Italiens Ministerpräsident Renzi ist ein überzeugter Europäer. Wenn er sich aus seinem Arbeitszimmer über Fernsehkameras ans Volk wandte, standen bisher zwei Fahnen im Hintergrund: Die grün-weiß-rote Flagge Italiens und der Kranz aus zwölf goldenen Sternen auf blauem Grund, das Symbol Europas.

Renzi will die Sterne jetzt nicht mehr im Hintergrund haben. Er schimpft beinahe täglich lautstark über „die in Brüssel“. Nicht weil er zum EU-Gegner geworden wäre. Sondern weil er ein italienisches Problem hat und Europa ein Teil davon ist.

Es geht nicht um Europa, sondern um das kranke Italien. Dort sind nicht nur die Postwege und die Telefonnetze, die Justiz und die Verwaltung – vorsichtig gesagt – wenig zufriedenstellend. Die ganze Politik ist eine Plage. Es dauere „bis zu 866 Tage“, bis ein Gesetz verabschiedet werde, so Premier Renzi. Die politische „Kaste“, wie man in Italien sagt, lebe gut von unendlichen Diskussionen und politischen Winkelzügen. Nur das Land selbst nicht …

Renzi will jetzt die politischen Prozeduren verschlanken, unter anderem den Senat – die zweite Kammer – drastisch verkleinern, will heißen: faktisch entmachten. Seinem Volk hat er das aber nicht erklären können. Deshalb sind, laut jüngsten Umfragen, die meisten dagegen. Die Zahl derer, die bei dem Referendum am heutigen 4. Dezember mit „Nein“ gegen Renzis Reform votieren wollen, ist in den vergangenen Wochen laut Meinungsumfragen stets gewachsen.

Für Renzi wird es die wichtigste Abstimmung seiner zweijährigen Amtszeit. Denn, das hat er oft angekündigt, gelegentlich zurückgenommen und aufs Neue erklärt: Verliert er, wird er wohl zurücktreten. Man bleibe nur an der Macht, wenn man etwas ändern könne. „Ich lasse mich nicht grillen!“, sagt er, was heißen soll: Ohne Mehrheit wird er zum Spielball seiner politischen Gegner, ganz weit rechts und ganz weit links. Gewinnt das „Nein“, steht ernsthaft zu befürchten, rutscht Italien zunächst in eine politische Krise und hiernach in eine ökonomische. Das könnte für Europa desaströse Folgen haben.

Deshalb haben beim EU-Außenministertreffen in Brüssel viele besorgte Kollegen den römischen Chefdiplomaten gefragt, was denn bei ihm daheim los sei.

Europa ist bereits genug gebeutelt:

  • der Kampf gegen den Terrorismus
  • der Brexit
  • die Wahl des Europa-Feindes Donald Trump zum US-Präsidenten
  • der Zoff mit der Türkei
  • das Migrantenproblem
  • der Rechtsruck in diversen EU-Staaten, wie Frankreich, Polen und Ungarn

Ein „Italien-Problem“ kann man da nicht auch noch gebrauchen.

Genau das – so Analysten – zeichnet sich jedoch bei Börsen und Banken ab. Der „Spread“, der Zins-Aufschlag, den der italienische Fiskus zahlen muss, damit die Anleger seine Anleihen kaufen, steigt: Von 138 Punkten am 14. Oktober auf 160 am 4. November und auf 176 diese Woche am 29 November. Die Geldverleiher werden nervös, nicht ganz zu Unrecht!

Denn wenn Renzi sein Referendum verliert, bricht die Zeit der Populisten an. Der ganz rechten, etwa von der Lega Nord, gerade dabei, den altersschwachen Silvio Berlusconi zu enterben. Und der linkslastigen „Fünf-Sterne-Bewegung“ des Ex-Kabarettisten Beppe Grillo. Er und seine Anhänger sind gegen alles, vor allem gegen die Europäische Union.

Fällt Renzi, kommt nach dem Referendum eine Volksabstimmung gegen den Euro. Das wird ungemütlich für Europa. Die einst europabegeisterten Italiener sind mittlerweile sauer: Die Preise sind gestiegen, die Kaufkraft ist gesunken, die Verschuldung des Landes ist ebenso dramatisch gewachsen wie die Zahl der Arbeitslosen, vor allem der Jugend. Eine ganze Generation hat fast zur Hälfte keinen Job. Schuld ist, das glauben ganz viele, die Globalisierung und die EU.

Der Ausfall der Römer aus dem „Europäischen Reich“ graut am Horizont, der „Itexit“ oder wie auch immer …

Laut Ökonomen von Morgan-Stanley liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Renzi das Referendum gewinnt, gerade noch bei 35 Prozent. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass politische Instabilität und ein mögliches Euro-Referendum eine Kapitalflucht auslösen. Dies würde die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone in eine nicht auszudenkende Abwärtsspirale bringen.