Lieber Pierre,

ein hochaktuelles Thema, das du in deinem Brief ansprichst, ging es doch gerade wieder einmal durch die Medien und war die Basis für eine interessante Talkshow vor einigen Tagen. Da ist was dran, wenn wir uns die Statistik anschauen. Jedes fünfte Kind lebt bei nur einem Elternteil (Tendenz steigend) und in 9 von 10 Fällen bei der Mutter. Jede dritte Alleinerziehende muss mit einem Monatsnettobetrag von weniger als 1.100 Euro auskommen und ist auf staatliche Hilfe angewiesen. Trotz Vollzeitjob, dem diese Mütter nachgehen. Dieser Betrag ist inklusive Zuwendungen, Kindergeld und Unterhalt (sofern dieser überhaupt gezahlt wird). Alleinerziehende Väter (lediglich 1 von 10) haben dabei ein deutlich höheres Netto-Einkommen.

Wir reden hier von ca. 1,5 Millionen alleinerziehenden Frauen und dabei gehen mehr als 60% Mütter Vollzeit arbeiten (Vergleich: nur 58% der Frauen, die in Paarbeziehungen leben). Dabei nicht berücksichtigt ist die Tatsache, dass bei gleichem Job noch nicht überall eine finanzielle Lohn-Gleichstellung gegenüber den männlichen Beschäftigten erfolgt.

Fazit: Wer als Frau Kinder in die Welt gesetzt hat und sich in Trennung befindet bzw. alleinstehend ist, kann sich vieles, was für normale Menschen selbstverständlich ist, nicht leisten. Die Armutsgrenze ist statistisch gesehen erreicht und – trotz Hartz IV, Kindergeld, Sozialhilfe etc. – leben diese Kleinfamilien und Kinder am Rande der Armutsgrenze. DAS ist eine Tatsache und hier ist mehr denn je die Politik gefordert, Mütter-freundliche Modelle zu schaffen und auch die Arbeitgeber, die ausreichend Möglichkeiten für einen Wiedereinstieg sowie eine kompatible Lösung für das Mutter-Sein und Berufsausübung anbieten müssen. Fast die Hälfte aller Alleinerziehenden bezieht Leistungen aus Hartz IV, um irgendwie über die Runden zu kommen und das grenzt an eine politische und berufliche Fehlwirtschaft, die dringend überarbeitet werden muss.

Ich selbst bin ein Beispiel dafür, wie schwierig es ist, den Spagat zwischen Kindern und Berufswelt zu schaffen. Frauen, die eine längere berufliche Pause eingelegt haben, um sich ganz der Familie zu widmen, haben bei Trennungen  die Arschlochkarte gezogen, daran ändern auch die drei angerechneten Rentenjahre für die Erziehung nichts. Eine längere Zeit raus aus dem Job bedeutet, dass man kaum wieder entsprechend eingegliedert werden kann und auf Hilfsjobs bzw. viele kleinere Jobs angewiesen ist, die zum Teil auf 450.- Euro-Basis laufen und ebenfalls nichts zu den Sozialleistungen/ späterem Rentenbezug beitragen. Also wieder die Arschlochkarte, aber oft hat man gar keine andere Möglichkeit. Ich musste einen kompletten Neustart machen und das – bedingt durch meinen Auslandsaufenthalt – zweimal innerhalb weniger Jahre. Versuche das mal mit zwei – damals kleineren Kindern, lieber Pierre. Und auch jetzt, nachdem beide Söhne erwachsen sind, sieht es nicht besser aus. Ich arbeite in einem künstlerischen Bereich und widme mich verstärkt ethisch anspruchsvollen  Dingen. Der Markt ist jedoch ausgerichtet auf Profit, Konsum, Rationalisierung etc… meine Arbeit spielt nur insofern eine Rolle, dass ich die Kassen fülle und Dinge tue, die einen wirtschaftlichen Vorteil bringen. Aktuell arbeite ich auf ca. acht verschiedenen beruflichen Baustellen (inklusive unsere Firma) und jedes für sich ist eine andere Beschäftigung, die auch durchaus meiner Ausbildung entspricht. Trotzdem habe ich heute noch zu kämpfen und ich tue es bewusst alleine! Mit jedem Monat wird es schwieriger und mit jedem Jahr, in dem du älter wirst, wird es noch extremer. In unserer Arbeitswelt zählen Erfahrung und Alter tatsächlich recht wenig und spätestens ab 40 bist du für viele in Bewerbungsgesprächen zu alt und sie bevorzugen jüngere Leute.

Ist das alles ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, die alleinstehenden Müttern mehr unter die Arme greifen muss und auch des Arbeitsmarktes und der Chefs/ Manager, die gefordert sind, menschenbezogener an die Auswahl ihrer Beschäftigten zu gehen? Trotzdem ist das Jammern auf hohem Niveau, lieber Pierre, denn eines steht fest: In Deutschland leben wir sicher, frei und – obwohl es für einige Bevölkerungsgruppen sehr schwierig ist – gibt es immerhin staatliche Unterstützung und Hilfe. Im Vergleich: In vielen anderen Ländern verhungern Kinder und Familien. Das Nachgehen einer Arbeit ist unmöglich, es sind Kriegsgebiete, es gibt Seuchen und vieles mehr.

Nehmen wir es wie es ist, lieber Pierre. Viele junge Menschen entscheiden sich aus den Gründen wie oben beschrieben gegen Kinder, gegen eine Ehe, sie leben ohne Trauschein zusammen und bei den Paaren gehen beide einer Vollzeitbeschäftigung nach. Wir erleben in den letzten Jahren einen starken gesellschaftlichen Wandel, dessen Ursache die Soziologen klären müssten. Unser Familienmodell der heutigen Zeit setzt uns vor die Tür der ehemaligen Großfamilie, in der man einzelne Mitglieder unterstützte, einen gemeinsamen Halt hatte und in der das Überleben jedes Einzelnen garantiert war. Ob unser Freiheitswahn, die Emanzipation der Frau und die Strukturen der Kommerzialisierung jetzt besser sind, bezweifle ich sehr. Wir sehen ja, wohin es führt und Familienplanung zugunsten eines Wohlstandslebens aufzugeben, in dem Reisen, Klamotten, Fitnessstudio oder Luxusartikel mehr Wertigkeit haben als Familie, Nachwuchs und echte Liebe, ist fatal.

Wenn der Preis, wundervolle Kinder zu haben, auf die man stolz sein kann, so hoch ist, dass ich am Existenzminimum krebse, dann nehme ich das gerne in Kauf, denn ich habe etwas erschaffen, was wahre Liebe ist – und zwar von beiden Seiten. Scheiß auf ein tolles Outfit, ein großes Haus brauche ich nicht… vergiss es mit Kaufrausch, den kann ich mir nicht leisten. Aber was ich mir leisten kann ist, der Gesellschaft den Mittelfinger zu zeigen und mir darüber bewusst zu sein, dass ich mehr Sinnvolles für die Gesellschaft getan habe, als eine konsumorientierte Lady, die sich Gedanken darüber macht, welche Frisur gerade angesagt ist oder in einen Shopping-Rausch verfällt. Das alles ist mir zu oberflächlich, wie du weißt und ich hoffe für alle Frauen, die hier mitlesen und denen das Leben nicht den einfachsten Weg beschert hat, dass ich ein wenig Mut machen konnte. Mutter zu sein ist das wundervollste Geschenk, das uns das Leben geben kann, das dürfen wir niemals vergessen.

 

In diesem Sinne, eine herzliche Umarmung,

Petra

© Petra M. Jansen

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