Liebe Petra,

zuerst einen herzlichen Dank für deine liebe Gedanken, was meine Gesundheit angeht. Ich habe in den letzten Tagen gelernt, dass ich voraussichtlich nicht unsterblich bin, was ich nicht super finde. Auch, dass der Mensch nicht einfach zur Autowerkstatt gehen kann,um sich neue Leuchten verpassen zu lassen! Das hat mich zwangsläufig zum Grübeln veranlasst. In einer Gesellschaft, bei der jeder „mechanische Mangel“ als dekadent betrachtet wird, ist das Mythos der ewigen Jugend zu einem Muss geworden. Immer älter, immer fröhlicher scheint die Devise zu sein und wer das nicht schafft, wird als ein Montagsmodell betrachtet, so ist das wohl. Ein Wesen, dass es nicht verdient, in den Modezeitschriften erwähnt zu werden, aber dabei vergessen wir zu oft, dass der menschliche Körper nicht dafür entworfen worden ist, für alle Ewigkeit funktionieren zu können. Wie soll ich dir erklären, was für mich zu einer bitteren Wirklichkeit geworden ist? Die des programmierten Verfalles!

Quatsch! Du verfällst, Pierre, in Selbstmitleid und solltest Petra lieber einige „Smilies“ mailen. Cheese! Um mich rum gibt es Menschen, die Anlass hätten viel verzweifelter zu sein und was tun sie? Sie kämpfen, anstatt wie ich, zu jammern! Gibt die Krankheit nicht jedem Einzelnen die Möglichkeit, einen Blick in sich zu werfen und über Sinn und Unsinn des Lebens nachzudenken? Es ist die einmalige Gelegenheit, eine Art Bilanz zu ziehen, nicht unbedingt als Testament gedacht, eher als einen neuen Anfang hier und jenseits. Ich bin dabei mir einzureden, dass unser Dasein hier auf Erden nur eine Etappe ist. Wenigstens rede ich mir das ein, um nicht in die Depression zu verfallen. Deshalb sollte sie mit Würde vollbracht werden, auch wenn es überall in dem ausgelaugten Körper zwickt und zieht. So lange die Birne noch intakt ist, ist es möglich mit Esprit darüber wegzuschauen. Das bedeutet aber nicht die Realität zu ignorieren, liebe Petra! Was uns bevorsteht ist mit der Existenz eines Apfels zu vergleichen. Zuerst die Blüten, die Lebenskraft, dann die Entstehung der Frucht der Liebe, die wie Adam und Eva gezeigt haben, verführerisch sein kann. Wenn er nicht vorher verzehrt wurde, bekommt er in der Abenddämmerung Falten. Da nützt kein Lifting mehr und letztendlich, platsch! Er fällt verfault auf den Boden. Aber das war es nicht! Daraus können Sprossen entstehen und für ein neues Leben sorgen. Sind wir überhaupt mit unseren bescheuerten Gedanken dazu fähig?

Was habe ich den letzten Tagen noch dazu gelernt? Mich über jede Minute zu freuen, in der ich bewusst meine Umgebung erfassen kann. Auch das Bewusstsein, dass meine Augen mir bei weitem nicht nur die Realität vermitteln können. Es geht um mehr, um Gefühle, die sich nicht unbedingt erklären lassen, wie die der Liebe oder der Freundschaft. Ein Zusammenwirken aller Kräfte, die in uns versammelt sind, um uns Hoffnung zu vermitteln, auch wenn uns bewusst sein sollte, dass der Sense-Mann uns nicht vergessen wird. Es geht um die seelische Qualität, die uns im Alter äußerst wertvoll sein sollte und um die Weisheit. Aber nein! Je älter, desto geiler ist die übliche Regel. Mit Geist lässt sich kein Steifer haben und ist deshalb in vielen Kreisen verpönt. Halleluja!

 

In diesem Sinne, liebe Petra!
Pierre

 

//pm

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert