Beim Urnengang am 5. Juni diesen Jahres werden die Schweizer wohl mit großer Mehrheit gegen die Einführung eines Grundeinkommens in ihrem Land stimmen. Die Umfragen sind eindeutig. Damit wird diese Idee im Alpenstaat nur als Vision, als „konkrete Utopie“ (Bloch), weiterleben.
Macht nichts! Dieses Scheitern ist ausnahmsweise ein Erfolg. Was bei unserem südlichen Nachbarn in den vergangenen Monaten passiert ist, hat das Land und die Gesellschaft nach vorn gebracht. Aus einem Thema, das bestimmten akademischen Zirkeln und Enthusiasten vorbehalten war, ist eine breite gesellschaftliche Diskussion geworden. Auch aus dem Ausland sind namhafte Persönlichkeiten in die Schweiz gereist, haben sich zu Wort gemeldet: von Yanis Varoufakis, dem ehemaligen griechischen Finanzminister, bis zu Robert Reich, ehemaliger US-Arbeitsminister.
Das gemeinsame Nachdenken über bedingungsloses Grundeinkommen hat die Gesellschaft verändert. Damit haben die Initiatoren ihr Ziel erreicht: sie wollten die Debatte im eigenen Land, in Europa, weltweit befeuern. „Das Grundeinkommen ist ein Kulturimpuls. Es geht um die Weiterentwicklung des wirtschaftlichen Systems und des Kapitalismus“, sagte Mitinitiator Enno Schmidt.
Unterschiedliche Fragen sind zu beantworten:
Welche Rolle spielen Arbeitslöhne als Anreiz dafür, überhaupt zu arbeiten?
Wie verändern sich soziale Beziehungen, wenn sich ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse verändern?
Was passiert mit uns und dem Wirtschaftssystem, sollten an die Stelle menschlicher Arbeitskraft immer mehr Roboter treten?
Profitiert die Allgemeinheit davon, wenn jeder Einzelne seine Tätigkeiten weniger an der kaufkräftigen Nachfrage ausrichten muss und dafür stärker auf die tatsächlichen eigenen und fremden Bedürfnisse eingehen kann?
Letztendlich: Welche Ideen gibt es, um das Vorhaben eines bedingungslosen Grundeinkommens umzusetzen? Wie realistisch sind sie?
Das sind Diskussionen, die eine Gesellschaft benötigt, die Entwicklungen antizipiert, statt von ihnen überrollt zu werden.
An der Abstimmung über das Grundeinkommen zeigt sich die Bedeutung von Volksinitiativen und direkter Demokratie. Denn obwohl die Schweiz bisweilen etwas behäbig daherkommt, ist sie in Wahrheit ein Fortschrittsmotor. Neue, auch ungewöhnliche Ideen schaffen es schon dann auf die politische Agenda, wenn nur knapp zwei Prozent der Stimmberechtigten der Meinung sind, dass darüber abgestimmt werden sollte. In repräsentativen Demokratien liegt dies hingegen stark in der Hand der politischen, ökonomischen und medialen Eliten. Diese Eliten, die tendenziell daran interessiert sind, die Verhältnisse, die sie groß gemacht haben, zu bewahren, müssen von den Bürgern aufwendig von neuen Ideen überzeugt und zum Handeln bewegt werden, bevor überhaupt ein gesellschaftlicher Diskurs darüber entstehen kann. Neue Ideen haben es schwer bei uns.
Eine Erklärung, warum die Schweiz in den vergangenen Jahren immer stärker zum politischen Labor Europas geworden ist! Viele brisante Themen kamen in der Alpenrepublik auf den Tisch. Dazu gehörte eine Initiative, Managergehälter an die Löhne der Belegschaft koppeln zu wollen, oder auch eine andere, die Mehrwertsteuer durch eine Energiesteuer zu ersetzen, und dazu gehörte eine solche zur Abschaffung der Spekulation mit Nahrungsmitteln.
Gescheitert sind alle. Allen ist aber gemein, dass sie unabhängig vom Wahlausgang gesellschaftliche Wirkung entfalten. So führte etwa die Initiative zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns dazu, dass wichtige Firmen wie u. a. der Discounter Lidl noch vor der Abstimmung „freiwillig“ die niedrigsten Löhne angehoben haben.
Im Ausland erhalten die Entscheidungen, wie jetzt beim bedingungslosen Grundeinkommen, oft ungeheure Aufmerksamkeit. Und gerade weil die Schweizer so motiviert nach Lösungen der Probleme suchen, mit denen auch andere Staaten ringen, hat sich das Land immer mehr zum politischen Motor Europas entwickelt.