Es war zu Zeiten, als das Nachrichtenmagazin FOCUS noch in den Kinderschuhen steckte: Ein Journalist vertrat die Ansicht, dass im arabischen Raum, dem des Islam, das Leben Teil der Religion sei. Bei uns in der westlichen Hemisphäre hingegen sei die Religion Teil des Lebens. Ein Wortspiel? Nein! Lebt man nach letzterer Devise, ist die Angst zu sterben groß. Die Religion ist ein Leitfaden, wie ich mein Leben meistern kann, sie gibt mir Hoffnung, dass danach noch etwas kommt und nicht das Nichts. Eine Hoffnung im Sinne einer Erwartungshaltung. Bei ersterer Alternative ist unser Leben in die Religion eingebunden, ein Schritt oder Teil des Ganzen. Nach dem irdischen Leben, das zur Religion gehört, kommt noch etwas. Das ist eine innere Sicherheit, nicht nur eine Erwartung. Militärisch ausgedrückt: zu Zeiten des Kalten Krieges war es gut, dass beide Seiten über Atomwaffen verfügten. Ziel war nicht, sie zu zünden, sondern die Abschreckung. „Tust Du mir böse, tue ich Dir böse!“. Ergebnis: die Welt wäre für beide Parteien unwiderruflich zerstört worden. Also kein atomarer Schlag! Dazu leben wir viel zu gerne. Verfügte eine fundamentalistisch ausgerichtete islamische Regierung über Atomwaffen, wäre es für diese kein Problem, jene zu zünden. So wichtig ist das Leben nicht, hiernach kommt das Paradies. Eine ellenlange Kette von Selbstmordattentätern belegt diese These.
Es geht also darum zu vermeiden, dass jene Regierungen spaltbares Atommaterial in die Hände bekommen. Und eine weitere Tatsache ist für uns militärisch gesehen günstig: Die arabische Welt ist sich nicht einig. Stammes- und Sippendenken prägen den Alltag. Schiiten, die religiöse Führungskaste, gegen Sunniten, das ehemalige Wüstenvolk der Berber. Innerhalb jener beider Gruppen gibt es wieder Untergruppierungen. Innerhalb der arabischen Welt bekämpft man sich also selbst. An jenem Tag, an dem sich die arabische Welt einig sein sollte, sehen wir uns im Konfliktfalle mit einer ernsthaften Bedrohung konfrontiert.
Israel ist ein jüdischer Staat mitten in der islamischen Welt. Konflikte waren und sind seit der Staatsgründung 1948 vorprogrammiert. Der Sechstagekrieg 1967 und der Jom-Kippur-Krieg 1973 seien hier beispielsweise genannt. Israels breitesten Stelle misst 135 km, an der schmalsten ist es nur 15 km breit. Die Masse der arabischen Länder könnte das Land schlichtweg wegfegen ins Meer. Dies ist einer der Gründe, warum der Staat bis an die Zähne bewaffnet ist, auch atomar.
Was also, und diese Verschwörungstheorien geistern seit rund dreißig Jahren durch die Medien, ist idealer, als die arabischen Staaten weiter mit sich selbst zu beschäftigen. So kommt man nicht so schnell auf die Idee, Israel anzugreifen. Das funktioniert an sich nicht schlecht. Folgt man einer der Theorien, dann arbeiten seit 1982 die Geheimdienste der USA, Israels und Großbritanniens an dieser Vorgehensweise.
Das Ganze übersetzt: Man gründe eine Terrorgruppe, rekrutiere die Mitglieder aus den Völkern der Sunniten, statte diese finanziell und militärisch aus. Die Gruppe wird sich eigenständig mit der führenden Regierungskaste der Schiiten und deren Regierungsapparat beschäftigen. Anders ausgedrückt: es kommt zum Bürgerkrieg! Das Interesse an Aggressionen gegen Israel und die westliche Welt geht gegen Null.
Aber wir sollten uns nicht zu früh freuen: Kinder werden erwachsen. Und der IS, von dem wir hier sprechen, ist das schon lange. Er ist keine Gruppe von Fanatikern mehr, die am Tropf westlicher Geheimdienste hängt. Er ist selbständig, auch finanziell, verfügt über Elitekämpfer und Panzer. Und er rekrutiert seine Kämpfer auch aus europäischen und US-amerikanischen Reihen.
„Vae Victis!“.
© Thomas Dietsch