Haben berufene Schwarzseher und Untergangspropheten kapituliert? Keine Hiobsbotschaften mehr? Gibt es Hoffnung auf eine wundervolle Zukunft oder ist Nörgeln schlichtweg langweilig geworden?
Es gibt keine Kulturpessimisten mehr. Kaum jemand nörgelt noch herum. Lamentiert und geschimpft wird viel: über den Euro, im Sommer über die Griechen, unsere Kanzlerin oder einen Fußballclub. Gehört nun mal dazu! Man kann nicht alles gut finden.
Und an veritablen Weltuntergangsszenarien herrscht kein Mangel: das Klima für die einen, für andere ist es der Kapitalismus oder vielleicht ein Meteorit auf Abwegen, der uns den Garaus macht. Die Auswahl an Boten der Apokalypse ist reichlich.
Was haben Zukunftsängste mit Kulturpessimismus zu tun? Wenig! Der klassische Kulturpessimist hat keine Angst vor dem Weltuntergang. Häufig sehnt er ihn sogar herbei. Denn ihm geht es um die hehren, großen Werte, die in Gefahr sind. Eine Apokalypse ist aus seiner Sicht durchaus in der Lage, die Welt wieder ins Lot und die Menschheit auf den Pfad der Tugend zu bringen.
Kulturpessimismus ist aber nicht gleich Kulturpessimismus. Seine älteste Variante ist anthropologischer Natur, sie betrifft den Menschen per se. Exemplarisch finden wir ihn in der Geschichte der Sintflut in der Bibel. Hier ist Homo Sapiens die Wurzel allen Übels. Und solange es dieses verdorbene Geschöpf gibt, so die feste Überzeugung, wird es auf dieser Erde keinen Frieden geben. Radikale Tierschützer und Fundi-Ökologen halten daran nach wie vor fest.
Mit der Aufklärung rückte die Kultur – im engeren Sinne – in den Fokus aller Schwarzseher und Untergangspropheten. Es wurde zwischen guter und schlechter Kultur, hoher und niedriger, solcher, die der Erziehung des Menschgeschlechts frommt und jener, die einen verderblichen Effekt hat, unterschieden.
Die radikalsten unter den Kulturpessimisten sehen die Kultur selbst als Übel an. Sie entfremde den Menschen von der Natur und lasse den modernen Menschen leiden. Prototyp dieser Kulturverächter war Jean-Jacques Rousseau, verschrien als „roter Khmer der Philosophie“.
Die zweite Kulturpessimismusversion war die Zyklentheorie: Für sie sind kulturelle Verfallserscheinungen lediglich Symptome des Niedergangs. Dessen Ursachen liegen in universalen historischen Gesetzen, die den „Aufstieg und Fall“ großer Mächte und Kulturen verantworteten. Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ basiert auf dieser Annahme. Empirisch ist sie kaum zu halten.
Letztlich gibt es noch die dritte Variante des Kulturpessimismus: Kulturelle Verfallserscheinungen sind demnach nicht nur Symptome, sondern vor allem auch Ursachen des Niedergangs. Nehmen wir einmal die Massenmedien: Die machen, so die einschlägige Überzeugung, einfältig und blöd, und weil das so ist, werden zukünftige Generationen noch einfältiger und noch blöder – so blöd, dass schließlich keiner mehr etwas mitbekommt.
Intellektuelle in der Rolle des Sehers machen sich jetzt Gedanken, wie man die verblendete Herde aus dem dunklen Tal der Unterhaltungsindustrie ans Licht gehobener Reflexionskultur führen kann.
Seit geraumer Zeit ist es still geworden um die berufenen Schwarzseher. Bestenfalls Peter Sloterdijk warnt noch ab und zu vor den schrecklichen Kindern der Neuzeit.
Der traditionelle Kulturpessimismus war das Kind einer homogenen Bildungslandschaft mit verbindlichen Normen und Werten. Dieses monolithische Ideal einer normgebenden Kultur, die der Maßstab ist für Aufstieg und Untergang, ist unter der Pluralisierung der westlichen Gesellschaften zu Staub zerfallen.