Neulich in einem chinesischen Restaurant:
Am Nachbartisch sitzen Vater und Sohn. Man bestellt. Auffällig ist die schweigende Gesprächsatmosphäre.
Sohnemann ist beschäftigt: mit einem Computerspiel. Die Haare hängen ihm wie ein Vorhang vor dem Gesicht, der Kopf ist im richtigen Blickwinkel zur Spielkonsole gebeugt. Flink fliegen die Finger über die Tasten.
Gegenüber der Vater in versteinerter Haltung, seinen Nachwuchs musternd ohne jegliche Regung.
Nachdem die Suppen aufgetischt sind, beginnt der Altvordere zu essen. Sohn ist weiter hochkonzentriert in das Spiel vertieft.
Der Vater löffelt in Ruhe Suppe aus der Schale, den Blick nicht ablassend von seinem Gegenüber, welcher wie ein Uhrwerk die Konsole bearbeitet.
Die Suppenschale des Vaters leert sich, eine kurze Pause folgt. Vater mustert Sohn, Sohn kümmert sich intensiv um das Spiel. Während der ganzen Zeit verliert niemand ein Wort.
Verstohlen greift der Vater nach der Schale des Sohnes, zieht sie auf seine Tischseite und beginnt den Inhalt, gelassen den Sohn betrachtend, zu verspeisen.
Seitens des Jüngeren keinerlei Regung zur Sicherung des Mittagsmahls. Nein, Vater speist auch die Ration des Sohnes, was von letzterem in stoischer Spielhaltung toleriert wird.
Wir zahlen und verlassen das Lokal. Ich fange an, mir Gedanken zu machen.
Hier fand keine Unterhaltung statt. Zu sagen hätte es mit Sicherheit einiges gegeben.
Wie sieht die Zukunft der Generation Sohn aus?
Nachfolgend seien noch zwei wahre Begebenheiten erzählt:
Die pubertierende Tochter streitet mit ihren Eltern um den Erwerb eines Mini-Musikabspielgerätes mit Kabeln und Stöpseln für beide Ohren (Anmerkung: der Name dieses Gerätes ist rechtlich geschützt, deshalb die Umschreibung!). Die Eltern verneinen, weil sie den Wert dieses Gerätes nicht in Verhältnis zu dessen Kaufpreis bringen können. Die Tochter droht hieraufhin mit Verweigerung des Schulbesuchs, da sie ohne dieses Gerät nicht auf den Schulbus warten könne …
Schulbushaltestelle morgens, Winter, es ist dunkel. Früher standen hier Kinder und Jugendliche, die darauf warteten, in das warme Gefährt einsteigen zu dürfen, welches sie in die Nähe ihrer Bildungsanstalt brachte. Neulich war ich verwundert: Es gab an dieser Haltestelle keine Schüler bzw. Schülerinnen mehr. Der Mensch hat vor Tausenden von Jahren aufrecht gehen und stehen gelernt. Ich war zu diesem Zeitpunkt vielmehr von einer Gruppe Mutanten umgeben, welche mir von der Größe her bis maximal zur Schulter reichten. Jene korrespondierten in gebeugter Haltung intensiv mit erleuchteten Displays. Diese Außerirdischen unterhalten sich nicht in unserem Resonanzbereich, das sei hier angemerkt. Es lief mir eiskalt den Rücken herunter. Kein Laut war zu hören! Oder verlief das Ganze über die Verkabelung? Aus den Ohren einiger Mutanten kamen jeweils zwei Kabel, mit welchen offensichtlich das Gehirn – oder muss ich sagen: die Schaltzentrale? – derer mit dem leuchtenden Display verbunden war. Etwas Angst hatte ich schon. Man liest doch ab und zu, dass Erdlinge von UFOs entführt werden. Mein Blick richtete sich zum Morgenhimmel …
Der Bus kam dann doch! Wir hatten das ja früher auch so gemacht: Man setze sich auf eine freie Sitzbank, auf den vorderen, dem zum Durchgang gelegenen Sitzplatz. So vermeidet man, dass ein unliebsamer Sitznachbar einem Platz, sich zu entfalten, stiehlt oder gar einen in ein Gespräch verwickelt. Jeglichen Stress vor und nach der Schule vermeiden!
Nun, die gleiche Situation auch an diesem Morgen. Jetzt war ich der Erwachsene. Ich frage den Alien, der ein intensives Gespräch mit seinem Display führt, ob der Platz neben ihm noch frei sei. Genauer gesagt, ich musste mein Begehr fast schreiend vorbringen. Aus dem Kopf oder den Ohren des Wesens kamen Laute, die unsereiner mit „Presslufthammer mezzo forte“ in Verbindung bringt. Und da hatte ich bei dem kleinen Kerl Verwirrung gestiftet. Den Blick stur auf das Display gerichtet, riss er die Augen weit auf und glotzte dieses verwundert an. Offenbar konnte er die von mir ausgehenden Dissonanzen nicht mit dem mit seinem Display geführten Dialog in Verbindung bringen. Entschuldige mein Freund! Auch ich werde die Gepflogenheiten anderer Galaxien noch lernen …
Anschließend im Büro blättere ich in der Mittagspause eine Fachzeitschrift durch. Am Rand Werbung für ein Fortbildungsseminar: „Wir steigern Ihre soziale Kompetenz! Lernen Sie ungeahnte Soft Skills bei sich kennen.“. Und wieder machte ich mir Gedanken …
Ich mag es nicht glauben, aber die Zukunft des Menschen sieht wohl düster aus. Den neuen Lebensbedingungen werden wir uns zum Glück erst in Jahrtausenden bzw. Jahrmillionen anpassen. Der heutige Zeitgenosse muss das nicht mehr erleben.
Aber die Natur findet ihren Weg!
© Thomas Dietsch