100 Tage vor der US-Präsidentenwahl: jetzt zeigt sich, worauf der republikanische Kandidat Trump im Kampf um die Präsidentschaft setzt: auf die wütenden weißen Wähler. Die Chancen, dass diese Trump am 8. November ins Weiße Haus tragen, stehen gut.
Um zu verstehen, warum diese Strategie erfolgversprechend ist, muss man zurückblicken: Weiße Wähler, vor allem männliche, bilden seit je die Stammwählerschaft der Republikaner. Auf der einen Seite sind es Geschäftsleute, die sich von den traditionellen republikanischen Rezepten – wenig Staat und niedrige Steuern – Vorteile erhoffen. Auf der anderen Seite ist es die Arbeiterklasse: Männer und Frauen, meist ohne Universitätsabschluss, die viele Jahre das Herz der amerikanischen Industrie am Schlagen hielten. Sie arbeiteten im Textilsektor der Südstaaten, produzierten Autos und bauten in den Appalachen Kohle ab. Diese weiße Unterschicht glaubte den republikanischen Eliten, die versprachen, ihre Probleme zu lösen, und trugen zuletzt Ronald Reagan und die beiden Bushs ins Weiße Haus. Bei den Wahlen 2012 stellten die Weißen ohne College-Abschluss fast die Hälfte der Wähler, und Mitt Romney sicherte sich auch damals einen Großteil ihrer Stimmen.
Doch wie schon 2008 reichte es nicht für einen Wahlsieg. Donald Trump setzt stattdessen radikaler als je zuvor auf die Mobilisierung wütender Weißer. Er baut seinen Wahlkampf systematisch auf den Sorgen und Ängsten dieses Wählersegments auf. Dies tut er mit rassistischen Äußerungen, indem er etwa die Urteilskraft eines mexikanisch-stämmigen Richters anzweifelt oder behauptet, aus Mexiko kämen Vergewaltiger und Drogenhändler ins Land. Noch schlimmer: Trump flirtet auch gerne mit dem Ku-Klux-Klan.
Donald Trump spielt auf der ganzen Klaviatur der weißen Ängste. Das sind in erster Linie wirtschaftliche Sorgen der Arbeiter. Viele fühlen sich als Verlierer der Globalisierung und des technischen Fortschritts. Ökonomen schätzen, dass in den vergangenen Jahren rund zwei Millionen Arbeitsplätze nach China abgewandert sind; andere Niedrigqualifizierte verloren ihre Stellen an Maschinen oder an aufstrebende Einwanderer. Objektiv betrachtet, mag es den Vereinigten Staaten derzeit gutgehen: Die Arbeitslosenquote liegt unter fünf Prozent, der Aktienmarkt ist so stark wie nie und die Konsumbereitschaft hoch. Doch dieser Aufschwung ist bei der Arbeiterklasse nicht angekommen. Um die Inflation bereinigt, ist das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Unterschicht heute so niedrig wie vor 20 Jahren. Auch den Mittelstand plagen Abstiegsängste – viele haben zwei Jobs und dennoch das Gefühl, dass es nicht reicht. Es fehlen Perspektiven!
Diese wirtschaftlichen Sorgen werden verstärkt durch eine Frustration über die parteipolitischen Grabenkämpfe in Washington. Trotz einer republikanischen Mehrheit im Kongress hat sich für die Arbeiterklasse nichts verbessert, der Mittelstand fühlt sich alleingelassen.
Ob Angst vor Überfremdung, vor Freihandel, vor Muslimen oder illegalen Einwanderern: Trump bedient die Ängste der Weißen. 13 Millionen Bürger, davon viele Erstwähler, haben sich in den Vorwahlen für ihn ausgesprochen, so viele wie noch für keinen republikanischen Anwärter. Verzweiflung und Wut sind der Treibstoff seiner Kampagne, Protektionismus und Nationalismus seine Heilsversprechen. Dass er dafür republikanische Grundsätze, insbesondere in der Handelspolitik, über den Haufen wirft, stört ihn nicht. Vielmehr erweitert er das Parteiprogramm um eigentlich demokratische Prinzipien wie ein starkes soziales Netz, damit er auf die Arbeiterschicht noch attraktiver wirkt. Rhetorisch orientiert Trump sich bewusst an früheren Präsidenten wie Nixon und Reagan, die Leitsprüche wie „Make America great again“ .
Als Teil der einfachen Lösungen, die Trump verspricht, präsentiert er auch einen Sündenbock für alle Versäumnisse: Hillary Clinton als Inbegriff des Establishments. Der Hass auf sie soll die Wähler an die Urnen treiben.
Hillary Clinton hingegen kann mit vielem auftrumpfen, was Trump fehlt: Sie steht seit 35 Jahren in diversen Rollen auf der politischen Bühne und brächte umfangreiche politische Erfahrung mit ins Weiße Haus. Anders als Trump kann Clinton mit Inhalten punkten, für jedes Problem scheint sie ein Vorhaben in der Tasche zu haben. Zudem inszeniert sie sich als Erbin des derzeit recht beliebten Präsidenten Obama.
Ob jene Republikaner, die Trump vehement ablehnen, am Wahltag zu Hause bleiben oder ihre Stimme Clinton geben werden, wird man wohl nie so recht erfahren …