Emmanuel Macron steht für Erneuerungen, er gönnt der französischen Politik keine Sommerpause. Soweit geht er aber dann doch nicht, dass die Franzosen ihre Urlaubsrituale aufgeben müssten. Wie auf Kommando fallen Anfang August die Fabriktore ins Schloss. Büros, Lebensmittelgeschäfte und Kinos machen ebenfalls dicht. Als habe die Nation elf Monate lang auf diesen Moment hingelebt, bricht sie geschlossen in die Ferien auf.

Aber: In diesem Sommer ist etwas anders. Die Stimmung ist umgeschlagen. Im vergangenen Jahr gemahnte der kollektive Aufbruch an eine Massenflucht. Mit Frankreich, ja Europa, schien es bergab zu gehen. Der damalige Staatschef François Hollande galt als Verwalter des Niedergangs. Ermutigt vom Brexit frohlockten die Rechtspopulisten. Aber anstatt Marine Le Pen kam Macron an die Macht – mit dem Versprechen, Frankreich und Europa von Grund auf umzukrempeln.

An Nachweisen der Entschlossenheit hat es der neue Staatschef seitdem nicht fehlen lassen. Man bezeichnet ihn als obersten Start-up-Unternehmer Frankreichs, oder gar als Göttervater Jupiter. Selbst während des kollektiven Kofferpackens hat der Erneuerer noch einmal nachgelegt, mit weiteren innovativen Vorstößen überrascht.

So kündigte er die Einrichtung von Hotspots in Libyen an, die Wirtschaftsflüchtlinge zurückhalten, allein politisch Verfolgte passieren lassen sollen. Es folgte die vorläufige Nationalisierung der unter der Präsidentschaft Hollandes dem italienischen Konzern Fincantieri zugesagten Werft STX. Beides

kam an. Er löse das Flüchtlingsproblem in Afrika an Ort und Stelle, lautete die erste Botschaft des Präsidenten, ich sichere auch in Zeiten der Globalisierung französische Arbeitsplätze vor fremdem Zugriff, die zweite. Erstmals seit Jahren fasst die Mehrheit der Franzosen wieder Vertrauen in die Zukunft: 52 Prozent glauben, dass die Globalisierung ihnen Vorteile verheißt.

Nach eigenem Bekunden weder rechter noch linker Doktrin verpflichtet, zählt für den früheren Geschäftsbanker, was unterm Strich herauskommt. Dazu passend unterteilte Macron kürzlich seine Mitmenschen in zwei Kategorien: „Diejenigen, die Erfolg haben, und diejenigen, die nichts haben“. In einem Land wie Frankreich, das in verkrusteten Strukturen gefangen ist, entfalten solche Worte therapeutische Wirkung. Verstörend sind sie allerdings auch, und zwar nicht nur, weil sie jegliches soziales Einfühlungsvermögen vermissen lassen.

Steht Macron nun doch für Wirtschaftsprotektionismus?

Irritierend ist, dass über das pragmatische Vorpreschen des Präsidenten die politische Linie verloren zu gehen droht. Wie passt zusammen, dass Macron, eben noch überzeugter Europäer, die EU wie auch die vom Flüchtlingsandrang besonders betroffene römische Regierung mit der Ankündigung von Hotspots in Libyen überrumpelt?

Ganz zu schweigen davon, dass die Voraussetzungen für solche Erfassungsstellen im Bürgerkriegsland Libyen bisher nicht gegeben sind, wie der Elysée-Palast kurz danach einräumen musste. Und wieso „rettet“ Macron, eben noch ausgewiesener Gegner des Wirtschaftsprotektionismus, eine französische Werft vor dem Zugriff der italienischen Nachbarn? Blendwerk, kohärente Politik ist das nicht!

Der Spruch vom Göttervater Jupiter dürfte bald verstummen. Bevor Macron in der letzten Juliwoche Flüchtlings-Hotspots und Werft-Nationalisierung ankündigte, war er in Beliebtheitsumfragen erstmals steil abgestürzt. Ein Minus von zehn Prozent hatten Meinungsforscher ihm attestiert. Vor allem die geplante Flexibilisierung des Arbeitsmarkts dürfte den Rückhalt weiter schmälern.

Die Reform erhöht die Einstellungschancen der Erwerbslosen, verringert zugleich aber auch den Kündigungsschutz der Beschäftigten. Nach skandinavischem Vorbild will der Staat Entlassene fortbilden, damit sie schneller einen neuen Job finden und während der Suche finanziell besser abgesichert sind. Aber das kostet Geld. Und energisch sparen, das will Macron auch.

Dem Präsidenten ist zuzutrauen, dass er letztlich beides durchzieht, Arbeitsmarktreform und Haushaltssanierung.

Macron wird die Neufassung des Arbeitsrechtes per Verordnung durchbringen. Das Parlament muss vor dem Ende September geplanten Inkrafttreten der Reform zwar zustimmen, hat aber keinen Einfluss auf die Details. Deren Leitplanken hat die Nationalversammlung in einem Rahmengesetz Mitte des Monats bereits festgelegt, am vergangenen Donnerstag erhob der Senat eigene Forderung für die Rahmengesetzgebung. Die Nationalversammlung hat im Zweifel das letzte Wort – sie stimmte am Dienstag mit breiter Mehrheit dafür, dass die Regierung die Reform mittels Verordnungen umsetzen darf. Macrons Partei „La République en Marche“ verfügt in der Kammer über eine absolute Mehrheit.

Er weiß, dass Frankreich nur eingebettet in eine schlagkräftigere EU im internationalen Kräftemessen Gewicht auf die Waage bringt. Und ihm ist bekannt, dass er die EU nur dann nach seinen Vorstellungen stärken kann, wenn er die Partner, hauptsächlich Deutschland, mit Strukturreformen überzeugt und mit Einhaltung der Defizitgrenzen Glaubwürdigkeit zurückgewinnt.

Hoffen wir, dass Macron am Ende seiner fünfjährigen Amtszeit zu denen zählen wird, die Erfolg haben, nicht zu denen, die nichts haben.

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