Der KGB überwachte jeden Schritt der westlichen Mächte … Die Stasi hatte in der DDR ein waches Auge auf jeden Bürger, jede Bürgerin … Die Kamera auf öffentlichen Plätzen soll doch unserer Sicherheit dienen … Auf der Autobahn wird von der Brücke herunter mit Kameras nach unter anderem Abstandssündern gefahndet … Ein Unding, geht nun mal gar nicht !!! Die Privatsphäre ist geschützt!
Der öffentliche Raum wird immer besser überwacht. Nach Angaben von Marktforschern (IHS Markit) werden in China bis zum Jahr 2020 mehr als 600 Millionen Überwachungskameras installiert sein. Peking ist faktisch totalüberwacht. In diversen Städten wurden Gesichtserkennungssysteme installiert, die Verkehrssünder, die bei Rot über die Straße laufen oder zu schnell fahren, identifizieren und auf einem riesigen Bildschirm öffentlich an den Pranger stellen. In Studentenwohnheimen müssen sich Studenten mit ihrem Gesicht ausweisen. Und in Klassenzimmern werden „Face-Reader“ getestet, welche die Emotionen analysieren und feststellen, ob die Pennäler gelangweilt sind.
Auch wir tragen mit Smartphones und Fitness-Trackern Überwachungstechnologien mit uns herum, die jeden Schritt und Herzschlag registrieren. Insofern weben wir das Überwachungsnetz fleißig mit. Woran liegt es, dass wir Geräte, die einst als Gefahr für unsere Privatsphäre galten, freiwillig am Arm und in der Hosentasche tragen?
Der US-Kulturwissenschaftler Randolph Lewis spricht von einem „Funopticon“, einer Überwachung, die Spaß macht. Lewis führt das Funopticon als Konzept für die zunehmend „spielerische Überwachungskultur“ des 21. Jahrhunderts ein: Modern betrachtet operiert Überwachung in einer Weise, die sich nicht immer unterdrückend und schwer anfühlt, sondern wie Freude, Bequemlichkeit, Wahlfreiheit und Gemeinschaft.
Mit anderen Worten: Dem Überwachungskapitalismus gelingt es, durch ein semantisches Vexierspiel eine elektronische Fußfessel als smartes Fitnessarmband zu vermarkten. Der britische Geograf Nigel Thrift hat dafür den Begriff des „Sicherheits-Entertainment-Komplexes“ geprägt. Was bei Orwell noch als düstere Dystopie beschrieben wird – ein Licht-gefluteter Ort, an dem es „keine Dunkelheit gibt“ -, wird in unserer smarten Welt zum Möglichkeitsraum der Selbstverwirklichung.
Der Hamburger Soziologe Nils Zurawski schlägt in dieselbe Kerbe. Der Grund, warum sich Menschen solche Gadgets zulegen, liege darin, Distinktionsmerkmale zu setzen. Es ist schick und trendig, man kann damit zum Ausdruck bringen, dass man zu einer bestimmten Gruppe gehört. Das Auto verliert in bestimmten Milieus seine Funktion als Statussymbol, das Elektronikspielzeug ist der Ersatz.
Früher diente das Produkt dem Menschen, heute dient dieser dem Produkt, will sagen, der Wirtschaft. 2012 versuchte Coca-Cola in einem Werbeclip, Überwachung zu ästhetisieren und in einem Ton der Beiläufigkeit die vermeintlich schönen Seiten der Überwachung aufzuzeigen: Ein Paar, das sich auf einer Parkbank küsst, Menschen, die vor U-Bahn-Eingängen tanzen, Leute, die mit Taucheranzug und Fischernetz aus einem Aufzug steigen, mutige Kunden, die einen Ladendieb überwältigen. Die Welt ist gut, lasst uns alle happy sein – diese Botschaft will der Werbespot vermitteln. Mit der omnipräsenten Videoüberwachung wird unser Leben zum permanenten Stream. Und wir tun es auch selbst, unser Leben auf Film einzufrieren, quasi zu konservieren. Man kann die Dose jederzeit wieder aus dem Regal holen, sich den Clip nochmals „reinziehen“. Ein Stück Leben wiederholen. Fun! Oder vielleicht auch der Versuch, dem eigenen Tod davonzulaufen?!
Die Auswertung von Bildern aus Videokameras bedient einen gewissen Voyeurismus. Das heimliche Beobachten in einem abgeschotteten Raum, das Gefühl, jemanden aus der Ferne zu kontrollieren und virtuell abzutasten, birgt einen Reiz des Verbotenen. Surveillance wird zu „perveillance“, einer pervertierten Form der Überwachung (Lewis).
Doch die Beobachtung bleibt nicht immer unbeobachtet. Unter anderem das Atlantic City Hotel Casino wurde zu einer Strafe von 80.000,– $ verdonnert, weil Mitarbeiter 2001 mit Überwachungskameras Frauen im Kasino begafften.
Das Sich-nackt-Machen ist ein struktureller Imperativ, der der Überwachungsgesellschaft eingeschrieben ist. Das vermeintlich Spielerische der Überwachung verdeckt den eigentlichen Zweck: das totale Ausspähen von Personen. Wenn die Freiheit auf dem Spiel steht, ist es gerade kein Spiel mehr.
Doch für einen Rückbau des industriellen Überwachungskomplexes ist es wohl zu spät.