Der wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilte ehemalige SS-Mann Oskar Gröning hat ein Gnadengesuch gestellt. Gröning wurde vom Lüneburger Landgericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Seit dem Urteil im Sommer 2015 wehrt sich der 96-Jährige gegen den Haftantritt. Zuletzt war er Ende Dezember mit einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert.
Der Ex-SS-Mann ist haftfähig, bestätigte das Bundesverfassungsgericht und wies damit die Verfassungsbeschwerde Grönings ab. Weder das hohe Alter des wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilten Mannes, noch sein Gesundheitszustand reichten aus, um vom Strafvollzug abzusehen, so die Begründung. Das Landgericht Lüneburg und das Oberlandesgericht Celle hatten vor der Verfassungsbeschwerde einen Antrag auf Haftaufschub abgelehnt.
In der Verfassungsbeschwerde plädierte Gröning auf Haftunfähigkeit und verwies auf sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Er werde durch einen Strafantritt aus seinem „sozialen Netz“ gerissen und durch die Inhaftierung die „bislang erfahrene Wertschätzung“ verlieren. Er fürchte, dass er körperlich und geistig abbaue und depressiv werde. Außerdem hatte der Anwalt in seiner Beschwerde auf die vom Grundgesetz garantierte Verhältnismäßigkeit gepocht. Demnach müsse ein Verurteilter eine realistische Chance haben, die Freiheit wiederzuerlangen. Die Verfassungsrichter hingegen bestätigten die bisherigen Urteile der Gerichte. In der JVA Uelzen stünden eine hauptamtliche Ärztin und ausgebildetes Sanitätspersonal zur Verfügung.
Der als „Buchhalter von Auschwitz“ bekannte Gröning war vom Lüneburger Landgericht im Juli 2015 wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilt worden. Gröning wurde verurteilt, ohne dass ihm eine konkrete Tötung nachgewiesen wurde. Allein durch seine Tätigkeit im Vernichtungslager Auschwitz habe er einen Tatbeitrag zum hundertausendfachen Mord geleistet, so die Richter. Der Bundesgerichtshof hatte das Urteil bestätigt. Seither ging es um die Frage, ob Gröning haftfähig ist.
„Gnade vor Recht!“, „Gnade walten lassen“, … Gnade ist nicht justiziabel, d.h. rechtlich nicht bewertbar. Das Gnadenverfahren aber ist in Deutschland ziemlich verrechtlicht. Das Gnadenverfahren ist Grönings letzte Chance, auf freiem Fuß zu bleiben. Alle Gerichte bis hoch zum Bundesverfassungsgericht haben gegen ihn entschieden. Fest steht: Im Erkenntnisverfahren haben die Gerichte Vorrang, Urteile kann man mit Rechtsmitteln angreifen. Erst hiernach kommt „Gnade“ überhaupt erst ins Gespräch.
Voraussetzung für ein Gnadengesuch ist die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung. Ein Gnadengesuch ist form- und fristlos, d.h. kann mündlich oder schriftlich gestellt werden. Es kann durch den Verurteilten selbst oder durch ein von ihm beauftragten Anwalt gestellt werden. Einen Anspruch auf Entscheidung innerhalb einer bestimmten Frist gibt es nicht.
Wie bereits erwähnt, ist eine gerichtliche Überprüfung einer ablehnenden Gnadenentscheidung nicht möglich. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon Ende der 1960er Jahre und nochmals 2001 entschieden.
Wer über das Gnadengesuch entscheidet hängt von dem Bundesland ab, in dem der Täter verurteilt wurde, ausgenommen die Fälle in denen der Bundespräsident zuständig ist.
In einem Gnadengesuch müssen alle Tatsachen vortragen werden, weshalb in Falle Grönings ausnahmsweise die von den Gerichten gefassten Entscheidungen im Wege der Begnadigung aufgehoben werden sollen. Gröning darf neben der Schilderung seiner eigenen Situation dabei die Opfer seiner Straftaten in seinen Argumenten nicht vergessen, da Strafe auch eine Form von Genugtuungsfunktion gegenüber den Opfern hat.
Der Ex-SS-Mann schildert in seinem Gesuch seine persönliche Situation, macht sein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit geltend. Er beruft sich auf seine bisher „erfahrene Wertschätzung“ und werde durch einen Haftantritt aus seinem „sozialen Netz“ gerissen“. Liest man die Argumente gesondert, sind diese nicht besonders griffig und begründen keine Sonderbehandlung Grönings. Seine Gesundheit und sein Leben sind im Gefängnis nicht schlechter versorgt als außerhalb. „Aus dem sozialen Netz“ wird jeder Verurteilte bei Strafantritt „gerissen“, und: „Wertschätzung“ ist ein relativer Begriff. Bei Verurteilung wegen Beihilfe zum 300.000-fachen Mord lässt sich über „Wertschätzung“ bei allem Anstand nicht mehr diskutieren.
Was – jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Veröffentlichungen – vollkommen fehlt, ist die Beschäftigung Grönings mit den Schicksalen seiner Opfer und deren Angehörigen.
Insgesamt bleibt festzuhalten: ein Gnadengesuch wird äußerst selten, insbesondere vor Strafantritt, positiv beschieden. In Grönings Fall wird dies wohl auch nicht anders sein.