Er kanzelte seine Kritiker scharf ab, die, wie der linke Volkstribun Jean-Luc Mélenchon, die Rede boykottieren und lieber auf dem Place de la République in Paris protestieren. Mélenchon sieht sich als Revolutionär, der mit seiner Bewegung „Das unbeugsame Frankreich“ zum Sturz des Präsidialregimes (VI. Republik) und zum Widerstand gegen die geplante Arbeitsrechtsreform aufruft. Macron kontert Mélenchon mit dem Verweis auf den Revolutionär Mirabeau: „Ich glaube nicht, dass er sein parlamentarisches Mandat so schnell vernachlässigt hätte“.

Über dem Präsidenten können die etwa achthundert versammelten Volksvertreter während der Rede das berühmte Gemälde betrachten, das die Generalstände abbildet, die König Ludwig XVI. in Versailles einberufen hatte. Auch der Saal, eng besetzt, atmet – wovon auch der Staub auf den Polstersitzen zeugt – französische Geschichte. Er wurde nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der damit verbundenen Demütigung gebaut, welche die Ausrufung des deutschen Kaiserreiches im Spiegelsaal des Schlosses für die Franzosen bedeutete. In Paris konnte das Parlament damals nicht tagen, weil in der Hauptstadt der Aufstand der Pariser Kommune tobte. So wurden die ersten Kapitel der III. Französischen Republik vor der königlichen Kulisse geschrieben.

Ohne zu zögern, weist der Präsident in seiner Rede darauf hin, dass Frankreich von neuem eine historisch entscheidende Phase durchlebe, „Stunden, die aus der Möglichkeit (einer Präsidentenrede) eine Notwendigkeit werden lassen“. Macron spielt darauf an, dass er seinen Premierminister nicht entmachten wolle, sondern große Erwartungen an seine Arbeit richte. Der Premierminister habe die Aufgabe, die Regierung zu leiten.

Damit reagierte Macron indirekt auf den Vorwurf, er entmachte seinen Premierminister, weil er am Tag vor der ersten Regierungserklärung mit Vertrauensabstimmung an diesem Dienstag eine Rede halte. Macron kann sich auf berühmte Vorbilder berufen. Republikgründer Charles de Gaulle ließ es sich nicht nehmen, sich in einer damals noch vorgelesenen Rede an die Volksvertreter zu wenden. Auch François Mitterrand und Jacques Chirac pflegten das Ritual.

Macron aber gibt nicht nur die großen Linien seines Mandats vor („keine halbherzigen Reformen“). Er kündigt an, dass er mit einem Wahlkampfversprechen Ernst machen will. Ein Drittel der Parlamentarier sollen eingespart werden. Das bedeutet, dass in fünf Jahren statt 577 nur noch 400 Abgeordnete der Nationalversammlung angehören sollen. Macron wünscht sich, dass die gesundgeschrumpften Kammern weniger Gesetze verabschieden.

In den vergangenen Jahren sei ein Übermaß an Gesetzesbestimmungen produziert worden. „Unsere Gesellschaft ist zu komplex und verändert sich zu schnell“, mahnt der Präsident. Damit die Zusammensetzung der Nationalversammlung künftig besser die politischen Kräfte im Land widerspiegelt, verspricht er „eine Dosis Verhältniswahlrecht“ einzuführen. Bislang gilt bei den Parlamentswahlen nur das Mehrheitswahlrecht. Das bedeutet, dass bei den nächsten Wahlen bündnisunfähige Parteien wie der Front National (FN) mit mehr Sitzen rechnen können.

Macron wiederholte seinen Wunsch, die politischen Sitten durch strikte Ethik- und Transparenzregeln zu verändern. Das von der Justizministerin vorbereitete Gesetz werde den Erneuerungsprozess voranbringen. „Aber niemand ist tadellos. Perfektion gibt es nicht“, warnte Macron.

Das Pendel dürfe jedoch nicht zu stark ausschlagen und dazu führen, dass das Aufdecken von Skandalen überhandnehme. Der Präsident versprach, die Sondergerichtsbarkeit für Minister, den Cour de Justice de la République, abzuschaffen.

Das Recht für den Präsidenten, sich direkt an das Parlament zu wenden, ist noch jung. Es wurde mit einer von Nicolas Sarkozy im Juli 2008 angestrengten Verfassungsänderung eingeführt. Zuvor war das Verhältnis zwischen Präsident und Parlamentariern vom historisch begründeten Misstrauen beherrscht, der „republikanische Monarch“ könne eine monarchische Restauration anstreben. Diese Phantasien wirken bis heute nach.

Auch Macron steht inzwischen im Verdacht, als Alleinherrscher dem Land seinen Willen aufzwingen zu wollen. Dieser kündigte an, die seit den Terroranschlägen im November 2015 herrschende Notstandsregelung mit erweiterten Befugnissen für Polizei und Geheimdienste im Herbst beenden zu wollen.

Ein neues Sicherheitsgesetz soll die Notstandsgesetze ersetzen. Ob damit etwas besser oder sicherer wird, bleibt abzuwarten. War es vor Jahren noch das „Übermaß an Gesetzesbestimmungen“, so herrscht heute offensichtlich die Auffassung: „Aus Alt mach Neu!“.

 

 

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