist zutiefst gespalten. Zuletzt wurde das während der Massenproteste im Jahr 2013 deutlich. Trotz der gesellschaftlichen Spaltung verweigert Erdogan jeglichen Dialog und macht eine Politik nur für die eigenen Unterstützer, welche nur etwa die Hälfte der türkischen Gesellschaft ausmachen.

Allein der Gedanke, dass ein Putsch der Militärs Menschenrechte und demokratische Zustände wahren soll, stellt unser ganzes Denken hinsichtlich dieser beiden Institute auf den Kopf.

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