Die Türkei und Russland auf Kuschelkurs? Gibt man sich den Bruderkuss? Für Deutschland hat das einschneidende Auswirkungen. Das angespannte Verhältnis zwischen beiden Staaten verzögert und blockiert auch geplante Rüstungsgeschäfte. Die Regierungen würden derzeit keine Entscheidungen bezüglich gemeinsamer Projekte treffen, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger. Dabei gehe es unter anderem um die Produktion von Kampfjetmunition in der Türkei oder die Nachrüstung türkischer Leopard-Panzer gegen Raketenbeschuss der Extremistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS).
Der politische Spielraum für Exportgenehmigungen ist auf deutscher Seite derzeit sehr gering. Wenn das Verhältnis zur Türkei sich nicht verbessere, werde es schwierig, eine Genehmigung von Deutschland zu bekommen. Nach Pappergers Einschätzung müssten die deutsche und die türkische Regierung dafür erst wieder näher zusammenkommen.
Dies gelte vor allem im Hinblick auf das Großprojekt der türkischen Regierung für den Bau von rund 1.000 Kampfpanzern des Typs Altay – mit einem geschätzten Auftragswert von sieben Milliarden Euro. Für die erste Tranche von etwa 100 bis 200 Panzern bietet der türkische Konzern BMC mit – der Omnibus- und Lastwagenbauer ist über ein Joint Venture mit Rheinmetall verbunden.
Sollte BMC Anfang 2018 den Auftrag erhalten, könnte sich Rheinmetall über das Gemeinschaftsunternehmen RBSS an der Entwicklung der türkischen Panzer beteiligen. Allerdings dürften ohne Exportgenehmigung der deutschen Regierung keine Teile deutscher Entwicklung, Baupläne oder technisches Know-How aus Deutschland verwendet werden. Der Deal fällt unter das Kriegswaffenkontrollgesetz und ist somit zustimmungspflichtig.
Eine andere Möglichkeit wäre eine Neuentwicklung in der Türkei. Dort neu zu entwickeln ist rechtlich möglich, aber hochkomplex. Eine schnelle Lieferung der Panzer ist damit unrealistisch. Eine eigene Panzerfabrik in der Türkei ist derzeit nicht geplant. Abgesehen von der Notwendigkeit der deutschen Exportgenehmigung würde das die türkische Seite aller Wahrscheinlichkeit nicht genehmigen. Um heimische Arbeitsplätze zu sichern, werden die Türkei nur Gemeinschaftsunternehmen akzeptieren.
Die Projekte von Rheinmetall in der Türkei haben aufgrund der dortigen Menschenrechtssituation bereits mehrfach für Proteste gesorgt. Trotz der Kritik und der Spannungen zwischen Deutschland und der Türkei bleibe Rheinmetall im Gespräch mit der türkischen Seite, so Papperger. Schließlich sei die Türkei weiter NATO-Partner und Schutzschild des Bündnisses im Osten.
Auch bei der Modernisierung ihres Luftverteidigungssystems hatte die Türkei die Wahl zwischen dem fortschrittlichen russischen S-400-System und teurer in den USA hergestellte Alternativen. Die Türkei hat sich für Russland entschieden, und die NATO war „not amused“.
Während die NATO sich anfänglich nur darüber beschwerte, dass S-400 mit ihren eigenen Systemen unvereinbar sei, erzählte der NATO-General Pavel den Reportern in dieser Woche, dass die Türkei wahrscheinlich von der Allianz bestraft werde, weil sie nicht amerikanisch gekauft habe.
Russlands S-400 wurden als fortschrittliche und kostengünstige Alternative zu amerikanischen Flugabwehrsystemen gelobt. Die USA sind es gewohnt, auf diesem Markt ein virtuelles Monopol zu haben, indem sie dafür sorgen, dass niemand von den Russen kauft, ohne dafür öffentlich kritisiert zu werden.
Von russischer Seite sollen im Fall S-400 die wichtigsten Geheimnisse dieses Systems geschützt werden. Wie S-400 funktioniere – davon würden die Türken keine Kenntnis bekommen, so die Tageszeitung „Gazeta“. Weniger relevante S-400-Geheimnisse würden jedoch in die Hände der NATO gelangen.
Das heißt, zusammen mit den S-400 wird die Türkei von Russland keine Kontrollcodes bekommen. Nach Erkenntnissen von „Gazeta“ hat Moskau ein entsprechendes Begehren aus Ankara abgelehnt. Zudem werden die Türken die von ihnen seit Langem begehrten russischen Luftabwehr-Raketensysteme nicht selbständig warten dürfen.
Und damit ist die Türkei militärisch in russischer Hand.
Einer der wichtigsten Gründe für den NATO-Beitritt der Türkei war die Kontrolle über den Bosporus, eine der weltweit wichtigsten Wasserstraßen, welche den maritimen Zugang zum Mittelmeer und damit zum internationalen Seehandel sichert. Im Kalten Krieg sollte verhindert werden, dass russische Kriegsschiffe, von der NATO unkontrolliert, in das Mittelmeer einlaufen. Putin dürfte sich diesen Zugang jetzt gesichert haben – sehr zum Ärger der westlichen Militärs.