danken Sie ihren Eltern, die Sie so gut erzogen haben, dass es Ihnen nicht über die Lippen kommt, einem Rostra-Ausrufezeichenlieben Kollegen zu sagen: „sag mal, deine neue Liebschaft ist ja schlimmer als EMMA und Inge Meysel zusammen.“ Der Gute ist so ein guter Mensch, dass Sie es auch tunlich vermeiden, ihn zu fragen, wie er es denn schafft, eine nach Knoblauch und Ohrenschmalz riechende, durch und durch herb-fade Dame zu küssen. Wir sprechen nicht von ihrer permanenten Rotwein-Fahne, die Sie anekelt und zum Würgen zwingt. Wo die Liebe hinfällt, heißt es und Sie beißen sich auf die Zunge, benicken die Dame lächelnd und sehen zu, dass Sie die Kurve kratzen. Die gute Stube Ihres Elternhauses lässt Sie auch zurückschrecken vor der wahren Aussage, dass Ihr Bürgermeister unfähig ist, weil er fette und fettende Säcke in seinen Ämtern sitzen hat, die von guter Erziehung bisher gar nichts gehört haben. Brav machen Sie das dämliche Spielchen mit und sagen auch nichts, wenn Ihr eigener Lover eine dermaßen blöde Kuh in seinem Bekanntenkreis hat und Sie dadurch ernsthaft zu der Überlegung zwingt, ob Sie ihre Zeit nicht in einen Falschen investieren. Sie schweigen über einen älteren Mann, der ein bekannter Manager ist und nicht einmal so viel Benehmen hat, eine versprochene Verabredung abzusagen. Ein knapper Anruf, dass es nicht klappen würde, hätte Ihnen genügt, aber er wurde offenbar schlecht erzogen.

Die gute Stube – sie ist es auch, die Ihnen den Mund zu pappt, wenn neben Ihnen am Tisch sitzend die keifende Hexe meint: „Hab´ ich früher so frisch ausgesehen? Konnte ich noch vor einem halben Jahr so ruhig hier sitzen und dir zuhören? Und ich hab´ locker sechs Kilo abgenommen.“ Dabei spritzt fast die Spucke aus ihrem Schlund, aber Sie sind brav und nicken. Wer weiß, wozu man die noch braucht.

Ein echtes Dilemma mit der Knigge-Welt ist das und Sie grummeln verärgert in sich hinein, anstatt jemandem die Wahrheit ins Gesicht zu schleudern. „Sie sind zu fett, sie! Sie haben keine Ahnung von Anstand, sie! Was denken sie sich eigentlich? Hat ihnen schon mal jemand gesagt, dass sie furchtbar langweilig sind? Geht es noch blöder? Wo haben sie eigentlich studiert? Das ich nicht lache, sie haben sich allerhöchstens dort zwei Semester eingeschrieben. Sag mal, merkst du eigentlich nicht, dass du Mundgeruch hast? Mädchen, du bist billig, nicht sexy. Herr Politiker, sie sind ein egoistisches Arschloch. Lasst mich bitte in Ruhe mit dem Allerwelts-Getratsche und diesem infantilen Dorfgehabe, das ist unter aller Sau.“ Ihnen würde noch vieles mehr einfallen, mir bestimmt auch.

Ist es nun Leid oder Freude, eine gute Erziehung genossen zu haben? Hemmt sie uns nicht, die Wahrheit auszusprechen? Eine, von der wir immer sagen, dass wir sie sprächen? Gar nichts sprechen wir, alles Unsinn! Wir sind ein Werkzeug der Gesellschaft und können zwar stolz auf unsere gute Erziehung sein (vorausgesetzt, wir hatten sie), aber sie ist weit entfernt von der Wahrheit, der reinen, nackten Wahrheit. Und deshalb sollten wir vorsichtig sein mit dem Satz: „Ich meine es immer ehrlich und sage, was ich denke.“

 

© Petra M. Jansen

 

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