„Populismus und politische Extreme nehmen zu“, sagte Bundeskanzlerin Merkel neulich im Bundestag. Kritik ist legitim, allerdings muss sie mit Respekt für die Würde des anderen artikuliert werden.

Eine der Ursachen für die Entwicklung sieht die Kanzlerin im Internet. Unter anderem durch gefälschte Nachrichten und Social Bots wird massiv Einfluss auf die Meinungsbildung genommen. Das ist Teil der modernen Realität. „Was wir für selbstverständlich gehalten haben, ist nicht mehr selbstverständlich“, so Merkel.

Die Digitalisierung ist mitunter die größte Herausforderung. Neue Entwicklungen kann man in Demokratien nicht einfach verbieten. Man muss sich Neuem öffnen, denn nur so kann man die Wirtschaft auf das neue Zeitalter einstellen.

Warum ist Populismus unbeliebt und wird zuweilen als Schimpfwort gebraucht? Es ist demokratisch, auf die Wünsche und Vorstellungen der Wähler einzugehen, doch die meisten Wähler wünschen sich echte Überzeugungen von ihren Politikern. Diese sollen derselben Meinung sein, aber aus eigener Überzeugung und nicht nur deshalb, weil sie die Meinung der Wähler spiegeln. Der Populist gilt – weil er seine Fahne nach dem Wind hängt – als unglaubwürdig und unzuverlässig. Hinzu kommt, dass sich viele Wähler echte Anführer wünschen, während die Populisten ihnen nur hinterherlaufen.

Ein weiteres Problem von Populisten ist, dass sie besser in Worten als Taten sind. In der Opposition fällt das weniger auf, doch in Regierungsverantwortung müssen sie das Populäre tatsächlich umzusetzen versuchen. Das führt zu Schwierigkeiten, weil sich die Wünsche der Wähler häufig selbst widersprechen oder mit der Realität in Konflikt geraten. Wer immer umsetzt, was die Wähler gerade wollen, macht diese auch nicht glücklich, weil sie dann später mit den Ergebnissen nicht zufrieden sind.

Der Fortschritt kommt langsam, aber unaufhaltsam, dachten wir immer. Deshalb heißt es „Fortschritt“, weil es nur eine mögliche Richtung gibt – hin zu mehr Freiheit, mehr Gleichberechtigung, mehr Vielfalt, mehr Besonnenheit, mehr Vernunft. Das Weltwirtschaftsforum gibt jedes Jahr einen Gender-Gap-Report heraus, der beziffert, wie lange es bis zur ökonomischen Gleichstellung von Frauen und Männern noch dauert: derzeit 170 Jahre! Dass es irgendwann dazu kommen wird, steht außer Frage. Allerdings: Voriges Jahr hieß es, es dauere nur noch 118 Jahre. Wenn sich der Fortschritt in diesem Tempo weiter verlangsamt – nämlich um 44 Prozent pro Jahr – werden wir 2026 lesen, „dass wir leider noch 6.500 Jahre warten müssen“ (zeit.de).

Oder handelt es sich beim Fortschritt gar nicht um einen zwangsläufigen Prozess? Ist etwa die Gleichstellung der Frauen am Ende gar keine Frage des Wann, sondern des Ob? Der Wahlsieg von Donald Trump war mit deshalb ein Schock, weil er die Möglichkeit des Rückschritts mitten im Herzen der westlichen Welt verdeutlicht. Die Selbstgewissheit, wonach wir Fortschrittlichen Sexismus, Rassismus, Homophobie und religiösen Fanatismus bereits überwunden hätten, während die Zurückgebliebenen dafür eben noch etwas länger brauchen, war schon stets überheblich.

Politik ist mehr als Statistik. Das Ideal ist schließlich die Volkssouveränität, nicht die Souveränität der Zahlen. Was Einzelnen wichtig ist, muss nicht damit übereinstimmen, was Tabellen sagen. Auch das gehört zur Freiheit. Menschliche Gehirne funktionieren nicht wie Rechenschieber. Reine Zahlen prägen sich nicht ein, sondern Erfahrungen. Diese setzen sich immer zusammen aus einem kognitiven (also rationalen) und einem emotionalen Teil. Erst wenn die beiden Bereiche sich verschalten, bleibt etwas wirklich hängen. Das ist der Grund, warum sich Gedächtniskünstler anschauliche Geschichten ausdenken, um lange Zahlenfolgen zu verknüpfen und sich so zu merken. Hüten wir uns daher, unseren Alltag von den Algorithmen der Apps und Social Networks bestimmen zu lassen.

Aber was folgt daraus, nimmt man die Statistik ernst? Dass die US-Regierung sich stattdessen ganz dem Kampf gegen tödliche Bettstürze verschreiben sollte? Das sind ja immerhin 350-mal mehr als Tote durch islamistischen Terror. Oder sollte die Politik andersrum islamistischen Terror zukünftig keinesfalls mit mehr Ressourcen bekämpfen als die Bedrohung durch Rasenmäher, immerhin verantwortlich für 69 Todesfälle im Jahr? Hier beißt sich der nüchterne Zahlenvergleich selbst in den Schwanz. Würde die Politik ihre Ressourcen rein danach verteilen, was wie viele Opfer fordert, müssten am Ende alle Gelder ausschließlich und sofort in die Bekämpfung der menschlichen Sterblichkeit fließen. Die ist schließlich immer noch „Todesursache Nummer eins“.

Wir haben uns aber mit unserer Sterblichkeit abgefunden und halten sie nicht für ein politisches Problem.