Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete den US-Angriff in Syrien als „Aggression gegen einen souveränen Staat“, gegen das Völkerrecht. Ausgerechnet Putin, der dem Kriegsverbrecher Baschar al-Assad beim Terror gegen das eigene Volk hilft. Doch es gilt der Grundsatz: keine Gleichheit im Unrecht! Wenn Putin das Völkerrecht bricht, so rechtfertigt dies keinen Völkerrechtsbruch der Vereinigten Staaten.
Der Angriff der Amerikaner ist an der Charta der Vereinten Nationen zu messen. Diese enthält in Artikel 2 Nr. 4 ein striktes Gewaltverbot, das unter dem Eindruck der Weltkriege formuliert wurde.
Die Charta sieht nur einige Ausnahmen vor. So kann der UN-Sicherheitsrat bei einer Bedrohung oder beim Bruch des Friedens anordnen, militärisch einzugreifen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen. Die Rats-Resolution 2118 aus dem Jahr 2013, die die Vernichtung aller syrischen Chemiewaffen durchsetzen sollte, droht dem Assad-Regime zwar mit dem Einsatz von Gewalt, behält eine Entscheidung darüber aber dem Sicherheitsrat selbst vor. Der Rat ist zurzeit jedoch blockiert, weil Russland Beschlüsse gegen die syrische Regierung per Veto verhindert.
Nach der Charta kann Gewalt jedoch auch ohne einen Beschluss des Sicherheitsrats erlaubt sein, wenn ein Staat angegriffen wird und sich allein oder mit anderen Staaten verteidigt. US-Präsident Donald Trump rechtfertigt den Angriff damit, es liege im „vitalen nationalen Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten“, die Verbreitung chemischer Waffen zu verhindern. Selbstverteidigung im Sinne der UN-Charta setzt jedoch einen unmittelbar bevorstehenden oder bereits andauernden massiven militärischen Angriff voraus. Syrien ist nicht dabei, die USA oder deren verbündete Staaten anzugreifen. Daher steht Washington kein Selbstverteidigungsrecht zu. Trumps Militärschlag ist nicht von der Charta gedeckt.
Ein derartiges Ergebnis erscheint völlig unbefriedigend, wenn ein Regime das eigene Volk terrorisiert, der Rat aber nicht eingreift, weil er durch ein Veto gelähmt ist. So war die Lage 1999 im Kosovo-Konflikt. Die NATO griff schließlich ohne UN-Mandat Ziele in Jugoslawien an, um die Kosovo-Albaner zu schützen. Befürworter dieses Einsatzes rechtfertigten ihn als „humanitäre Intervention“. Da der Schutz der Menschenrechte zu den höchsten Zielen der modernen Völkerrechtsordnung gehöre, dürften in krassen Fällen einzelne Staaten eigenmächtig einschreiten, wenn der Sicherheitsrat versage. Und das tut er, unverschuldet, wenn Russland durch ein Veto im Sicherheitsrat militärische Eingriffe gegen den Kriegsverbrecher Assad verhindert.
Die Ansicht, staatliche „Nothilfe“ leisten zu dürfen, hat sich aber bis dato nicht durchgesetzt. Ein Weltgipfel der UN erkannte 2005 zwar eine „Schutzverantwortung“ der Staatengemeinschaft für die Menschenrechte an. Diese muss eingreifen, wenn eine Regierung die eigene Bevölkerung schweren Menschenrechtsverletzungen aussetzt. Auch dann darf aber nur der Sicherheitsrat Militärschläge anordnen.
Trump kann sich in Syrien daher nicht auf die Schutzverantwortung berufen. Sein Militäreinsatz ist völkerrechtswidrig. Allerdings wird das Völkerrecht durch das Verhalten der Staaten geprägt. Kommt es immer wieder zu humanitären Interventionen und werden diese von vielen Ländern anerkannt, kann dies dazu führen, dass eine neue Ausnahme vom Gewaltverbot entsteht.
Aktuell steht fest:
- Der US-Militärschlag gegen syrische Regierungstruppen war völkerrechtswidrig.
- Die Charta der Vereinten Nationen billigt den Einsatz von Gewalt nur dann, wenn ein angegriffener Staat sich verteidigt oder der UN-Sicherheitsrat den Militärschlag genehmigt.
- Trump, der das Sicherheitsinteresse der USA in Syrien bedroht sieht, kann sich auf keines der beiden Prinzipien berufen.
Aber die UN-Charta kennt Formen der kollektiven Verteidigung zugunsten nicht verbündeter Staaten (sog. Drittstaaten-Nothilfe i.S.v. Art. 51 der UN-Charta).
Dies wurde 2014 bereits im Rahmen des „Anti-IS-Einsatzes“ im Irak diskutiert. Was die Drittstaaten-Nothilfe nach der UN-Charta angeht, gibt es bisher kein eindeutiges Postulat. Art. 51 der Charta normiert: „Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht, jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit für erforderlich hält“.
Man wird ohne die Zustimmung des Sicherheitsrates auch bei Drittstaaten-Nothilfe nicht auskommen. Fraglich ist, ob die „Buchstaben“ der UN-Charta noch aktuell sind. Neue Phänomene, wie z.B. der IS-Terror, fordern neue rechtliche Grundlagen. Die Charta entstand unter dem Eindruck der Gräuel des Zweiten Weltkrieges. Man wollte Konflikte möglichst friedlich oder, wenn erforderlich, mit Zustimmung der Weltgemeinschaft militärisch lösen. Dass dieser Apparat im Hinblick auf die Veto-Rechte einiger Staaten zu schwerfällig ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten des Öfteren gezeigt. Die Veto-Rechte der damaligen Siegermächte und Chinas sind in ihrer Gestaltung zu überdenken.
Recht ist im stetigen Fluss …