Die türkische Regierung hat das Gesetz zum Hochschulrat YÖK geändert. Es ermöglicht nun dank eines Gummiparagraphen, unliebsame Privatuniversitäten zu schließen oder de facto zu enteignen.
Nach der Pressefreiheit zielt die türkische Regierung jetzt verstärkt auf die Freiheit der Bildung. Letzte Woche trat ein Gesetz in Kraft, das die Befugnisse des Hochschulrates YÖK, des zentralen staatlichen Kontrollgremiums über die Universitäten, erheblich erweitert und zur willkürlichen Schließung oder Unterstellung von unliebsamen Privatuniversitäten unter eine Zwangsverwaltung genutzt werden kann.
Nach der Änderung des Gesetzes sollen Universitäten, deren Verwaltung „Aktivitäten gegen die unteilbare Einheit des Staates durchführen oder unterstützen“ geschlossen oder im Falle, dass sie Privatuniversitäten sind, einer staatlichen Leitung unterstellt werden. Der einschlägige Satz ist ein klassischer “Gummiparagraph”, der in absehbarer Zeit zur Unterdrückung politischen Dissenses wird genutzt werden können. Außerdem erhält der Hochschulrat die Befugnis, bestimmte Programme (Vorlesungen, Seminare usw.) zu streichen, die Neuaufnahme von Studenten zu unterbinden oder die Hochschule vorübergehend zu schließen. Sollten im Rahmen der Ermittlungen gegen Universitäten angeforderte Unterlagen nicht rechtzeitig vorgelegt werden, hat YÖK die Ermächtigung, die Universität zu übernehmen.
Kritiker sehen die Änderung in Zusammenhang mit der Hexenjagd von Staatspräsident Erdoğan auf die Hizmet-Bewegung. Bisher hat Erdoğan die Bank Asya, die im Umfeld der Bewegung entstanden war, unter staatliche Kontrolle stellen lassen. Danach wurde der Koza İpek Konzern einem staatlichen Zwangsverwalter unterstellt, Journalisten und Verantwortliche der Zeitungen und TV-Sender unter dem Dach des Konzerns wurden entlassen. Zuletzt unterstellte man den Konzern Kaynak, der der Bewegung ebenfalls nahesteht, staatlicher Zwangsverwaltung.
In der Türkei gibt es zur Zeit 190 Universitäten. 114 von ihnen sind staatliche Universitäten, 76 private, sogenannte Stiftungsuniversitäten. 17 von ihnen werden mit der Hizmet-Bewegung in Verbindung gebracht. Nach dem Militärputsch 1980 wurde YÖK gegründet, um dem Staat die Kontrolle über die akademische Lehre zu sichern. Kritiker sehen die neue Änderung jedoch nicht nur im Zusammenhang mit der Hizmet-Bewegung. Sie könnte auch von anderen Stiftungsuniversitäten als Bedrohung aufgefasst und zur Entlassung kritischer Akademiker führen, so die Befürchtung. Die regierungsnahen Medien haben schon seit langem keine Hemmungen mehr, alle oppositionellen Stimmen als “Landesverräter“ zu brandmarken. Das neue Gesetz bietet das Handwerkszeug, sich dieser Wissenschaftler an den Universitäten zu entledigen.
Der Hochschulrat YÖK war einst ein Feindbild der AKP. Er war eine Bastion der strikten Säkularisten, von dem beispielsweise das Verbot des Kopftuches an Universitäten ausging. Die AKP war in den 2000er Jahren stets gegen den YÖK aufgetreten und hatte ihn als eine Einschränkung der akademischen Freiheit kritisiert. Nun, da sie selbst die Kontrolle über den Hochschulrat hat, ist das plötzlich kein Thema mehr.
Es stellt sich immer wieder die Frage nach den Beitrittsverhandlungen der Türkei zur Europäischen Union. Nach den Aufständen im Gezi-Park im Sommer 2013 in Istanbul ist das jetzige Vorgehen des türkischen Staates ein weiterer Beweis, dass sich die Werte, die die türkische Regierung pflegt und die der Europäischen Union nicht unter einen Hut bringen lassen. Das Gesetz, beziehungsweise dessen Änderung, stellt einen frappierenden Eingriff in die akademische Freiheit der Universitäten dar – eines der vornehmsten Rechte einer Demokratie. Zensur ist eine Maßnahme einer Diktatur – unliebsame Kritiker will man mundtot machen. In einer Diktatur gedeiht kein freier Geist. Ähnlich wie in China setzt die türkische Regierung offensichtlich auf die Selbstzensur der Wissenschaftler. Die Angst vor Repressalien führt dazu, dass man nichts Unliebsames mehr veröffentlicht. Wissenschaft und technologischer Fortschritt werden ausgebremst. Die These muss lauten, dass es zu einer Abwanderung türkischer Wissenschaftler ins Ausland kommen wird.